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Inland
„Der Titel gefährlichster Mann Europas ist im Nachhinein betrachtet ein Ehrentitel“
Gespräch mit Oskar Lafontaine
Von Oliver Desoi und David Noack

Vom Juni 2007 bis Mai 2010 war der ehemalige SPD-Ministerpräsident des Saarlands und Bundesfinanzminister Oskar Lafontiae neben Lothar Bisky Parteivorsitzender der Partei Die Linke. Nachdem er aus gesundheitlichen Gründen vom Parteivorsitz zurückgetreten ist und seit September 2009 die Fraktion der Linken im saarländischen Landtag führt, interessieren sich die üblichen Medien nicht mehr für ihn. Deshalb haben Oliver Desoi und David Noack ein Gespräch mit ihm geführt. – Die Redaktion
 

Oskar Lafontaine auf einer Veranstaltung
der Linken in Solingen.
NRhZ-Archiv
Oliver Desoi: Herr Lafontaine, über Grundeinkommen und Regierungsbeteiligung – über die Vorsitzenden und noch vieles mehr wird in der Linken viel gestritten. Doch nur selten wird über die Außenpolitik gesprochen – wie schätzen Sie die Profilierung der Linken in diesem Thema ein?
 
Oskar Lafontaine: In der Außenpolitik hat die Linke ein Alleinstellungsmerkmal. Im Gegensatz zu den anderen Parteien befürwortet sie eine Außenpolitik auf der Grundlage des Völkerrechts. Die Linke ist die einzige Antikriegspartei Deutschlands.
 
Oliver Desoi: Nun etwas zur Vergangenheit – 1989 war Helmut Kohl kurz vor dem Abtreten. Mit der Wende im selben Jahr kamen nicht nur Veränderungen für Deutschland, sondern auch innenpolitische Kämpfe. Der Politkökonom Kees van der Pijl veröffentlichte ein Kapitel in dem Buch "Social Forces in the Making of New Europe" mit dem Titel "What Happened to the European Option for Eastern Europe?" Dabei beschreibt er die Kämpfe um die geopolitische Ausrichtung Deutschlands in einem vereinigten Europa. Wie haben sie diese Konflikte damals wahrgenommen?
 
Oskar Lafontaine: Die Politik der NATO und der Neoliberalismus bestimmten die geopolitische Ausrichtung Deutschlands im vereinten Europa. Daher beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland indirekt am Irak-Krieg und direkt am Afghanistan-Krieg. Von einer eigenständigen Rolle Europas auf der Bühne der Weltpolitik kann daher nicht gesprochen werden. Der Vertrag von Lissabon ist geprägt durch die Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus. Lohndumping, Sozialdumping und Steuerdumping sind europäischer Alltag. Der Lissabon Vertrag untersagt es, Finanzgeschäfte mit Steueroasen zu verbieten. Er ist nicht mehr zeitgemäß.
 
Oliver Desoi: Die Zeitung "The Sun" nannte Sie einst den gefährlichsten Mann Europas - eine Ehrung oder Beleidigung?
 
Oskar Lafontaine: Der Titel gefährlichster Mann Europas ist im Nachhinein betrachtet ein Ehrentitel. Er wurde mir verliehen, weil ich als bundesdeutscher Finanzminister versucht habe, das europäische Lohn-, Steuer- und Sozialdumping zu verhindern. Zudem wollte ich die Finanzmärkte regulieren und insbesondere die Währungsspekulationen unmöglich machen.
 
David Noack: Würden sie sich als Gaullisten bezeichnen? Ein linker Gaullist, vielleicht á la Jean-Pierre Chevènement?
 
Oskar Lafontaine: Ich bin für eine eigenständige Rolle Europas. Insoweit würde ich mich als Gaullisten bezeichnen. Nachdem Amerika als einzige Supermacht im kalten Krieg überlebt hat, wäre es die Aufgabe Europas, der imperialen Politik der USA, sich mit kriegerischen Mitteln Rohstoff- und Absatzmärkte zu sichern, etwas entgegenzusetzen. Leider laufen die Europäischen Staaten den USA hinterher.
 
David Noack: De Gaulle stand unter anderem für eine Distanz zu den USA, ein Europa der Nationen und Freundschaft mit Russland. Sollte die Linke russlandfreundlicher sein?
 
Oskar Lafontaine: Die Linke ist eine Partei des Internationalismus. Daher tritt sie für ein Sicherheitssystem ein, an dem auch Russland beteiligt ist. Sie wirbt dafür, nach dem Ende des Kalten Krieges Russland als Bündnispartner und nicht als Gegner zu betrachten.
 
Oliver Desoi: In deutschen konservativen und militärischen Fachzeitschriften erlebt die Geopolitik eines Zbigniew Brzezinski derzeit ein Revival. Ist das auch ein Thema für die Linke? Gibt es linke Geopolitik? Sollte es eine linke Geopolitik geben?
 
Oskar Lafontaine: Brzezinski steht für eine Politik der USA, die zuerst den Irak aufgerüstet und zu einem Krieg mit dem Iran angestiftet hat. Danach wurde der Irak von den USA in die Reihe der Schurkenstaaten eingeordnet und mit Krieg überzogen. Brzezinski war stolz darauf, die Taliban mit US-Kriegsmaterial aufgerüstet zu haben. Jetzt sind die Taliban die erklärten Feinde der Vereinigten Staaten. Es ist erstaunlich, dass Europa dieser irrationalen Politik folgt. Die Linke tritt für eine Außenpolitik des Völkerrechts und des Friedens ein.
 
David Noack: Danke Herr Lafontaine, wir bedanken uns für das Gespräch. (PK)


Online-Flyer Nr. 268  vom 22.09.2010

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