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Aktueller Online-Flyer vom 04. Mai 2024  

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Inland
100-Jahrfeier Helmholtz-Gymnasiums Hilden - Kritischen Beitrag manipuliert
Zensur auch zugunsten von Behörden - Teil 2
Von Dr. Walther Enßlin, Jürgen Streich und Peter Kleinert

Zur Feier des 100. Geburtstags des Helmholtz-Gymnasiums in Hilden sollten u.a. der dort von 1979 bis 2005 unterrichtende Chemie-Lehrer Dr. Walther Enßlin und der Journalist Jürgen Streich zu einer knapp 100 Seiten starken Festschrift Texte beitragen, die aber von der Schulleitung in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem BAYER Konzern, Politikern und Behörden zensiert und nicht veröffentlicht wurden. Nach unserem Bericht „Zensur zugunsten von BAYER“(1) hier der zweite Zensurfall im Zusammenhang mit dem vergifteten ehemaligen Gelände der Firma ICI Lacke Farben GmbH. – Die Redaktion 

Vorwort von Walther Enßlin
 
Nach 15 Jahren war die 1990 als notwendig erkannte Sanierung des Geländes von ICI Hilden 2005 abgeschlossen. Sie kostete – weil biologisch und nicht physikalisch-chemisch durchgeführt – nur die Hälfte von den ursprünglich veranschlagten 80.000.000 DM. Die Firma ICI konnte ihr Gelände in der Düsseldorfer Str. 102 erst nach dieser Sanierung verkaufen, so dass ein Großteil der 1.500 Arbeitsplätze im Hildener Werk für 15 Jahre gesichert war. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherung sich nicht im Wege stehen sondern sich sogar unterstützen.
 
Die Chemie-AG unserer Schüler und damit das Helmholtz-Gymnasium erhielten aus dem Sanierungstopf der Firma ICI durch Prof. Dr. Henkler während dieser 15 Jahre jährlich ca. 8000.- DM, was auch zu ihrem Erfolg beitrug und den Etat von Schule und Stadt entlastete.
Dazu die Vorgeschichte nach Jürgen Streich: “Dem Gesetz zuwider – Wie bundesdeutsche Behörden Umweltverbrechen zulassen”, die bereits 1993 im Zebulon-Verlag veröffentlicht wurde. Es folgt der von Jürgen Streich für die Festschrift zur Verfügung gestellte Text, in dem die Teile, die der Zensur anheim fielen, kursiv gesetzt sind.  
 
Schüler können’s besser
 
Wie das Miteinander von Bevölkerung und chemischer Industrie auch funktionieren kann, zeigt eine Geschichte, die – ganz real – in Hilden spielt. Ausgangspunkt war im Herbst 1990 eine Projektwoche am Helmholtz-Gymnasium. Die Chemie-AG unter Leitung des Lehrers Dr. Walther Enßlin hatte sich Luftuntersuchungen vorgenommen. Weil die Messergebnisse nachts nicht so stark durch Autoabgase beeinflusst werden, zogen die Schüler Michael Nieswandt und Karsten Schöning in der Dunkelheit los. Gegen zwei Uhr fiel ihnen übler Gestank auf, der aus einem Kanaldeckel drang. Die beiden gingen gar nicht mehr erst ins Bett, sondern brachten ihre Luftproben gleich in die Schule. Dort ergab die Untersuchung Erschütterndes: Die Lösungsmittelstoffe Essigsäureethylester, Xylol und Toluol, allesamt leber- und nieren-schädigend, narkotisierend und letztere im Verdacht, Krebs auszulösen, drangen in derartigen Mengen aus dem Kanal, dass die maximal zulässige Arbeitsplatzkonzentration (MAK) überschritten war. Die Stoffe stammten offenkundig aus dem Werk des internationalen Chemiegiganten ICI.
 
Die Chemie-AG, deren Aktivitäten übrigens weit über den schulischen Bereich hinausreichen (jeden Freitagnachmittag treffen sich Schüler der Klassen 7 bis 13, um sich mit Umweltschutzthemen zu befassen), informierte das Werk und die Presse von ihrem Fund. Die Schüler und ihr Lehrer unterstrichen, dass sie bereit wären, bei der Lösung des Problems mitzuwirken. Und siehe da: Sie stießen auf einen für Umweltschutz aufgeschlossenen ICI-Mitarbeiter, den Leiter des Geschäftsführungsstabes der Bereiche Sicherheit, Gesundheit und Umwelt, Dr. Rolf-Dieter Henkler. Der lud die jungen Umweltschützer zunächst einmal ins Werk ein. Doch einer der Schüler, Michael Koch, war besonders akribisch. Vor dem Besuch wollte er ganz genaue Daten haben.


Die Chemie AG machte am letzten
Wochenende eine Bootstour auf der
Wupper. - Fotos: Walther Enßlin
So begaben er, einige seiner Mitschüler und ihr Lehrer Enßlin sich erneut zu der Kanalöffnung. Als Walther Enßlin die Proben-Entnahmestelle in der Sackgasse durch sein quer gestelltes Auto sicherte, tauchte der ICI-Werkschutz auf. Dessen Mitarbeiter wollten die Umweltschützer aus der öffentlichen Straße vertreiben. Doch die ließen sich auf nichts ein, so dass die Werkschützer sich telefonisch bei der Geschäftsleitung erkundigten, was zu tun sei. Rolf-Dieter Henkler verfügte: Die Schüler haben bei der Überprüfung der Abwässer des Werks freie Hand und sind zu unterstützen.
 
Hilfe konnten die engagierten Jungchemiker dann tatsächlich gebrauchen, als sie erneut Besuch bekamen, und zwar von einem edlen Mann zu Pferde und seiner singenden Gefolgschaft. Dabei war nicht so sehr das Problem, St. Martins Ross und die Kinder mit ihren Eltern sicher an dem offenen Kanaldeckel vorbeizudirigieren, sondern vielmehr die Vermutung, dass die Lösungsmittelbestandteile in einer solchen Konzentration austraten, dass Walther Enßlin Explosionsgefahr aufgrund der brennenden Fackeln befürchtete. So war es wahrscheinlich ein glücklicher Zufall, dass gerade Fachleute vor Ort waren, die ein vorgezogenes unbeabsichtigtes Martinsfeuer mit wahrscheinlich traurigem Ausgang verhinderten.
 
Beim Werksbesuch wurde den Schülern dann klar: Hier werden gewaltige Lösungsmittelmengen über das Kanalnetz entsorgt. Auch stellten sie fest, dass aus den Abwässern des Klärwerks des Unternehmens bereits große Mengen der gefährlichen Stoffe in die Luft gelangten.
 
Zunächst einmal besorgten sich die Mitglieder der Chemie-AG bei der Stadtverwaltung Hilden Kanalkarten und stellten fest, dass die Zeichnungen das Papier nicht wert waren, auf dem sie gedruckt waren. Von ICI erhielten sie dann korrekte Kanalverzeichnisse. Rolf-Dieter Henkler war inzwischen überzeugt, dass der Ruf des Unternehmens auf dem Spiel stand und leitete eine umfassende Kanaluntersuchung in die Wege. Dabei kam heraus, dass der Boden der Rohre teilweise bereits weggefressen war und die Lösungsmittel ins Grundwasser sickerten. Bohrungen bis in sechs Meter Tiefe ergaben, dass dort auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern im Durchschnitt zehn Zentimeter hoch Lösungsmittel auf dem Grundwasser schwamm. In 35 Metern Tiefe wurden chlororganische Verbindungen festgestellt, die von benachbarten Geländen ausgingen, von denen eines ehemals der Firma Mannesmann gehört hatte. Besondere Brisanz erhielten diese Grundwasservergiftungen, weil sie sich gen Düsseldorf bewegten. „Doch das“, so der Chemiker Walther Enßlin, „will die Hildener Stadtverwaltung nicht wahrhaben.“


Trotz Zensur auch heute noch aktiv – die Chemie AG
 
Ganz anders die Firma ICI. Deren Zentrale in London dachte sicherlich aufgrund der zu erwartenden immensen Sanierungskosten ernsthaft über eine Schließung des Hildener Werks nach, was den Verlust von 1.500 Arbeitsplätzen bedeutet hätte. Den Verantwortlichen in der Londoner Zentrale wurde jedoch schnell klar, dass eine Schließung nach deutschen Gesetzen zu riesigen Rückstellungen (ca. 50 bis l00 Millionen Mark) für die Sanierung führen würde, so dass die Geschäftsleitung unter der Beteiligung von Dr. Henkler die Chance sah, die Sanierung aktiv in die Hand zu nehmen. Die Behörden kamen anscheinend nicht auf diesen Gedankengang! Hier zeigt es sich, dass die Behörden ihre eigenen gesetzlichen Möglichkeiten zum Wohle der Bevölkerung nicht voll ausschöpfen und Sanierungskriterien den Firmen überlassen. Vor diesem Hintergrund entschloss sich das Londoner Management, lieber in den Umweltschutz zu investieren. Es stellte 40 Millionen Mark zur Sanierung bereit, von denen bisher etwa fünf Millionen ausgegeben worden sind.
 
Bei Redaktionsschluss sammelte ICl seine lösungsmittelhaltigen Abwässer in Containern und führte sie einer fachgerechten Entsorgung zu. Das gesamte firmeneigene Kanalnetz ist inzwischen stillgelegt. Außerdem arbeitet das Unternehmen gemeinsam mit der Chemie-AG des Helmholtz-Gymnasiums an einem biologischen Verfahren, bei dem Bakterien Lösungsmittel abbauen. Dieser Weg ist zwar zeitaufwendiger, aber weitaus kostengünstiger. Ein weiterer Nebeneffekt der von ICI eingeleiteten Untersuchung des Abwassers führte zu einer gewaltigen Reduzierung der Abwasservolumen von circa 80.000 L/a auf circa drei- bis fünftausend Tonnen pro Jahr bei gleichzeitiger Reduzierung der organischen Belastung. Die Abwässer, die das Werk immer noch ins öffentliche Kanalnetz einleitet, sind in der Schädlichkeitskategorie mit denen aus Haushalten gleichgestellt worden, wodurch ICI allein die Summe von etwa einer halben Million Mark pro Jahr einspart.
 
Trotz der insgesamt hohen Sanierungskosten für die Altlasten unterstützt der Chemie-Multi den Chemiebereich des Helmholtz-Gymnasiums im allgemeinen und dessen im Umweltschutz engagierte Arbeitsgemeinschaft im besonderen mit Beträgen, die die bisherigen Etats um ein Mehrfaches übersteigen. Bei soviel Zusammenarbeit entsteht gegenseitiges Vertrauen. So erhielt die Chemie-AG Einblick in sämtliche Genehmigungsunterlagen des Unternehmens. Walther Enßlin: „Mitunter trauten wir unseren Augen nicht.“
 
Vor der Übernahme durch ICI hatte das Werk der Hildener Bürgermeisterin Dr. Ellen Wiederhold gehört. Damals hatte der Betrieb Genehmigungen erhalten, aufgrund derer er auch die seinerzeit geltenden Grenzwerte deutlich überschreiten durfte. Bei der Einleitung von Lösungsmitteln beispielsweise hatte das Werk überhaupt keine Beschränkungen zu beachten.
 
Walther Enßlin zeigte die Untere Wasserbehörde wegen ihrer Genehmigungspraktiken an. Von der Staatsanwaltschaft hieß es daraufhin sinngemäß: Behörden dürfen genehmigen, was sie wollen.
 
ICI jedenfalls möchte sich heute nicht mehr auf die Freibriefe berufen, die teilweise aus den fünfziger Jahren stammen. Das Unternehmen will die von ihm verursachten Umweltschäden stattdessen mit biologischen Methoden beseitigen. Darüber hinaus entwickeln die Schüler der Chemie-AG gemeinsam mit dem Werk ein Überwachungssystem, das auch anderswo eingesetzt werden kann. Dazu hat ICI ihnen bereits zwei Messstationen und einen Computer bezahlt. Eine Station ist mobil. Damit die Schüler, die meist noch keinen Führerschein besitzen, die Gerätschaften von A nach B bewegen können und auch dabei dem Umweltschutzgedanken Rechnung getragen wird, ist sie auf einem Fahrrad installiert. Dem Chemielehrer Walther Enßlin wurde diese Anordnung bereits zum Verhängnis: Er stürzte mit dem Rad und brach sich dabei einen Arm.
 
Vom Schulleiter Karl-Heinz Rädisch gestrichen:
 
Knüppel zwischen die Beine wollte die Stadt Hilden dem Unternehmen ICI werfen, als es darum ging, in öffentlichen Gebäuden, die sich im Grundwasser-Abstrom der Firma befinden, Luftmessungen vorzunehmen. Doch die Kontrollen wurden durchgesetzt. Und siehe da - an einer Schule und an einem Kindergarten konnten Ausdünstungen von chlorierten Kohlenwasserstoffen (2), die sich im Erdreich nicht abbauen, nachgewiesen werden. Walther Enßlin: „Die Sanierung des ehemaligen Mannesmann-Geländes geschieht, indem die dort eingesickerten Lösungsmittel mit dem Grundwasser teilweise wieder hoch gepumpt und in die Hildener Luft ausgeblasen werden und teilweise auch mit dem Grundwasserstrom Richtung Düsseldorf fließen.“ Die Stadt sollte sich an dem Engagement der Schüler ein Beispiel nehmen. Wenn’s um Geld geht, lohnt sich ja vielleicht die Kontaktaufnahme zu dem milliardenschweren Unternehmen Mannesmann.
 
Nachwort von Walther Enßlin
 
Erst im Jahr 2010 begann die Stadt Düsseldorf die giftigen, chlorierten Kohlenwasserstoffe (CKW) mit großem Aufwand aus dem Grundwasser zu entfernen. Diese Schadstoffe waren auf Anregung der Chemie-AG 1990 unter dem Gelände von ICI entdeckt worden. Sie kamen hauptsächlich von Entfettungsanlagen der Firmen Mannesmann und Schlieper und Laag. Durch die Untätigkeit der Behörden wanderten die krebserregenden CKWs weiter und wurden später in der Grundschule Wiederhold gefunden. Inzwischen sind sie 2 km weiter bis über die Stadtgrenze von Hilden gewandert, wo sie die Trinkwasserbrunnen von Düsseldorf bedrohen. Die Sanierungskosten von 10 Millionen € verteilt auf 15 Jahre tragen die Allgemeinheit und nicht die verursachenden Firmen in Hilden. Mehr als die Hälfte der Kosten trägt die Stadt Düsseldorf.


CKW-Schaden in Hilden der nach 20 Jahren Untätigkeit bis nach Düsseldorf reicht und die dortige Trinkwasserversorgung gefährdet. CKW-Konzentrationen: 10 bis 1000 µg/L
Quelle: Untere Bodenschutzbehörde Kreis Mettmann
 
Angela Everts schreibt dazu in der WZ 2010: „Die so genannte Schadstofffahne ist seit rund 20 Jahren bekannt. Nun ist aber Gefahr im Verzug, weil die Fahne den Benrather Schlosspark zu erreichen droht. „Das Problem war nur, dass Düsseldorf allein nicht tätig werden konnte, weil die Verunreinigung aus dem Kreise Mettmann zu uns herüberschwappte“, erklärte Umweltdezernentin Helga Stulgies. Um den Zustrom zu stoppen, wurde schon im April auf Hildener Gebiet eine Brunnenkette samt Reinigungsanlage in Betrieb genommen.“
 
Oft wiederholen sich Geschichten: Die vielen wunderschönen Weiher im Benrather Schlosspark werden von der aus Hilden kommenden Itter gespeist. Nur änderte dieser Bach um 1900 stündlich seine Farbe und seinen „Geruch“, so dass wegen des drohenden Besuches des Kaisers den Hildenern Firmen gedroht wurde. Geholfen hatte diese Drohung damals nicht viel.
 
Fazit der Redaktion
 
Der verfälschte Originaltext von Jürgen Streich erhielt nach den hier dargestellten Zensureingriffen die Überschrift „Umweltschutz sichert Arbeitsplätze“ Er wurde gerade an der Stelle des Armbruches von Dr. Walther Enßlin abgeschnitten. So kann man Umweltaktivitäten lächerlich machen, nachdem man alle anderen kritischen Aktivitäten entfernt hat. Verschwiegen wurde durch die Eingriffe auch die Untätigkeit der Behörden im Zusammenspiel mit der Staatsanwaltschaft, die dieses Verhalten offenbar deckte. Kein Wunder, dass der Autor intervenierte als er das erfuhr und die Veröffentlichung dieser manipulierten Version seines Textes untersagte. Man kann den Text aber komplett in seinem Buch „Dem Gesetz zuwider“ bei ebay bestellen.  
 
Die von Walther Enßlin erwähnte derzeit hochaktuelle Bedrohung der Trinkwasserbrunnen der Stadt Düsseldorf durch die vor 20 Jahren entdeckten und nicht von den dafür verantwortlichen Firmen sanierten CKW-Schäden wird nun auf Kosten der Allgemeinheit beseitigt (3) ganz im Gegensatz zu der vorbildlichen Sanierung bei ICI, die heute erfolgreich beendet ist. (PK) 

(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15623
(2) Chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW) bilden eine Stoffgruppe organischer Verbindungen und eine Untergruppe der Halogenkohlenwasserstoffe. CKW werden deshalb häufig in der Metall- und Glasindustrie, bei der Chemischen Reinigung und in der Textilbearbeitung als nicht brennbare Lösungsmittel für Reinigungs-, Entfettungs- und Extraktionsprozesse verwendet. Die Stoffe sind jedoch giftig und chronisch gesundheitsgefährdend, mit karzinogener Wirkung, und besitzen ein zumeist großes umweltschädigendes Potenzial.
(3) http://www.duesseldorf.de/presse/pld/d2010/d2010_08/d2010_08_13/10081111_160.pdf


Online-Flyer Nr. 268  vom 22.09.2010

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