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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Das „Judenkind“ als „Antisemit“
Verfahren gegen Klagemauer-Aktivisten
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Es war Sommer, und der CSD 2009 tobte durch die Stadt. Unbeachtet von den vorbei strömenden AnhängerInnen des unpolitischen Spaßevents stand als einziges politisches „Event“ die „Klagemauer“ am gewohnten Platz vor dem Domforum. Nur zwei angetrunkene weibliche Jugendliche schenkten der Ausstellung, die sich seit geraumer Zeit vorrangig mit Palästina befasst, ihre ganz spezielle Aufmerksamkeit. Sie lallten Beschimpfungen und zerrissen an der Installation ausgelegte Unterschriftenlisten. Eine einzelne junge Polizeibeamtin wandte sich, von Walter Herrmann um deeskalierendes Eingreifen gebeten, den alkoholisierten Randaliererinnen zu – und sie schaffte es auch,  die Situation zu beruhigen – durch Gespräch statt durch „Polizeimaßnahmen“. Schließlich schied man allseits friedlich und mit Handschlag voneinander.

Die Bühne

So hätte der kleine Zwischenfall als gelungenes Beispiel gelungenen streetworkings abgebucht werden können – Friedensstiftung an der Friedens-“Klagemauer“. Doch diese bemerkenswerte Episode sollte leider nur ein  Randereignis bleiben an diesem Tage. Noch während die junge Polizistin den  Kleinkonflikt mit den übermütigen Backfischen erfolgreich schlichtete, stand ein ziviler Polizeikollege im Mittelpunkt eines eskalierenden Wortkrieges mit Walter Herrmanns langjährigem „Klagemauer“-Mitarbeiter Kurt S. (Name von der Redaktion geändert). Dieser „Hauptkonflikt“ endete wenige Monate vor Gericht, zog eine erstinstanzliche Verurteilung von Kurt S. nach sich und mündete einstweilen in einem Berufungsverfahren vor einer Kammer des Landgerichts Köln am Donnerstag letzter Woche.

Zwei Szenarien – unvereinbar

Beleidigend muss es auf jeden Fall gewesen sein, was im feindseligen Dialog zwischen dem Zivilpolizisten Thomas Schildmann und dem Klagemauer-Protagonisten Kurt S. verhandelt wurde. Zu hören war davon freilich für den Rest der Menschheit kaum etwas, auch in dieser Situation blieben keine Passanten stehen. Nur der nahestehende Walter Herrmann bekam den Wortwechsel mit, war aber auch noch auf die Dialogszene zwischen der Polizistin und den zwei jungen Mädchen orientiert. Doch das strafrechtliche Nachfolgeverfahren bezog sich nicht auf private „Beleidigung“, sondern eskalierte  in den politischen Öffentlichkeits-Tatbestand der „Volksverhetzung“. Obgleich doch „verhetzbares“ Volk aktuell in Hörweite nicht vorhanden war. Was wirklich zwischen dem Zivilfahnder und Kurt S. Ausgetauscht wurde, wissen letztlich nur die zwei Beteiligten, doch deren Versionen differieren vollkommen unvereinbar voneinander.

Szenario 1: Der „Provokateur“

Version 1 – die des Angeklagten: Der Zivilpolizist sei den Klagemauer-

Polizist Schildmann als 
Provokateur?
  Aktivisten schon wochenlang aufgefallen, weil er sich oft in die Nähe der Installation stellte und den schweigsamen Beobachter gab. Immer wieder habe er sich auch ins „Domforum“ an eines der nahegelegenen großen Fenster gesetzt und konzentriert auf die Klagemauer gestarrt. Dass es sich um einen Zivilpolizisten handelte, habe sich aber erst an jenem Tage herausgestellt. Schildmann habe sich neben ihn, Kurt S., gestellt, und sei ohne weitere Vorrede sofort mit Beschimpfungen auf ihn eingedrungen: „Das ist ja hier die reinste Volksverhetzung“, und weiter: Die ganze Klagemauer sei „Antisemitismus hoch drei“; auch persönlich habe er ihn beschimpft und beleidigt, und von Anfang an selbstverständlich im Duz-Modus, gipfelnd in der Diagnose: „Du Nazischwein.“ Erst daraufhin habe er, Kurt S.,  den provozierenden Zivilagenten mit einer umgangssprachlich verbreiteten Bezeichnung des Darmaustritts belegt.

Szenario 2: Der „Volksverhetzer“

In Schildmanns Erzählungen hingegen schien jedoch eine völlig andere Welt auf – nun spätestens fühlte man sich an „Rashomon“ erinnert. Er, beteuerte Schildmann, habe  beileibe die „Klagemauer“ nie „beobachtet“, sondern sei als Zivilfahnder gegen Taschendiebstähle auf der Domplatte eingesetzt gewesen. Für die „Klagemauer“ habe er sich hingegen niemals interessiert. Doch  habe er  sich an jenem Tag wegen der Auseinandersetzung zwischen den randalierenden Jungmaiden und der schlichtungsbemühten Polizistin in die Nähe gestellt – für den Fall, dass die Kollegin ihn, Schildmann, als Schutz hätte brauchen können. Da habe ihn der Angeklagte ohne Vorwarnung, aus heiterem Himmel, einfach so angeblafft: „Warum verschwindest du schwule Sau nicht. ... So, wie du aussiehst, bist doch bestimmt einer von diesen schwulen Perversen, die hier heute (beim CSD) rumrennen.“ Das erzählte Schildmann am Donnerstag wiederum vor dem Landgericht, und schon das Vor-Urteil des Amtsrichters Wiegelmann hatte ihn dahingehend zitiert. Wie überhaupt die distanzlose Zertifizierung der Erzählungen Schildmanns durch Richter Wiegelmann als feststehende Tatsachen das Berufungsverfahren erst herbeiführte. Ungeachtet des Hinweises von Kurt S., Schildmann habe ihm in Form rhetorischer Fragen (“Dann bin ich wohl eine schwule Sau“ etc.) aus freier Erfindung in den Mund gelegt, was er angeblich gesagt haben solle.

Klischees aus dem Musterbuch der Ressentiments

Schildmann weiter: Er  habe seinen Ehering gezeigt, um sich vom Vorwurf des Schwulseins reinzuwaschen. Merkwürdige Reaktion für  einen, der vorgibt, mit seiner Anzeige wegen „Volksverhetzung“ auch das vermeintliche anti-schwule Ressentiment seines Streitgegners bekämpfen zu wollen. Daraufhin  habe Kurt S. nun alle Vorurteilsklischees in ein Rundum-Komplett-Paket zusammengeschnürt mit der Ansage: „Du bist wohl also einer von diesen perversen schwulen jüdischen Arschlöchern, die auch noch andere Schwuchteln heiraten.“ Die volle Dröhnung – klischeehafter geht’s kaum noch. Amtsrichter Wiegelmann zeigte sich in seinem Urteil gleichwohl von keinerlei Bedenken an der exakten Zitier- Authentizität des kraftvollen Erzählers Schildmann angekränkelt.

Wiegelmannsche Urteils-Dramaturgie

Folgt er doch in seinen Urteilen, soweit es um Konflikte zwischen Autoritäts-

Richterin Dr. Kirschbaum:
Weitere Zeugen geladen
und insbesondere Polizeivertretern einerseits und aufsässigem oder politisch suspektem Restvolk andererseits geht, gewöhnlich einer schematischen Methode der Aussagebewertung: Die Aussagen der „Autoritätsrepräsentanten“ sind für ihn prinzipiell „glaubhaft“, die des widrigen Pöbels hingegen „konnten nicht überzeugen“ oder sind glatte „Lüge“. Damit freilich bewegt sich der Jungrichter des Nach-68er-Jahrgangs 1969 in notorisch obrigkeitsstaatlicher Judikatur-Tradition, die noch weit vor den Wilhelminismus datiert und ihre Kontinuität über 1945 und sogar über 1968 hinweg bis heute hartnäckig durchträgt. Man sollte es ihm nicht zum Vorwurf machen – er hat es wohl nicht besser gelernt. Jenseits jeglicher ideologischen Voreingenommenheit aber, von der niemand, und mithin auch kein Richter, frei sein kann, hätte er aufgrund der letztlich nicht zu klärenden Beweislage wenigstens zu einer Verfahrenseinstellung kommen können – Aussage gegen Aussage, und finito. Doch vom unerschütterlichen Glauben an die höhere Mission und von daher konstitutionell bessere Ethik eines Polizeibeamten durchdrungen, verurteilte Herr Wiegelmann den 66jährigen Angeklagten wegen in Volksabwesenheit begangener „Volksverhetzung“ zu 1.000 Euro Geldstrafe.

Rollenwechsel: Das Opfer wird Täter

Dies unbeschadet der für die Justiz eher peinlichen  Tatsache, dass der Vater des Angeklagten als sogenannter „Halbjude“ im Nazistaat massiver Polizei- und Justizverfolgung ausgesetzt war. Da er bereits 1909 zum Katholizismus konvertiert war, verweigerte er die Führung des vom Nazigesetz aufgezwungen stigmatisierenden Zusatznamens „Israel“, und wurde von  der Justiz mit einem Verfahren wegen „Führung eines Falschnamens“  überzogen. Und zwar von eben jener Kölner Justiz, vor der sich nun im Jahre 2010 sein Sohn als vermeintlicher „Antisemit“ und „Volksverhetzer“ zu verantworten hatte und hat. Sein Vater war an den Folgen erlittener Lagerhaft verstorben, erzählte Kurt S. im Amtsgerichtsverfahren. Er selbst sei nach 1945 in Kinderheimen der BRD als „Judenkind“ schikaniert, beschimpft, und namentlich von Lehrern und Erziehern geschlagen worden. Beistand von seiten der deutschen Justiz hat er dagegen nicht erhalten. Auch Richter Wiegelmann wollte von der Kindheitshölle des „Judenkindes“ Kurt S. In der mehr als nur latent antisemitischen frühen BRD nichts hören.

Dass sein Vater an den Folgen der erlittenen KZ-Haft verstorben sei, könne er ja auch gar nicht beweisen, schroffte der von der Gnade später Geburt begünstigte 41jährige Wahrer deutschen Rechtes dem Angeklagten entgegen, von  erhobenem machtgeschützten Piedestal herab mit milchbärtiger Kaltschnäuzigkeit. Auf der Grundlage solcher  Leugnung fremden Lebensschicksals – einer Attitüde, die man ansonsten gerade von rechter Geschichts-Apologetik her kennt – konnte Herr Wiegelmann denn auch überhaupt rechtfertigen, Kurt S. als ebenso schwulen- wie judenfeindlichen „Volksverhetzer“ zu verurteilen -  zu stigmatisieren. Steilvorlage übrigens für das kriegspropagandistische Agitationsforum „Politically incorrect“, ihn in Vollendung solcher Judikatur als „Klagemauer-Nazi“ und „Spießgesellen des antisemitischen Volksverhetzers Walter Herrmann“ zu bekübeln. Es sei ja bekannt, dass ehemalige Opfer auch zu Tätern werden könnten, meinte zum Abschluss seiner Rechts-und Wahrheitsfindung der unvoreingenommene Herr Wiegelmann.

Hassfratze und antisemitisches Pantomimentheater?

Mit dieser Allerweltsweisheit – einem freilich gezielten Schlag ins Gesicht des Angeklagten – baute sich der philosophierende Richter eine weitere (der Begriff sei in diesem Zusammenhang erlaubt) Eselsbrücke, um schlussendlich ohne jede kritische Distanz selbst noch das farbigste Detail aus Schildmanns Erzählungen als unbestreitbare Wahrheit zu nobilitieren. Kurt S. Habe ihn nämlich anhand der „Nase“ als „Juden“ identifiziert und dabei seinen Zeigefinger in eine leichte Hakenform gekrümmt, das antijüdische Stürmer-Klischee quasi gestisch simulierend, und „verzerrte  sein Gesicht zu einer Fratze“. Daraufhin erst habe er, Schildmann, sich als Polizist zu erkennen gegeben und hinzugefügt, Kurt S. könne froh sein, dass er nur Polizist sei und nicht wie seine Frau bei RTL arbeite, da könne man sonst was draus machen. Wir wollen nicht vermuten, dass ihm bei dieser dramaturgischen Szenerie bereits ein RTL-Plot vor Augen stand. Dem Richter freilich hätte angesichts dieser pastösen Details vor dem Hintergrund sonstiger Beweisarmut ein Mindestmaß an Skepsis schon gut angestanden.

Regie: Der Staatsanwalt

Ob es in der zweiten Instanz zu einer abgewogeneren Rechtsfindung kommt als bei Herrn Wiegelmann, bleibt noch abzuwarten. Aufgefallen sind freilich

Staatsanwalt: Wollte gern Herr des
Verfahrens sein
Zeichnungen: Lorna Egan
Begleitumstände wie etwa die von der vorsitzenden Richterin ungerügten Rollenüberschreitungen des ebenfalls noch jugendlichen Staatsanwalts. Der riss, als wäre er seinerseits beim RTL-und Sat-1-Fernsehgericht geschult worden, immer wieder polternd den Verhandlungsvorsitz an sich. Er versuchte, den Zeugen Walter Herrmann einzuschüchtern. Anstelle  der zur pausenmoderierenden Statistin degradierten Vorsitzenden warf er sich auf, dem 70jährigen „Klagemauer“-Gründer vorzuschreiben, was er aussagen dürfe und was nicht. Herr Schildmann hingegen durfte ohne kritische Nachfragen von seiten des Gerichts, konfrontiert nur mit der Skepsis des Verteidigers Heinrich Comes, seine Darstellungen eins zu eins wiederholen.

Ende offen

Anzeichen einer einseitigen Verhandlungsführung sollten vielleicht noch nicht überbewertet werden. Zu vermuten ist, dass sich der aus Vorsitzender und zwei Laienrichterinnen bestehende Spruchkörper noch in das unerquickliche Verfahren einfinden muss. Einstweilen unterbrach die Vorsitzende das Verfahren, weil weitere Zeugen gehört und geladen werden sollen. Ein neuer Termin steht bislang noch nicht fest.

Tribunal gegen „Klagemauer“?

Nachtrag: Um Gerüchtebildung entgegenzutreten, sei hier unterstrichen, dass es bei diesem Verfahren, rechtsgegenständlich betrachtet, nicht um den von manchen Kritikern gegen die Klagemauer insgesamt erhobenen Vorwurf „Hetze gegen Israel“ geht. Speziell steht insbesondere nicht jene Plakatdarstellung aus einer antiisraelischen Demonstration in Indien im Mittelpunkt des Verfahrens, die bereits vorher als Dokument im „Stern“ abgedruckt war, aber nach ihrer Ausstellung an der Klagemauer vielfache Entrüstung hervorgerufen hat.



Verteidiger Dr. Comez, "Kurt S.", Walter Hermann
Foto: Hans-Dieter Hey - gesichter zei(ch/g)en

Sie zeigte ein stilisiertes Palästinenserkind, das auf einem Teller liegt und von einem Israelis gefressen wird. Es ist nicht zu bezweifeln, dass diese Bilddarstellung an ein zentrales antisemitisches Klischee andockt: Juden fressen kleine Kinder. Ein Klischee, das übrigens, von beiden christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg propagiert, noch bis in unsere Tage hinein Bestandteil christlicher Passionsspiele  war. Dieses Bild habe man als Dokument der internationalen Palästina-Debatten begriffen, aber zur Vermeidung von Missverständnissen wieder entfernt, meint Walter Herrmann und unterstreicht seine Distanzierung von solchen Darstellungen. Die, wenn man sie denn ausstellt, von entsprechender Didaktik begleitet sein müssen. Doch mit diesem fachlichen Anspruch ist eine „politische Dauerdemonstration“, die sich vor allem aus den Beiträgen des Publikums immer wieder erweitert und zusammenfügt, wohl überfordert. Da gibt es trotz aller Basisdemokratie keine Alternative zur Filterung dessen, was namentlich in Deutschland mindestens nicht unkommentiert stehen oder hängen bleiben kann.

Instrumentalisierung: Der Prozess als Exekution

Darüber, wie überhaupt über die Frage, ob es verantwortbar sei, im potentiell antisemitischen „Diskursraum“ Deutschland ein Forum zur  Kritik an Israel zu bieten, kann mit Recht kontrovers diskutiert werden. Für solche Debatten aber ist der Gerichtssaal der denkbar ungeeignete Ort. Gleichwohl wird von manchen, denen die Klagemauer – Israel hin oder her – stets schon als Sandkorn im Getriebe der Kriegs-PR lästig war, dieses Verfahren als Allgemeintribunal gegen die Klagemauer aufgebaut und als Vorwand zu einem Generalangriff genutzt. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der sogenannte Runde Tisch zu sehen, den OB Roters über, beziehungsweise gegen, die „Klagemauer“ einberufen hat unter Ausschluss – so eckig können „Runde Tische“ schon mal sein – der „Klagemauer“. Doch darüber wird an anderer Stelle zu berichten sein. (HDH)



Online-Flyer Nr. 264  vom 25.08.2010

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