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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Krieg und Frieden
Wikileaks - enthüllt, angegriffen und unbequem
Linke Kritiker hatten Recht
Von Dr. Sabine Schiffer und Elise Hendrick

Die Veröffentlichung von über 90.000 Dokumenten aus dem Afghanistankrieg hat den Kritikern des Krieges recht gegeben. Wie Daniel Schmitt, der Sprecher von Wikileaks in Deutschland, am 6. August auf dem IMV-Podium des Friedensfestivals in Berlin erläuterte, experimentiert Wikileaks noch mit mehreren Modellen, wie die größtmögliche Aufmerksamkeit auf die Quellen in Zeiten der Informationsüberflutung zu erreichen sei. Darum habe man diesmal drei Leitmedien ausgewählt, um sie sowohl an der Prüfung der Dokumente als auch an der Veröffentlichung des Skandals um die Fakten des Kriegseinsatzes zu beteiligen. Mit Erfolg.
Erwartungsgemäß ist die Gegenpropaganda bereits angelaufen: Wikileaks wird beschuldigt, unverantwortlich mit persönlichen Daten umzugehen und Kriegsparteien zu gefährden. Und der feministische Spin wird wieder angewandt, um die Kriegszweifler erneut auf Kurs zu bringen, wie man an der Übernahme des Time-Magazine-Titels mit einer Frau ohne Nase durch führende Medien wie etwa die tagesschau ersehen kann. Und das, obwohl gerade die Tagesschau am 10. April die Veröffentlichung des so genannten CIA Red Cell Papers durch Wikileaks gewürdigt. Und das Papier verwies auf die Gefahr, dass mittels eines des Frauenthemas für Mitgefühl und Kriegsbereitschaft geworben werden sollte.

Im von Elise Hendrick übersetzten Interview von Wikileaks-Gründer Julien Assange wird deutlich, mit welcher Motivation die Vertreter der online-Plattform an ihre Mission herangehen. Man mache sich ein eigenes Bild!





  
Hunderte ziviler Todesopfer. Eine "schwarze Einheit", die Taliban-Führer jagt. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die eine Beteiligung Pakistans und des Iran am Widerstand nahelegen. Die geheimen Afghanistan-Kriegstagebücher liefern das bisher aufschlussreichste Bild des Konfliktes.

92.000 wortkarge Berichte schildern die Ereignisse, und zwar Stunde um Stunde.In jedem geht es um NATO-Truppen, einen Angriff durch die Taliban oder eingegangene nachrichtendienstliche Informationen. Geliefert wurden die Berichte an die Guardian New York Times und den SPIEGEL durch die Enthüllungs-Seite Wikileaks.

Deren Gründer, Julian Assange, erläutert die Gründe, weshalb er die Berichte veröffentlicht hat. Der Journalismus ist gut, seiner Natur nach kontrovers. Rolle des guten Journalismus ist es, gegen die Missetaten der Mächtigen anzukämpfen.Und wenn man sich mit mächtigen Leuten anlegt, wird immer zurückgeschlagen. Wir sehen also diese Auseinandersetzung, und sind der Meinung, dass es gut ist, uns daran zu beteiligen.

In diesem Fall wird der wahre Charakter dieses Kriegs ans Tageslicht gebracht. Dann kann die Öffentlichkeit in Afghanistan wie in anderen Ländern sehen, was wirklich vor sich geht, und Schritte unternehmen, um die Probleme zu beseitigen. Die Bedeutung dieses Materials besteht zum einen darin, dass es den Gesamtzusammenhang liefert, das heißt, es geht um den GANZEN Krieg seit 2004.

Zum anderen besteht sie darin, dass - ebenfalls wichtige - einzelne Ereignisse oder Ereignisketten aufgezeigt werden. Dazu gehört Task Force (Einsatzgruppe) 373, eine US-Todesschwadrone, die durchs Land zieht und Menschen tötet, die auf einer Festnahme- und Abschussliste stehen.
Dazu gehören wichtige Vorfälle, bei denen viele Menschen ums Leben kamen. Zum Beispiel untersuchen wir einen Vorfall, bei dem 181 Menschen auf einmal ums Leben kamen, einige durch einen AC-130-Kampfhubschrauber.

Im Material gibt es Details darüber, wie der Krieg verschiedentlich unterstützt wird. Also wie die politische Klasse in Kabul mit Militär und Nachrichtendiensten zusammenarbeitet. Wie sich in diesen Kreisen die Korruption breitmacht, und wie sich Pakistan und womöglich der Iran am Krieg beteiligen. Die beste Analogie dafür sind die Pentagon Papers, die in den frühen 70ern veröffentlicht wurden.Darin wurde offenbart, wie die USA den Krieg in Vietnam führten. Das waren 17.000 Seiten, von denen einige von der New York Times akzeptiert wurden und in US-Zeitungen erschienen.

Erst einige Jahre später wurde dann ein Buch mit 5.000 dieser Seiten von Beacon Press veröffentlicht. Davon unterscheidet sich diese Situation dadurch, dass es nicht nur um mehr Material geht, das einem größeren Publikum viel früher zugänglich gemacht wird.
Alle haben das Buch, wenn man so will, die ganzen Kriegstagebücher, sofort bekommen. Ein anderer Unterschied besteht darin, dass die Menschen etwas zurückgeben können. Die Menschen in aller Welt, die das lesen, können es auch kommentieren und in einen Zusammenhang stellen, und die ganze Situation begreifen. Das hat es vorher noch nie gegeben. Das geht nur dank dem Internet.

Streitkräfte halten Informationen geheim, um ihren Teil eines Kriegs zu führen, aber auch, um Missstände zu kaschieren. Und es gibt ein militärisches Argument dafür, einige zeitnahe Informationen geheim zuhalten. Zum Beispiel dass Truppen bald zum Einsatz kommen. Aber solche Informationen sind sehr schnell veraltet. Und diese Informationen reichen von 2004 bis 2010. Also gilt diese Argumentation für Informationen dieser Art nicht. Die Aufschrift auf meinem T-Shirt ist ganz schön. Das stammt vom norwegischen Journalistenverband SKUP. Es heißt: Wühle dich rechtzeitig ein. Es geht um die Schneefälle in Norwegen. Wenn man oben im Gebirge ist und viel Schnee liegt, muss man sich rechtzeitig eingraben, um in Sicherheit zu kommen. Für den investigativen Journalismus heißt das: Wühle dich tief in die Akten hinein, um die Situation begreifen zu können. (HDH)

Online-Flyer Nr. 262  vom 11.08.2010

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