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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
Kölns DGB-Vorsitzender beim "Arbeitnehmerempfang" der Stadt:
"Widerstand gegen Kürzungen für Langzeitarbeitslose"
Von Wolfgang Uellenberg-van Dawen

Zum dritten Mal in Folge veranstaltete die Stadt Köln ihren "Arbeitnehmerempfang" zum 1. Mai im Rathaus. Wir dokumentieren die Rede des Kölner DGB-Vorsitzendem Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen nur leicht gekürzt. OB Fritz Schramma nahm an der Veranstaltung nicht teil.
Die Redaktion.


1890 demonstrierten zum ersten Mal Arbeiter in Köln für den 8 Stunden Tag. Sie folgten damit dem Aufruf der II. Internationale der Sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften. Diese wollten damit an den blutig niedergeschlagenen Arbeitskampf ihrer Chicagoer Kollegen erinnern. Seit jenen Tagen gehört der 1. Mai zur Geschichte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Stadt - er ist ein Teil unserer Stadtgeschichte - in guten wie in schlechten Zeiten. 1919 war auch in Köln der 1. Mai zum ersten Mal gesetzlicher Feiertag - damals zogen über 60 000 Menschen zur Kundgebung auf der Stadtwaldwiese. 1933 wurde diese Tradition des von den Gewerkschaften veranstalteten 1. Mai abgebrochen: Unter der Knute des NS-Regimes mussten die Arbeiter zwischen den Marschkolonnen der SA und der SS laufen - wer konnte, entzog sich diesen Feiern.

Vor 60 Jahren die erste Maifeier freier Gewerkschaften

Morgen ist es 60 Jahre her, dass in den Trümmern unserer vom Krieg zerstörten Stadt wieder eine Maifeier der freien Gewerkschaften stattfinden konnte. Ein Jahr zuvor hatten die Alliierten die Maifeier noch verboten. Am 1. Mai 1946 sprachen in der Aula der Kölner Universität Hans Böckler - der Gründer der Einheitsgewerkschaft und damals Vorsitzender der Gewerkschaften in der Provinz Nordrhein und der britische Stadtkommandant Oberstleutnant White. Seitdem gehören die Demonstrationen und Kundgebungen der Gewerkschaften wieder zur Geschichte unserer Stadt. Formen und Inhalte haben sich verändert. Stand in den ersten Jahren der Kampf gegen den Hunger, der Wiederaufbau der Fabriken und der Stadt im Mittelpunkt - waren Forderungen nach Sozialisierung und Mitbestimmung auf der Tagesordnung - so demonstrierten in den fünfziger und sechziger Jahren die Kölnerinnen und Kölner für die 5 Tage Woche - Samstags gehört Vati mir ! - wurde zur bekanntesten Maiparole - und für den Sozialstaat. Vergessen wir  nicht: Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine wirkungsvolle soziale Sicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter - das alles haben nicht nur weitsichtige Reformer in den beiden großen Volksparteien vollbracht - für alle diese Ziele haben die Gewerkschaften gekämpft und demonstriert. Nichts wurde und nichts wird uns geschenkt. In den siebziger und achtziger Jahren wandelte sich die Maikundgebung. Unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen bestimmten mehr und mehr das Bild. Und das hat nicht nur unsere Maifeiern bereichert: Denn:

Wolfgang Uellenberg van Dawen
Wolfgang Uellenberg van Dawen
Foto: arbeiterfotografie.com



Unser Land ist ein Einwanderungsland

Wir sollten bei allen aktuellen Diskussionen über kulturelle und religiöse Unterschied, über den schwierigen aber alternativlosen Weg der  Integration und des Zusammenlebens in unserer Stadt eines nicht vergessen: Als noch auf einen Arbeitslosen zehn freie Arbeitsplätze kamen, haben wir Menschen aus dem Osten der Türkei und dem Süden Italiens in unsere Fabriken geholt. Gefragt waren Gastarbeiter - aber es kamen Menschen mit ihren Familien, ihren Traditionen, ihrem Glauben und ihren Hoffnungen. Und wenn wir alle sehr offen und problembewusst uns schon vor Jahren zudem bekannt hätten, was unser Land seitdem ist - ein Einwanderungsland - hätten wir uns heute viele Konflikte ersparen können. Wer im Stadtteil, in der Schule, in der Arbeitswelt an den Rand gedrängt wird oder am Rande stehen bleibt, der wird sich stärker auf die Traditionen und kulturellen Werte besinnen, die er mitgebracht hat, als der oder die, die in der Mitte unserer Gesellschaft und unserer Arbeitswelt leben. Wenn wir die Türen in unserer Stadt, in unseren Schulen, in der Ausbildung und in der Arbeit weit öffnen, dann können wir auch zur Recht erwarten, dass die die draußen stehen herein kommen. Alles andere wäre Heuchelei.

Das Motto der Gewerkschaften zum 1. Mai 2006 lautet: Die Würde des Menschen ist unser Maßstab! Damit greifen wir den Auftrag unserer Verfassung auf: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt."

Entscheidend ist, ob es dem Gemeinwohl nützt

Der Staat ist kein Selbstzweck und die Politik kein Wert an sich. Sie müssen sich daran messen lassen, wie weit sie dazu beitragen, die Menschenwürde zu schützen. Über die Wege dazu muss gestritten werden und es ist gerade der  Sinn einer demokratischen und freiheitlichen Staatsordnung, dass sie den friedlichen Kampf unterschiedlicher Meinungen und auch gegensätzlicher Interessen ermöglicht und geradezu fordert. Ob es stabile oder wechselnde Mehrheiten gibt, mag für die Berechenbarkeit von Politik und auch des Verwaltungshandelns wichtig sein. Entscheidend aber ist das Ergebnis - ob es dem Gemeinwohl und damit dem Wohl der Bürgerinnen und Bürger dient oder nicht.

Es ist nicht meine Aufgabe und es würde auch dem Charakter der Einheitsgewerkschaft widersprechen, sich für eine Farbe oder eine politische Farbenkombination auszusprechen. Aber die Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben und die Probleme die wir lösen sollten, die will ich benennen:

Viele Menschen in dieser Stadt drückt die hohe Arbeitslosigkeit. Monatlich verlieren rund 4.000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. 3.500 finden - ob mit oder ohne Hilfe der Arbeitsagentur - eine neue Beschäftigung. Aber der Sockel derjenigen, die endgültig draußen vor der Tür stehen, wird nicht kleiner - im Gegenteil: Er wächst langsam aber stetig. 18.000 Arbeitslose und 50.000 Langzeitarbeitslose - das ist eine Herausforderung für uns alle. Ich widerspreche allen, die jetzt aus einzelnen negativen Erfahrungen heraus den Schluss ziehen: Arbeitslose wollten nicht arbeiten. Und ich kündige schon vorsorglich heftigen Widerstand an, wenn daraus dann die Bundespolitik ableitet, sie könnte die Leistungen für Langzeitarbeitslose weiter kürzen. Wer im fernen Berlin im Finanz- oder Wirtschafts- oder Arbeitsministerium sitzt, der mag mit Sorgen in die tiefen Löcher in der Bundeskasse sehen, aber wer hier in Köln in den Stadtteilen mit vielen Langzeitarbeitslosen lebt, wer sich tagtäglich vor Augen führt, dass 110.000 Kölnerinnen und Kölner auf die Leistungen aus Hartz IV und 20.000 auf die Leistungen aus dem SGB III angewiesen sind - der kann nur eines fordern: eine Politik, die die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft und Unternehmen, die alle die Steuern, die ihnen der Staat in den letzten 20 Jahren erlassen hat, endlich in neue Arbeitsplätze zu investieren.

Kundgebung - 1.Mai
Foto: Hans-Dieter Hey


Bündnis für Arbeit sanft entschlafen

Ich bin froh, dass der Rat im letzten Jahr ein kommunales Bündnis für Arbeit beschlossen hat. Aber ich frage mich, mit welcher Ernsthaftigkeit und welchem Tempo dieses Bündnis denn weiter betrieben wird.

Die Stadt stellt sich in der Wirtschaftsförderung besser auf: Bald so hoffen wir, wird ein eigener Dezernent für die Wirtschaft und damit auch für die Arbeitsplätze zuständig sein. Der neue Unternehmensservice soll die Dienstleistungen der Verwaltung verbessern. Sogar zum Godorfer Hafen gibt es jetzt einen Ratsbeschluss, der hoffentlich dann auch zu einem Ausbau führen wird.  Aber es bleibt noch viel zu tun: Wir brauchen ein Netzwerk, um Unternehmen in Not, wo es geht, zu helfen und damit Arbeitsplätze zu sichern. Wir müssen die Vergabe so steuern, dass möglichst Arbeit in der Region bleibt. Die Stadt muss als Investor und Auftraggeber all die viele Arbeit leisten, die es buchstäblich auf unseren Straßen und Plätzen zu tun gibt. Der Rat hat wichtige Beschlüsse zum Wohnungsbau gefasst - und die Vorschläge von Gewerkschaften, Mieterverein, Wohnungsgenossenschaften und Bauindustrie aufgegriffen. Ich hoffe, damit wird die jahrlange Blockade beim Mietwohnungsbau endlich überwunden.

Aber ich weiß auch: Wenn die kommunalen Finanzen nicht besser werden, bleibt dies alles Stückwerk. Wer eingeladen ist, sollte seinen Gastgeber nicht zu heftig kritisieren - vor allem wenn er mal an diesem Morgen ausspannen will: Aber ich habe mich schon gewundert, mit welcher Vehemenz der Oberbürgermeister dieser Stadt vor einigen Jahren ein Bündnis für stabile kommunale Finanzen, für mehr Geld für die Städte geschmiedet hat, wie hier vor dem Rathaus ein leerer Sack aufgehängt wurde, der dann sogar den Karnevalsorden zierte - und wie sanft und leise diese Bündnis nun entschlafen ist. Ich bitte doch darum, dass der Rat und die Stadtspitze dieses Thema ganz nach oben auf ihre politische Agenda setzen und der Koalition in Berlin Beine machen.

Bei der Landesregierung Druck machen

Ich möchte den Rat und alle demokratischen Parteien eindringlich bitten, bei der Landesregierung Druck zu machen, um die Freiheit der Stadt, sich in der öffentlichen Daseinsvorsorge auch wirtschaftlich zu betätigen, zu erhalten. Wenn unter dem Motto "Privat vor Staat" künftig den Kommunen untersagt wird, die öffentliche Daseinsvorsorge - ob dies der ÖPNV ist oder die Energie und Wasserversorgung, ob dies die Wohnungswirtschaft oder die Netzanschlüsse sind - selbst zu betreiben oder nur noch dann zu betreiben, wenn sich kein privater Unternehmer anbietet, dann ist dies der Anfang vom Ende kommunaler Selbstverwaltung. Dann ist dies der Einstieg in den Ausverkauf städtischen Vermögens an private Investoren, an internationale Dienstleistungsmonopolisten, die die Gewerbesteuern dort zahlen, wo sie fast nichts zu zahlen brauchen, die in fernen Konzernzentralen entscheiden und die weder für den  Bürger noch für die Politik erreichbar sind.

Ausbildungsquote ist dramatisch gesunken

Öffentliche Daseinsfürsorge bedeutet auch Vorsorge - für die Zukunft. In den letzten Jahren ist viel vom demographischen Wandel die Rede. Dann folgt meistens eine Rentenkürzung oder die Rente mit 67 oder ein von der Versicherungswirtschaft unterstützter Experte fordert den Systemwechsel hin zur privaten Eigenvorsorge. Aber was der demographische Wandel für unsere Stadt bedeutet - das diskutieren fast nur Experten. Dabei geben uns die ausgezeichneten Bevölkerungsprognosen der Stadt hervorragende Auskunft. Köln bleibt auch 2025 Millionenstadt - aber die erwerbsfähigen Jahrgänge werden älter, weiblicher und vor allem multikultureller. Und genau dort liegt die große Herausforderung: Wenn bald die Jahrgänge der 30 bis 45 jährigen abnehmen, die den höchsten Beschäftigungsgrad haben, dann müssen wir jetzt die Ausbildungsquote in dieser Stadt deutlich steigern. Sie ist aber gesunken: Von 4,6 % im Jahre 2003 auf 4,2 % im Jahre 2005. Und da auch die Zahl der SVP-Beschäftigten um 20.000 abgenommen hat, ist dieser Verlust an Ausbildungsplätzen dramatisch. Es gibt viele Ursachen, warum dies so ist, und die Liste der gegenseitigen Schuldzuweisungen, die wir in der Kölner Presse alljährlich nachlesen können, ist immer die gleiche. Ich werbe seit meinen Vortrag im Stadtvorstand im Jahre 2002 beharrlich darum, dass wir die Schuldzuweisungen einstellen und jeder die Aufgabe erfüllt, die er erfüllen kann:

Die Schulen, indem sie den Schülern ordentlich lesen, schreiben, rechnen, aber auch soziale und kulturelle Kompetenzen vermitteln, die Arbeitsagenturen, die vernünftig beraten sollen, die Gewerkschaften und Betriebsräte über Betriebsvereinbarungen und auch tariflich für Ausbildung sorgen und die Wirtschaft, in deren Hand es liegt, ob junge Menschen eine gute Ausbildung finden. Minister Laumann hat bei einem seiner ersten Besuche in Köln gesagt: Nur jeder dritte Betrieb, der ausbilden könnte, bildet aus - und daran muss sich ebenfalls grundlegend etwas ändern. Ich danke Ihnen, den Mitgliedern des Rates, dass sie den Auftrag erteilt haben, 100 zusätzliche Ausbildungsplätze einzurichten. Ich gehe davon aus, dass der OB und die die Verwaltung auch Möglichkeiten finden, um diese Plätze zu finanzieren.

Demo - 1.Mai
Foto: Hans-Dieter Hey


Der Finanzminister blockiert

Die anwesenden Bundespolitiker und Parteienvertreter bitte ich um Unterstützung bei der Optimierung der Hartz-Reform. Junge Langzeitarbeitslose, die einen Schulabschluss nachholen oder eine Ausbildung machen wollen und die "dem Grunde nach", so heißt es im Gesetz, dann einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe oder Bafög haben, erhalten von dem Tag an alle Leistungen gestrichen, wenn sie den Anspruch erwerben - nicht an dem Tag, wenn das Geld aus der neuen Leistung da ist. Sie sind dann gezwungen sich zu überschulden oder aber ihren Bildungsweg abzubrechen. Hier muss ganz schnell das Gesetz geändert werden. Das Thema ist in Berlin bekannt - der Finanzminister blockiert - aber wenn die Politik das nicht schnell ändert, dann verliert jedes Konzept des Förderns und Forderns seine Glaubwürdigkeit.

Auf der 1. Mai Feier nach dem Kriege sagt der damalige britische Stadtkommandant White: Deutschland kann ohne Militaristen und Großindustrielle leben - aber nicht ohne die Arbeiterinnen und Arbeiter. Ohne Militaristen können wir heute gut leben und wir hoffen und fordern alle, dass das Debakel des Irak-Kriegs nicht noch durch die Katastrophe eines Iran-Krieges übertroffen wird. Ob wir mit Großindustriellen leben wollen oder nicht, die Frage stellt sich nicht mehr, aber die Frage ob und wie gut und höchst verdienende Manager ihrer Verantwortung für die Arbeitsplätze im Lande gerecht werden - diese Frage stellt sich ganz sicher noch. Aber ohne Arbeiter und Arbeiterinnen, ohne Angestellte und auch ohne Beamte leben - das kann  unser Land und unsere Stadt ganz gewiss nicht.

Recht auf eine Arbeit, die gut bezahlt wird

Der Kölner als Optimist vertraut ja auf das kölsche Grundgesetz in dem es heißt: "Et hätt noch immer jut jejange!" Aber dass es noch immer gut geht - dass diese Verwaltung, dass diese Stadt funktioniert, zusammenhält, lebenswert ist und bleibt - das verdankt sie allen Männern und Frauen, die hier arbeiten. Sie engagieren sich, sie setzen sich ein und sie halten diese Stadt zusammen: die Erzieherinnen, die für die Förderung der Kinder auch die Sprachförderung großes leisten, die Lehrerinnen und Lehrer, die immer härter mit den Konflikten der Gesellschaft konfrontiert werden, die Feuerwehrleute und Polizisten die für unsere Sicherheit sorgen und die Krankenschwestern und Pfleger, die oftmals unser Leben retten - und die an der Uniklinik nach elf Wochen Streik endlich ein Recht auf einen Tarifvertrag haben - aber auch die Arbeiterinnen und Angestellten in der Kölner Industrie und in den Dienstleistungsbranchen, die die Werte schaffen, von denen unsere Wirtschaft lebt - sie alle haben ein Recht auf eine Arbeit, die gut bezahlt wird, sie alle haben ein Recht auf Förderung und Weiterbildung. Vor allem aber verdienen sie alle Respekt und Achtung. Menschen, die arbeiten, wollen nicht wie Kostenfaktoren oder Humankapital behandelt werden, und Menschen, die Arbeit suchen, sind weder Faulenzer noch Drückeberger, sondern brauchen Förderung und Ermutigung - das ist unsere Botschaft an diesem 1.Mai 2006, und sie wird der Maßstab unseres Handelns sein, an dem auch wir uns messen lassen müssen.


Online-Flyer Nr. 42  vom 02.05.2006

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