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Arbeit und Soziales
Wie die Stadt Köln an der Betreuung Behinderter zu sparen versucht
Der billige Jakob
Von Hans-Dieter Hey

Auch in Köln gibt es behinderte Menschen, die so unterschiedlich sind, wie "Normale" sich voneinander unterscheiden. Manche der Behinderten brauchen deshalb mehr, manche weniger Unterstützung. Die bisher erzielten Fortschritte in ihrer Betreuung stehen in Köln zur Disposition.

Befürchtet werden muss nämlich, dass die Stadt Köln mit Hilfe des evangelischen Diakonischen Werkes Michaelshoven durch Hilfskräfte den billigen Jakob einführen will - fachlich und finanziell. Die Behinderten wollten sich das nicht bieten lassen und stiegen dem Kölner Sozialausschuss am Donnerstag erneut aufs Dach.

Behinderte protestieren
Behinderte protestieren
Foto: Hans-Dieter Hey



Für Köln war es mit der Einführung der Schulpflicht für Behinderte seit 1989 beschlossene Sache, dass bei Menschen mit geistigen Behinderungen die Schulbegleitung und Integrationshilfe durch fachlich qualifizierte Mitarbeiter durchgeführt wird. Professor Dr. Dreher von der Universität Köln gegenüber der NRhZ: " Die Einzelförderung ist eine Brücke zwischen Schule und Eltern, die die Probleme mit den Lehrern allein nicht bewältigen können. Dazu ist eine pädagogische Schulbegleitung für die weitere Entwicklung der Schulen und der Förderschulen notwendig. Wir sind eben der Meinung, auch viele andere Wissenschaftler, dass ein Weg gefunden werden muss zu dem, was Schule und Schulgesetzgebung nicht bewältigen können".

Diese Brücke übernehmen bis jetzt Vereine wie "Wir für Pänz e.V." oder die "Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung", mit sehr langer fachlicher Erfahrung. Die Lebenshilfe setzt sich bereits seit 50 Jahren für die Verbesserung der Lebenssituation Behinderter ein und besteht nach wie vor auf einer qualifizierten Schulbegleitung. Die Kölner Vorstandsvorsitzende Eva Zobel: "Seit Einführung der Schulpflicht besuchen alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Behinderung eine für sie geeignete Schule. Damit sind die Entwicklungschancen erheblich gestiegen." Nur durch fachlich qualifiziertes Personal, so Zobel, "ist gewährleistet, dass die Ziele der Schulbegleitung, nämlich Integration in das Schulgeschehen, bestmögliche Förderung, Bildung und Verselbständigung ausreichend erfüllt sind".

Professor Walther Dreher
Professor Walther Dreher
Foto: Hans-Dieter Hey



Weil die Bundesregierung mit Steuererleichterungen an die Unternehmen jede Menge Geld verschenkt, soll auch in Köln an wichtigen kommunalen Aufgaben gespart werden. Und das macht die Stadt gern dort, wo sich die Menschen am wenigsten wehren können. Im April 2005 wurden deshalb die Eltern der Behinderten durch die Kölner Sozialdezernentin Marlis Bredehorst darüber informiert, dass ab dem neuen Schuljahr an ihren Kindern gespart werden soll und alle fachlichen Mitarbeiter durch Hilfskräfte ersetzt werden. Bis heute hat sich die Stadt nicht dazu geäußert, wie sie sich die qualitativen Unterschiede in der Betreuung durch Hilfskräfte zu den Fachkräften vorstellt. Hinzu kommt, dass die qualitative Schulbegleitung künftig nur noch in Einzel- oder Ausnahmefällen finanziert wird. Die Rede ist sogar davon, teilweise überhaupt keine Genehmigung mehr zu erteilen.

Zunächst waren die Eltern mit heftigen Protesten erfolgreich, und die fachliche Betreuung war bis Januar 2006 sicher gestellt. Zwischenzeitlich sollten an einem Runden Tisch mit Jugendamt, Sozialamt, Versorgungsamt und verschiedenen Trägern Eckpunkte für ein neues Konzept erarbeitet werden. Die betroffenen Eltern blieben dabei außen vor.

Der alte Grundsatz, dass, während man Verhandlungen führt, die Waffen schweigen, galt für das Kölner Sozialdezernat indessen nicht. Es wurde bekannt, dass zwischenzeitlich qualifizierten Kräften die Betreuung der behinderten Kinder entzogen wurde und dass sie durch Hilfskräfte ersetzt wurden. So unter Druck geraten, mussten die pädagogischen Fachkräfte zum Diakonischen Werk Michaelshoven wechseln - nun als Hilfskräfte beschäftigt. So beschreibt eine Betroffene die Situation, die aus Angst ihren Namen nicht nennen will. Der Klüngel des Sozialdezernats mit der Diakonie Michaelshoven geht auch aus einem Schreiben der "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft" vom 27.02.06 vor, das der NRhZ vorliegt. Die GEW hatte schon Ende letzten Jahres Kenntnis davon, dass das Sozialdezernat Eltern aufgefordert hat, zur Diakonie zu wechseln.

Verschlimmernd kam hinzu, dass einigen Eltern die pädagogischen Fachkräfte nicht mehr bewilligt wurden. Dadurch entsteht der Anschein, dass sie durch diesen Druck ebenfalls dazu gebracht werden sollten, zur Diakonie Michaelshoven zu wechseln. Einige von ihnen haben gegen entsprechende Bescheide bereits Widerspruch eingelegt.

Vor die Tür gestellt
Vor die Tür gestellt
Foto: Hans-Dieter Hey



Schon länger äußern sich Lehrer, Eltern und Hilfsorganisationen kritisch über die Entwicklung zu Lasten der Behinderten. Und auch die Linksfraktion im Kölner Rat warnt: "Meine Fraktion kann diese Entwicklung nicht unterstützen" - so deren Vorsitzender Michael Kellner, und forderte Aufklärung. In ihrer Antwort gab die Sozialverwaltung zu, dass sie Eltern bei der Kontaktaufnahme mit geeigneten "Leistungserbringern" unterstützt. Geeignet war nach den vorliegenden Erkenntnissen offensichtlich nur die Diakonie Michaelshoven. Und die ist wegen ihrer Dumpingpreise seit längerem im Gerede (NRhZ vom 23.12.05). Durch Einsatz z.B. von 1-Euro-Jobbern rechnet sie sich mit Mischpreisen billig und kann die Behindertenbetreuung zu einem Stundensatz von 18 Euro anbieten, anstelle von normalerweise 30 Euro. Der Diakonie wirft man vor, dass sie mit einem skandalösen Marktverhalten nicht nur die Gehälter qualifizierter Mitarbeiter zerstört und Arbeitsplätze vernichtet, sondern damit auf Dauer auch an den bisherigen Qualitätsnormen in der Behindertenarbeit rüttelt.

Der direkte Einsatz von 1-Euro-Jobs sei zwar noch nicht vorgesehen, verspricht das Sozialdezernat Köln. Doch gemäß dem Motto "Was interessiert mich das Geschwätz von gestern" kann man da nicht sicher sein. Am 26.04.06 hat nämlich die Europäische Kommission behinderte Menschen zu Kostenfaktoren erklärt und für Dumpingpreise grünes Licht geben. Mit ihrer Veröffentlichung SEK 2006-516 wurden alle sozialen Dienstleistungen im Falle von Alter, Krankheit, Behinderung und Erwerbslosigkeit zur Wirtschaftstätigkeit erklärt und dem Preiskampf des neoliberalen Marktradikalismus überlassen. Quasi durch die Hintertür wurde die Bolkestein-Richtline gerade für diejenigen Menschen eingeführt, die eine Unterstützung am nötigsten haben. Dass sich ein kirchlicher Träger in vorauseilendem Gehorsam so angepasst verhält, ist nichts Neues, wie ihre traurige Geschichte von der Zwangsarbeit nachweist. 

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo das "Eherne Lohngesetz". Es besagt, dass die Löhne in der kapitalistischen Konkurrenz bis knapp über das Existenzminimum gedrückt werden. Heute können sich die Beschäftigten dafür beim Diakonischer Werk Michaelshoven und der Stadt Köln bedanken. Verbände wie die "Lebenshilfe" und "Wir für Pänz", die weiter auf Qualität achten wollen, geraten mit dieser Entwicklung unter die Räder. Professor Dreher sieht die Zukunft daher schwarz: "Das ist offensichtlich jetzt sehr schwierig geworden, da die Kommune die qualitative Arbeit, die Standards der Integration Behinderter in Frage stellt. Und wir können sicher davon ausgehen, dass, wenn einmal die Billigfassung in der Behindertenarbeit stattfindet, irgendwann auch z.B. 1-Euro-Kräfte eingesetzt werden".



Online-Flyer Nr. 42  vom 02.05.2006

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