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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 21
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Armin Kolenda hat sich nie als Tonangeber und Besserwisser verstanden. Auch als ein Selbstzufriedner hat er sich die bewussten Jahre seines Lebens nicht wahrgenommen, musste sich nicht aufraffen, antreiben zu dem, was er anpackte - es ergab sich aus Notwendigkeiten und Neigungen. Nun, auf dem Rückweg seines Besuchs in der Vergangenheit über die von Fördertürmen und Hochöfen flankierte A 2, fühlte er sich noch immer verunsichert und verwirrt. Der PüttMaloche entkommen, mit Wilhelm Kolendas ungewollter Hilfe, raus aus dem besinnungslosen Wühlen im Dunkel unter der Gesellschaft, Zeche Waltrop, Jugendzentrum, SSK - alles Untergrundarbeit, aber für diesen Staat, für eine Gegenwart, die sich so leidig langsam nur in die Zukunft schleppt, wenn sie nicht stehn geblieben ist oder, wie es manchmal scheint, sogar zurücktreibt, ein stromauf fahrendes Schiff, dessen Motor verreckt ist. Mit dem Schreiben aber bin ich angekommen. Die erkennen mich an in der Redaktion. Auch die Leser der Zeitung. Ich schreib für die offnen Köpfe. Die Beweger. Die Sucher. Bei denen ist meine Heimat. Eine andre brauch ich nicht.
Und Charlotte Kolenda. Diese herbe Frau. Ist mir erst jetzt Mutter geworden. Seit ich weiß, dass sie mich als Liebesfrucht ihr Leben lang geheim gehalten hat. Gehütet. Warum so lange? So viel Vergeblichkeit. Deshalb das infantile Geheul im Mutterschoß? Ich war die personifizierte Erinnerung an ihre große Liebe. Die wollte sie sich nicht zerstören lassen durch den Grobsack Kolenda. Aber wie anders hätte ich leben können wenn sie mir früher vertraut hätte. Ich wär ihr Komplice gewesen gegen den Alten.
Verloren. Unwiederbringlich. Wie Salli.
Wie konnte sie den Mann so endlose Jahre lang ertragen, allein? Nur Gewohnheit? Pflichterfüllung? Aber welche verdammte Pflichterfüllung denn? Einen Ernährer zu haben für sich?
Merkwürdig dass Wilhelm ihr Geheimnis geschont hat, ich kann mir den Kerl nicht mit einem liebevollen Gedanken vorstellen. Vielleicht gibts Lichtecken, auch in solchen unterentwickelten Seelen? Immerhin hat er mir das Fahrrad geschenkt als Siggi ertrunken war, stimmt. Das hat er getan.
Charlotte hat der Gedanke nicht gepasst. Wird wissen warum.
Wie hat sie mit dem Mann gelebt, wenn ich nicht dabei war? Kann ich sie nicht fragen. Beziehungsweise würde sie mir nicht beantworten, unanständige Neugier.
Recht hat sie natürlich, dass ich verletzt bin durch die Angriffe der Kollegen. Quatsch das mit dem Kopfwaschen. Pubertäre Reaktion. Hat sie aber locker aufgefangen mit ihren Schnäpsen, kann man von lernen. Ist wahrscheinlich einfach, wenn man auf festem Boden steht. Wenn du immer am gleichen Ort bleibst, wird der Boden festgetrampelt, kann dich nichts mehr erschüttern. Dann hast du ne Heimat. Während ein Armin Kolenda sich auf die Socken gemacht hat und plötzlich mitten im Leben merkt, dass er mal eine hatte die er nicht haben wollte und die er auch nicht wiederhaben will, mit dem Ergebnis, dass er irgendwo in der Welt rumhängt und wackelt. Schwankt. Der Boden. Der Kolenda. Wenn mir mal die Freunde ins Gesicht spucken. Vom Gegner erwartet man nichts andres. Bei Freunden bist du ungeschützt. Werd ich den Jupp zu befragen, der hat mehr Leben gesehn als ich.
Jupp Ippers. Der Seemann. Verkäufer von Lebensversicherungen. Pförtner bei Pierburg. Weiß nicht mal, ob er wirklich zur See gefahrn ist oder nur davon geträumt hat, als Stauer im Neusser Rheinhafen. Gelernt hat er nie was sein Leben lang immerzu. Schriftsteller. Erzählen vom Leben der Proleten. Jack London. Melville. Dickens. Fallada und Döblin. Seine Helden. Mit denen im Kopf ist er in den Werkkreis gekommen. Und mit einem Haufen Manuskripten die ihm keiner angeschaut hat. Abenteuerliteratur. Ausgedachtes Zeug. Hat schätzichmal seine eignen Erfahrungen nicht ernst genommen, drüber weg geschrieben, Vertellcher. Hat nicht gemerkt, was er erlebt hat. Dochdoch, das kommt vor. Ist sogar normal. Das Schwierigste ist die Wahrheit über die Wirklichkeit, daran knabbern wir alle. Aber davon hat er was mitgekricht bei uns. Am Kanthaken - sein Roman über die Hafenarbeiter, ohne Kalauer, ohne Klassenkampf auch, irgendwo dazwischen, bei den gehobnen Lumpenproleten und Arbeitsvagabunden. Und es versteht einer, wie auch dort die Ausbeutung läuft, wo keine Parteigruppe den Widerstand anzündet und keine Gewerkschaft Tarife bewacht. Da erst recht.
Haben allerdings welche rumpolemisiert, wär kein WerkkreisRoman, weil die Arbeiter bloß wütend spontan den Vormann verdreschen, statt organisiert gegen HANIEL die Kanthaken hinzuschmeißen. Ein Arbeitsweltroman ohne Himbeersoße, brauchbarer Realismus.
Er stellte den Wagen gegenüber dem Firmengelände ab. Sah den gebeugten Kopf eines sitzenden Mannes hinter der Glasfront des Pfortenhauses, kaum erkennbar im Halbdunkel über dem flachen Licht der Schreibtischlampe. Das Firmengelände hinter dem verschlossenen Rollgitter kaum beleuchtet von einigen Bogenlampen, nächtlich verödet der Platz zwischen den flachen Hallen, auf dem sich dreiundsiebzig der wilde Streik der PierburgArbeiterinnen gegen die Leichtlohngruppen abgespielt hatte, dank Hermann Spixens Roman mit vielgestaltiger Anschauung bebildert. Die Fabrik ohne Menschen wirkte jetzt wie ein Mausoleum, ein nutzloses steinernes Gebilde, totes Kapital.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd. 3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 42 vom 02.05.2006
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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 21
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Armin Kolenda hat sich nie als Tonangeber und Besserwisser verstanden. Auch als ein Selbstzufriedner hat er sich die bewussten Jahre seines Lebens nicht wahrgenommen, musste sich nicht aufraffen, antreiben zu dem, was er anpackte - es ergab sich aus Notwendigkeiten und Neigungen. Nun, auf dem Rückweg seines Besuchs in der Vergangenheit über die von Fördertürmen und Hochöfen flankierte A 2, fühlte er sich noch immer verunsichert und verwirrt. Der PüttMaloche entkommen, mit Wilhelm Kolendas ungewollter Hilfe, raus aus dem besinnungslosen Wühlen im Dunkel unter der Gesellschaft, Zeche Waltrop, Jugendzentrum, SSK - alles Untergrundarbeit, aber für diesen Staat, für eine Gegenwart, die sich so leidig langsam nur in die Zukunft schleppt, wenn sie nicht stehn geblieben ist oder, wie es manchmal scheint, sogar zurücktreibt, ein stromauf fahrendes Schiff, dessen Motor verreckt ist. Mit dem Schreiben aber bin ich angekommen. Die erkennen mich an in der Redaktion. Auch die Leser der Zeitung. Ich schreib für die offnen Köpfe. Die Beweger. Die Sucher. Bei denen ist meine Heimat. Eine andre brauch ich nicht.
Und Charlotte Kolenda. Diese herbe Frau. Ist mir erst jetzt Mutter geworden. Seit ich weiß, dass sie mich als Liebesfrucht ihr Leben lang geheim gehalten hat. Gehütet. Warum so lange? So viel Vergeblichkeit. Deshalb das infantile Geheul im Mutterschoß? Ich war die personifizierte Erinnerung an ihre große Liebe. Die wollte sie sich nicht zerstören lassen durch den Grobsack Kolenda. Aber wie anders hätte ich leben können wenn sie mir früher vertraut hätte. Ich wär ihr Komplice gewesen gegen den Alten.
Verloren. Unwiederbringlich. Wie Salli.
Wie konnte sie den Mann so endlose Jahre lang ertragen, allein? Nur Gewohnheit? Pflichterfüllung? Aber welche verdammte Pflichterfüllung denn? Einen Ernährer zu haben für sich?
Merkwürdig dass Wilhelm ihr Geheimnis geschont hat, ich kann mir den Kerl nicht mit einem liebevollen Gedanken vorstellen. Vielleicht gibts Lichtecken, auch in solchen unterentwickelten Seelen? Immerhin hat er mir das Fahrrad geschenkt als Siggi ertrunken war, stimmt. Das hat er getan.
Charlotte hat der Gedanke nicht gepasst. Wird wissen warum.
Wie hat sie mit dem Mann gelebt, wenn ich nicht dabei war? Kann ich sie nicht fragen. Beziehungsweise würde sie mir nicht beantworten, unanständige Neugier.
Recht hat sie natürlich, dass ich verletzt bin durch die Angriffe der Kollegen. Quatsch das mit dem Kopfwaschen. Pubertäre Reaktion. Hat sie aber locker aufgefangen mit ihren Schnäpsen, kann man von lernen. Ist wahrscheinlich einfach, wenn man auf festem Boden steht. Wenn du immer am gleichen Ort bleibst, wird der Boden festgetrampelt, kann dich nichts mehr erschüttern. Dann hast du ne Heimat. Während ein Armin Kolenda sich auf die Socken gemacht hat und plötzlich mitten im Leben merkt, dass er mal eine hatte die er nicht haben wollte und die er auch nicht wiederhaben will, mit dem Ergebnis, dass er irgendwo in der Welt rumhängt und wackelt. Schwankt. Der Boden. Der Kolenda. Wenn mir mal die Freunde ins Gesicht spucken. Vom Gegner erwartet man nichts andres. Bei Freunden bist du ungeschützt. Werd ich den Jupp zu befragen, der hat mehr Leben gesehn als ich.
Jupp Ippers. Der Seemann. Verkäufer von Lebensversicherungen. Pförtner bei Pierburg. Weiß nicht mal, ob er wirklich zur See gefahrn ist oder nur davon geträumt hat, als Stauer im Neusser Rheinhafen. Gelernt hat er nie was sein Leben lang immerzu. Schriftsteller. Erzählen vom Leben der Proleten. Jack London. Melville. Dickens. Fallada und Döblin. Seine Helden. Mit denen im Kopf ist er in den Werkkreis gekommen. Und mit einem Haufen Manuskripten die ihm keiner angeschaut hat. Abenteuerliteratur. Ausgedachtes Zeug. Hat schätzichmal seine eignen Erfahrungen nicht ernst genommen, drüber weg geschrieben, Vertellcher. Hat nicht gemerkt, was er erlebt hat. Dochdoch, das kommt vor. Ist sogar normal. Das Schwierigste ist die Wahrheit über die Wirklichkeit, daran knabbern wir alle. Aber davon hat er was mitgekricht bei uns. Am Kanthaken - sein Roman über die Hafenarbeiter, ohne Kalauer, ohne Klassenkampf auch, irgendwo dazwischen, bei den gehobnen Lumpenproleten und Arbeitsvagabunden. Und es versteht einer, wie auch dort die Ausbeutung läuft, wo keine Parteigruppe den Widerstand anzündet und keine Gewerkschaft Tarife bewacht. Da erst recht.
Haben allerdings welche rumpolemisiert, wär kein WerkkreisRoman, weil die Arbeiter bloß wütend spontan den Vormann verdreschen, statt organisiert gegen HANIEL die Kanthaken hinzuschmeißen. Ein Arbeitsweltroman ohne Himbeersoße, brauchbarer Realismus.
Er stellte den Wagen gegenüber dem Firmengelände ab. Sah den gebeugten Kopf eines sitzenden Mannes hinter der Glasfront des Pfortenhauses, kaum erkennbar im Halbdunkel über dem flachen Licht der Schreibtischlampe. Das Firmengelände hinter dem verschlossenen Rollgitter kaum beleuchtet von einigen Bogenlampen, nächtlich verödet der Platz zwischen den flachen Hallen, auf dem sich dreiundsiebzig der wilde Streik der PierburgArbeiterinnen gegen die Leichtlohngruppen abgespielt hatte, dank Hermann Spixens Roman mit vielgestaltiger Anschauung bebildert. Die Fabrik ohne Menschen wirkte jetzt wie ein Mausoleum, ein nutzloses steinernes Gebilde, totes Kapital.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd. 3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
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