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Inland
Zunächst verstörte Köhler nur die Heuchler und danach die ganze Republik
Weil er mal die Wahrheit sagte
Von Wolfgang Effenberger

Völlig überraschend erklärte am Nachmittag des 31. Mai Bundespräsident Horst Köhler in einem einmaligen historischen Schritt seinen Rücktritt. Hintergrund sollen seine umstrittenen Einschätzungen über den weltweiten Bundeswehreinsatz sein, die er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk nach seinem Afghanistan-Besuch am 22. Mai geäußert hatte. Unter anderem hatte er da erklärt, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr auch dem Schutz von Wirtschaftsinteressen dienen. Später korrigierte er das: Diese Einschätzung habe sich auf andere Einsätze, etwa gegen Piraten, bezogen. Ob er das freiwillig tat?  


Screenshot: Wolfgang Effenberger (Tagesthemen 31.Mai 2010)

In einer eilig einberufenen Medienkonferenz wies Köhler die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, zurück. „Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte“, sagte Köhler, der in Begleitung seiner Frau Eva-Luise in seinem Amtssitz in Schloss Bellevue vor die Kameras getreten war.

Was mag in den vergangenen neun Tagen vorgegangen sein? Was hat die Kritiker nicht ruhen lassen?

Im Gespräch mit ARD-Studioleiter Ulrich Deppendorf in Berlin betonte der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, dass er dem Bundespräsidenten den Rat gegeben habe, die gemachten Einschätzungen als Missverständnis zu deklarieren. Dieser wohlmeinende Rat sei aber nicht so befolgt worden. Dem ehemaligen Mitglied des Europäischen Parlamentes müssten die einschlägigen Artikel im Lissabon-Vertrag eigentlich bekannt sein. Doch verhindert oder wenigstens kritisiert wurden sie von Cem Özdemir nie. Kein Wunder, ist er doch Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations. Eine elitäre "Denkfabrik", deren Hauptsponsor der Milliardär und Megaspekulant George Soros ist. Bei einem derartigen Umgang wundert es nicht, den Namen Cem Özdemir auf der Einladungsliste der "Bilderberger" von 2009 zufinden.
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Im Gegensatz zu den vielen berufsmäßigen Wahrheitsverdrehern im Parlament hatte Köhler in ungewöhnlich ehrlicher Weise einen weltweiten Bundeswehr-Einsatz auch mit Wirtschaftsinteressen in Verbindung gebracht. Seiner Meinung nach müsse ein Land mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit wissen, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren“. Es gelte, freie Handelswege zu sichern und „regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“


Kopie: Wolfgang Effenberger (Süddeutsche Zeitung vom 29./30. Mai 2010)

Damit sei der "Schwadroneur im Schloss Bellevue", so der Kommentar von Daniel Brössler in der SZ, allen in den Rücken gefallen, die den Afghanistan-Einsatz im Bundestag beschlossen haben - und auch den Soldaten vor Ort. Und der SZ-Journalist Wolfgang Jaschensky ging noch weiter. Er fragte: „Schwingt sich der bislang eher harmlose Horst zum Imperialisten auf wie weiland Wilhelm II., der für das Reich Kolonien, kurz: einen "Platz an der Sonne" beanspruchte? Macht der Präsident also auf Kaiser Horst I.?“ Das Zitat "Platz an der Sonne" stammt aus einer Äußerung des deutschen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt und späteren Reichskanzlers Bernhard von Bülow in einer Reichstagsdebatte vom 6. Dezember 1897, wo dieser im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialpolitik formulierte: „Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“

Unbeabsichtigte Aufklärung?

Von den Parteien kamen ebenso heftige Reaktionen. Während der  Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), bemängelte, Köhler habe keine besonders glückliche Formulierung“ gewählt, hielt der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, es jetzt für noch schwerer, „den Afghanistan-Einsatz zu erklären“. Für den Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, offenbarte der Bundespräsident entweder Unkenntnis oder Ungeschicklichkeit. „Wir brauchen weder Kanonenboot-Politik noch eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates“, verlangte Trittin. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi nannte Köhlers Worte unverantwortlich. ,,Für Export und Freihandel kann man alles Mögliche tun, aber sicher keine Kriege führen.“ Auch er kam nicht auf die eigentlich nahe liegende Idee, sich bei Köhler für seine - sicher unbeabsichtigte - Aufklärung herzlich zu bedanken..
   
Sowohl Journalisten wie Politiker hätten dazu in den einschlägigen Strategiepapieren interessante Entdeckungen machen können. So ist die verstärkte Militarisierung der EU mit vorgegebener Zielrichtung bereits im Reformvertrag von Lissabon verankert: 



Die im Artikel 28 der EU-Verfassung aufgeführten Worthülsen wie Konfliktverhütung, Krisenbewältigung, Friedensschaffende Maßnahmen sowie Terrorismusbekämpfung kaschieren nur dürftig die wahren Absichten, die da sind: militärische Interventionen auch für "strategische Interessen". Auch dürfen militärische Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung in  "gescheiterten Staaten" eingesetzt werden:



Mit Art. 42 des EU-Vertrages werden militärische Missionen zur Wahrung der Werte der Union und im Dienste ihrer Interessen real. Das heißt im Klartext: Angriffskriege zur Wahrung “ideeller Werte“ und ökonomischer Interessen. Hier geht es dann vor allem um die Sicherung der Energieversorgung und den weltweiten freien Warenverkehr.

Noch deutlicher spricht dann Art. 43 Abs. 1 EUV von „Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten.“

Wie wichtig der CDU/CSU die militärische "Zugangssicherung" zu Erdöl, Gas und Mineralien in fremden Ländern ist, macht auch ein Beschluss der Bundestagsfraktion mit dem Titel "Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland" vom Mai 2008 deutlich. Darin heißt es: „Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc…“ Spätestens bei den Förderanlagen wird’s kriminell. Denn damit sind nicht die einheimischen Förderanlagen gemeint. Diese Absicht wurde schon im „European Defense Paper“ angedeutet:



Die „ökonomische Überlebensfähigkeit“ der EU muss durch „Stabilitätsexport zum Schutz der Handelsrouten und dem Fluss von Rohstoffen“ gesichert werden. Offen wird vom „präventiven Engagement“ gesprochen und sogar die Möglichkeit erwähnt, britische und französische Nuklearstreitkräfte mit einzubeziehen. Hier ist die Handschrift des Pentagon nicht zu leugnen!
Widerstand gegen diese Zielsetzung war von den oben genannten Politikern und Parteien - mit Ausnahme der LINKEN - bisher kaum zu bemerken. Immerhin gibt es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten in den unterschiedlichsten Friedensorganisationen Widerstand gegen und Aufklärungsarbeit über derart krude Vorstellungen.

Köhler war durchaus ein mutiger Präsident. Zweimal verweigerte er seine Unterschrift unter Gesetze, bei denen er Zweifel an der Verfassungskonformität hatte. Das war bei der Internetzensur und beim EU-Reformvertrag der Fall. So werden ihm die hier beleuchteten Artikel durchaus bekannt gewesen sein. So dürfte der 22. Mai 2010 als historischer Tag in die deutsche Geschichte eingehen. Erst ließ sich Köhler zu seiner ehrlichen Einschätzung verleiten, zum Zweiten unterschrieb er noch an diesem Tag die Gesetzesvorlage für den 750 Milliarden umfassenden Euro-Schutzschirm. Und nun scheint dieses Land nicht nur eine Euro-, Finanz- und Haushaltskrise sondern auch noch eine Führungskrise zu haben.
Köhler dürfte damit weltweit der erste Präsident sein, der wegen des Aussprechens der Wahrheit zurück trat – bisher war das denen vorbehalten, die des Behauptens der Unwahrheit überführt wurden. (PK)

Alle Bilder: Wolfgang Effenberger

Lesen Sie als Ergänzung zu diesem Beitrag auch den Artikel von Sabine Schiffer.

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, wurde mit 18 Jahren Zeitsoldat, studierte Bauingenieurwesen und erhielt als junger Pionieroffizier Einblick in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr als Major studierte er in München Politikwissenschaft und Höheres Lehramt.

Online-Flyer Nr. 252  vom 02.06.2010

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