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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Sexuelle “Fehltritte“ aller Art sind so alt wie die Kirchengeschichte
Klöster waren oft die reinsten Bordelle
Von Karlheinz Deschner

Anlässlich des kirchlichen Missbrauchsskandals führte die Deutsche-Presse-Agentur (dpa) ein Gespräch mit dem bekanntesten europäischen Kirchenkritiker, dem Schriftsteller Karlheinz Deschner. Offensichtlich waren dessen Antworten jedoch zu pointiert, weshalb dpa plötzlich von der zugesagten Verbreitung des Interviews abrückte. Der Humanistische Pressedienst (hpd) dokumentierte, was so den deutschen Zeitungen und ihren Lesern vorenthalten wurde. Hier das Interview, über das wir Deschners Namen gestellt haben, weil wir den dpa-Redakteur nicht gefunden haben. – Die Redaktion
 

Karlheinz Deschner
Quelle: http://hpd.de, Foto © Evelin Frerk
Herr Deschner, Sie schreiben seit Jahrzehnten eine mehrbändige „Kriminalgeschichte des Christentums“. Hat es Razzien wie im Kloster Ettal in der Kirchengeschichte schon mal gegeben?
 
Etwas wirklich Vergleichbares kaum, zumindest schweigt meine „Kriminalgeschichte des Christentums“ hierzu ebenso wie meine Sexualgeschichte „Das Kreuz mit der Kirche“. Dazu muss man allerdings bedenken, dass die katholische Kirche – aus bösem Grund – über Jahrhunderte eine eigene Gerichtsbarkeit hatte, mit der man verhinderte, dass derart Belastendes vor den Gläubigen ausgebreitet wurde. Die Heuchelei gehört bis heute zu den widerlichsten, doch wesentlichen Charakterzügen des Christentums. Gemäß der alten Devise „si non caste caute“, wenn schon nicht keusch, dann wenigstens vorsichtig, unterschieden viele Päpste zwischen einer heimlichen und einer bekannt gewordenen Sünde, bei der sie die Strafe verdoppelten, ja verdreifachten. Gegen das Sündigen im Allgemeinen hat man selbstverständlich nichts, im Gegenteil, es ist den Herren sehr willkommen; davon leben sie.
 
Haben Sie die immer mehr bekannt werdenden sexuellen Missbrauchsfälle an katholischen Einrichtungen überrascht?
 
Nein, keinen Augenblick, wie gewiss keinen Kenner der kirchlichen Sexualgeschichte. Und längst laufe ich weg oder höre weg, wird das Problem, etwa in den Nachrichten, thematisiert. Überrascht hätte mich dagegen, aufs Äußerste überrascht, der Rücktritt auch bloß einiger Herren in höheren Rängen, wo man immer tut, als seien sexuelle Verfehlungen nur eine Sache des gemeinen Fußvolks!
 
Ist sexueller Missbrauch ein neues Phänomen in der Kirchengeschichte?
 
Sexuelle “Fehltritte“ aller Art sind so alt wie die Kirchengeschichte und sie florierten, je christlicher die Welt wurde, desto mehr. Die Klöster waren oft die reinsten Bordelle, doch mussten die armen Nonnen, aus Sittlichkeitsgründen nicht selten sogar der Beichtväter beraubt, auch mit Kindern vorlieb nehmen, mit Vierbeinern. Wie denn nur beispielhalber die Ritter des Deutschen Ordens, verpflichtet, ein Leben „allein im Dienste ihrer himmlischen Dame Maria“ zu führen, alles vögelten, was eine Vagina hatte, Ehefrauen, Jungfrauen, kleine Mädchen und, wie wir nicht ohne Grund vermuten dürfen, weibliche Tiere. Wie es ja auch im Vatikan, lange, sehr lange, recht locker zuging, etwa – einer für viele – Papst Sixtus IV, Erbauer der Sixtinischen Kapelle und eines Bordells, noch seine Schwester und Kinder besprang, sein Neffe, Kardinal Pietro Riario, sich buchstäblich zu Tode koitierte und auch noch, Ehre wem Ehre gebührt, eines der schönsten Grabdenkmäler der Welt bekam.
 
Sehen Sie hier allein das Versagen einzelner Menschen oder gibt es kirchliche Strukturen, die sexuellen Missbrauch, also Straftaten begünstigen?
 
Die Hauptursache all der Missstände, um die es hier geht, liegt in der kirchlichen Moral selbst. Sie ist weitgehend widernatürlich, sie hemmt die Sexualenergie, setzt sie in Destruktivität um, und sie führt in letzter terribelster Konsequenz vom Lustmord zur Mordlust. Auch andere religiöse wie weltliche Diktaturen wussten und wissen davon zu profitieren. Die christliche Sexualrepression führt aber nicht nur zur Steigerung des Kampfgeistes im Krieg, sie führt auch zu einem permanenten Krieg gegen sich selbst. Viele Hunderte erschütternder Briefe von Opfern klerikaler Sexualrepression haben mich erreicht, Opfern oft von kaum vorstellbarer Not. Bei andern aber sucht sich der unaufhaltbar gestaute Trieb ein Ventil für den Überdruck...
 
Was sollte die Kirche aus Ihrer Sicht als Kirchenhistoriker tun, um sexuellen Missbrauch in Zukunft den Boden zu entziehen?
 
Nicht nur, um dem sexuellen Missbrauch den Boden zu entziehen, denn der geistige ist oft noch viel schlimmer – sie sollte verschwinden… (PK)

Warum dpa das Interview nicht veröffentlicht hat, wollte man uns dort auf eine
Mail-Anfrage vom 29. Mai nicht beantworten. 
 
Mehr über Karlheinz Deschner unter http://hpd.de/,  www.deschner.info und bei www.kaos-archiv.de
 
Hier finden Sie Hinweise auf die TV-Film-Serie
Das Wort am Sonntag : "Mit Gott und den Faschisten" – Teil I bis X
Karlheinz Deschner zur Politik der Päpste im 20. Jahrhundert
Autor: Karlheinz Deschner  - Auftraggeber: Kanal 4  - 1993, ca. 130 Minuten
 
Ketzerverbrennung
Dem Kirchenkritiker Karlheinz Deschner zum 70. Geburtstag - "Z" 11/94
Autoren: Peter Kleinert  Marianne Tralau  
 
"Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubiger Mensch."
Karlheinz Deschner - Ein Porträt des Kirchenkritikers
Autorn: Peter Kleinert  Marianne Tralau  - Auftraggeber: Herbert Steffen  - 1994 - 94 min
 
Ausschnitte aus diesen Deschner-Filmen können Sie kostenlos in der NRhZ anschauen, wenn Sie hier seinen Namen unter „Suche“ eingeben. 


Online-Flyer Nr. 252  vom 02.06.2010

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