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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Krieg und Frieden
Ernst, Maria Theresia, Werner, Elena, die Liebe und das Schwarze Meer
Eine deutsche Familien-(Militär)-geschichte
Von Dr. Maryam Dagmar Schatz und Werner Schatz †

Zum 65. Jahrestag des Kriegsendes möchte ich berichten, was drei Generationen einer Familie, meiner Familie, im deutschen Militär am Schwarzen Meer erlebten. Dabei lasse ich auch meinen 2008 verstorbenen Vater ein letztes Mal zu Wort kommen. Ihm habe ich noch das Bloggen beigebracht, leider zu spät, aber es  gelang mir immerhin noch, ihn zum Aufschreiben seiner wichtigsten Erinnerungen zu bewegen – der an den Zweiten Weltkrieg, wozu auch die Liebe zu einer Bulgarin gehört.


Es fing an mit meinem Großvater -
Bloggen mit 86
Quelle: Autorin
Unsere Familien-(Militär)- Geschichte beginnt jedoch mit meinem 1942 verstorbenen Großvater, einem Artillerieoffizier, der im Osmanischen Reich diente. Ernst Schatz wurde nach 1918 demobilisiert, und versuchte dann sein Glück als selbständiger Fabrikant, was infolge der Weltwirtschaftskrise gründlich schief ging und ihn zwang, seinen 1920 geborenen Sohn vom Gymnasium wieder abzumelden. Viel habe ich von meinem Großvater nie erfahren, nur so viel: in seinem Arbeitszimmer habe neben einem Panorama-Bild von Konstantinopel ein Bild einer Hinrichtung gehangen, von dem, wie mein Vater berichtete, mein Großvater gesagt habe, das seien armenische „Verräter“, von den Briten trainiert und dann gegen das osmanische Reich geschickt. Er habe gesagt, er habe „direkt gegen Lawrence“ gekämpft. Das Bild, das mein Vater meinte, wurde in Aleppo aufgenommen – also muß mein Großvater unter von Seeckt gedient haben, dem letzten deutschen Kommandeur der „Palästina-Front“. –i Ich werde dem mal nachgehen.


Armenische „Verräter“
Quelle: Autorin

Heimgekehrt aus dem Krieg heiratete er meine Großmutter, die mit ihrer Familie aus dem Habsburger Reich sozusagen als „Migrantin“ nach Krefeld gekommen war. Die Familie aus dem Reich der Österreichischen Habsburger Herrscher muß sich als kaisertreu empfunden haben – meine Oma hieß mit Vornamen Maria Theresia. Nach dem Zerfall des Habsburger Reiches bekamen alle die Pässe der neuen tschechischen Republik mit Ausnahme derjenigen Familienmitglieder – meiner Oma und ihrer Schwestern – die qua Heirat schon Deutsche waren. Man kam überein, man sei sudetendeutsch, was nach 1938 für sie Sinn machte. Es gab ja auch für den Rest deutsche Pässe: man war auf der Siegerstraße. Nur eine spielte nicht mit: die jüngste der vier Schwestern heiratete einen Niederländer, zog nach Amsterdam, war während des Krieges im Widerstand, legte sich einen Akzent zu, der den von Rudi Carell und Linda de Mol weit in den Schatten stellte, und mischte jede Familienfeier auf, wenn sie darüber „räsonnierte“, wie sich aufrechte Tschechen denn unter das Joch eines deutschen Passes hätten beugen können (nur fürs Protokoll: nach dem Krieg galt nicht als deutsch, wer als DeutscheR geboren war, sondern wer sich in einer von den Nazis durchgeführten Volksabstimmung dazu erklärt hatte…).


Flieger Schatz mit Eltern
Quelle: Autorin

1938 meldete sich mein Vater freiwillig zum Militär („Isch hadd Angs‘ isch köhm zem Endseech ze schpät“) und bekam die Chance, sich in einer Veranstaltung der Wehrmacht, die man heutzutage als „assessment center“ bezeichnen würde, auch ohne Abitur zum Offizier zu qualifizieren. Mit dem „Fachlichen“ schaffte er es auch, doch beim „Verhalten“ fiel er gnadenlos durch: er ließ es an nationalsozialistischer „Haltung“ mangeln. Da die Wehrmacht aber auf seine Beteiligung am Endsieg nicht verzichten wollte, wurde er für die „Feldwebellaufbahn“ eingeplant. Die lief normalerweise so, daß man zuerst zum Gefreiten befördert wurde und dann in die Ausbildung ging. „Nur die schrägen Vögel“ seien auch noch Obergefreiter geworden. Mein Vater auch. Was auch daran gelegen haben mag, daß er aus der Grundausbildung in Ostpreußen eine – offene – Feldpostkarte schickte, auf der neben dem Satz „Vom kalten Arsch des Reiches grüßt Euer Sohn“, zusammengefaßt das Gleiche stand wie auf dem so hysterisch skandalisierten Poster an der Tür der Linkspartei-Abgeordneten Ploetz: „Hier ist alles doof“. Frau Ploetz hätte ihm mit Sicherheit gefallen. Im Zusammenhang damit – und dem Versuch von interessierter Seite, dieses Poster zur „Verhöhnung deutscher Soldaten“ hochzujazzen – sei übrigens darauf hingewiesen, daß „Frontschwein“ damals ein Ausdruck des Respekts war: ein „Frontschwein“ war so schnell durch nichts zu erschüttern und wusste immer Rat. Wer’s nicht glaubt: Wikipedia.

Die Postkarte hat meine Großeltern wegen Zensur nicht erreicht, erreicht haben meinen Vater dafür 7 Tage „Bau“. Aber es galt ja noch, Held zu werden, und so saß er dann als junger Unteroffizier auf einer der ersten Maschinen, die ihre Bombenfracht über Coventry abluden, was ihn das erste Mal nachdenklich machte. Danach gab es das „eh-kah-erster“ (später noch ein paar andere Orden), die Feldwebellaufbahn nahm endlich Tempo auf, er wurde nach Burgas versetzt, an den Westrand des „Schwarzen Meeres“. Dort fiel er wieder auf, erstens durch Tapferkeit, zweitens, weil er sich wieder nicht an die Regeln hielt: Stempeln der Versorgungspakete an seine mittlerweile verwitwete Mutter in Köln mit dem Hinweis „Mit Vorrang – Gefallenennachlass“, Frickeln an Flugschreibern (was ihm nur deswegen nicht gleich das „Kriegsgericht“ einbrachte, weil es um Schmuggelflüge ging und zu viele der im Sommer 1944 doch recht knapp gewordenen Piloten da mit drin hingen). Und dann kam die Missetat par Excellence: er verliebte sich in eine Angehörige des bulgarischen „Untermenschen“-Volkes. Da diese Liebe auch erwidert wurde, sah er keinen Grund davon abzulassen. Er schreibt dazu:


Liebe in Zeiten des Krieges
Quelle: Autorin
„Im Frühjahr 1942 wurde ich zu einem Sondereinsatz nach Sofia abkommandiert. Hier lernte ich ein bulgarisches Mädchen – Elena – kennen. Sie sprach fliessend 5 Sprachen und gehörte der bulgarischen Oberschicht an. Ihr Abitur machte Elena bei der Deutschen Schule in Sofia. Vor allen Dingen gefiel mir ihre moralische Einstellung.
Den ersten Kuss erhielt ich erst nach einigen Wochen und wir hatten uns so ineinander verliebt, dass wir beschlossen zu heiraten. Das Verlobungsfoto seht Ihr oben. Der Vater von Elena zeigte in einer Zeitung unsere Verlobung an.
Diese Anzeige geriet in die Hände unseres Fliegerhorst-Kommandanten. Dieser bestellte mich zum Rapport und kanzelte mich ab mit den Worten:
"Schämen Sie sich nicht als Deutscher einer Slawin die Ehe zu versprechen?"
Er befahl mir - was er gar nicht durfte - die Verlobung sofort zu lösen.
Ich weigerte mich, diesem Befehl nachzukommen und wurde - was er auch nicht durfte - zu 30 Tagen verschärften Arrest verdonnert. – Bei Wasser und Brot!
Da die Russen im Osten durch die deutschen Linien gebrochen waren, konnte ich mir vorstellen, was sie mit Elena als Verlobten eines Deutschen machen würden. Ich gab Elena Nachricht, sich sofort mit meiner Mutter in Verbindung zu setzen und nach Köln zu fliehen. Dieses geschah dann auch. Elena fand wegen ihrer Sprachkenntnisse bei der damaligen AEG sofort eine Anstellung als Dolmetscherin.
Jedoch machten ihr und meiner Mutter die Bombardierungen von Köln soviel zu schaffen, dass meine Mutter beschloss, mit Elena in ihre alte Heimat, das Sudetenland, zu übersiedeln. Der nun wieder von den Tschechen eingesetzte Bürgermeister gab meiner Mutter den Rat, solange es noch möglich sei, nach Deutschland zurückzukehren.
Meine Mutter hatte inzwischen nämlich den Bescheid erhalten: ‚Gefallen für Grossdeutschland.‘ Ich galt also für tot… Als meine Mutter Elena fragte, ob sie mit zurück nach Köln kommen möchte, meinte diese, da ich nicht mehr lebte, was sie denn in Köln solle. Ich habe nun versucht, von Elena etwas zu erfahren, aber die Tschechen ließen keine Post nach Deutschland.
Ich glaubte, Elena sei wieder in Bulgarien und mein Gefühl sagte mir, daß sie noch lebte. Endlich, nach Beseitigung des Kommunismus, konnte ich mit dem bulgarischen Konsul Verbindung aufnehmen. Über ihren Bruder erhielt ich Bescheid, dass Elena in der Nähe von Wien lebte, und ich meldete mich dort sofort. Die Freude war gross, Elena war mit einem Tschechen verheiratet, hatte 2 Kinder und hat mich hier in Köln besucht.
Meine nunmehrige Ehefrau liebte ich sehr, aber das Schicksal meiner ehemaligen Verlobten liess mir 40 Jahre keine Ruhe. Nun endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Elena ist vor 4 Jahren am 3. Herzinfarkt gestorben.“

Ende mit Schrecken

Die Verlobung, nach dem 20. Juli 1944, versaute (s)eine erneute Heldenehrung wegen erneuter Heldentat, und die Vorgesetzten hatten die Faxen endgültig dicke – sie beschlossen, den Helden die ultimative Ehre zu besorgen: den Heldentod fürs Vaterland. Das ersparte nämlich die unangenehme Schreibtischarbeit für die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen/Kriegsgerichtsverfahren. Zumal die entsprechende Dienststelle in Berlin unmissverständlich mitgeteilt hatte, sie sei mit der Nachbearbeitung des „20. Juli“ beschäftigt: es mussten nämlich in diesem Zusammenhang auch involvierte Luftwaffenangehörige gejagt werden. Elena war, wie oben mitgeteilt, bereits als „Fremdarbeiterin“ in Deutschland. Nun, man stellte aus den zu Entsorgenden einige Himmelfahrtskommandos zusammen, und als man erfuhr, die Maschinen seien – wunschgemäß – abgeschossen worden, bekamen die Angehörigen letzte Briefe „Gefallen für Großdeutschland: Oberfeldwebel Werner Schatz“. Urkunde, Orden, Bescheinigung für die entsprechende Zeitung zwecks Anzeige: „In Stolzer Trauer…“.

Die verhinderte Schwiegermutter besann sich auf ihre tschechischen Wurzeln, schnappte sich die verhinderte Schwiegertochter und ging zurück ins Sudetenland. Irgendwie passte ihre Geschichte nicht, und so gab man ihr die dringende Empfehlung,  sich doch bitte wieder ins „Reich“ zu verziehen – wenn die Nazis endgültig bezwungen seien, ginge es den Deutschen und ihren HelferInnen an den Kragen. Weil einige das immer noch anders sehen, hier der Paragraph 6 der Beneš-Dekrete:
„§ 6 Als Personen deutscher oder magyarischer Nationalität sind Personen anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung (!) seit dem Jahre 1929 zur deutschen oder magyarischen Nationalität bekannt (!) haben oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischer Parteien geworden sind, die sich aus Personen deutscher oder magyarischer Nationalität zusammensetzen.“

Mein Vater war aber nicht tot, sondern hatte sich nach dem Abschuss der Maschine retten können und wurde einer „Großkampf-Batterie“ zugeteilt:
„Also, nachdem unsere sämtlichen Offiziere gefallen waren, habe ich als Oberfeldwebel der nächsthöhere Dienstgrad das Kommando unserer Grosskampfbatterie übernommen. Da wir auch mit Spezial-Munition ausgerüstet waren, konnten uns die gefürchteten T34-Panzer nichts anhaben. Doch eines Tages - es war Mitternacht - erschien ein rumänischer Major in unserer Stellung und sagte, dass er so lange mit den Deutschen zusammen gekämpft habe und das nicht vergessen könnte. (die Rumänen waren ehemals unsere Verbündeten und nun jedoch unsere Gegner). Er teilte uns mit, dass die Sowjets wüssten, dass wir kaum noch Munition hätten und wollten um 04:30 Uhr die Stellung stürmen. Wir wussten, dass wir auf verlorenem Posten stehen würden und haben uns in kleinen Gruppen (die Rumänen hatten uns durchgelassen) durchgeschlagen. Unsere Gruppe ist durch die Donau geschwommen, denn wir wollten über Bulgarien zur Türkei. Aber ein bulgarischer Bauer eröffnete uns, dass auch die Bulgaren uns den Krieg erklärt hätten. Da sind wir denn wieder zurückgeschwommen und gerieten in rumänische Gefangenschaft, die uns an die Sowjets auslieferten.“
Das, was mein Vater in seinen Blog schrieb, deckt sich nicht immer mit dem, was er mir mündlich überliefert hat, und einiges hat er auch bis zu seinem Tod nicht zur Kenntnis genommen: nämlich, daß die Verbündeten Deutschlands, besonders Italien, Rumänien und Bulgarien niemals als Gleichberechtigte betrachtet wurden und bei allen gemeinsamen Einsätzen entgegen den Zusagen niemals ausreichend Material bekamen und dann nicht das beste, und darüber hinaus – so zum Beispiel in Stalingrad – auch immer Jobs zugeteilt bekamen, bei denen sie im Endergebnis als Kanonenfutter und, wenn’s schief ging, als Sündenböcke herhalten mussten. Diese unanständige Behandlung der angeblichen Verbündeten hat sicherlich zu deren Frontenwechsel mit beigetragen.

Gefangen und in Sicherheit

To cut a longer story short: mein Vater geriet in sowjetische Gefangenschaft, und, nach drei Fluchtversuchen ziemlich weit ins Landesinnere, nach Karelien. Darüber schreibt er: „Durch Zufall gelangte ich in den Besitz einer Broschüre über Karelien. und kann nur bestätigen: Es ist ein sehr schönes Land. Im August 1944 geriet ich in Rumänien in russische Gefangenschaft und landete in besagtem Karelien. Dort lernte ich nun Land und Leute kennen Von Beiden war ich angenehm überrascht. Zuerst einmal von der Schönheit des Landes und von der Herzlichkeit der Bevölkerung. Da habe ich erfahren, dass das Geschwätz von den russischen Untermenschen reine Propaganda war. Was mir weniger gefallen hat, war die Eiseskälte. Aber trotz aller Strapazen, die ich als Kriegsgefangener erdulden musste, denke ich gerne an Karelien zurück.“

Nun ja, erstmal war der Marsch durch Leningrad zu bewältigen: Nach 900-tägiger Belagerung konnte Leningrad befreit werden und die deutschen Gefangenen, die man für die Internierung im Norden vorgesehen hatte, wurden nicht nur durch Leningrad, sondern auch z.B. durch Moskau geschickt – um der Bevölkerung, die für die Niederringung dieses Feindes solch große Opfer gebracht hatten – auf jeden toten GI kamen 4.000 tote RotarmistInnen! – zu zeigen, daß die Opfer nicht umsonst waren, auch, wenn sie im Kalten Krieg im Westen so schändlich klein geredet wurden. Übrigens befindet sich an jedem von deutschen Gefangenen errichteten Bauwerk, wie auch an dieser Brücke über den Fluss Gumista in Abchasien eine Gedenktafel: „Diese Brücke wurde von deutschen Gefangenen erbaut – nie wieder Krieg!“


Marsch durch Leningrad, Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg,
Gummistabrücke
Quellen: nexusboard.com/Autorin

1949 kam mein Vater nach Hause, 1952 heiratete er meine Mutter, 1953 kam ich auf die Welt. Denke ich an meine Kindheit zurück, so will es mir scheinen, als sei das Thema „Krieg“ und „Gefangenschaft“ sehr präsent gewesen: noch Jahre später konnte ich mich an ein Telefongespräch erinnern, das mein Vater mit der Mutter eines anderen Soldaten geführt hatte: eine Frau rief an, sie habe herausgefunden, daß mein Vater etwas über ihren Sohn wissen müsse. Im Verlauf des Gesprächs, das hin und her ging, berichtete mein Vater der Frau, er wisse, daß dieser Sohn an Fleckfieber gestorben sei. Als er die Nachfragen, warum er das denn so genau wisse, überzeugend beantwortet hatte, muß die Frau wohl zusammengeklappt sein. Als ich das Jahrzehnte später erzählte, konstatierten meine Eltern einigermaßen fassungslos, daß ich, als ich Zeugin dieses Gespräches geworden sei, nicht viel älter als vier Jahre gewesen sein könne.

Mein Vater erzählte mir auch, in der Sowjetunion habe er Geld für seine Arbeit bekommen – während man in Deutschland die Lüge von der „Vernichtung durch Arbeit“ erzählte. „Vernichtet“ wurden 3,5 Millionen Rotarmisten. Nicht nur mein Vater berichtete, daß die deutschen Gefangenen fast das Gleiche bekamen wie die sowjetische Bevölkerung, mit Ausnahme einiger Besonderheiten. Wieso trotzem so wenige überlebt haben? Weil der Vernichtungskrieg im Osten eben auch auf Kosten der dort eingesetzten deutschen Soldaten geführt wurde, die nach meiner Meinung dort aus vielerlei Gründen – sie starben nicht nur durch Waffenwirkung oder das moralische und/oder planerische Versagen ihrer eigenen Feldherren und Karriereoffiziere – eine besonders hohe Todesrate hatten. Einer der Gründe war, daß man den Feind im Osten als Untermenschen gebrandmarkt hatte. Viele Soldaten starben deshalb lieber als in sowjetische Hände zu fallen. 1955 kamen die letzten nach Hause – Konrad Adenauer musste sie nicht „holen“, sondern die Sowjets haben sie freigelassen als Reaktion auf den Austausch von Botschaftern. Als man meinem Vater 1955 anbot, in die Bundeswehr einzutreten, lehnte er das ab.

Der dritte „Schatz“ am Schwarzen Meer ist eine „die“

1989, noch vor der Wende, war mein Eintritt in die Bundeswehr ein Ausweg aus Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen: nachdem ich aus Gesundheitsgründen meine chirurgische Facharztausbildung kurz vor dem Abschluss abbrechen musste und keine andere Möglichkeit hatte, die Mindestvoraussetzung für die Niederlassung – den Facharzt für Allgemeinmedizin – zu schaffen. Als ich dann mit abgeschlossenem Facharzt „in die Truppe“, zu einer Panzerbrigade nach Norddeutschland kam, war die Mauer schon gefallen, und ich brauchte nicht mehr zu befürchten, an der eigentlich erwarteten großen Panzerschlacht mit dem „Reich des Bösen“ in der Norddeutschen Tiefebene oder an der Fulda-Lücke teilnehmen zu müssen.

1998 war ich dann das erste Mal im Auslandseinsatz – übrigens als erste Frau, die mit dem Status „Militärbeobachter“ zu einer UN-Mission geschickt wurde. (Vielleicht beantwortet das ja auch die Frage des Islamhassers, der sich mit einem ausgedehnten Pamphlet an die Redaktion gewandt hat, und mich so wahnsinnig gerne aufhängen würde. Den hat das nämlich interessiert…). Mit UN-Friedensmissionen mit einem klaren Mandat der Vereinten Nationen bin ich einverstanden.


Was ich gemacht habe - darüber gibt diese Bildcollage Auskunft.
Quelle: Autorin

1998 war die Rubelkrise und Russland erstens pleite, zweitens völlig abgesagt. Mein Auftrag war die Versorgung der UN-Soldaten in dem Bereich, in dem ich stationiert war, in Abchasien an der Demarkationslinie, sowie die Zusammenarbeit mit den Sanitätern der russischen Fallschirmjäger, die dort auch waren. Mein persönliches Highlíght war die qualifizierte Sanitätsausbildung der russischen Wehrpflichtigen: oben links ein Gruppenbild – solche Übungspuppen soll es damals nur drei Stück in der gesamten russischen Armee gegeben haben, heute dürfte sich das geändert haben – mit Wehrpflichtigen, Sanitätern und dem Kompaniechef, unten rechts eine Unterrichtsfolie, unten Mitte die Ehrenurkunde, die ich dafür bekommen habe, schön golden, mit Zarenadler. Oben rechts eine georgisch-russisch-deutsche Gemeinschaftsaktion. Ich hatte ein kleines Album mitgenommen, um zu zeigen, wer ich bin, und wo ich herkomme. Das Foto des jungen Fliegers Werner Schatz, der als Oberfeldwebel über dem Ostrand des Schwarzen Meeres als Feind in der Luft war, steht jetzt auf einem georgischen Kaminsims und hat, zusammen mit meinem Foto schon zu manch tiefsinniger Betrachtung Anlass gegeben: Vater vor Jahrzehnten als Feind in der Luft, Tochter im Dienst des Friedens auf dem Boden, was man z.B. hier sehen kann: http://www.flickr.com/photos/77852409@N00/

Die Geschichte von Elena, erzählt in trauter Frauenrunde bei Wein und selbstgebranntem Tschatscha (Georgischem Obstler, jaja, unislamisch, ich weiss...), rührte auch die Dolmetscherinnen zu Tränen. Jenseits von aller Politik verstanden sie sich alle immer noch, Georgier, Abchasen, Armenier, Russen, und –  wie man an der Bildergalerie sieht – ist auch in Georgien der Zweite Weltkrieg noch immer identitätsstiftend.

Mein Vater hat mir in den Einsatz gleich ein Fax geschickt, in dem sinngemäß stand: als Gefangener habe er nur „Sowjets“ gesehen, ob ein Russe, Ukrainer, Georgier in der Uniform gesteckt habe, habe er nicht entscheiden können. Er sei immer gut behandelt worden. Er wünsche sich von mir, daß ich als Ärztin keine Partei ergreife und für alle da sei, die mich brauchten. Ich denke, ich habe das hingekriegt. (PK)


Aus disziplinarrechtlichen Gründen muss ich darauf hinweisen, dass ich hier ausschließlich meine Privatmeinung vertrete.

Online-Flyer Nr. 249  vom 12.05.2010

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