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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 20
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Übernachten war diesmal leider nicht möglich, weil er noch eine wichtige Verabredung hatte mit einem Freund aus dem Werkkreis, ein Pförtner bei der Firma Pierburg in Neuss, der Samstag abends dort ohne Arbeit herumsaß. Mit dem musste er sprechen über sein Debakel in der Werkstatt, der wüsste ihm vielleicht Rat.
Er bewirkte mit dieser Auskunft die erwünschte dringende Nachfrage seiner Mutter, was für ein Unglück ihm denn da zugestoßen sei? Ein Unglück offenbar, wenn damit zusammenhinge, wie traurig und aufgelöst er hier angekommen war.
Gott Mutter. Kolenda stieß einen langen Atem durch die Nase. Eine total verfahrne Geschichte. Hoffnungslos. Hat ganz harmlos angefangen. Der Auslöser ist eine Erzählung von mir, eine Art erzähltes Tagebuch. Ich hab geschrieben über die Arbeit und die Leute in unsrer Werkstatt, weil ich dachte, andre, also Außenstehende, sollten erfahren, wie schön, aber auch wie schwierig es ist, wenn berufstätige Menschen sich zusammensetzen, um gemeinsam zu schreiben. Sonst haben wir immer nur fertige Bücher veröffentlicht, denen man den Schweiß, die Probleme bei der Herstellung natürlich nicht ansieht. Ich habe versucht, ehrlich über uns zu schreiben, also keine Festschrift. Meine Sicht als Journalist, der mit den schreibenden Arbeitern gemeinsam Literatur machen will, die nützlich ist. Und unterhaltsam, beides. Ich denke, ich habe liebevoll geschrieben über die Kollegen, die sich abmühen und rumschlagen, mit den Schwächen die jeder hat. Die versuchen, mit den Mängeln ihrer Bildung fertig zu werden, in unserm Kollektiv. Weil es ja so verdammt schwer ist gut zu schreiben. Ich hab dieses Tagebuch veröffentlicht in einer Zeitschrift, als der Journalist Armin Kolenda, der ich schließlich und vor allem bin, außer meiner Mitgliedschaft im Werkkreis. Und weißt du, ich hab vor ein paar Jahren schon mal was Ähnliches erlebt, als ich über einen Betrieb, eine Glashütte eine Reportage geschrieben habe, monatelange Recherchen, und hab sie den Arbeitern vorgelesen, damit nicht doch womöglich was Falsches drinsteht, aber die haben sich an ein paar lächerlichen Kleinigkeiten aufgehängt und mir praktisch verboten, das zu veröffentlichen. Und ich stand da mit meinem Versprechen, sie kontrollieren zu lassen, was ich geschrieben hatte, mit großer Hochachtung, kannst du dir denken, vor ihrer Arbeit. Der Text liegt heut noch bei mir in der Schublade. Deshalb hab ich diesmal meine Arbeit nur einem alten Kollegen aus unsrer Werkstatt gezeigt, vor der Veröffentlichung, ob da was Unzumutbares oder Falsches drinsteht. Demselben den ich heut noch sprechen muss. Und ausdrücklich hab ich, stell dir vor, in einem Vorwort zu meinem Text gesagt, dass es sich um meine ganz persönlichen Erfahrungen handelt. Hat alles nichts genutzt. Als der große Zampano hätt ich mich dargestellt, studierter Besserwisser, der die andern von oben herab kritisiert, ich hätt den Werkkreis geschädigt, müsste zurücktreten aus dem Vorstand, lauter so Scheiß, und das von Leuten, die mich seit Jahren kennen, die verdammt nochmal wissen, wie viel Arbeit ich in diesen Verein gesteckt hab, für was denn? Für einen Haufen Geld etwa? Keinen Pfennig Mutter! Damit sie was veröffentlichen können! Damit die Wahrheit über unsre Arbeitswelt ans Licht kommt, wie der Kapitalismus funktioniert. Ja, es ist politische Arbeit, klar, dafür gibts keinen Lohn, aber dieser schnöde Undank und Beschimpfungen obendrein, von den Leuten für die ich mich krummgelegt habe, das macht mich fertig. Ich bin drauf und dran, ihnen den ganzen Bettel vor die Füße zu schmeißen und zu sagen, dann leckt mich doch am Arsch! Macht euern Bettel allein!
Junge Junge, sagte Charlotte Kolenda kopfschüttelnd, das ist ja schlimm. Und die Kruse oben wird denken, du hast deine alte Mutter ausgeschimpft.
Hab ich so laut geredet? Entschuldige. Tut mir leid.
Laut ist gar kein Ausdruck. Aber das ist egal. Musst dich nicht entschuldigen. Ist gut dass du dir den Ärger von der Leber geschimpft hast. Nur mit dem Austreten, das solltest du dir überlegen. Wie oft wollt ich mein Mitgliedsbuch zurückgeben. Als sie den Willy in die Wüste geschickt haben. Als sie uns im Ortsverein die Zechenschließung erklären wollten. Ich zahl immer noch meinen Beitrag. Besprich das in Ruhe mit deinem alten Kollegen.
In Ruhe!
Doch, versuchs, Armin. Vielleicht hast du selber was falsch gemacht. Frag das mal den Kollegen, dem du vertraust. Weglaufen ist nie ne gute Lösung. Du bist jetzt verletzt, das versteh ich. Wir müssen alle mal was einstecken, wenn wir politisch handeln.
Verdammt Mutter, ich bin zu alt, mir von dir den Kopf waschen zu lassen!
Stimmt Junge. Deshalb machen wir das jetzt anders.
Sie holte eine Flasche Bommerlunder aus dem Kühlschrank, dazu zwei Schnapsgläser aus dem Bufett, schenkte die voll. So, stoß an mit deiner manchmal etwas vorlauten Mutter, auf euern Werkkreis und auf unsre Zeche!
Da bekam er doch das Grinsen in die Mundwinkel und leerte das Glas wie sie: auf einen Zug. Sie gab dazu noch die Weisheit, die sie bei einer Weihnachtsfeier von einem kommunistischen Betriebsrat der Zeche unvergesslich aufgeschnappt hatte: Unser Helm ist voller Beulen, hat der gesagt, manche sind auch von unsern Gegnern.
Der Spruch verblüffte ihn. Warum, wenn er der Wahrheit oder der Erfahrung dieses Mannes entsprach, blieb der Kommunist? Welchen Lebenssinn sollte das ergeben, außer einer war masochistisch veranlagt?
Da wusste Charlotte auch keine Auskunft. Vielleicht, vermutete sie dann doch, weil man nur von seinen Freunden und Gefährten wirklich enttäuscht werden kann?
Bis zu seiner Abfahrt verhandelten sie noch die wieder mal angekündigte und dementierte Schließung der Zeche, dazu die Streikaktionen gegen die Stillegung des Stahlwerks von Mannesmann in Reisholz, Charlotte Kolendas Verhältnis zu der neuen Mieterin in der Dachstube, die Entwicklung ihrer Blumenbeete in diesem Jahr und ihre westfälische Bezugsquelle für die beim Abendbrot präsentierten Würste.
Sie begleitete ihn zum Wagen. Als er die Tür aufschloss, reichte sie ihm die Plastiktüte.
Isn das?
Glas Leberwurst und eine Salami.
Mensch Mutter! Denkstu wir hungern in Neuss?
Iss an Jung. Kannstes brauchen.
Kopfschüttelnd verstaute er die Tüte und seine Tasche hinterm Fahrersitz. Er drehte sich um zu ihr. Sie strich eine Strähne ihres grauen Haars hinters Ohr, eine mädchenhafte Geste. Das Lächeln verwandelte ihr verlebtes faltenreiches Gesicht in ein sanft strahlendes, Liebe sprechendes Antlitz. Sie sah beide vor sich - den verlornen Liebhaber und den erwachsnen Sohn. Er nahm es in seine Hände und küsste ihre Lippen.
Machs gut Mutter.
Ja Junge. Pass auf dich auf.
Sowieso. Also bis bald!
Sie winkte ihm noch bis er einbog in die Sydowstraße

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 41 vom 25.04.2006
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Übernachten war diesmal leider nicht möglich, weil er noch eine wichtige Verabredung hatte mit einem Freund aus dem Werkkreis, ein Pförtner bei der Firma Pierburg in Neuss, der Samstag abends dort ohne Arbeit herumsaß. Mit dem musste er sprechen über sein Debakel in der Werkstatt, der wüsste ihm vielleicht Rat.
Er bewirkte mit dieser Auskunft die erwünschte dringende Nachfrage seiner Mutter, was für ein Unglück ihm denn da zugestoßen sei? Ein Unglück offenbar, wenn damit zusammenhinge, wie traurig und aufgelöst er hier angekommen war.
Gott Mutter. Kolenda stieß einen langen Atem durch die Nase. Eine total verfahrne Geschichte. Hoffnungslos. Hat ganz harmlos angefangen. Der Auslöser ist eine Erzählung von mir, eine Art erzähltes Tagebuch. Ich hab geschrieben über die Arbeit und die Leute in unsrer Werkstatt, weil ich dachte, andre, also Außenstehende, sollten erfahren, wie schön, aber auch wie schwierig es ist, wenn berufstätige Menschen sich zusammensetzen, um gemeinsam zu schreiben. Sonst haben wir immer nur fertige Bücher veröffentlicht, denen man den Schweiß, die Probleme bei der Herstellung natürlich nicht ansieht. Ich habe versucht, ehrlich über uns zu schreiben, also keine Festschrift. Meine Sicht als Journalist, der mit den schreibenden Arbeitern gemeinsam Literatur machen will, die nützlich ist. Und unterhaltsam, beides. Ich denke, ich habe liebevoll geschrieben über die Kollegen, die sich abmühen und rumschlagen, mit den Schwächen die jeder hat. Die versuchen, mit den Mängeln ihrer Bildung fertig zu werden, in unserm Kollektiv. Weil es ja so verdammt schwer ist gut zu schreiben. Ich hab dieses Tagebuch veröffentlicht in einer Zeitschrift, als der Journalist Armin Kolenda, der ich schließlich und vor allem bin, außer meiner Mitgliedschaft im Werkkreis. Und weißt du, ich hab vor ein paar Jahren schon mal was Ähnliches erlebt, als ich über einen Betrieb, eine Glashütte eine Reportage geschrieben habe, monatelange Recherchen, und hab sie den Arbeitern vorgelesen, damit nicht doch womöglich was Falsches drinsteht, aber die haben sich an ein paar lächerlichen Kleinigkeiten aufgehängt und mir praktisch verboten, das zu veröffentlichen. Und ich stand da mit meinem Versprechen, sie kontrollieren zu lassen, was ich geschrieben hatte, mit großer Hochachtung, kannst du dir denken, vor ihrer Arbeit. Der Text liegt heut noch bei mir in der Schublade. Deshalb hab ich diesmal meine Arbeit nur einem alten Kollegen aus unsrer Werkstatt gezeigt, vor der Veröffentlichung, ob da was Unzumutbares oder Falsches drinsteht. Demselben den ich heut noch sprechen muss. Und ausdrücklich hab ich, stell dir vor, in einem Vorwort zu meinem Text gesagt, dass es sich um meine ganz persönlichen Erfahrungen handelt. Hat alles nichts genutzt. Als der große Zampano hätt ich mich dargestellt, studierter Besserwisser, der die andern von oben herab kritisiert, ich hätt den Werkkreis geschädigt, müsste zurücktreten aus dem Vorstand, lauter so Scheiß, und das von Leuten, die mich seit Jahren kennen, die verdammt nochmal wissen, wie viel Arbeit ich in diesen Verein gesteckt hab, für was denn? Für einen Haufen Geld etwa? Keinen Pfennig Mutter! Damit sie was veröffentlichen können! Damit die Wahrheit über unsre Arbeitswelt ans Licht kommt, wie der Kapitalismus funktioniert. Ja, es ist politische Arbeit, klar, dafür gibts keinen Lohn, aber dieser schnöde Undank und Beschimpfungen obendrein, von den Leuten für die ich mich krummgelegt habe, das macht mich fertig. Ich bin drauf und dran, ihnen den ganzen Bettel vor die Füße zu schmeißen und zu sagen, dann leckt mich doch am Arsch! Macht euern Bettel allein!
Junge Junge, sagte Charlotte Kolenda kopfschüttelnd, das ist ja schlimm. Und die Kruse oben wird denken, du hast deine alte Mutter ausgeschimpft.
Hab ich so laut geredet? Entschuldige. Tut mir leid.
Laut ist gar kein Ausdruck. Aber das ist egal. Musst dich nicht entschuldigen. Ist gut dass du dir den Ärger von der Leber geschimpft hast. Nur mit dem Austreten, das solltest du dir überlegen. Wie oft wollt ich mein Mitgliedsbuch zurückgeben. Als sie den Willy in die Wüste geschickt haben. Als sie uns im Ortsverein die Zechenschließung erklären wollten. Ich zahl immer noch meinen Beitrag. Besprich das in Ruhe mit deinem alten Kollegen.
In Ruhe!
Doch, versuchs, Armin. Vielleicht hast du selber was falsch gemacht. Frag das mal den Kollegen, dem du vertraust. Weglaufen ist nie ne gute Lösung. Du bist jetzt verletzt, das versteh ich. Wir müssen alle mal was einstecken, wenn wir politisch handeln.
Verdammt Mutter, ich bin zu alt, mir von dir den Kopf waschen zu lassen!
Stimmt Junge. Deshalb machen wir das jetzt anders.
Sie holte eine Flasche Bommerlunder aus dem Kühlschrank, dazu zwei Schnapsgläser aus dem Bufett, schenkte die voll. So, stoß an mit deiner manchmal etwas vorlauten Mutter, auf euern Werkkreis und auf unsre Zeche!
Da bekam er doch das Grinsen in die Mundwinkel und leerte das Glas wie sie: auf einen Zug. Sie gab dazu noch die Weisheit, die sie bei einer Weihnachtsfeier von einem kommunistischen Betriebsrat der Zeche unvergesslich aufgeschnappt hatte: Unser Helm ist voller Beulen, hat der gesagt, manche sind auch von unsern Gegnern.
Der Spruch verblüffte ihn. Warum, wenn er der Wahrheit oder der Erfahrung dieses Mannes entsprach, blieb der Kommunist? Welchen Lebenssinn sollte das ergeben, außer einer war masochistisch veranlagt?
Da wusste Charlotte auch keine Auskunft. Vielleicht, vermutete sie dann doch, weil man nur von seinen Freunden und Gefährten wirklich enttäuscht werden kann?
Bis zu seiner Abfahrt verhandelten sie noch die wieder mal angekündigte und dementierte Schließung der Zeche, dazu die Streikaktionen gegen die Stillegung des Stahlwerks von Mannesmann in Reisholz, Charlotte Kolendas Verhältnis zu der neuen Mieterin in der Dachstube, die Entwicklung ihrer Blumenbeete in diesem Jahr und ihre westfälische Bezugsquelle für die beim Abendbrot präsentierten Würste.
Sie begleitete ihn zum Wagen. Als er die Tür aufschloss, reichte sie ihm die Plastiktüte.
Isn das?
Glas Leberwurst und eine Salami.
Mensch Mutter! Denkstu wir hungern in Neuss?
Iss an Jung. Kannstes brauchen.
Kopfschüttelnd verstaute er die Tüte und seine Tasche hinterm Fahrersitz. Er drehte sich um zu ihr. Sie strich eine Strähne ihres grauen Haars hinters Ohr, eine mädchenhafte Geste. Das Lächeln verwandelte ihr verlebtes faltenreiches Gesicht in ein sanft strahlendes, Liebe sprechendes Antlitz. Sie sah beide vor sich - den verlornen Liebhaber und den erwachsnen Sohn. Er nahm es in seine Hände und küsste ihre Lippen.
Machs gut Mutter.
Ja Junge. Pass auf dich auf.
Sowieso. Also bis bald!
Sie winkte ihm noch bis er einbog in die Sydowstraße

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
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