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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Krieg und Frieden
Ausstellungseröffnung mit Blick auf Gegenwart und Zukunft in Erlangen
Deserteursehrung in Erlangen
Von Dr. Sabine Schiffer

Irma Göhring kam mit ihrem Sohn, um eine Ausstellung mitzueröffnen, die mit der Lebensgeschichte ihres Mannes Ludwig begann, der sich mit seiner Kriegsdienstverweigerung in der Nazi-Zeit mehr als 11 Jahre Gefängnis und Arbeitslager eingehandelt hatte. Dabei war er im Vergleich zu vielen anderen noch glimpflich davon gekommen. Denn Hitler hatte verfügt: "Ein Soldat kann sterben, ein Deserteur muss sterben!" Von 30.000 Todesurteilen gegen Deserteure, Verweigerer und sog. Kriegsverräter sind über 20.000 während des 2. Weltkrieges in Deutschland auch vollstreckt worden. Eigentlich hätte Göhring nach zwei Jahren Haft für das Drucken und Verteilen von "wehrzersetzenden Flugblättern" entlassen werden müssen, aber 1935 griff schon die auf den Krieg ausgerichtete deutsche Justiz und internierte ihn weiterhin.


Marlene Neumann (Stadtbücherei), Heike Demmel (Veranstalterin), Irma Göhring, Nadja Bennewitz (v.l.n.r.)
Foto: Sabine Schiffer
 
Mit der bewegenden Lebensgeschichte Ludwig Göhrings, vorgetragen von der Historikerin Nadja Bennewitz, wurde die bis zum 15. Mai andauernde Ausstellung in der Erlanger Stadtbücherei eröffnet. Unter dem Titel "Sie verweigerten sich: Kriegsdienstverweigerer, Deserteure, Wehrkraftzersetzer, "Kriegsverräter" sind die Tafeln einer Berliner Autorengruppe, ergänzt um einige Tafeln zum Nürnberger Sondergerichtshof sowie der Lebensgeschichte Ludwig Göhrings, im Treppenhaus der derzeit im Umbau befindlichen Stadtbibliothek zu besichtigen. Begleitet wird die Ausstellung durch ein interessantes Vortrags- und Filmprogramm, das auf der Website www.mai45.de  abrufbar ist. Dazu gehören auch der Film "Rosen für den Staatsanwalt" und mehrere Veranstaltungen zu dem skandalösen Fakt, dass es nach 1945 auf der einen Seite eine "frühe Selbstentlastung der Richter", auf der anderen aber eine (sehr) "späte Rehabilitierung der Opfer" gab, teilweise erst im Jahre 2009. – Unausgesprochen geht es hier also auch um die Geschichte Westdeutschlands.
 
Vieles im Angebot des historisch ausgerichteten „Vereins zur Förderung alternativer Medien“, auch Gruppo Diffuso genannt (www.feld22.de), weist in die Gegenwart. So auch das Statement, das Irma Göhring am Abend der Ausstellungseröffnung gab: Während sie zunächst versuchte, Verständnis dafür zu wecken, wie leicht Massen in einer gleichgeschalteten Medienlandschaft in eine Richtung zu bewegen seien, erläuterte sie, wie ihr Mann, den sie kurz nach seiner Entlassung kennen lernte, ihr schrittweise ein kritisches Bewusstsein vermittelt hatte. Dieses wurde bei ihr nachhaltig geprägt, und sie erinnerte an die Hochzeiten der Friedensbewegung, für die sie sich stets einsetzte. Etwas besorgt, aber nicht hoffnungslos suchte sie die Anwesenden zu ermutigen, in irgendeiner Form wachsam und kritisch und eben auch aktiv zu sein – etwa bei den Ostermärschen, bei denen sie als fast 90-Jährige nun etwas zurückstecken müsse. Doch noch immer stellt sie in Persona einen Teil gelebter Erinnerungskultur dar, die ob ihrer Gegenwartsbezogenheit nicht zu einem leeren, allenfalls noch symbolischen Ritus zu verkommen droht, sondern mit ihrem ganzen Sein dafür steht, welche Lehren aus der Geschichte gezogen werden können und müssen. Jede Art ritualisiertes und hochoffizielles Gedenken verblasst angesichts solcher Botschaften, die der Verein zur Förderung alternativer Medien in Kooperation mit der Grünen Liste, der Petra-Kelly-Stiftung sowie der Stadtbücherei den Interessierten hier bietet.
 
Und dazu passt auch die Erneuerung des Antrags, endlich auch in Erlangen Straßennamen nach Deserteuren zu benennen und – wie zum Beispiel inzwischen in Köln – auch die Errichtung eines Deserteursdenkmals ernsthaft zu verfolgen. http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14191
Denn es scheint Ironie der Geschichte, dass die Aufrechten von damals (und heute) immer noch nicht die angemessene Anerkennung erhalten haben. Die mühsame Errichtung eines Denkmals für den Tischler Georg Elser, der so gar nicht in das übliche Raster der Heldensprechung passt, spricht da Bände. Sein missglücktes Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller nach langer Vorbereitung wird auch heute noch nicht neben standesgemäßen „Verrätern“ wie Stauffenberg & Co. gewürdigt. Immerhin wurde nach Georg Elser in Erlangen schon mal eine Straße benannt. Auf die Gegenwart bezogen kann man durchaus beginnen darüber nachzudenken, wer angesichts der völkerrechts- und grundgesetzwidrigen „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr aufrecht ist, wie etwa Bundeswehrsoldaten des Darmstädter Signals dafür sowohl heute als auch in Zukunft angesehen werden dürften, und wie man sie unterstützen kann.(PK)
 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen: www.medienverantwortung.de
In der Europaausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung Zaman (Die Zeit) erscheint ca. zweiwöchentlich ein Kommentar von ihr: 
www.todayszaman.com/tz-web/
In der NRhZ finden Sie regelmäßig ihre deutschen Zaman-Beiträge.


Online-Flyer Nr. 246  vom 21.04.2010

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