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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Appell für das Recht auf Freie Meinungsäußerung auch für Sabine Schiffer
Empörung über Strafverfahren
Von Sebastian Hornung

Eine zum Nachdenken anregende Diskussionsveranstaltung über das Strafverfahren gegen Dr. Sabine Schiffer, Gründerin des Instituts für Medienverantwortung, fand am vergangenen Mittwoch im IG-Metallsaal Erlangen statt. Dazu eingeladen hatte das Aktionsbündnis gegen Rassismus und für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, das auch eine internationale Solidaritätskampagne ins Leben gerufen hatte(1) Gegen Frau Schiffer wurde -wie bereits berichtet - aufgrund ihrer Interviewäußerungen zum Mord an Marwa El-Sherbini in Dresden ein Strafbefehl in Höhe von 6.000 Euro erlassen.


Am Mittwoch wegen Interview-Äußerungen
in Erlangen vor Gericht
NRhZ-Archiv
Auf dem Podium im großen IG-Metallsaal saßen Dr. Helmut Aichele, einer der Mitbegründer des Aktionsbündnisses, der Vorsitzende des Erlanger Ausländer- und Integrationsbeirates José Louis Ortega, Rechtsanwalt Thomas Donderer und Helmut Wening, Gründungsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V. Als Moderatorin führte Isa Pape durch den Abend.

In der Diskussion wurde deutlich, dass ein rassistischer Reflex, der zum Fehlschuss des Polizisten auf den Ehemann von Marwa El-Sherbini geführt haben könnte, auf Grund von weit verbreiteten Medienbildern keinesfalls ausgeschlossen werden kann. Doch auch unabhängig davon, wie man zu Schiffers Äußerung stehe, sollte auf das Recht der freien Meinungsäußerung gepocht werden. Dies betonte auch der ehemalige Landtagsabgeordnete Wolfgang Vogel im Publikum, der Voltaire zitierte, um zu untermauern, dass die Meinungsfreiheit immer und eben auch dann geschützt sein müsse, wenn es darum gehe die Meinung Andersdenkender zu schützen. Gerade für Wissenschaftler sei dies eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine unabhängige Forschung sowie um zum Anstoß gesellschaftlich relevanter Diskussionen anzuregen.


ReferentInnen der Solidaritätsveranstaltung für Sabine Schiffer
Foto: Franziska Schneider

Rechtsanwalt Donderer erklärte den Straftatbestand der üblen Nachrede, da nach einer Äußerung die thematisierte Person schlechter dastehe als vorher – dies unabhängig davon, ob die Person allgemein überhaupt bekannt sei. Dem entgegen stehe das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Abwägung, welcher der beiden Aspekte nun höher zu werten sei, liege im Zweifel beim Gericht. Nun hätten in der Praxis die unteren Gerichte eher die Tendenz, im Sinne einer üblen Nachrede zu verurteilen, da Fragen der Grundrechte gemäß Grundgesetz stärker bei höheren Instanzen zum Tragen kommen.

Feindbild Islam ersetzt Feindbild Sowjetunion

Helmut Wening, der ausdrücklich darauf hinwies, dass er als Privatperson und nicht als Vertreter der Polizei an dem Podium teilnehme, brachte seine Erfahrungen im Polizeidienst in die Diskussion mit ein. Berücksichtigt werden müsse am Verhalten des Polizisten, der Marwa el-Sherbinis Mann angeschossen hatte, dass man als Polizist bei einem Fehlereingeständnis nur noch bedingt Aufstiegschancen in seinem Beruf habe. Des Weiteren seien die Erfahrungen von Polizisten mit anderen Menschen berufsbedingt weitgehend negativ: Polizeibeamte würden hauptsächlich zu Konfliktsituationen gerufen, an deren Ende sie vermutlich eine der anwesenden Personen anzeigen müssten. Darüber hinaus fehle in der Ausbildung von Polizeibeamten ein Training im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund.

Genau hieran schloss eine Feststellung des Vorsitzenden des Ausländerbeirats, José Louis Ortega, an, der darauf hinwies, dass nach dem Wegfall des Ostblocks das Feindbild Sowjetunion bzw. Kommunismus so langsam durch das neue Feindbild Islam ersetzt werde. Dass es sich hierbei um Vorurteile handelt, darüber sei allgemein noch wenig Bewusstsein vorhanden. Dr. Helmut Aichele betonte in dem Zusammenhang auch die außenpolitische Dimension der geostrategischen Interessen in den Gebieten, die vornehmlich von Muslimen bewohnt sind.

Fragen über Fragen

Nach den klärenden Statements entwickelte sich sehr schnell eine rege Diskussion. Das Publikum zeigte sich empört über die Geschehnisse um den Mord an Marwa el-Sherbini: Wie konnte es dazu kommen, dass der Angeklagte Wiens mit einem Messer in den Gerichtssaal kam? Warum waren keine Sicherheitskräfte anwesend? Warum hat sich der Polizist nicht bei Marwas Witwer dafür entschuldigt, dass er ihn angeschossen hat? Wie konnte das Gericht im Schnellverfahren von aller Schuld freigesprochen werden? Aber auch der „Fall Sabine Schiffer“ warf im Publikum viele Fragen auf: Warum wurde ihre Anzeige gegen Unbekannt nicht weiter verfolgt, die sie gestellt hatte, weil sie nach ihren Äußerungen zum Fehlschuss des Polizisten ein ganzes Sammelsurium von Hassmails und Morddrohungen erhalten hatte? Warum wird die Anzeige gegen Schiffer in Erlangen verhandelt? Wie gehen Polizisten allgemein mit Beleidigungen um? Und nicht zuletzt: Wie kann man Dr. Schiffer unterstützen?

Einiges konnte geklärt werden. So erläuterte Rechtsanwalt Donderer, dass das Gericht über die Sicherheitsmaßnahmen entscheidet und bei geringen Vergehen wie Beleidigung die Anwesenheit von Sicherheitskräften im Gerichtssaal nicht üblich sei. Wenn aber eine Bedrohungssituation im Vorfeld abzusehen sei, müsse das Gericht auch bei einem geringen Vergehen für Sicherheit sorgen. Helmut Wening erläuterte zusätzlich, dass Polizisten im Umgang mit Beleidigungen ausgesprochen unterschiedlich reagierten und keine festen Verhaltensmuster feststellbar seien.

Anti-Rassismus-Wochen in Erlangen


Viele Fragen blieben am Ende des Abends jedoch unbeantwortet. Deutlich aber wurde, dass die große Unwissenheit zum Mordhergang am 1. Juli 2009 als auch in Bezug auf den anstehenden Prozess gegen Sabine Schiffer bei vielen Menschen Empörung ausgelöst haben. Aufgebracht waren viele der Anwesenden über den empfundenen Versuch, mittels Rechtsmitteln eine offene Diskussion über Rassismus zu unterdrücken. Die Anwesenden waren sich einig, dass im Angesicht der Geschehnisse gerade um den Mord an Marwa el-Sherbini eine offene und freie Diskussion auch über antiislamische Ressentiments in der Gesellschaft nötig sei. Offen sei die Diskussion aber nicht mehr, wenn Fragen dann inkriminiert würden, wenn sie in eine nicht gewünschte Richtung gehen. Dieser Beschränkung der Meinungsfreiheit sei mit allen Mitteln entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die in diesen Tagen stattfindende Anti-Rassismus-Wochen in Erlangen hingewiesen. (2)

Der Prozess um die Interviewäußerungen von Frau Dr. Schiffer findet am 24. März um 10:30 Uhr im Amtsgericht Erlangen statt. Es soll ein Spendenkonto für Prozess- und Verfahrenskosten eingerichtet werden – so ein Vorschlag aus dem Publikum. Die Gerichtsverhandlung ist öffentlich und ermöglicht damit allen Interessenten sie als Zuschauer zu verfolgen, sich über das Verfahren weiter zu informieren und die Bestürzung in der Bevölkerung über diesen Fall zum Ausdruck zu bringen. (PK)


(1) www.solidaritaet-mit-dr-sabine-schiffer.de
(2) Genaueres zum Programm auf www.erlangen.de


Online-Flyer Nr. 242  vom 24.03.2010

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