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Lokales
Dokumentation zur Deportation und Vernichtung der Kölner Sinti und Roma
Diskriminierung hält bis heute an
Von Henrietta Lück 

Ein Abend im Kölner DOMFORUM - gewidmet den Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen "Zigeuner"-Verfolgung in Köln wurden. In einem Bildvortrag stellten Dr. Karola Fings (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln) und Frank Sparing (Historiker aus Düsseldorf) die Ergebnisse ihres neu erschienenen Buches über die Verfolgung in Köln und dem Rheinland vor.


Dabei wurde auf die an der Ausgrenzung, Erfassung und Deportation beteiligten Institutionen ebenso eingegangen wie auf einzelne Lebensgeschichten. Kurt Holl vom Kölner Rom e.V., der Träger des von der NRW-Stiftung "Natur, Heimat, Kultur" geförderten Forschungsprojektes war, berichtete über die Bedeutung, die die Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte für die aktuelle Arbeit des Vereins hat. Das musikalische Rahmenprogramm gestaltete das Markus Reinhardt Ensemble: Der Schmerz über den Verlust der Angehörigen wurde darin ebenso spürbar wie die Zukunftshoffnungen der Überlebenden und Nachkommen.

Nidar Pampurowa - in Köln verfolgt
Nidar Pampurowa - in Köln verfolgt
Foto: NRhZ-Archiv



Zu den Einladern zählte neben dem Katholischen Bildungswerk im DOMFORUM auch das NS-Dokumentationszentrum. Abend und Buch dienten nicht nur der Erinnerungsarbeit, sondern auch der Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen und der Wiedererlangung der aberkannten deutschen Staatsbürgerschaft von vielen Betroffenen. Das Zentrum initiierte Zeitzeugen-Interviews, forschte in Archiven nach einschlägigen Akten, informierte regelmäßig die Medien über Gedenktage und organisierte mehrere Ausstellungen zum Thema NS-Verfolgung der Roma und Sinti in Köln.

Hier einige Notizen aus Vortrag und Buch, in dem die beiden Historiker nach zehn Jahren Arbeit zum ersten Mal die Vorgeschichte und den ganzen Umfang von Erfassung, Ausgrenzung, Verfolgung, Deportation und Vernichtung des größten Teils der deutschen Sinti und Roma aus Köln darstellt haben:
"Mai 1940 ... 1000 Roma und Sinti .... In unmittelbarer Nähe dieser Unterführung, neben dem damaligen Sportplatz des Vereins Schwarz-Weiß Köln, wurde 1935 von der Stadt das bewachte Zigeunerlager eingerichtet, in das die in Köln lebenden Roma und Sinti eingewiesen wurden. Hier wurden sie, von der übrigen Bevölkerung abgesondert, sie im Mai 1940 über den Bahnhof Deutz-Tief in Ghettos und Vernichtungslager im besetzten Polen verschleppt. Nur wenige kehrten zurück."
Diese Aufschrift einer Gedenktafel an der Eisenbahnunterführung Venloer Straße/Matthias-Brüggen-Straße in Köln erinnert an ein - bisher - wenig beachtetes Thema in der Medien-Öffentlichkeit - den Genozid der Nationalsozilisten, verbrochen an den "Zigeunern". Schon die Notwendigkeit einer Übernahme von faschistoid-geprägter Vereinfachungsterminologie des Ober-Begriffes "Zigeuner" verdeutlicht, wie sträflich vernachlässigt die Auseinandersetzung mit diesen nicht seßhaften, fahrenden Völkern stattgefunden hat: Roma/Sinti/Schausteller/Vagabunden, die sich ethnisch unterteilen, in ihrem Alltag von nicht-staatlicher Organisation sowie einer strikten Unterwerfung unter stammeseigene Riten sich gegenüber der Mehrheit unterscheiden - sie alle müssen sich unter diesem Namen zusammenfinden, um in ihrem erlittenen Unrecht wenigstens als durch das Unrecht Klassifizierte mengenmäßig beachtlicher zu werden.

Die Stadt Köln und das Kölner Umland wurden mit der Ankunft der ersten "Zigeuner" auf deutschem Boden gegen Ende des 15. Jahrhunderts eins von deren Zentren. Das 1933 erlassene "Reichs-Zigeuner-Gesetz", das eine Bestimmung des "dem deutschen Volkstum Fremden" zu "verfeinern" versuchte, und das 1935 verabschiedete "Blutschutzgesetz" waren  erste Anzeichen der geplanten Ausgrenzung und Diffamierung Andersdenkender und -handelnder.

Gedenktafel
Gedenktafel
Foto: NRhZ-Archiv



Unter der Vorgabe "wirtschaftliche Effizienz" ließen sich durch Verbot von freier gewerblicher, musischer und allgemein künstlerischer Erwerbstätigkeit, gekoppelt mit einem Zwang zu "gemeinsinniger Arbeit", bei gleichzeitiger Drohung der Sperrung von Fürsorgeleistungen, nicht nur Kosten einsparen. Gleichzeitig konnte der Nazi-Staat dadurch in breiten Bevölkerungsschichten eine Diskriminierung der Menschen erreichen, die irrwitzige Vorgaben nicht einhalten konnten oder wollten. Eine willkommene Grundlage für deren Kriminalisierung.

Über den folgenden "Asozialen-Erlass" von 1937 konnte man dann mit der KZ-Einweisung der "Zigeuner" beginnen, ohne dass sich in der Bevölkerung Widerstand regte. Zeitgleich unternahm man einen erneuten Versuch, in einem seit 1936 von der rassenhygienischen Forschungsstelle anvisierten Projekt der Bestimmung minderwertiger Rassen aufgrund äußerer, physiologischer (Mangel-)Merkmale, sämtliche "echten" und "unechten" (gemischten) "Zigeuner" zentral zu erfassen. Beteiligt war daran auch das Reichspolizeiamt Köln.

Ab 1938 folgten weitere Ausgrenzungsmaßnahmen, die besonders Kinder (Lernverbot an staatlichen Schulen) und Kranke (Beschneiden der Gesundheitsleistungs-Rechte) betrafen.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschärfte die NSDAP ihre aggressive Politik. Je mehr und je weiter die Wehrmacht osteuropäisches Land eroberte, desto günstiger erschienen den Nazis die Möglichkeiten, ihre "minderwertigen Untermenschen" loszuwerden: Erste Umsiedlungsmaßnahmen erfolgten. Dazu mussten sich allein an der Köln-Messe auf dem Auenplatz, sowie im "Volkshaus" in der Severinstraße hunderte "Zigeuner" zur Deportation einfinden. Hinzu kamen noch einmal 938 Menschen aus den umliegenden Regierungsbezirken.

1942 folgte der nächste Schritt. Erste Kriegsverluste der Deutschen führten zu einer weiteren Verschärfung der Staatsräson. Zitat des Reichsjustizministers: "Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Göbbels. auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin vernichtet werden sollen." Der nächste Schritt war der zur "Vernichtung durch Arbeit". Es folgten Einweisungen der durch ein schwarzes"Z" auf weißer Armbinde gebrandmarkten "Zigeuner" in die Ghettos der Juden. Die Situation der Nicht-Deportierten in Köln und Umland war nicht besser: Belegt mit "Arbeitspflicht" und Kontaktsperre zu "Ariern" wurden sie Opfer von Repressalien bis hin zu unter Zwang vorgenommenen Sterilisationen. Die wenigen diesen Verfolgungen Entkommenen mussten sich seit dem Befehl Heinrich Himmlers, alles "unwerte Leben" nach Auschwitz zu verfrachten, verstecken.

Ausnahmebestimmungen, Handlungsspielräume, die selbst unter der Nazi-Obrigkeit vorhanden waren, ließ die Kölner Polizei - im Gegensatz zu der in anderen Regionen - ungenutzt. Sie hätte dadurch zahlreiche Menschenleben retten können. Dass die Kölner Kripo spätestens vor den Verfrachtungen nach Auschwitz genau Bescheid darüber wusste, wozu die Konzentrationslager dienten, ist durch Niederschriften wie "Mit Rückkehr ist nicht zu rechnen" dokumentiert. So starben in Auschwitz insgesamt etwa 22.000 "Zigeuner", 6.000 waren noch Kinder. Von den in und um Köln Registrierten wurden 642 deportiert und getötet, etwa 80 Prozent der einmal in Köln und seinem Umland Lebenden.

Die meisten der für ihren Tod mit verantwortlichen Polizei-Beamten fanden nach  Kriegsende ihre Weiterbeschäftigung bei der Kripo Köln. Eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit mit Konsequenzen für eine Besserung der Situation der "Zigeuner" im Jahr 2006, von denen die meisten als geduldete Flüchtlinge am Rande der Stadt Köln ausharren, eine Chance für eine Beendigung ihrer Diskriminierung scheinen (noch) nicht möglich. Siehe hierzu in NRhZ 22 den Film über die Verfolgung der "illegalen" Roma-Frau Nidar Pampurowa durch Neonazis und Kölner Stadtverwaltung.

Buchcover



Rassismus, Lager, Völkermord

von Karola Fings und Frank Sparing,
erschienen im EMONS-Verlag, Köln











Online-Flyer Nr. 40  vom 18.04.2006

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