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Kultur und Wissen
Wälder als Friedhöfe - mit Urnen unter Bäumen
"RuheForst" in der Ahr-Eifel
Von Ulla Lessmann

Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zur Bestattung auf dem Friedhof, auch, aber nicht nur wegen der extrem hohen und weiter steigenden Kosten einer traditionellen Beerdigung. Seit einiger Zeit werden von Kommunen Wälder als Friedhöfe ausgewiesen, in denen in Urnen unter Bäumen bestattet werden kann. Ulla Lessmann ist im "RuheForst" Hümmel gewesen. Die Redaktion.

Es ist still im spätwinterlichen "RuheForst" von Hümmel, einer Gemeinde mit sieben Dörfern in der Ahr-Eifel. Durch die kahlen Kronen der fast 200 Jahre alten Buchen bricht Märzsonne. Nur wenn man ganz nahe an die Baumstämme herangeht, sieht man die postkartengroßen braunen Alluminiumschilder, auf denen bis zu zehn Namen stehen. Außer der fast unwirklichen Idylle weist nichts darauf hin, dass dies ein Friedhof ist. Förster Peter Wohlleben: "Das Gesamtkonzept, das in der Gemeinde Hümmel gefahren wird, lautet ganz einfach: Zurück zum Urwald, auf einen langen Zeitraum gesehen natürlich, über 100 Jahre hinweg, aber das beinhaltet auch diesen "RuheForst" hier, dass dieser alte Buchenwald, der nachweislich direkt von den Urwäldern abstammt, nicht mehr angetastet werden darf in den nächsten hundert Jahren. Das Resultat sehen wir überall. Es stehen auf einmal wieder statt Brombeeren, Disteln, Brennesseln überall kleine junge Laubbäume im Wald und das ist eigentlich das Schönste, was  man so als Förster sehen kann."

Peter Wohlleben führt seit gut zwei Jahren die Menschen zu den Bäumen, unter denen sie ihre Angehörigen bestatten können oder zu solchen, die sie für sich selber aussuchen. "Ruhebiotope" heißen diese Bäume. Malle Humbach aus Köln hat vor eineinhalb Jahren ihren Mann verloren. Kurz bevor er starb, hatte sie von dem Waldfriedhof erfahren: "Dann habe ich Freunde angerufen, die in der Eifel wohnen und hab die gebeten, ob die nicht mitkommen wollen, sind wir dann zu viert mit dem Förster durch den Wald gegangen. Und dann hat er mir die Bäume gezeigt, die da in Frage kommen und dann geht man so richtig durchs Unterholz, dann zeigt er, der kommt in Frage, der kommt in Frage, und der Wald ist so schön. Für mich war das ganz klar, da kommt gar nichts anderes in Frage. Ich hab ´ne Heimbuche ausgewählt, weil das Drumrum einfach so schön war. Und ich fand einfach schön die Vorstellung: wenn ich da hingehe später, dass ich dann so´n bißchen im Grünen sitze."

Die katholische Kirche lehnt diese Form des Abschieds ab, die evangelische hat nichts dagegen, so dass öfter protestantische Geistliche bei der Urnenbestattung im Wald dabei sind. Malle Humbach: "Und dann lief das so ab, dass der Förster mit der Urne kam, wir Familienangehörige waren dabei und das war vorbereitet. Da wird ungefähr 1,50 Meter tief ein Loch gefräst, da wird die Urne dann versenkt. Das wird deshalb gemacht, um Wildschweinverriss und so was zu verhindern, deshalb muß das so tief rein, ja, und ich hab dann die Urne selber da reingesetzt und auch zugeschaufelt,  das kann man aber machen wie man will."

Grabkerzen oder Blumenschmuck sind nicht erlaubt, auch keine weltanschaulichen Zeichen. Die Urnen sind aus gebackenem Maismehl, das sich innerhalb kurzer Zeit zersetzt, die Asche ist wegen ihres hohen Kalziumgehalts gut für die Bäume: Ein ökologischer Kreislauf mit hohem symbolischen Gehalt. Etliche der hier Bestatteten wollen nicht namentlich auf den kleinen Schildern erscheinen. Auch Heinz Humbach wollte ein anonymes Grab. Seine Witwe: "Ich hab´s zunächst anonym gemacht, hab aber jetzt vor´n paar Wochen das ändern lassen, weil es immer wieder Freunde gab, die mich anriefen und sagten, wir haben den Baum vom Heinz gesucht und haben den nicht gefunden. Und da hab ich mir gedacht, na, ja, er wird wahrscheinlich damit einverstanden sein, wenn sein Name da steht. Er wollte einfach nicht so´n Mahnmal oder so was, und da steht jetzt der Name auch drauf, so dass, wenn da jemand den Baum sucht, dann kann er ihn auch finden."

Es gibt verschiedene Arten von Bäumen oder moosbewachsenen Baumstümpfen, an denen man für jeweils 99 Jahre per Grundbucheintrag einen Anteil erwirbt: Den Familienbaum für Familien oder Freundeskreise mit bis zu zehn Mitgliedern und den Gemeinschaftsbaum, den zehn Menschen sich teilen, die sich im Leben nicht gekannt haben müssen. Die kostengünstigste Variante beträgt mit dem Anteil an einem Gemeinschaftsbaum plus Beisetzungsgebühr und Urne 748,20 Euro. Dafür gibt es keine konventionelle Bestattung. Außerdem entfallen die Grabpflegekosten. Malle Humbach: "Als es mir wieder besser ging, hab ich mich eigentlich geärgert, dass ich damals das noch nicht so überlegt hatte. Ich hätte mir damals schon einen Freundschaftsbaum kaufen sollen, also einen kompletten Baum und dann eben sehen, wer da eben unter Umständen Interesse hat. Und dann ereignete sich, dass ein junger Mann vor seinem Tod mit mir Kontakt aufgenommen hatte, er wollte an dem Gemeinschaftsbaum von Heinz bestattet werden, und das ging nicht, weil, er war der letzte. Und dann haben die einen Freundschaftsbaum gekauft. Und da hab ich gesagt, also wenn Ihr noch ein Plätzchen habt und mich dabei haben wollt... (Seufzer) ja, haben wir dann gemacht."

Das Konzept der Waldbestattung unter dem Markennamen "Friedwald" stammt aus der Schweiz, in Deutschland werden seit 2000 immer öfter Waldgebiete als Friedhöfe in freier Natur ausgewiesen. Auch in Nordrhein-Westfalen ist das nach dem neuen Bestattungsrecht nun möglich. Neben Hümmel, knapp hinter der NRW-Landesgrenze in Rheinland-Pfalz, gibt es in NRW inzwischen zahlreiche Ruhewälder. Die Förster sind nun in einer neuen Rolle gefragt. Peter Wohlleben sagt dazu: "Am Anfang habe ich auch gedacht, das ist schon ein bißchen merkwürdig, durch einen Wald zu laufen, wo überall Menschen beigesetzt sind und auch viele Geschichten zu hören, die ja sehr traurig sind und einen auch belasten können. Aber mittlerweile muß ich sagen, ist es eine Sache, die mich sehr befriedigt, weil ich auf der einen Seite sehr viel für die Menschen tun kann und auch sehr viele nette Gespräche habe und auf der anderen Seite auch der Wald davon profitiert, indem er eben unter Schutz gestellt wird durch dieses Bestattungssystem."

Über 350 Menschen sind bislang im Buchenwald bestattet, etwa gleich viele haben sich ihren Platz schon ausgesucht. Die Sorgen mancher Besucher, im "RuheForst" sei Friedhofsruhe nicht gewährleistet, kann der Förster zerstreuen: "Die Wege sind so angelegt, dass sie auf der einen Seite sehr gut geeignet sind auch für ältere Menschen, auch für Rollstuhlfahrer, aber auf der anderen Seite sich nicht eignen für Sportarten, weil es Sackgassen sind, das ist einfach langweilig. Dann sind die Wege mit Schranken blockiert, das heißt, hier findet auch kein Pkw-Verkehr statt, so dass es hier selbst an Wochenenden sehr ruhig bleibt. Mit einer Ausnahme, die uns eigentlich sehr viel Spaß macht. Das sind Familien mit Kindern, die gehen wieder sehr gerne auf diesen Friedhof. Das heißt, der Tod wird einfach wieder zum normalen Bestandteil des Lebens und auch der Tote selber ist nach wie vor in die Familie integriert."

Malle Humbach ist überzeugt, das Richtige getan zu haben. "Wir sind so viel gewandert, und da hab ich gedacht, das ist eigentlich für mich toll, dass er jetzt unter einer Buche liegt, tja,  irgendwie hab ich immer das Gefühl, er wär´ da drin, wenn ich unter dem Baum stehe oder sitze, das ist ein tolles Gefühl. Dass es nicht alles weg ist, sondern dieser Baum entfaltet sich damit.


Ulla Lessmann
Ulla Lessmann
Foto: www.nrw-autoren-im-netz.de




Online-Flyer Nr. 39  vom 12.04.2006

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