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Krieg und Frieden
„Ein Schneeball rollt vom Hindukusch über Deutschland in die Welt“ – Folge 1
Anschlag auf einen Bus – Ich hab's überlebt
Von Daniel Süßner

In NRhZ 228 berichteten wir unter dem Titel - Der Auftrag ist nicht zu Ende“ über ein Buch der Bundeswehrärztin Heike Groos, das sie über ihren Alptraum als Notfallmedizinerin im Afghanistan-Einsatz geschrieben hat, und über ihren Plan jetzt Material für ein zweites Buch zu sammeln. Mit diesem will sie denen eine Stimme geben, „auf die man endlich zu hören beginnt – aber noch nicht genug“. Ihr durch die NRhZ verbreiteter Wunsch an andere SoldatInnen, „dass wir unser Erleben in einer Art Schneeballsystem weitergeben“ scheint in Erfüllung zu gehen. Jetzt erreichte sie und die NRhZ der Bericht von Daniel Süßner, 25 Jahre, FJgStuffz in der Feldjäger- Einsatzkompanie ISAF vom 29.04.03 bis 31.08.03, dort zuständig für die Luftsicherheit und Fluggastabfertigung am Kabul International Airport. Hier können Sie ihn lesen. – Die Redaktion.
Der nächste Morgen, 07.Juni 2003, war ein schöner Morgen wie immer. Wir gingen zusammen zum Frühstücken frühmorgens um 5 Uhr. Mit Sonnenbrille und kurzen Ärmeln. Eigentlich schon fast schön. Beim Frühstücken trafen wir dann wie immer die Flugplaner, einen Hauptmann und einen Oberfeldwebel. Man sprach über den kommenden Tag und was uns am KIA (Kabul International Airport, die Bezeichnung wurde später geändert in KAIA, wegen der Gleichheit mit der Abkürzung von „Killed in Action“) so erwarten wird. Anschließend machten wir einen Treffpunkt aus, um zusammen mit den Bussen und den Abfliegern zum KIA verlegen.
 
Wir trafen uns wie vereinbart und alles schien ok. Dann bremste der Bus plötzlich vor dem Stabsgebäude der KMNB (Kabul MultiNationale Brigade). Der Oberfeldwebel hatte was vergessen und musste zurück. Ich hielt mit meinem Wolf neben ihm und mein Oberfeldwebel rief ihm zu, dass wir gleich mal los fahren. Wir machten Späße, sprachen schon einmal davon, Kaffee zu kochen usw. Wir verabschiedeten uns von den Busfahrern und fuhren los. Wir wollten die Röntgenmaschinen anwerfen, die Zelte öffnen usw. Eben einfach alles vorbereiten, damit dann alles schnell vonstatten geht, wenn die Abflieger am KIA sind.
 
Wir verließen das Camp und fuhren in Richtung KIA. Für uns war alles wie immer. Wir erreichten den Flughafen und fühlten uns sicher. Wir hatten gerade das Fahrzeug abgestellt und wollten aussteigen, als es plötzlich eine ohrenbetäubende Explosion gab. Wir erschraken, dachten jedoch, dass der EOD (Kampfmittelräumer) wieder einmal alte Munition vernichtet hätte. Wir erreichten Sekunden später den Container und begannen seelenruhig mit den Vorbereitungen.

Auf einmal gab es erste Gerüchte. Der Bus - er war noch nicht da. Dabei sollte er längst hier sein. Angeblich sei der Bus auf der Route Violett auf eine Mine gefahren. Auf der Strecke, die wir gerade erst gefahren waren? Das schien unmöglich zu sein. Dann klingelte das Telefon. Der Chef - der Bus sei einem Anschlag zum Opfer gefallen. Genauere Angaben gebe es noch nicht. Wir bekamen den Befehl, am KIA zu bleiben und erst am Abend zurück zum Camp zu verlegen. Wir gingen ins Abfluggebäude. Dort waren TVs aufgebaut. Wir sahen auf CNN die ersten Bilder des Unfalls. Über uns kreisten die CHs (Hubschrauber Sikorksy CH 53) und flogen die Verletzten ins Camp Warehouse. Plötzlich landeten die Hubschrauber auf dem KIA. Das Camp war voll mit Verletzten. Es gebe keinen Platz mehr. Die restlichen leicht Verletzten mussten im Camp von den Franzosen und den Belgiern versorgt werden. Es kamen immer mehr Fahrzeuge an den KIA. Wir sperrten alle Straßen ab und sorgten für freie Fahrt für die Rettungsfahrzeuge. Alles lief ab wie im Film.

Plötzlich gegen Abend wurde es dann ruhig. Sehr ruhig. Das Schlimmste war geschafft. Nun mussten wir zurück ins Camp. Wir machten uns startklar. Die Waffen wurden fertig geladen, die Westen festgezogen und dann ging’s los. Einmal zum Camp - nur ein paar Kilometer. Doch heute war es sehr weit. Wir kamen am Anschlagsort vorbei. Alles war bereits wieder „sauber“. Nur ein paar Splitter und die Spuren auf der Straße sowie im Acker waren deutlich zu sehen. Niemand hätte es gewagt, anzuhalten. Auch wir nicht. Vollgas ging es zum Camp. Zu groß war die Angst vor weiteren Anschlägen. Wir erreichten das Camp. Die Sicherheitsvorkehrungen waren drastisch erhöht waren. Es wurde die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen, die es gab. Alles war auf den Beinen. Zumindest am Gate. Im Camp war Ruhe. Eine beängstigende Ruhe. Wir fuhren ins „Wohnzimmer“, so hieß der Betreuungsbereich der Feldjäger im Camp. Alle saßen da. Waren still und betrübt. Kaum einer sprach ein Wort. Nur der Spieß begrüßte uns und sagte, dass er sich freue dass wir heil hier waren.
 
Wir erfuhren nun das ganze Ausmaß des Anschlags. Beim Essen versuchten wir unsere Freunde zu finden. Den Flugplaner. Die Busfahrer usw. Keiner war da.

Am nächsten Morgen ging es früher als sonst an den KIA. Wieder einmal Vollgas über Kabuls Straßen. Am KIA kamen dann gleich am Morgen die MedEvac Maschinen aus Termez. Sie landeten, und schon kamen die ersten Rettungswagen mit den Schwerstverletzten. Wir bekamen nur gesagt, dass zuerst die Schwerstverletzten und dann die leichter Verletzten in die Maschine kommen. Dann kam der erste Bus mit den Verletzten. Sie sahen übel zugerichtet aus. Keiner sagte ein Wort. Wir waren nur am arbeiten. Eben einfach nur funktionieren. Keiner wusste nun, wie die Kameraden flugmäßig vorbereitet werden mussten. Denn manche Kameraden hatten keinen Pass mehr. Oder keinen Truppenausweis mehr. Und die mussten wir eigentlich einsammeln, damit der Zoll in Usbekistan weiß, wer wo wann ins Land kommt. Alles war ein bisschen skurril. Wir hatten dann die Kameraden ohne Pässe einfach so in die Maschinen geschickt. Was blieb uns übrig? Wir hatten keine andere Wahl. Schließlich mussten die Kameraden raus. Raus aus diesem Land. Zurück in die Heimat.
 
Die Flieger hoben ab. Einer nach dem anderen. Dann begann das Warten. Denn die leicht Verletzten wollten auch weg. Aber die Maschine kam noch nicht. Wir gingen in den Container und warteten. Da waren sie alle. Die Freunde und die guten Kameraden, mit denen wir wochenlang zusammen gearbeitet hatten. Mit denen wir Spaß hatten, gegrillt, gefeiert, getrunken usw. Keiner sagte ein Wort. Alle hatten sich verändert und waren nicht mehr wieder zu erkennen. Martin, der Fahrer des ersten Busses, erzählte von dem, was er erlebt hatte. Er schien es verhältnismäßig gut verkraftet zu haben. Aber der Schein sollte trügen, wie man später erfuhr.
 
Dann kam die letzte Maschine. Die Maschine für alle Verletzten und für die Rettungskräfte, welche den Einsatz am Anschlagsort nicht verkraftet hatten. Martin und die Flugplaner blieben noch. Ein paar Tage. Aber es war nicht das gleiche. Das Verhältnis war zerstört. Die Menschen waren zerstört. Die anschließenden Tage waren die Hölle. Keiner lachte mehr im Camp. Es gab keine Musik mehr und kein Lachen. Alle waren einfach nur erschüttert und betroffen.
 
Dann kam der Tag an dem auch die letzten Verletzten, die letzten Freunde ausflogen. Dann waren sie weg. Und es wurde versucht, wieder zum Alltag zurück zu kehren. Was sehr schwer war im Angesicht des Erlebten. Und im Angesicht der letzten Spuren im Camp. Dem verhüllten Bus, den wir noch leer räumen mussten, die blutigen Klamotten, welche verbrannt wurden mussten usw.
 
Und plötzlich kamen Transportpanzer. Der Transport zum KIA war ab sofort nur noch in den gepanzerten Fahrzeugen erlaubt. Unsere leichten ungepanzerten Fahrzeuge wurden mit Eisenplatten ausgekleidet. So hatten wir dann zumindest einen mittleren Minenschutz. Der sollte das Gröbste abhalten. Beruhigt hatte das keinen. Im Gegenteil. Die Fahrt zum KIA wurde jedes Mal zur reinsten Kamikazefahrt. Einmal Vollgas und nur im äußersten Notfall bremsen. Die Hupe wurde mein liebstes und wichtigstes Fahrzeugteil. Den Satz „Winken & Lachen/ Smile & Wafe“ hatten alle vergessen. Wem sollten wir hier noch winken? Das letzte bisschen Vertrauen in dieses Land war weg. Und es kehrte nie zurück.
 
Wir flogen am 31.08.2003 aus. Wir hatten es geschafft. Wir haben es überlebt. Nur welchen Preis wir dafür bezahlt hatten - das schien keinen zu interessieren. Keiner kam und fragte nach dem Erlebten oder bot Hilfe an. Keiner. Außer denjenigen, welche es aus Sensationsgier wissen wollten. Die es jedoch nicht verstanden hatten - gar nicht verstehen konnten. Keiner, der das nicht erleben musste kann es im Nachhinein verstehen. Und soll auch froh sein, dass er es nicht muss.
 
Wir waren Soldaten und das war unser Job. Selbstverständlich, was wir erleben mussten. Zumindest in den Augen der Bundeswehr. Ich hab´s überlebt und bin heilfroh und dankbar dafür.
 
Die NRhZ wird nach diesem Beitrag von Daniel Süßner auch weitere Berichte, die Heike Groos für ihr unter dem Motto „Ein Schneeball rollt vom Hindukusch über Deutschland in die Welt - Ich bin nicht allein“ geplantes Buch zugesandt werden, veröffentlichen. Am 18. Dezember, erhielt sie einen Anruf des Fischer-Verlages: „Wir werden dieses Buch drucken." Das Honorar dafür will sie als Herausgeberin dem Verein www.traumalos.de spenden. Roger Willemsen (unter anderem Autor des Buches "Afghanische Reise") hat ihrem Buchprojekt seine Unterstützung zugesagt. (PK)

Kontakt: Heike.Groos@gmx.com
und http://heikegroos.wordpress.com/kontakt/ 

 
 

Online-Flyer Nr. 233  vom 20.01.2010

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