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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Mord aus Islamophobie – das Urteil ist gesprochen
Doch der Hass bleibt
Von Dr. Maryam Dagmar Schatz

Am vergangenen Mittwoch wurde das Urteil im Mordfall Marwa el-Sherbiny gesprochen: über Alex W. wurde eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Somit hat er keine Chance auf Entlassung, bevor er nicht 25 Jahre abgesessen hat. Es ist zu hören, die ägyptische Öffentlichkeit sei zufrieden, genau wie der ägyptische Botschafter. Andere ägyptische, arabische, muslimische Stimmen klingen genauso – mit wenigen Ausnahmen.

Erinnern an Marwa el-Sherbiny
NRhZ-Archiv
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime zeigt sich ebenfalls zufrieden und sieht sein Vertrauen in die deutsche Justiz gerechtfertigt. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist besonders zufrieden, dass die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde. Die Familie des Opfers wird eine Klage auf Schadenersatz einreichen, der sicherlich stattgegeben wird.

„Dhimmis“
Somit alles ok? Sicherlich nicht, denn ein wesentliches Problem bleibt ungelöst: der Hass bleibt und wird befeuert durch „Islamkritik“, jene unselige Chiffre für ein Konglomerat von Hass, Rassismus und Mythen, die sich nicht nur auf den islamophoben Blogs finden, die für Marginalisierte ein Mittel sind, ihren Hass ins Netz zu speien: taten sie es früher im Schatten ihrer entlarvenden Nicks, so wagen sie sich heute in die Öffentlichkeit: sei es, indem sie ihre Hassmails mit vollem Namen und Adresse verschicken, sei es, indem sie sogenannte „Dhimmis“ drangsalieren. Dieses Wort wurde mittlerweile von seiner originären Bedeutung (Christ oder Jude im islamischen Staat)abgekoppelt. Heute wird unter Dhimmi derjenige verstanden, der den Westen und seine Werte an Islam und Muslime verrät.

Eines der ersten Opfer der islamophoben Attacken war der deutsche Juraprofessor Mathias Rohe, der sich auf Rechtsvergleichung zwischen Europäischem Recht und Scharia-Recht spezialisiert hat. In der schlimmsten Mail(1), die er bekam, liest man:

„Sie schmieriger Dhimmi, Sie sind also auch einer von jenen verbrecherischen Hochverrätern, die Deutschland an den faschistoiden, totalitären und zutiefst imperialistischen Islam verraten und verkaufen wollen.“ Der anonyme Schreiber fährt fort: „Ich werde mich unglaublich bereichert fühlen, wenn Ihresgleichen, am Halse aufgehangen, am Baukran baumelt. Und wenn Ihnen dann die Visage blau anläuft, die Zunge aus dem Maul hängt, Ihr Schließmuskel versagt und Sie ein letztes Mal unter sich machen, dann, ja dann, werde ich bereichert sein. Ein Einheimischer.“


Foto fürs Internet - Islamophobe Pi-Ortsgruppe in Erlangen
Quelle: RChandler/Pi

Gegenwärtig belästigen die „Ortsgruppen (!!!) des berüchtigten Weblogs “Politicallyincorrect”, PI, Dr. Sabine Schiffer, eine Medienwissenschaftlerin, anerkannte Expertin auf dem Gebiet Antisemitismus und Islamophobie und Mitglied der vom Innenministerium durchgeführten Deutschen Islamkonferenz. So „besuchen“ sie ihre Vorträge, um sich dort Gehör zu verschaffen: In der Höhle des Löwen(2). (Man vergleiche die auf Youtube eingestellte Aufzeichnung der Veranstaltung mit den Behauptungen auf pi-news.net. Solche Blogs dienen als “Sentinels” für etablierte Medien, und so posten dort auch Journalisten, sogar Rechtsanwälte und mittelständische Unternehmer.


Pi-Ortsgruppe München vor den Büroräumen des IMV   
Quelle: RChandler/Pi

Bislang ist es ihnen nicht gelungen, ihr Ziel zu erreichen, Schiffer zu „zerlegen“, doch sie posteten bereits eine Menge Schmähkritik und  Verleumdungen – und kaum verhüllte Aufforderungen, Schiffer zu „besuchen“(3), mit Gruppenfoto vor dem Haus, in dem das Institut für Medienverantwortung seine Räume hat. In diesen Gruppen findet man nicht nur Marginalisierte auf der Suche nach Sündenböcken, die dereinst von der Frankfurter Rundschau als „Internetbewohner mit zuviel Tagesfreizeit“ apostrophiert wurden, sondern auch den noch saturierten, aber dennoch abstiegsbedrohten Mittelstand – running wild. Ihre Anführer haben mehrheitlich ein evangelikales Profil: Pfarrerin, der frühere Pressesprecher einer lokalen Parteigliederung, gescheiterte Sportlehrer und mittelständische Unternehmer. PI ist lediglich das „Flaggschiff“ einer ganzen Reihe solcher Blogs, das aktivste und somit auch – durch die größere Aufmerksamkeit, seine Kampagnen und die jetzt entstanden „Ortsgruppen“  – das Prestigeträchtigste.

Europäisches Netzwerk
Indem sie einem amerikanischen Jihadwatcher(4) bei einer neuerlichen Europatournee(5) unter die Arme greifen, fühlen sie sich als Teil eines großen Ganzen, eines Netzwerks aus Rechtsextremisten aller Herren Länder, von Geert Wilders über den rechten Rand Israels(6), vom Vlaams Belang mit seinen Holocaustleugnern bis hin zu jenen Strömungen in der Republikanischen Partei der USA, zu deren Nutzen und Frommen im letzten Präsidentschaftswahlkampf 28 Millionen DVDs(7) in die Haushalte verteilt wurden. Der antiislamische Hetzfilm “Obsession“ diente als Vorlage für Geert Wilders Hetzfilm “Fitna“, worüber Sabine Schiffers und Constantin Wagners Buch “Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich“ informiert. Genau diese Akteure laufen noch immer und zurzeit wieder vermehrt(8) gegen Obama Sturm(9). 

"Kosten der Migration“

Als Teil eines großen Ganzen betrachten sie sich auch, wenn sie Anregungen aus andern Ländern aufnehmen und umsetzen. Eine zur Zeit laufende 15-teilige Serie über die "Kosten der Migration“(10) hat als Vorbild das in Belgien mit einer Riesenauflage an den Start gegangene Buch des Vorsitzenden und Namensgebers der Vlaams-Belang-Softversion, der Lijst Dedecker, das in Belgien besonders von den Medien der konservativen Corelio-Gruppe gepusht(11) wird. Die Lijst Dedecker, der es gelang, bei den letzten Europa- und Kommunalwahlen dem VB ein Drittel seiner Stimmen wegzunehmen, ist übrigens ein Beispiel für den zur Zeit in ganz Europa zu beobachtenden Versuch der extremen Rechten, sich mainstreamkompatibel zu machen. In den Niederlanden steht hierfür die Partei von Rita Verdonk, „Trots op Nederland“, in Deutschland wird noch gebastelt. Im Europäischen Rahmen übernimmt Nick Griffin von der BNP, geadelt durch seinen Sitz im Europäischen Parlament, den Versuch, die Parteien nach dem Desaster von 2007, als die damalige Fraktion wegen anti-rumänischer, rassistischer Ausfälle von Alexandra Mussolini auseinander fiel, wieder zu einer Fraktion zu einen.(12) 

Zwischen den rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen und den islamophoben Blogs gibt es erhebliche inhaltliche und personelle Schnittmengen – die Bindung der Konsumenten wird durch die Aufforderung zu eMail-Kampagnen und zum Kommentieren auf den Seiten etablierter Medien sowie die jetzt gebildeten „Ortsgruppen“ erreicht. Kampagnen stehen deutlich in einem europäischen Zusammenhang, wie nicht nur die Anti-Moschee-Bau-Kampagnen, sondern auch die folgende zeigen. Man sieht eine Liste von Beiträgen:


Screenshot: Maryam Dagmar Schatz

Diese Liste enthält Bilder, die die dazu aufgeforderten Leser und Leserinnen für eine Kampagne namens “Burka-Alarm” animieren, die ebenfalls europäisch orchestriert ist.(13) Natürlich wurden die Abgebildeten nicht gefragt.

Soweit wie bislang beschrieben, ließe sich das Problem ja in den Griff bekommen, wären da nicht die Mainstream-Medien. Wie oben erwähnt wurde, kann man die Blogs als Wächter, amerikanisch „sentinels“, für das bezeichnen, was die Öffentlichkeit akzeptiert. So schlichen sich Begriffe wie „Eurabia“, „Dhimmi“ und „Burka“ in die Mitte der Gesellschaft. Doch diese Mainstream-Medien veranstalten ihren eigenen Spin, was an zwei Beiträgen gezeigt werden soll:

SPIEGEL-Fundstück
Erstens: Das – noch – renommierte deutsche Magazin “Der Spiegel“ hypte – als „Fundstück“ mutmaßlich des LKA Sachsens den Mordaufruf eines Scheichs. So, wie sich der Beitrag liest, musste es sich um eine religiöse Autorität handeln, dessen Befehl unbedingt Folge zu leisten ist. Hauptsächlich auf diesen Mordaufruf hin wurden im Dresdner Landgericht eine 50.000 Euro teure Panzerglasscheibe eingebaut und intensive Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt. Sämtliche Medien berichten stringent über den ägyptischen und allgemein muslimischen Rachedurst. Der deutsch-ägyptische Journalist Karim al-Gawhary recherchierte etwas genauer und kam zum Schluss, die ganze Fama sei wesentlich gegründet auf den „Mordaufruf eines Wirrkopfes“(14) – „Das Panzerglas beim Marwa-Prozess ist ihm zu verdanken: Im Internet rief ein ägyptischer Prediger zum Rachemord auf. In Ägypten nimmt den Wirrkopf niemand ernst.“ – Die Basis für die Recherche wurde übrigens von Dr. Sabine Schiffer gelegt.(15)


BR-Sonntagsstammtisch mit Helmut Markwort, (3.v.r.)
Quelle: Pi

Das zweite Beispiel: in einer Fernsehsendung des Bayrischen Rundfunks hielt, motiviert durch die Ereignisse von Fort Hood, Helmut Markwort, der Chefredakteur des zweiten bekannten – konservativen – Nachrichtenmagazins “focus”, es für nötig, zu thematisieren, ob man nicht in einer Liste die Religionszugehörigkeit der muslimischen Soldaten, besonders der Offiziere, erfassen könne. –PI(16) war entzückt, klar, und bettete das Video ein(17), das bei youtube mit der Frage steht, ob denn Muslime den Einsatz gegen ihre „Glaubensbrüder“ ablehnen dürften. Ein schönes Stück „agenda setting“, fürwahr: „Muslime“ sind keine Kriegspartei und der Verfasserin dieser Zeilen, Berufsoffizier seit 21 Jahren, sind die von Markwort angesprochenen und von unserer Justizministerin nur unzureichend parierten Überlegungen vollkommen fremd und noch nie begegnet, im Gegenteil: Begegnet sind mir stattdessen „Glaubensbrüder“ und -schwestern, die loyal und engagiert ihren Dienst tun, ca. 2000 an der Zahl. Dasselbe gilt sinngemäß im Übrigen auch für hunderttausende Muslime in den US-Streitkräften. Offenbar macht ein amoklaufender muslimischer Stabsoffizier das jetzt alles zunichte!

Logik
Nun, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sterben jede Woche zwei Säuglinge und Kleinkinder an Misshandlung und Vernachlässigung. Mit der hier gezeigten Logik könne ich jede deutsche und französische Frau qua Geschlecht und Nationalität unter Verdacht stellen – denn deutsche und französische Frauen, die den Tod ihrer Kinder verschuldet haben, gibt es zahlenmäßig wesentlich mehr, als amoklaufende Muslime und Musliminnen. Übrigens: gestützt auf diese Zahlen gibt es das auch schon bei Sabine Schiffer zitierte Vorurteil in der orientalischen Welt, dass Deutsche dazu neigen, ihre Kinder umzubringen...

Wieso erinnert mich ein solcher Vorschlag so fatal an die „Judenzählung“ von 1916?(18) Gleichzusetzen sicher nicht, denn im Gegensatz zur kaiserlichen Armee ist für die Bundeswehr interkulturelle Kompetenz eine Schlüsselqualifikation und eine solch diskriminierende Maßnahme käme nicht einmal in die Nähe der Diskussionswürdigkeit, was ein Herr Markwort auch weiß, der seine Argumentation darauf aufbaut „mit einem Bundeswehrangehörigen gesprochen zu haben“ – der offizielle Ansprechpartner wäre der Presse- und Informationsstab(19) gewesen. Vergleichbar ist es jedoch: die vierte Gewalt war schon 1916 wesentlicher Träger des Ausgrenzungsdiskurses und ist es heute wieder.

Unheilige Medienallianz
Somit existiert mittlerweile eine unheilige Allianz zwischen den Medien, bestimmten Segmenten des Internets und bestimmten Diskursen, was auch auf Europa-Ebene längst thematisiert wurde. Ein Beitrag der BBC fasst das fragwürdige Wirken zusammen.(20)

Im Falle des islamophoben Medienspins haben solche gebündelten Diskurse die Funktion, einen inneren Feind zu markieren und auszuschalten; sie haben weiter die Funktion, die Bereitschaft zu erhöhen, gegen einen äußeren Feind zu Felde zu ziehen – den Terror, den Iran...

Sie haben weiter die Funktion von Ablenkung von den eigentlichen Interessen – wer einen Sündenbock jagt, hat weder Zeit noch Kraft, sich für die ureigenen Interessen einzusetzen. Wer einen Sündenbock jagt, stalkt zum Beispiel WissenschaftlerInnen. Und ist eines Tages bereit, die nächste Marwa umzubringen. Oder einen Marwan. Wer weiß...

Es ist also dringend an der Zeit, dem Einhalt zu gebieten. (PK)

 
Aus disziplinarrechtlichen Gründen muss ich darauf hinweisen, dass ich hier ausschließlich meine Privatmeinung vertrete.

Dr. med. Dagmar Schatz ist gebürtige Kölnerin, seit 21 Jahren Muslimin - islamischer Name "Maryam" - und seit 20 Jahren Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr, jetzt mit Dienstgrad Oberfeldarzt. Im Internet hat sie unter ihrem nom de plume "bigberta", einige Bekanntheit erlangt, schreibt aber jetzt nur noch unter ihrem "Klarnamen".

Anmerkungen: (1)http://www.welt.de/politik/article1096448/Morddrohungen_wegen_Dialogs_mit_den_Muslimen.html?query=Morddrohung%20Dialog%20Muslime
(2) http://www.pi-news.net/2009/10/in-der-hoehle-des-loewen/
(3) http://www.pi-news.net/2009/11/mina-ahadi-in-erlangen-koran-ist-ein-horrorbuch,
(4) http://www.jihadwatch.org/2009/10/spencer-interview-at-berlin-human-rights-rally-october-2009.html
(5) http://atlasshrugs2000.typepad.com/atlas_shrugs/counter_jihad_brussels_2007/
(6) http://www.duckhome.de/tb/archives/4562-Neues-vom-Obsession-Team-Standing-Ovations-fuer-Geert-Wilders-in-Israel.html
(7) http://www.duckhome.de/tb/archives/3591-Obsession-Ablenkung-vom-Bailout-und-Wahlkampf-fuer-McCain-durch-einen-neuen-Anti-Islam-Spin.html
(8) http://www.searchlightmagazine.com/index.php?link=template&story=295
(9) http://www.thenation.com/slideshow/20091005/slideshow_rightwing
(10) http://www.pi-news.net/2009/11/essay-was-die-islamische-migration-europa-kostet/
(11) http://www.standaard.be/artikel/detail.aspx?artikelId=dmf10022006_039
(12) http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/8356284.stm
(13) http://www.stedentegenislamisering.be/De/
(14) http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/mordaufruf-eines-wirrkopfes/
(15) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14442
(16) http://www.pi-news.net/2009/11/krieg-gegen-den-islam/
(17) http://www.youtube.com/watch?v=YJ8EKCZaS1w
(18) http://de.wikipedia.org/wiki/Judenz%C3%A4hlung
(19) http://tinyurl.com/yh6jteu
(20) http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/8320492.stm 

Online-Flyer Nr. 224  vom 18.11.2009

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