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Glossen
Pfauen, Stinktiere, Krokodile, Hyänen...
Die Wiedergeburt habgieriger Manager
Von Wolfgang Bittner

Da ich im vergangenen Jahr nach dem Genuss von Obst und Gemüse mehrfach unter leichten Vergiftungserscheinungen litt, habe ich mich auf Anraten meines Arztes einem Laden für Bioprodukte zugewandt.

Der Besitzer, ein durchaus gebildeter Mann, ist Anhänger der Reinkarnationstheorie, die für ihn in letzter Zeit zugleich zu einer Kompensationstheorie geworden ist. Jeder Mensch wird wiedergeboren, so behauptet er, und diese Wiedergeburt sorge in einem übergeordneten kosmischen Sinne für Gerechtigkeit.
 
Zum Beispiel würden Reeder, die ihr Geschäft mit schrottreifen Tankern bestreiten, als ölfressende Bakterien wiedergeboren, um ihre Sünden abzuarbeiten; Ärzte, die qualvolle Tierversuche machen, kämen als Laborratten wieder zur Welt, habgierige Vermieter als Nacktschnecken und Bauern, die ihre Kühe mit geraspelten Schafsleichen fütterten, als Mistkäfer. Aus Pornoproduzenten würden Filzläuse, aus Spionen Küchenschaben, betrügerische Zahnärzte kehrten als faule Zähne oder Parodontose zurück. Das alles hört sich recht plausibel an, finde ich.
 
Für unfähige oder korrupte Politiker hält mein Bioladenbesitzer eine besonders reichhaltige Auswahl von Wiedergeburtsoptionen bereit, die mir ebenfalls einleuchten: Pfauen, Stinktiere, Krokodile, Haifische, Platzhirsche, Gockel, Faultiere, Krähen, Aasgeier, Hyänen und so weiter. Wer hätte da nicht sofort Gesichter vor Augen! Auch Börsenanalysten und Banker genießen nicht gerade sein Wohlwollen. Er ist der festen Überzeugung, dass sie sich als Blindschleichen und Blutegel reinkarnieren, Daytrader als Eintagsfliegen.
 
Mein Bioladenbesitzer ist nicht nur ein rechtschaffener Mensch mit philosophischen Ambitionen, sondern auch ein politischer Kopf. "Stellen Sie sich vor", sagt er, "meine Altersversorgung durch Sozialversicherung und Aktienfonds, die mir staatlicherseits und von meiner Bank wärmstens empfohlen wurden, hat sich innerhalb weniger Jahre auf etwa die Hälfte reduziert. Nicht dass Sie denken, ich sei rachsüchtig, das liegt mir fern. Aber ich bin der Meinung, dass keine Handlung ohne Wirkung bleibt und jeder irgendwie für seine Handlungen und sogar seine Gedanken einzustehen hat."
 
Wenn mein Bioladenbesitzer mir so seine ethisch-religiösen Vorstellungen nahe bringt, wird er mir von Mal zu Mal sympathischer. Ich bewundere geradezu seine Kreativität, die ihn zu immer neuen produktiven Überlegungen führt. "Wenn unfähige Manager", so sagt er, "schon nicht bestraft, sondern mit Millionenabfindungen belohnt werden, opportunistische und sogar korrupte Politiker satte Pensionen kassieren, warum sollten sie nicht zum Ausgleich dafür in einem, womöglich mehreren weiteren Leben für ihre Verfehlungen sühnen müssen?"
 
Solche Gedanken waren mir zwar zunächst fremd, je mehr ich mich jedoch darauf einlasse, desto sinnvoller erscheinen sie mir. Auch ich habe mich in letzter Zeit immer wieder über die vielen Skandale und Ungerechtigkeiten aufgeregt, die zunehmend durch Egoismus und Habgier verursacht werden. Und ich muss gestehen, dass mich die Aussicht, es könnte für diese individuellen menschlichen Fehlleistungen einen Ausgleich geben, versöhnlich stimmt. Eigentlich könnte die Reinkarnations- und Kompensationstheorie gänzlich neue Perspektiven für unser künftiges gesellschaftliches Leben eröffnen. Allerdings gibt es auch Vorbehalte, stünde doch zu befürchten, dass die Menschheit allmählich ausstirbt.
 
Anmerkung: Diese Glosse erhielt der Autor von der Feuilletonredaktion einer großen Tageszeitung mit dem ernst gemeinten Bemerken zurück, die darin vertretene Theorie sei zwar interessant, aber man wolle nicht zu ihrer Verbreitung beitragen, zumal sie an den "tatsächlichen Gegebenheiten" wohl vorbeigehe.



Online-Flyer Nr. 38  vom 04.04.2006

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