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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Kritische Aktionäre gegen Entlastung des DaimlerChrysler-Vorstands
Rüstungsgigant EADS wird noch größer
Von Hans Georg

Der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS, an dem Daimler-Chrysler zu einem Drittel beteiligt ist, steht kurz vor der Übernahme großer Teile seines französischen Konkurrenten Thales. Der DaimlerChrysler AG steht wegen seiner Rüstungsgeschäfte eine schwierige Hauptversammlung bevor.

Wie es in der deutschen Presse heißt, sind die Pläne in der vergangenen Woche zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Chirac in Berlin abgestimmt worden. Den Berichten zufolge wird die Thales-Übernahme zudem mit einer Zerschlagung des französischen Prestigeunternehmens einhergehen. Das Vorhaben, dessen baldige Realisierung deutsche Regierungskreise ankündigen, schwächt die französische Position in der europäischen Rüstungsindustrie und erlaubt es Deutschland, seine Stellung auf dem weltweiten Markt für Kriegsgüter weiter zu stärken.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Kreise der deutschen Rüstungswirtschaft hatten bereits Anfang des Jahres gegenüber german-foreign-policy.com erklärt, Thales habe "erhebliche deutsche Standbeine" und könne "kaum noch als französischer Konzern bezeichnet werden". Jetzt werden Rufe laut, Frankreich müsse sich auch von seinen EADS-Anteilen trennen.
 
Entscheidende Bedeutung

Am Rüstungskonzern Thales hält der französische Staat 31,3 Prozent der Anteile, weitere Aktienpakete liegen bei Dassault und Alcatel. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr gut verdient und selbst Zukäufe angekündigt. [1] Es spielt eine Hauptrolle beim Versuch der Pariser Regierung, die nationale Rüstungsindustrie zu bündeln. Erst vor drei Monaten hat sich Thales mit 25 Prozent an der staatlichen französischen Marinewerft DCN beteiligt, die unter anderem die Flugzeugträger des Landes gebaut hat. Mit der Allianz will Frankreich - dem deutschen Beispiel folgend - seine Kräfte im Marine-Bereich bündeln. Ende letzten Jahres hatte starker politischer Druck aus Berlin den Versuch des französischen Rüstungskonzerns vereitelt, den Bremer Marineausrüster Atlas Elektronik zu übernehmen, der stattdessen an ein deutsches Konsortium von EADS und Thyssen-Krupp ging. [2] Aktuell treibt die französische Regierung auch die Übernahme der Satellitensparte des Telekommunikations-Ausrüsters Alcatel durch Thales voran, da Alcatel mit Lucent Technologies aus den USA über eine Fusion verhandelt und dem Satellitenbereich entscheidende Bedeutung für die französische Verteidigungsindustrie zugeschrieben wird. [3]
 
Feuerkraft

Das Konglomerat von EADS und Thales würde mit rund 45 Milliarden Euro Umsatz zu einem der größten Rüstungslieferanten der Welt. Zwischen den beiden Konzernen gibt es bereits viele Kooperationsprojekte - vom Navigationssystem Galileo bis hin zur Rüstungselektronik. EADS verzeichnete im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn: Der Gewinn vor Steuern lag mit 2,85 Milliarden Euro um 17 Prozent höher als im Jahr 2004; unter dem Strich blieb ein Reingewinn von 1,7 Milliarden Euro - eine Steigerung um 39 Prozent. Mit weltweit 113.210 Mitarbeitern setzte EADS im abgelaufenen Jahr 34,2 Milliarden Euro um, acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die auf 5,5 Milliarden Euro angeschwollenen liquiden Mittel könne der Konzern für Übernahmen nutzen, hatte Thomas Enders, einer der beiden EADS-Chefs, in der deutschen Presse erklärt: "Wir könnten unsere Feuerkraft in Zukunft auch für einige Akquisitionen nutzen." [4] Im Gespräch ist derzeit die komplette Übernahme des Flugzeugherstellers Airbus, an dem EADS bereits 80 Prozent hält. EADS erwägt auch, dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems für 3,5 Milliarden Euro  seinen 20-prozentigen Anteil abzukaufen. [5]
 
Neue Märkte

EADS, dessen Rüstungsbereich nach den letzten Querelen um die Schlüsselpositionen mit Stefan Zoller von einem deutschen Manager geführt wird, will aber in erster Linie sein Militärgeschäft forcieren. [6] Erst vor kurzem wurde die Struktur der Rüstungssparte umgebaut, um sie profitabler zu machen und neue Märkte zu erschließen. [7] In den USA wirbt der deutsch-französische Konzern um seine Chance bei mehreren Rüstungsgeschäften und kooperiert dabei mit US-Unternehmen. Im April wird das US-Verteidigungsministerium voraussichtlich 322 Hubschrauber im Wert von rund 1,3 Milliarden Dollar ordern; EADS hat sich mit dem US-Hubschrauberspezialist Sikorsky verbündet und liegt gut im Rennen. Darüber hinaus verhandelt das Unternehmen (zusammen mit dem Elektronikspezialisten Raytheon) mit dem Pentagon über Transportmaschinen für 1,3 Milliarden Dollar und vor allem über einen Auftrag für Tankflugzeuge im Wert von 23 Milliarden Dollar; hierfür hat sich der Konzern mit Northrop Grumman verbündet. [8]
 
Perspektiven

Auch mit den weltpolitischen Rivalen der USA will der deutsch-französische Rüstungskonzern ins Militärgeschäft kommen. In Russland besitzt EADS seit Ende letzten Jahres ein Aktienpaket in Höhe von 10 Prozent am Kampfflugzeugbauer Irkut; mit Irkut wurde ein Joint Venture zum Umbau von Airbus-Passagiermaschinen in Frachtflugzeuge verabredet, das die Errichtung der ersten Produktionsstätte von EADS in Russland beinhalten soll. [9] Auch mit der Volksrepublik China verstärkt EADS die Kooperation, die perspektivisch auch Waffenlieferungen beinhalten soll: Das Rüstungskonsortium hat erklärt, man werde umgehend mit dem Verkauf von Militärtechnik an China beginnen, sobald das Waffenembargo gegen das Land aufgehoben ist. [10]
 
Fokus

Als neues Geschäftsfeld nimmt EADS den Markt für "Heimatschutz" ins Visier. "Wir werden einen starken Fokus auf den Markt der inneren Sicherheit richten", erklärt der neue Vorstand des Rüstungsbereichs Stefan Zoller. [11] Ein Beispiel ist der digitale Funk für die Sicherheitsapparate: EADS hat gerade einen Großauftrag aus Ungarn erhalten und baut dort ein abhör- und ausfallsicheres Digitalfunknetz auf, das die ungarischen Streitkräfte, die Staatspolizei, den Grenzschutz und andere Behörden miteinander verbindet. [12] Wie das deutsche Innenministerium am 29. März bekannt gegeben hat, ist ein Konsortium um EADS der letzte verbliebene Bewerber um den Aufbau des digitalen Polizeifunknetzes, das in den nächsten Jahren für mehrere Milliarden Euro flächendeckend eingerichtet werden soll. [13]
 
Erbe

Mit der Fusion von EADS und Thales steht eine neue Runde im Kampf um die Vorherrschaft über den europäischen Rüstungsgiganten bevor. Die deutsche Seite, die bei den letztjährigen Auseinandersetzungen bereits im wesentlichen ihre Interessen gegen die französischen Anteilseigner durchgesetzt hat, zeigt sich selbstbewusst: Zwar nenne EADS sich "europäisch", habe aber einen "starken deutschen Anteil", hieß es kürzlich aus Kreisen der deutschen Rüstungswirtschaft gegenüber german-foreign-policy.com. [14] Für das kommende Jahr wird eine gravierende Änderung des Aktionärskreises von EADS erwartet, die die französische Position weiter schwächen könnte: Der französische Medienkonzern Lagardère will seinen Anteil von derzeit 15 Prozent verringern. Der deutsche EADS-Co-Chef Thomas Enders hält die Beteiligung Frankreichs für überflüssig und möchte den Pariser Aktionärsstatus abschaffen: Die Anteile des französischen Staates seien "eher ein historisches Erbe", erklärte er. [15]

Daimlers Ethik-Desaster

Während die Bundesregierung diese Ausdehnung des Rüstungsgiganten EADS offenbar in jeder Hinsicht unterstützt, hat der 2005 durch sein Buch »Das Daimler-Desaster. Vom Vorzeigekonzern zum Sanierungsfall?« bekannt gewordene Freiburger Schriftsteller, Jürgen Schrempp-Biograph und Rüstungsgegner Jürgen Grässlin als kritischer Aktionär für die diesjährige Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG am 16. April beantragt, dass die Vorstandsmitglieder der AG nicht entlastet werden. Hier Auszüge aus seiner Begründung:


Die Verkäufe bei Mercedes-Fahrzeugen blieben im Geschäftsjahr 2005 in Deutschland weit hinter den Erwartungen zurück. Ein Grund dafür war die Tatsache, dass das Image des Unternehmens im vergangenen Jahr massiv eingebrochen ist. So fiel DaimlerChrysler in der Rangfolge deutscher Konzerne von Platz 4 auf Platz 54 zurück (Voten der Institute TNS Emnid und BIK Marplan-Intermedia im September und Oktober 2005). Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen vom Qualitäts-Desaster bis hin zum Ethik-Desaster - der unzureichenden ethischen und moralischen Verantwortung des Daimler-Vorstands.

Verstoß gegen Genfer Konvention

Trotz der wiederholten Aufforderungen der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC, Arndtstraße 31, 70197 Stuttgart, Tel. 0711-608396; www.kritischeaktionaere.de und www.juergengraesslin.com) hat der Vorstand auch im Geschäftsjahr 2005 versäumt, die Anteile am europäischen Rüstungsriesen European Aeronautic Defence and Space Company (EADS N.V.) abzustoßen oder die Umstellung auf eine rein zivile Fertigung (Rüstungskonversion) in die Wege zu leiten. Dabei ist Daimler/EADS neben der Produktion von Kampfbombern, Militärhubschraubern und Trägersystemen für Atomwaffen über Beteiligungen auch in die Produktion von Streubomben, Streumunition bzw. Streumunitionswerfern involviert.

Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp und sein Biograph Jürgen Grässlin
Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp und sein Biograph Jürgen Grässlin
Foto: NRhZ-Archiv



Diese Verwicklung konnte auf der internationalen Rüstungsmesse Eurosatory in Paris dokumentiert werden. Am Stand der MBDA, an der die EADS zu 37,5 Prozent beteiligt ist, wurde der Raketenwerfer Multiple Launch Rocket System (MLRS) samt Streumunition präsentiert. Derzeit wird der Raketenwerfer MLRS optimiert. Das neue, so genannte Guided MLRS-System, wird über eine gesteigerte Reichweite verfügen, soll zielgenauer treffen und über effizientere Munition verfügen. Zudem wurde auf der Eurosatory die zukünftige Massenproduktion von MLRS-Raketen angekündigt. Ein solches System kann mit einer Salve rund 8000 Bombletmunitionen auf einem Gebiet bis zu einem Quadratkilometer verteilen. Nach Ansicht der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler und des Aktionsbündnis landmine.de verstößt Streumunition gegen die Genfer Konvention, da diese wahllose Angriffe verbietet.

Auch über die 19-prozentige Beteiligung an der Diehl BGT Defence und die 50-prozentige Beteiligung an der TDA profitiert Daimler/EADS am Geschäft mit Streumunition. Diehl Bodensee-Gerätetechnik produziert den Raketenwerfer RM 70 inklusive Streumunitionsraketen für die slowakischen Streitkräfte. TDA bietet verschiedene Raketen mit Streumunition an, unter anderem für den Kampfhubschrauber Tiger.

»Verantwortung in der Gesellschaft«?

In ihren Geschäftsberichten preist die Daimler-Beteiligungsgesellschaft EADS ihre »Verantwortung in der Gesellschaft« (Corporate Social Responsibility, CSR) und behauptet: »Unsere Produkte und Dienstleistungen für Verteidigungszwecke erhöhen die Sicherheit vieler Nationen.« Tatsache ist, dass Streumunition das Leben vieler unschuldiger Menschen bedroht, vor allem das von Kindern, Frauen und alten Menschen in Krisen- und Kriegsgebieten. Denn beim Einsatz von Streumunition, wie beispielsweise auch im Kosovo geschehen, werden häufig Zivilisten getroffen.

Die Kritischen AktionärInnen fordern DaimlerChrysler auf, als größter Anteilseigner der EADS den sofortigen Stopp jeglicher Beteiligung an der Forschung, Entwicklung und Produktion von Streumunition und Streubomben bzw. deren Trägersystemen zu veranlassen. Auch das Aktionsbündnis landmine.de - dem u.a. die Organisationen Brot für die Welt, Christoffel-Blindenmission, Deutscher Caritasverband, Diakonie Katastrophenhilfe, EIRENE-International, Handicap International (Deutschland), Justicia et Pax, Kindernothilfe, medico international, Misereor, Oxfam Deutschland, Pax Christi, Solidardienst International e.V., terre des hommes und UNICEF-Deutschland angehören - fordert die EADS nachdrücklich zum Ausstieg aus der Produktion und dem Export von Streumunition auf (siehe www.landmine.de). Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, hat sich auch im Geschäftsjahr 2005 geweigert, DaimlerChrysler auf die Sponsorenliste zu setzen. Als erstes Land hat Belgien im Februar 2006 Streumunition verboten, was die Diskussion in Deutschland forcieren und Daimler/EADS als Streumunitionshersteller in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion führen wird.

Einstweilen keine Mercedes-Kundin

Derweil bekräftigte die Tagesthemen-Moderatorin Anne Will ihre Position: »Es muss verboten werden, dass Streubomben überhaupt hergestellt werden. Nur so kann man sicherstellen, dass sie nie wieder abgeworfen werden.« Laut Will müsse man sich »unbedingt einsetzen, dass sie verboten werden«. Die Tatort-Kommissarin Ulrike Folkerts verlangt vom Daimler-Konzern eine Abkehr von Streumunition: »Und solange er das macht, werde ich nicht bereit sein, einen Mercedes zu fahren geschweige denn einen zu kaufen.« Sie werde erst dann wieder Mercedes-Kundin, wenn der Konzern darlege, »wir hören auf mit der Produktion«. Erst dann sei sie bereit, »auch bei Mercedes wieder Kunde zu werden«.«

[1] Rüstungskonzern Thales hält Ausschau nach Zukäufen; Handelsblatt 10.03.2006
[2] s. dazu Größeres Selbstbewusstsein
[3] Frankreich drängt Alcatel zur Abgabe der Satellitensparte; Die Welt 29.03.2006
[4] Gewinn lässt EADS von Übernahmen träumen; Financial Times Deutschland 08.03.2006
[5] EADS will Airbus komplett haben; www.n24.de 09.03.2006
[6] s. dazu Angetan und Ausgleich
[7] EADS trimmt Rüstungsgeschäft auf Rendite; Financial Times Deutschland 07.02.2006
[8] Langsam zermürben; WirtschaftsWoche 5/2006. S. auch Umweg
[9] EADS will in Russland Flugzeuge umrüsten; www.aktuell.ru 17.03.2006. S. auch Aktivere Beteiligung
[10] s. auch Waffenbrüder und Großauftrag
[11] EADS baut auf innere Sicherheit; Handelsblatt 02.02.2006
[12] EADS erhält Großauftrag für Digitalfunknetz aus Ungarn; 03.02.2006
[13] Der Staat setzt beim digitalen Polizeifunk auf EADS, Handelsblatt 29.0.3.2006. S. auch Homeland Security
[14] s. dazu Größeres Selbstbewusstsein
[15] EADS bereitet sich auf neue Herren vor; Handelsblatt 08.03.2006
Weitere Informationen unter german-foreign-policy.com, www.kritischeaktionaere.dewww.juergengraesslin.com.



Online-Flyer Nr. 38  vom 04.04.2006

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