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Medien
Ganz im Sinne von Bundesbank, FAZ, Spiegel-TV und Wirtschaftskapital
Sarrazins gelungene Ablenkungsstrategie
Von Dr. Sabine Schiffer

Während sich die Mehrzahl der Gefragten und Ungefragten auf den migrationspolitischen Teil der Auswürfe Thilo Sarrazins stürzt und damit in das aufgestellte Fettnäpfchen einer Integrationsdebatte hereinfallen, darf sich die Bundesbank freuen. Die Republik diskutiert über mögliche Wahrheitsgehalte der rassistischen Äußerungen – wie in “hart aber fair“ ohne soziologisches Fachwissen – und verinnerlicht dabei die ausgemachten Schuldigen für alles, was schief läuft. Die zweite Runde der Wirtschaftskrise kann also kommen. Wir sind bereit, die Bundesbank befreit. Die kann so weiter machen, wie es bisher schon nicht funktionierte. Denn die meisten werden fortan auf die falsche Seite der Gesellschaft schielen und dort nach Verantwortlichen für die Misere suchen.

Thilo Sarrazin – ein gelungenes Ablenkungsmanöver?
Quelle: www.korhandyilmaz.jpg
 
Ein Sündenbock ist geboren und steht nun für viele Themen zur Ausschlachtung zur Verfügung: der Türke, der Muslim, das Kopftuchmädchen. Jedoch nicht der Gemüsehändler, dem man noch einen Minimalnutzen für die Gesellschaft abringen mag. Man will ja nicht unterstellen, dass es eine Rollenverteilung gab zwischen Sarrazin – dem bösen Bundesbanker – und Axel Weber – dem guten Bundesbankchef. Es gibt zwar tausend Beispiele in der Geschichte für derlei Verteilungen und inszenierte Bauernopfer, aber Sarrazin ist auch ohne dieses Konstrukt eine glaubwürdige Besetzung. Seine Ausfälle sind bekannt, zumeist beschmunzelt und oft einfach ignoriert.
 
Nun gibt es inzwischen journalistische Hinweise, dass an der Theorie eines abgekarteten Spiels etwas dran sein könnte. Wenn auch Volker Zastrow in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 18.10. nach dem Bekanntwerden der Abwicklung des Lettre-Interviews über die Bundesbank-Pressestelle eher den Hinweisen dafür nachgeht, dass es sich um einen internen Machtkampf zwischen Weber und Sarrazin handelt, so schließen die Fakten die andere Interpretationsmöglichkeit noch nicht aus. Im Gegenteil: Vielleicht klärt diese Spur sogar, warum Sarrazin nur vordergründig “abgestraft“ wurde. Auf jeden Fall ist Webers Verhalten erklärungsbedürftig – und das der Pressestelle auch.  
 

FAS-Redakteur Volker Zastrow
Quelle: www.faz.net
Spät genug, um das Agenda-Setting nicht mehr effektiv korrigieren zu können, deren Funktionieren man in der gleichen Ausgabe der Sonntags-FAZ wieder bewundern kann. Im Wirtschaftsteil schwadroniert man tatsächlich über „Gemüsetürken“. Das gewünschte Thema ist da und der Interpretationswagen aufs Gleis gesetzt. Denn es war zu erwarten, dass man sich freudig auf das stürzt, was „endlich einmal einer ausspricht“ und offensichtlich viele hören wollen. Unser Medienarchiv ist zwar voll von derlei „Endlich sagt es mal einer“-Beiträgen und demnach waren es viele, eigentlich die Mehrzahl. Medien sind ja grundsätzlich nicht auf die Darstellung des normalen Lebens spezialisiert. So ignoriert man schon lange die in großen Teilen erfolgreiche Integration und übersieht deshalb auch jetzt den Aspekt des Revierschutzes.
 
Spiegel-TV
 
Wir befinden uns ja in einer zweiten Welle der Integrationsabwehr, wo man mittels Kopftuchverboten gerade Konkurrentinnen in gehobenen Positionen ausgrenzt oder sogar in Nordrhein-Westphalen darüber diskutiert, ob Muslime vom öffentlichen Dienst ganz auszuschließen seien – also nicht mehr nur die Frauen mit Kopftuch, sondern nun auch die männlichen Konkurrenten. Hier geht es darum, die Gebildeten aus den Strukturen der bisher Privilegierten heraus zu halten. Und dafür kann man auf die ausgewählten Missstände in der markierten Community verweisen, wie es Spiegel-TV hervorragend inszeniert. Ein Sozialhilfeschmarotzer ist freilich auch in der türkischstämmigen Community schnell gefunden und mit entsprechendem Raum in der Sendung vertritt er dann DIE türkischen Nicht-Gemüsehändler. 
 

Axel Weber mit Finanzminister Hans Eichel
Quelle: www.bundesbank.de
Blicken wir aber noch einmal zum Hauptprofiteur der Debatte: der Bundesbank. Diese braucht weder ihr eigenes, noch das kapitalistische Wirtschaftssystem als Ganzes zu reformieren, wenn es auch so geht. Mit dem Verweis auf DIE DORT kann man weiter DIE GLEICHE Politik HIER machen. Keine Diskussion über das Zinssystem als solches, über den Kapitalismus, Regionalgeld und vor allem das Bankenwesen. Statt dessen business as usual, weil die meisten so schön brav über diejenigen diskutieren, die ihr Schicksal am wenigsten selbst beeinflussen können – und diese Gruppe wächst, und es ist laut Jürgen Kremer jetzt schon so, dass die Mittelschicht in genau diese Richtung, also massiv nach unten tendiert.
 
Historische Parallelen
 
Es gibt historische Parallelen, die helfen, die aktuelle Situation klarer einzuschätzen. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, erinnert in seinem Tagesspiegel-Kommentar vom 13.10. angesichts des Geredes über die Produktion „kopftuchtragender Mädchen“ daran, dass 1879 Heinrich von Treitschke die Juden als „hosenverkaufende Jünglinge“ diffamiert habe. Genau schrieb Treitschke: „Über unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein.“ Bereits zu Beginn der Wirtschaftskrise 1873 verwies ein Journalist in der renommierten Berliner Gartenlaube darauf, dass einige der Gründer und Banker, die am Pranger standen, „jüdischer Herkunft“ seien – womit er dazu beitrug, die Debatte auf die markierte Gruppe der Juden zu lenken, statt die richtigen Lehren aus der Wirtschaftskrise zu ziehen. Damals wie heute scheint der Verweis auf DIE DORT wieder die Funktion zu erfüllen, dass hier alles so bleibt wie es ist – egal wie schlecht es funktioniert. (PK)

Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, Goethestr. 6, 91054 Erlangen - www.medienverantwortung.de

Online-Flyer Nr. 220  vom 21.10.2009

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