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Medien
ARD-Propagandafilm zum Afghanistankrieg rechtzeitig vor den Wahlen
Willkommen im Krieg
Von Hans Georg

Mit einem ARD-Fernsehfilm verstärkt Berlin kurz vor der Bundestagswahl und kurz nach dem Bombenangriff nahe Kunduz seine Inlandspropaganda für den Kriegseinsatz in Afghanistan. Der Streifen "Tod eines Freundes", der am heutigen Mittwoch zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird, entstand in enger Kooperation mit der Bundeswehr - ganz wie die Vorgängerproduktion "Willkommen zu Hause", die Anfang des Jahres gezeigt wurde. Beide Filme gleichen sich auch thematisch: Sie behandeln die in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten nicht als Täter, die deutsche Kriegspolitik umsetzen, sondern als Opfer kriegsbedingter seelischer Krankheiten. Damit verbunden ist die Aufforderung an die Zuschauer, die Afghanistan-Kämpfer als "Helden" zu betrachten und ihnen besondere Wertschätzung und Zuneigung entgegenzubringen. Gleichzeitig versucht das Verteidigungsministerium, zivile Psychotherapeuten für die Behandlung kriegstraumatisierter Soldaten zu gewinnen - und stößt damit auf entschiedenen Widerstand: Mehr als 200 Therapeuten erklärten unlängst, sich nicht für die deutsche Kriegspolitik instrumentalisieren zu lassen.

Dieter Pfaff – besser bekannt als „Der Dicke“
Quelle: Filmfest Hamburg 2008
 
Im Zentrum des Films "Tod eines Freundes" aus der Sendereihe "Bloch", der am 16. September vom öffentlich-rechtlichen ARD-Fernsehen ausgestrahlt wird, steht der fiktive Bundeswehrsoldat Frank Rode. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan leidet Rode aufgrund der erlebten Kriegsgräuel an einer schweren seelischen Krankheit, der sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), bis er vom Titelhelden, dem Psychologen Maximilian Bloch, therapiert wird. Tatsächlich ist die Zahl der deutschen Militärs, die nach ihrem Einsatz am Hindukusch psychisch erkranken, enorm gestiegen. Wurden 2006 offiziell lediglich 55 PTBS-Fälle registriert, stieg diese Zahl 2007 auf 196 und 2008 auf 226 Fälle; im ersten Halbjahr 2009, noch vor den aktuellen Kampfoffensiven, zählte das Bundesverteidigungsministerium bereits 153 Soldaten mit schweren seelischen Störungen.


 
Analog zur Vorgängerproduktion "Willkommen zu Hause" (german-foreign-policy.com berichtete [1]) nutzt "Tod eines Freundes" diese Fakten, um eine eindeutige Botschaft zu vermitteln: Die in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten erscheinen nicht als Täter, die am Hindukusch die deutsche Kriegspolitik umsetzen, sondern als Opfer, die im Dienste der Gesellschaft verwundet wurden und deshalb mit besonderer Wertschätzung zu behandeln seien. Wie der Darsteller der Figur "Bloch", der Schauspieler Dieter Pfaff, in einem Interview erklärte, sei "Tod eines Freundes" bewusst emotional ansprechend inszeniert worden: „Ich kenne Leute, die den Film bereits gesehen haben, die weinen mussten."[2]
 
Angriff auf die Seele
 
Wie bei "Willkommen zu Hause" war die Bundeswehr auch an der Entstehung von "Tod eines Freundes", einer Produktion des Westdeutschen Rundfunks (WDR), unmittelbar beteiligt. Auf der Website der ARD, an die der WDR angeschlossen ist, wird der Nutzer auf das Internetportal www.angriff-auf-die-seele.de verwiesen - an oberster Stelle, noch bevor der Inhalt des Films geschildert wird.[3] Die Betreiber von www.angriff-auf-die-seele.de bezeichnen sich offiziell als unabhängige "Selbsthilfeinitiative"; ihre Nähe zu den Streitkräften ist jedoch unverkennbar: Die Redaktion des Portals leitet Hauptfeldwebel Frank Eggen, er wird von Oberfeldarzt Dr. Peter Zimmermann (Bundeswehrkrankenhaus Berlin) fachlich beraten. Als Unterstützer firmieren die "Arbeitsgemeinschaften für Soldatenbetreuung" der großen christlichen Kirchen, die Schirmherrschaft liegt beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe. www.angriff-auf-die-seele.de bietet nach eigenen Angaben Hilfestellung für „Soldaten der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt sind".[4] Sie können auf dem Portal etwa einen "Onlinetest" (PTSS-10) zur Diagnose von seelischen Erkrankungen absolvieren, den auch die Bundeswehr einsetzt.
 
Eingebaut
 
Wie die "Initiative Angriff auf die Seele" berichtet, bat der WDR sie bereits im November 2008 um die Erlaubnis, ihre Website und weitere Informationsmaterialien in die Produktion von "Tod eines Freundes" "einbauen" zu dürfen. Im Anschluss an die Ausstrahlung des Films wird ein "Online-Chat" stattfinden: Via Internet können Interessierte dann direkt mit Militärseelsorgern, Psychiatern, Truppenpsychologen und Sozialarbeitern der Bundeswehr kommunizieren. Ihren ersten Online-Chat hatte die "Initiative Angriff auf die Seele" unmittelbar nach der Ausstrahlung von "Willkommen zu Hause" geschaltet; binnen nur einer Stunde hätten sich seinerzeit über 160 Teilnehmer versammelt, heißt es. Wie die "Initiative" weiter mitteilt, sei das Chat-Protokoll anschließend in einer Debatte des Deutschen Bundestages behandelt worden.[5]
 
Nicht ablehnen!
 
Einhergehend mit ihrer neuen propagandistischen Offensive für den Kriegseinsatz in Afghanistan sucht die Führung der Bundeswehr nun auch zivile Ärzte für die Therapie seelisch kranker Soldaten zu rekrutieren. So forderte die "Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung" unlängst ihre Mitglieder in einem internen Rundschreiben auf, "kurzfristig" Therapieplätze für Militärs zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung hieß es: „In einem Gespräch im Verteidigungsministerium wurde uns die wachsende Anzahl traumatisierter Soldaten in Auslandseinsätzen deutlich gemacht. Trotz der internen Behandlungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr werden zusätzlich qualifizierte externe Psychotherapeuten gesucht." Dem Schreiben beigelegt war eine vorformulierte "Einverständniserklärung", versehen mit dem Appell, „den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend" gegenüberzustehen.[6]
 
Verweigert
 
Zahlreiche Mediziner haben den Aufruf des Militärs mittlerweile scharf zurückgewiesen. In einem "offenen Brief" an Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) erklären mehr als 200 Ärzte und Psychotherapeuten, sie beteiligten sich nicht an der Behandlung traumatisierter Soldaten: Sie ließen sich nicht „für die Kriegsführung der Bundeswehr instrumentalisieren".[7] german-foreign-policy.com dokumentiert den Appell an die Psychotherapeuten, sich für die Behandlung von Soldaten zur Verfügung zu stellen, und das Protestschreiben von mehr als 200 Ärzten und Psychotherapeuten unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57612?PHPSESSID=gg2a2dabsscqa5cglr46tbb746
und http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57613?PHPSESSID=gg2a2dabsscqa5cglr46tbb746.
(PK)
.

[1] s. dazu Willkommen im Krieg unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57458?PHPSESSID=gg2a2dabsscqa5cglr46tbb746
[2] Dieter Pfaff spielt in "Bloch: Tod eines Freundes"; Weser-Kurier 21.08.2009
[3] www.daserste.de/filmmittwoch/sendung_dyn~film,2052~cm.asp
[4] Angriff auf die Seele. Hilfe nach den Auslandseinsatz; Flyer der "Initiative Angriff auf die Seele" 16.09.2008
[5] Vorankündigung: Am 16. September wird wieder gechattet...; www.angriff-auf-die-seele.de
[6] s. dazu Zeitnah reagieren unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57612?PHPSESSID=gg2a2dabsscqa5cglr46tbb746

[7] Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW): Offener Brief an Bundesverteidigungsminister Jung. Berlin 31.08.2009. S. dazu Aggressor und Opfer 

Online-Flyer Nr. 215  vom 16.09.2009

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