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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Krieg und Frieden
Die Friedensbewegung: ein Rück- und Ausblick im Interview mit Barbara Rütting
„Merkel und Steinmeier verklagen!“
Von Christian Heinrici

„Kraftvoll wie eh und je“ – so charakterisierte die bekannte Schauspielerin, Friedens- und Umweltaktivistin Barbara Rütting die Friedensbewegung und die Aktionen der Aktivisten, die sich zum Protest gegen den größten NATO-Stützpunkt Deutschlands und die dort lagernden Atom- und Uranwaffen am Fliegerhorst Büchel in der Südeifel eingefunden hatten. Doch das Zitat trifft ohne Zweifel auch auf die Grand Dame der Friedensbewegung selbst zu. Christian Heinrici unterhielt sich mit ihr über viele Jahre Bewegung und leidvolle Stagnation im Bayrischen Landtag – die Redaktion.

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Frau Rütting, was fällt Ihnen auf, wenn Sie die Friedensbewegung der 80er Jahre mit der heutigen vergleichen?

Barbara Rütting im Interview nach der Kundgebung in Büchel Foto: Herbert Sauerwein
Barbara Rütting im Interview nach der Kund-   
gebung in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein
Sie wurde ja oft schon totgesagt. Wir wurden damals mehr verhöhnt als heute. In den Gesichtern der Soldaten und der Polizisten habe ich gesehen, dass sie doch nachdenklicher sind. Die Friedensbewegung hat ja doch dazu beigetragen, dass die Mauer fiel, wir haben durch unsere hingestreckten Hände gezeigt, dass wir keine Waffen haben, wir sind keine Kapitalistenschweine, haben den drüben Mut gemacht, auch Friedenslieder zu singen und letztendlich die Montagsdemonstrationen vorbereitet.


Also, ich finde, sie hat sich gehalten: Die Friedensbewegung war nie tot, die Mauer ist weg, die amerikanischen Massenvernichtungswaffen in Mutlangen sind weg – das hat kein Mensch damals für möglich gehalten – die Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll in Wackersdorf ist verhindert worden, das „Bombodrom“ [1] ist weg. Also, wir sind kraftvoll wie eh und je! Auch wenn heute (in Büchel) nicht so viele da waren. Aber die Zahl macht es nicht aus, es ist die Intensität. Und die hat mich heute sehr berührt und auch wieder ein bisschen zum Heulen gebracht!

Das ist schön zu hören – zu heulen aus Rührung natürlich... Würden Sie sagen, dass die Diskussion damals polarisierter war als heute?

Sie war irgendwie verzweifelter. Wir haben zwar eigentlich gesungen: „Das weiche Wasser bricht den Stein...“, aber zwischendurch habe ich auch daran gezweifelt und dachte: „Der Stein ist so hart... wann wird das weiche Wasser endlich den Stein brechen?!“ Und ich sehe doch große Fortschritte – allein durch das, was ich bisher aufgezählt habe.

Ich bin ja nun wirklich die Älteste hier... und ich finde, dass sehr viele Junge dazugekommen sind, und die vielen verschiedenen Gruppen... Ich wünsche mir einfach, dass es noch über alle Parteien hinweg stärker wird. Von den christlichen Parteien erwarte ich überhaupt nichts! Wir haben (heute) gehört, dass Merkel und Steinmeier eigentlich zu Schwerverbrechern gehören, weil sie ständig Völkerrechte verletzen. Und ich habe gerade mit einem anwesenden Richter gesprochen: Wenn das so ist, muss man doch etwas machen können! Also, wir müssten sie verklagen! [2]

Barbara Rütting bei ihrer Rede auf der Kundgebung in Büchel Foto: Herbert Sauerwein
Wer das Völkerrecht verhöhnt, muss verklagt werden – Rütting bei ihrer Rede auf der Kundgebung in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein

Nun, das kann ich heute nicht in die Wege leiten. Aber, ich freue mich, denn ich war ja sechs Jahre lang im bayrischen Landtag Sprecherin für Ernährung, Verbraucher und Tierschutz für die GRÜNEN und habe dann sehr leidvoll erleben müssen, dass ich da gar nichts bewirkt habe und bewirken konnte: Es ist ein Gerede und Gemache, und man erstickt dann selbst in diesem Aktionismus, der wirklich nur Aktionismus ist, wie ich es empfunden habe. Ich bin durch dieses Leiden am System krank geworden und dann auch im April vorzeitig aus dem Landtag ausgeschieden.

Könnten Sie uns vielleicht ein konkretes Beispiel geben, worin sich dieses „Leiden am System“ in Ihrer Zeit als Landtagsabgeordnete manifestiert hat?

Ich konnte nichts von dem durchsetzen, was ich im Bereich Tierschutz vorgeschlagen hatte. Und man geht ja dann zu Ausschusssitzungen, zum Beispiel mit meinem Antrag „bessere Bedingungen für die Masthühner“... oder die Käfighühner: Renate Künast hatte es erreicht, dass die Käfighaltung verboten wurde, unter Frau Merkel wurde sie wieder eingeführt. Ich ging da zu Ausschüssen und wusste von vorneherein: Es wird abgelehnt, weil dort die CSU so stark ist – jetzt mit der FDP zusammen noch stärker – es ist sinnlos! Und da laufe ich dann mit meinen Akten durch die Gänge und tue, als ob ich etwas bewirke...

Ich eigne mich mehr dazu, über Zäune zu steigen und sie durchzuschneiden, als da im Landtag durch die Gänge zu laufen und zu tun als ob! [3]

Da könnte man sich ja fast eine neue außerparlamentarische Opposition zurückwünschen...

Barbara Rütting im Interview in Büchel Foto: Norman Liebold
Foto: Norman Liebold
Das tue ich auch – die wünsche ich mir! Aber, das ist ja auch eine Art außerparlamentarischer Opposition hier, und ich denke, wenn der „Afghanistaneinsatz“ wirklich verfassungsrechtlich angreifbar ist, sollte man die Idee, die Bundeskanzlerin und Herrn Steinmeier zu verklagen, einmal in Angriff nehmen.


Was betrachten Sie als die größte sicherheitspolitische Gefahr momentan auf der Welt?

Die größte Gefahr sehe ich darin, ständig Vorurteile zu schüren. Am „Elften September“ ging das ja schon los: Wir seien ständig bedroht, von irgendwelchen „anderen Gruppierungen“. Die Angst vor den Anderen muss endlich aufhören, und dass wir ständig in den Anderen die Feinde sehen, die uns nur bekriegen wollen.

Der Fehler im Denken ist einfach der: „Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten...“, wie es ja über Jahrhunderte hieß. Nein, wenn ich Kriege vorbereite, ernte ich Kriege. Ich muss, wenn ich den Frieden will, den Frieden vorbereiten und darum die Friedensbewegung stärken und stützen. Ich wünsche mir eben, dass sehr viel mehr junge Menschen mitmachen!

Sitzblockade vor dem Haupttor des Fliegerhorsts in Büchel | Foto: Herbert Sauerwein

Sitzblockade vor dem Haupttor des Fliegerhorsts in Büchel
Foto: Herbert Sauerwein

Die Gefahr sehe ich einfach in der Angst! Angst bringt nichts – wir müssen uns die Hände reichen, was wir es ja auch eben in der symbolischen Sitzblockade getan haben: Angst abbauen, Verständnis für die Anderen aufbringen, tolerant sein, Misstrauen beseitigen – die Veranstaltung heute finde ich sehr hoffnungsvoll!

Vielen Dank, Frau Rütting, für das Interview!


Anmerkungen der Redaktion:
[1] Der geplante Ausbau des „Truppenübungsplatzes Wittstock“ (im Volksmund nur „Bombodrom“ genannt) in der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs zum Übungsplatz für „Luft-Boden-Raketen“ musste auf erheblichen Drucks der Bevölkerung hin und nach 27 verlorenen Gerichtsprozessen aufgegeben werden.
[2] Bernd Hahnfeld von IALANA hatte auf die völkerrechtswidrige „Nukleare Teilhabe“ der Bundesrepublik hingewiesen, die es Deutschland ermöglicht, innerhalb eines NATO-Krieges Atomwaffen einzusetzen – zumal ein nuklearer Erstschlag nicht ausgeschlossen wird.
[3] Während ihrer Rede auf der Kundgebung in Büchel, hatte Barbara Rütting angemerkt, dass sie sich selbst noch vorstellen könne, bald wieder einmal über den Zaun eines NATO-Stützpunktes zu steigen.

Startbild unter Verwendung eines Fotos von Norman Liebold.
(CH)

Online-Flyer Nr. 210  vom 12.08.2009

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