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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Krieg und Frieden
Büchel: Interview mit der Rheinland-Pfälzischen SPD-Generalsekretärin Heike Raab
Umgekehrtes Sankt-Florians-Prinzip
Von Christian Heinrici

„Wir sagen nein und meinen ja“, hätten wir auch titeln können: Nein zu Atomwaffen irgendwo auf der Welt, erst recht in „unsicheren Schwellenländern“, ja zu den vorgeblich „humanitären Einsätzen“, an denen sich die Bundeswehr spätestens seit dem Kosovo- oder dem Afghanistan-Krieg beteiligt. Christian Heinrici unterhielt sich mit der rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten und Generalsekretärin der Landes-SPD Heike Raab im Friedenscamp am Fliegerhorst bei Büchel, ihrem Wahlkreis, wo neben 20 Atombomben auch weitere Uranmunition lagert.

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Heike Raab MdL Rheinland-Pfalz Foto: Christian Heinrici
Heike Raab vor aussagekräftigem Trans-
parent im Camp bei Büchel | Foto: C. Heinrici  
Heike Raab: Ich bin heute aus Neugierde in dieses Camp gekommen, und auch, weil hier viele Bekannte mitwirken und, um das hier zu erleben... Ich bin im Ehrenamt Generalsekretärin der Rheinland-Pfälzischen SPD, und auch dabei ist die Rheinland-Pfälzische SPD ganz klar: Wir treten für eine atomwaffenfreie Welt ein, und ich glaube, Rheinland-Pfalz hat schon etwas Einmaliges: Wir sind auch das erste Bundesland, das einen Atommeiler tatsächlich abbaut, nämlich Mülheim-Kärlich, der rückgebaut wird. Das war ein riesengroßer Erfolg, und in sofern ist es für mich schon eine Selbstverständlichkeit, hier ein Stück Solidarität zu zeigen.

Christian Heinrici: Frau Raab, wenn Sie sagen, die Rheinland-Pfälzische SPD ist gegen Atomwaffen im Allgemeinen, dann beteiligen die sich bestimmt auch an den Protesten hier in Büchel rund um den Fliegerhorst...


Nein, man kann das auf unterschiedliche Art und Weise tun. Wissen Sie, es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man eben einer Meinung Ausdruck verleihen kann. Und die eine ist es, dass man demonstriert, und das ist ein gutes Recht, was jeder wahrnehmen kann. Wir haben im Rheinland-Pfälzischen Landtag auch schon einmal die Kraft des Papiers bemüht und haben eine Resolution verabschiedet.

Unser Innenminister ist in regen Gesprächen mit unseren amerikanischen Partnern, und die Alliierten, die Amerikaner und auch die Franzosen haben in Rheinland-Pfalz eine ganz, ganz wichtige Rolle gespielt. Wir sind ein Grenzland mit vielen Grenzen nach außen, und wir sind uns dieser Geschichte auch ganz bewusst. Und ich bin heute hierher gekommen, um dem Camp einen Besuch abzustatten.

Roeder MdB_Peter Bleser CDU, MdL Heike Raab SPD Obleut Christoph Pliet Quelle: Luftwaffe/Bildstelle Jabo33
Ehemaliger „Kommodore“ von Roeder mit MdB Peter Bleser
(CDU) und Heike Raab bei „regen Gesprächen“ 2006
Quelle: Luftwaffe/Bildstelle Jabo33

Die SPD ist ja momentan auf Bundesebene Regierungspartei. Gab es da schon seit längerem eine Diskussion... denn Frau Merkel und Herr Jung wissen eigentlich nichts über die Existenz der Atomwaffen hier in Büchel, wenn man offiziell nachfragt.

Niemand weiß offiziell etwas über die Existenz der Atomwaffen irgendwo hier in Deutschland.

Aber, Herr Steinmeier hat gesagt, dass er sich für den Abzug dieser Waffen hier einsetzen möchte...

Ich habe bewusst die Formulierung so gewählt, dass wir uns für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen. Und ich glaube, dazu gehört etwas mehr, als den Abzug von Waffen an irgendeinem Standort zu fordern. Ich glaube, das wäre das Sankt-Florians-Prinzip: Habt doch irgendwo Atomwaffen, ist mir doch egal wo, aber bitte nicht vor meiner Haustüre... und dagegen bin ich.

Ich sag jetzt einfach, wir brauchen eine atomwaffenfreie Welt. Ich sehe mit großer Sorge, dass einige der sogenannten Schwellenländer nun in die Produktion treten und Atomwaffen produzieren wollen – das sehe ich mit sehr, sehr großer Sorge. Und ich glaube, dass das sehr unkontrollierte Waffenbestände wären, die viel, viel unkontrollierter und viel, viel gefährlicher wären, als Waffen, die möglicherweise irgendwo in Deutschland gelagert werden.

B-61-Bomben in Aufhänger Foto: Phil Schmitten
B-61 Bomben in Büchel – umgekehrtes Sankt-Florians-Prinzip:
besser bei uns... | Foto: Phil Schmitten

Ich will die Gefahr nicht schmälern, aber ich will darauf hinweisen, dass wir eine große internationale Solidarität brauchen, weil ich glaube, dass hier ein übergeordnetes Ziel, nämlich der insgesamte Frieden und die insgesamte Atomwaffenfreiheit wichtig ist. Ich bin froh an der Stelle, dass Barack Obama das Zepter des Regierens in die Hand genommen hat. Auch er hat sich ja in den letzten Woche da schon eindeutiger geäußert, als wir das jemals von den USA gehört haben. Und ich glaube, das ist insgesamt für die Menschen, die sich für eine atomwaffenfreie Welt und für den Frieden in der Welt einsetzen, ganz wichtig.

Hier auf dem Fliegerhorst des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel wird auch der Einsatz anderer Waffen geübt... Es gibt außerdem TAURUS-Marschflugkörper und andere Uranmunition, die hier lagern, und mit denen hier geübt wird. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich kann nicht zu den einzelnen Waffensystemen Stellung nehmen. An dieser Stelle muss ich einfach passen. Ich bin keine Verteidigungsexpertin, was mir auch als Abgeordnete eines Landtages nicht einsteht. Ich möchte aber sagen, dass die Bundeswehr in den letzten 60 Jahren, seitdem wir in einem friedlichen Europa leben, eine ganz wichtige Aufgabe übernommen hat, und dass sie dies auch in einem guten Miteinander mit der Zivilbevölkerung tut und dass sie das hier auch tut.[1] Die Bundeswehr halte ich für eine wichtige Säule eines demokratischen Staates. Ich kann mir in der gegenwärtigen Welt nur ganz schwer vorstellen, dass wir quasi als ein Land ohne eine Verteidigungsarmee auskommen könnten.

Brennendes Belgrad 1999 nach NATO-Angriff
Erster Kriegseinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg
 – brennendes Belgrad 1999 nach NATO-Angriff

Diese Waffen, von denen ich gesprochen habe, werden auch in Afghanistan eingesetzt, und Soldaten des JaBo 33 sind dort stationiert...


Nein, das ist nicht richtig. Der vorherige Kommodore des JaBo war ein halbes Jahr dort, und es gab einige Maschinen, die hier rein zu Aufklärungsflügen eingesetzt worden sind. Das waren keine waffentragenden Flugeinheiten...[2]

Das heißt, Sie würden sich dagegen verwehren, wenn solche Waffen eingesetzt werden würden...

Keinesfalls sollen Menschenleben gefährdende Waffen eingesetzt werden, da bin ich ganz klar. Dennoch leistet die Bundeswehr einen wichtigen Auftrag in Afghanistan. Wenn die Bundeswehr oder andere NATO-Staaten sich dort nicht engagieren würden, würde dort wahrscheinlich nur schwer eine demokratische Ordnung hereinkommen.

Und wissen Sie... ich hatte einmal eine Begegnung mit einer Schülergruppe „Schüler helfen leben“ [3], die sich dort, im ehemaligen Jugoslawien ganz intensiv eingesetzt haben, und ich war in Sarajewo, nachdem dort der Bürgerkrieg am abebben war. Und ich habe die Häuser gesehen, wie sie eingeschossen waren, und ich habe Kinder gesehen, die vom Krieg betroffen waren, und ich habe dann auch gesehen, wie die Bundeswehr dort beim Aufbau geholfen hat. Und da sage ich einfach: Hut ab, vor solch einer Leistung! Es ist auch eine große humanitäre Hilfe, die die Bundeswehr oft leistet.

Obwohl Bundeswehrangehörige und der Wehrbeauftragte der Bundestages davon sprechen, dass es sich in Afghanistan um einen Krieg handelt?

Gerhard Schröder George W. Bush 2001 Foto: Paul Morse
Gerhard Schröder opponierte gegen den
Irak-Krieg, während er den USA logistische
Hilfe dazu leistete | Foto: Paul Morse
In Afghanistan ist die Situation sicherlich ganz, ganz, ganz schwer. Aber, wissen Sie, Sie können immer leicht, ganz schwere Beispiele heraussuchen – man kann ganz leicht, ganz leichte Beispiele herausholen. Das ganze gibt aber nur ein Gesamtbild, wenn wir es uns insgesamt betrachten. [4] Und da gibt es die Bundeswehr seit 60 Jahren.[5], 1949 wurde die Bundesrepublik gegründet. Es gab schon viele gute Einsätze..., wir haben uns aus Kriegen immer herausgehalten, und auch Schröder hat ein klares Bekenntnis hinsichtlich dieses Irak-Konfliktes da bekannt.

In Afghanistan ist die Situation sicherlich sehr schwierig, sehr kritisch, und dort ist auch Menschenleben von deutschen Soldaten schon gefährdet. Aus Einheiten aus Zweibrücken sind, sofern ich es jetzt richtig weiß, drei Soldaten umgekommen. [6] Es macht einen richtig besorgt, dass diese Situation möglicherweise nicht mehr von allen Leuten in allen Teilen kontrolliert werden kann.

Frau Raab, herzlichen Dank für dieses Interview!


Anmerkungen der Redaktion:
[1] Von dem verheerenden Jugoslawienkrieg ab 1991 abgesehen, beteiligte sich die Bundeswehr schon 1999 am kriegerischen „Einsatz“ der NATO im Kosovo gegen Jugoslawien.
[2] Seit Mai, Juni, Juli diesen Jahres hat die Bundeswehr in Afghanistan mehrere Offensiven unternommen. Stolz sprach man bei der „schnellen Eingreiftruppe“ über den „ersten Oberleutnant, der nach 1945 eine Infanterie-Kompanie im Angriff geführt hat.“ (Siehe „Die Bundeswehr muss töten“ in der Financial Times Deutschland). Selbstverständlich werden „Einsätze“ dieser Art von „Luftaufklärern“ begleitet.
[3] Der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sitzt im Kuratorium des Vereins.
[4] Wie die Briten sagen würden: „A rose is a rose is a rose...“
[5] ...um genau zu sein, seit etwas mehr als 53 Jahren, seit dem 12. November 1955.
[6] Insgesamt starben bisher 33 deutsche Soldaten, 3 Polizisten und eine unbekannte Anzahl Menschen in der Zivilbevölkerung.


Nachtrag – Aufruf zur Solidarität:
Am 11. August hatten die Organisatoren des „GAAAlischen Dorfs“, des Friedens- und Aktionscamps gegen die Atom- und Uranwaffen auf dem NATO-Stützpunkt bei Büchel, hatten einen Unfall auf der Rückfahrt von der Südeifel zum Lager des Campmaterials. Auf einer steilen Talabfahrt schaukelte sich das Aktionsmobil der GAAA hoch und geriet aus der Bahn, wobei der Anhänger tief in die Seite des Wagens einschlug. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.

Verunglückter entmilitarisierter „Iltis“ Foto: GAAA
Verunglückter entmilitarisierter „Iltis“
Foto: GAAA
Der Sachschaden des Unfalls ist allerdings erheblich: Marion Küpker und Carsten Orth von der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen rechnen mit mehreren Tausend Euro für die Reparatur des „Iltis“-Aktionsmobils sowie des Anhängers – zumal durch die bisherigen Spenden die Kosten für das Aktionscamp noch nicht gedeckt sind.


Sie bitten um Spenden nach Selbsteinschätzung auf das Aktionskonto:
„bye-bye nuclear bombs“
Konto 2003559301
GLS-Bank
BLZ 43060967
Stichwort: Unfall-Büchelcamp

Wenn eine Spendenquittung gewünscht wird, bitte auf folgendes Konto:
BW-Förderverein für Frieden/Abrüstung e.V.
Volksbank in Stuttgart,
Konto 563131004,
BLZ 60090100,
Stichwort: Atomwaffen/Unfall

(CH)

Online-Flyer Nr. 210  vom 12.08.2009

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