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Medien
Wie Politik und Medien Al Kaida im Sauerland entdeckten (Teil I)
Ein Käfig voller Enten
Von Walter van Rossum


„Mit Sprengsätzen Pubs, Diskotheken und Flughäfen angreifen“ wollten „die drei Islamisten“, wusste WELT ONLINE am 5. September 2008, 14:02 Uhr. Mit dieser Panikmache stand die Springerzeitung nicht allein da. Auf ein „spektakuläres Gerichtsverfahren um einen gescheiterten Terroranschlag“ hofften vor dessen Start auch die Berliner Zeitung und die Öffentlich-Rechtlichen. Unser Autor hat einen ARD-Film über die “Sauerland-Zelle“ besonders unter die Lupe genommen. - Die Redaktion 
 

Ein Verdächtiger wird in den 
Bundesgerichtshof gebracht
NRhZ-Archiv
I. Das Ereignis:
4. September 2007

 
„Fritz Gelowicz, Daniel Schneider, Adem Yilmaz. Drei junge Männer, islamische Gotteskrieger mit einem mörderischen Plan: Bombenbauen für einen Anschlag mitten in Deutschland." So lehrte die ARD, die öffentlich-rechtliche Mutteranstalt des seriösen und kritischen Journalismus, am 4. September 2007 ihre Zuschauer das Gruseln. Doch die Rettung ist nah und die Nachtruhe für die verschreckten Gebührenzahler gesichert. Denn, so vermeldet der zitierte ARD-Film: „14 Uhr. Ein Sonderkommando der GSG 9 stürmt das Ferienhaus im Eichenweg 22."
 
Ein Großaufgebot von schwer bewaffneten Sicherheitskräften hat das Schlimmste verhindert, erfahren die Zuschauer. Generalbundesanwältin Monika Harms verkündet anschließend vor der Presse - allen voran die Tagesschau: „In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist es den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland gelungen, eine der bislang aus unserer Sicht schwerwiegendsten terroristischen Anschlagsplanungen in diesem Land rechtzeitig zu erkennen und sicher im Blick zu behalten, bevor es zum Ernstfall kommen konnte." Die Tagesschau liefert kriminalistische Details nach: „Den Fahndern entging auch nicht der Kauf von 12 Kanistern mit insgesamt 730 kg 35-prozentiger Wasserstoffperoxyd-Lösung. Diese Kanister wurden in der Nähe von Hannover unter konspirativen Bedingungen erworben, dann gingen sie quer durch Deutschland. In einer Garage in Freudenstadt im Schwarzwald wurden sie versteckt zwischengelagert." Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, malt gegenüber der "Tagesschau" die Größenordnung der Bedrohung aus: „Aus dieser Menge können durch Konzentration und relativ einfache Beimischungen circa 550 kg Sprengstoff, vergleichbar der Wirkung von TNT, hergestellt werden. Zum Vergleich: Die Rucksackbomber in London im Juli 2005 hatten nur jeweils 3-5 kg in ihren Rucksäcken."
 

„Circa 550 kg Sprengstoff…“ – BKA-Chef 
Jörg Ziercke
NRhZ-Archiv
Auch die Zeitungen vom nächsten Tag geben sich schockiert. So etwa der "Berliner Kurier": „Sie planten die Super-Bombe. Es sollten entsetzliche Anschläge werden mit Hunderten von Toten. ( ... ) Es sollte das Blutbad von Madrid (191 Tote) und das von London (52 Tote) in den Schatten stellen. Es war nicht irgendwo geplant, sondern sollte mitten unter uns geschehen.” Und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentierte Mitherausgeber Berthold Kohler: „New York, Madrid. London. Und dann Frankfurt? Hanau? Heidelberg? Die Namen deutscher Städte hätten die Reihe schwerer Anschläge verlängern sollen, mit denen islamistische Terroristen den Westen in seinen Grundfesten zu erschüttern trachten. In der deutschen Provinz verwandelte sich die 'hohe abstrakte Gefahr', vor der die Sicherheitsbehörden schon lange warnen, in eine sehr konkrete Bedrohung."
 
Schreckensbilder, lustvoll ausgemalt
 
Bald erfuhr die Öffentlichkeit auch, was die mutmaßlichen Terroristen damit im mutmaßlichen Schilde führten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wiederum enthüllte am 5. September 2007: „Die drei Terrorverdächtigen...haben mehrere militärische und zivile Einrichtungen im Rhein-Main- Gebiet - darunter auch den Frankfurter Flughafen - als mögliche Ziele ins Visier genommen. Das bestätigte (der hessische Landes-)Innenminister Volker Bouffier (CDU) in Wiesbaden. Es handele sich um 'zu allem entschlossene' Männer, deren Absicht es gewesen sei, ein Blutbad anzurichten."
 
Später wurde noch ein ganzes Potpourri möglicher Anschlagsziele und Daten nachgereicht. Die drei Verhafteten, Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Adem Yilmaz wurden fortan die "Sauerlandzelle" oder die "Sauerlandbomber" genannt. Die beiden Deutschen waren zum Islam konvertiert, der Türke Muslim von Geburt. Die Ermittler streuten früh aus, dass hinter den drei jungen Männern noch gefährlichere Kräfte am Werke seien; die Tagesschau fungierte wiederum als Sprachrohr der Behörden: „Sie sollen zur Islamischen Dschihad Union gehören, die in Kontakt zu Al Kaida steht. Fritz G. wurde wie die beiden anderen in Pakistan ausgebildet. Sie lernten, Bomben zu bauen."
 
Nicht ein paar gefährliche Spinner, sondern die Speerspitze des internationalen islamistischen Terrorismus rüstete angeblich zum Großangriff. Das Großaufgebot an Polizei, Geheimdiensten und sonstigen Sicherheitskräften, die an der Überwachung und Festnahme der Verdächtigen beteiligt waren, erschien also einleuchtend - jedenfalls, wenn man den Tagesthemen Glauben schenkte: „Al Kaida ist offenbar in Deutschland, mitten in Deutschland. Diesmal noch gestoppt durch eine der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie galt der vielleicht größten Bedrohung in der Geschichte der Bundesrepublik. Rund dreihundert Beamte beobachteten ein halbes Jahr lang die Terrorverdächtigen."
 
Schäuble Superman
 
Es waren sogar noch sehr viel mehr Beamte im Einsatz. Die Fahnder waren hochzufrieden mit ihrem Erfolg. Und die Politik ebenso. „Die Erkenntnis heißt jetzt: Es gibt nicht nur eine abstrakte Gefahr, es gibt reale Gefahren, aber es ist auch eine wirkliche Leistung unserer Polizei..." So sprach die Bundeskanzlerin via Tagesschau zum Volke. Und Dutzende Politiker verlautbarten Ähnliches. Es war auch die Stunde von Innenminister Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker hatte scheinbar Recht behalten und sollte noch mehr Rechte bekommen. 
 

Kränze von der FAZ – Wolfgang Schäuble
NRhZ-Archiv
Die FAZ titelte am Tag nach den Verhaftungen: "Schäuble glaubt man erst, wenn etwas passiert", und flocht ihrem Helden Kränze. „Dass sich etwas Größeres zusammenbraut, davor hatte Schäuble gewarnt, ebenso wie die anderen Behördenchefs. Über Wochen hinweg war er überhört worden. Doch war der Dienstag-Spätnachmittag ein politischer Idealfall für den zuletzt bedrängten Sicherheitsminister der Bundesrepublik: zwölf Fässer voller Sprengstoff, zahlreiche Verhaftungen und kein einziges Opfer, wenn man von der Handverletzung eines Polizeibeamten absieht. Eine bessere Ausstattung kann ein Innenminister im politischen Gefecht nicht bekommen." Und gleich meldete die Tagesschau neuen sicherheitspolitischen Bedarf: „Nach Einschätzung der Behörden zeigt der Fall aber auch ein wachsendes Problem. Weil zwei der Tatverdächtigen Deutsche sind, sei es nötig, die Kriterien für die Fahnung nach Islamisten zu überdenken."
 
Der militante Islamismus, so hieß es nun, komme mitten aus der Gesellschaft. Die unbehinderte Arbeit der Sicherheitsbehörden erschien plötzlich noch wichtiger. Und die meisten Medien ergingen sich in Superlativen der Bedrohung und feierten ihre Aufdeckung.
 
II. Die Gendarmen
 
Rechtzeitig zum vorgesehenen, dann aber verschobenen Prozessbeginn gegen die Sauerland- Zelle sendete das öffentlich-rechtliche Erste Fernsehprogramm im März 2009 einen Film mit dem Titel "Terrorjagd im Sauerland. Wie das BKA ein Blutbad verhinderte." Über die selbstgestellte Frage: "Was genau geschah bei dieser Polizeiaktion?" erfuhr man in diesem Film tatsächlich so einiges Verblüffende - vorausgesetzt, man sah und hörte genau hin. Zitate aus den “Terrorjagdszenen“ der ARD: „Die Aktion ist streng geheim. (...) Das BKA will kein Aufsehen im Dorf - auch Bauer Krevet wird nicht eingeweiht."
 
Statt kritischer Recherche: 007-Dramaturgie
 
Auf dem Hof von Bauer Krevet in Oberschledorn errichtete das BKA sein Observationszentrum in Gestalt eines Wohnmobils. Dem Bauern sagte man, es ginge um Funkmessungen. Eine fast perfekte Tarnung, auf die auch der Hofinhaber hereinfiel. Ein Nachbar erinnerte sich allerdings: „Ja, um die Ecke stand dann dieser Wohnwagen, mit so Nachtsichtgeräten wie so ein Leopard II, so ungefähr. Und die Männer hielten sich so die Gesichter zu."
 
Die Infotainment-Doku der ARD stellt freilich keine kritischen Fragen, sondern setzt lieber auf boulevardeske Spannungselemente: „Insgesamt sind jetzt 300 Polizisten in und um Oberschledorn im Einsatz, diskret und leise. Es ist fast wie in einem James-Bond-Film kurz vor dem Showdown." Das kann in der 900 Seelen-Gemeinde natürlich nicht so ganz verborgen bleiben. Besonders wenn die “Geheimagenten“, über die 007 nur gelangweilt lächeln könnte, sich so richtig professionell benehmen.
 
„Es waren drei Männer und eine Frau. Und sie sagten aber sofort, sie wechseln sich ab. Sie wären mit zwölf Mann ( ... ) und würde immer abgewechselt werden. - Die haben sich ausgegeben als Studenten von Berlin. Und da sagte mein Sohn, als er das sah mit den Autos: 'Was mögen die reiche Eltern haben.'" So der Vermieter eines Ferienhauses über seine Gäste, die mit zwei VW Bussen und mehreren großen Limousinen vorfuhren.
 
Der Ortsvorsteher von Oberschledorn wird jetzt laufend angesprochen und gefragt,was da eigentlich vor sich gehe: „Aber die Geschichte mit der Überwachung - das war schon ein Thema. Die Terroristen, die mutmaßlichen, waren wohl nicht so im Mittelpunkt, aber das, was da so drumherum stattgefunden hat, das ist hier im Ort natürlich schon aufgefallen." So schien ganz Oberschledorn unruhig zu werden - nur die Observierten nicht. Und die ARD hält ihre Zuschauer mit dramatischem Countdown bei Spannung: „Noch fünf Stunden bis zum Show-down."
 
Woody Allen gegen Panzerknacker-AG
 
Doch die Beamten sind besorgt, weil die Islamisten bei einem Autoausflug mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern von der Polizei angehalten worden sind. Wirklich "generalstabsmäßige Arbeit" - wie im Film dauernd behauptet wird, aber leider nie zu sehen ist.
 
„13 Uhr. Die Polizei riegelt den Ort hermetisch ab. Die GSG 9 bereitet sich auf einen Einsatz vor." Hunderte Polizisten sind in und um Oberschledorn postiert - leider sind nicht alle ortskundig. Der ARD erzählt ein Bewohner: „Da kam ein Polizist auf mich zu und frug nach Eichenweg, Ja, ich sag, das kann ich Ihnen sagen: links rein und dann die erste Straße links. Und dann stiegen die restlichen drei auch noch mit ein und dann ging das blitzschnell nach dem Hause."
 
Um 14 Uhr stürmt ein schwer bewaffnetes Kommando das Haus. Im Eingangsbereich lassen sich Fritz Gelowicz und Adem Yilmas widerstandslos festnehmen. Doch... „Daniel Schneider dagegen gelingt die Flucht. Er entkommt durch das Badezimmerfenster in den Garten. Ein Albtraum für die Fahnder." Wer hätte das ahnen können? Daniel Schneider rennt durch die Siedlung. 300 Meter weit, vorbei an spielenden Kindern, bis er von BKA-Beamten gestoppt werden kann. „Schneider kann dem Polizisten die Dienstwaffe entreißen. Ein Schuss löst sich und verletzt den Beamten an der Hand. Im letzten Moment kommen weitere Polizisten zu Hilfe." Abblende. - Aufatmend kann der Sieg über das Böse verkündet werden: "In einem sind sich alle Regierungspolitiker einig - über den großen Erfolg der Sicherheitsbehörden", so vermeldete die Tagesschau nach der Verhaftung. Aus der Nähe betrachtet, hat man eher den Eindruck, Woody Allen sei in den Krieg gegen die Panzerknacker gezogen.
 
Große Staats-Oper? - Opera Buffa
 
Beim Betrachten des ARD-Films begibt sich der Zuschauer 45 Minuten lang in eine aberwitzige Double-Blind-Situation: Es wurde ein Königsdrama angekündigt und dann betreten hoch dekorierte Darsteller in teuren Kostümen die Bühne und führen eine Hanswurstiade auf. Mit Sicherheit darf man den Dokumentaristen keine kritischen Absichten unterstellen. Ihr Film hält sich strikt an die perspektivischen Vorgaben der Sicherheitsbehörden und ignoriert systematisch alle Fakten und Zusammenhänge, die nicht in diese Sicht der Dinge passen. Ganz so wie es der überwältigende Teil der berichterstattenden und kommentierenden Medien tut. (PK)
 
Fortsetzung in der nächsten NRhZ

Online-Flyer Nr. 206  vom 15.07.2009

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