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Globales
Kriege, Krisen und Revolten entlang der historischen Seidenstraße (Teil I)
„Unsere Medien“ und die Uiguren
Von Wolfgang Effenberger

Nachdem die Vertreter der westlichen "freien demokratischen Presse" die “grüne Revolution“ im Iran zugunsten des bewusst falsch als Reformer vorgestellen Mirhossein Mussawi vergeblich hochzujubeln versuchten, unterstützen sie nun - gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten und NATO-Partner Recep Tayyip Erdogan, der von „einer Art Völkermord“ spricht - einen neuen “Aufstand“. Diesmal den der Uiguren im Westen Chinas. Unser Autor versucht, in diesem und einem zweiten Artikel hinter die Kulissen zu schauen.- Die Redaktion

Uiguren-Demonstration am 7.Juli in München - publiziert von der SZ
Quelle: Süddeutsche Zeitung
 
"Mehr als 150 Tote, fast tausend Verletzte", überschreibt der Journalist Henrik Borg am 7. Juli seinen Titelbericht in der Süddeutschen Zeitung, um dann in Fett folgen zu lassen: "Peking schlägt Uiguren-Proteste nieder"(1).In der Nacht auf den 6. Juli 2009 kamen in der Autonomen Provinz Xin­jiang bei einer Orgie der Gewalt nach Angaben der amtli­chen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua mindestens 156 Menschen ums Leben, 830 Menschen trugen Verletzungen davon. Nach Angaben der Behörden verbrannten 261 Kraftfahrzeuge, einschließlich 190 Bussen, mindestens 10 Taxis und zwei Polizeiautos. 203 Geschäfte und 14 Häuser wurden im Aufruhr zerstört.(2) Die Auseinandersetzungen sollen durch Gerüchte ausge­löst worden sein, wonach Angehörige der muslimischen Minderheit zwei Chinesin­nen vergewaltigt hätten.
 
Am nächsten Tag platziert die Süddeutsche Zeitung ebenfalls auf Seite 1 den Aufmacher "Chinesen jagen Uiguren". Hier findet sich auch die Absicht der Bundeskanzlerin, Chi­nas Staatspräsident Hu Jintao beim G-8-Gipfel auf die harte Reak­tion der Sicherheitskräfte auf die Uigu­ren-Proteste ansprechen zu wollen. Unkommentiert wird auf einen Brandanschlag auf das chinesische Generalkonsulat in München hingewiesen.(3) Die einseitige Parteinahme der SZ (4) steht den am Pranger stehenden chinesischen Staatsmedien kaum nach. Beide Seiten dieses Konfliktes haben ureigene Interessen, so dass es schwer ist, die Wahrheit herauszubekommen. Die einseitige Schuldzuweisung auf den Chauvinismus der Han-Chinesen reicht hier jedenfalls nicht aus.
 
Geschichte von Xinjiang (Ost-Turkestan)
 
Die über acht Millionen Uiguren sind eine von 55 ethnischen Minderheiten in der Volksrepublik China und leben in der Autonomen Provinz Xinjiang - für die Uiguren Ost-Turkestan(5) -, die ein Sechstel des Territoriums der Volksrepublik China umfaßt. Das Gebiet West-Turkestan ist auf die turkmenischen Republiken Kasachstan, Turkmenien, Usbekistan, Kirgisistan und - als iranischsprachige Ausnahme - Tadschikistan verteilt. Süd-Turkestan umfasst die turkmenischen und usbekischen Nordgebiete des heutigen Afghanistan.(6) Der Name "Turkestan" bedeutet "Land der Türken", es gilt als ursprüngliche Heimat aller Turkvölker, und die Idee eines türkischen Großreiches übt in deren nationalen Lagern immer noch eine große Anziehungskraft aus. Im Zweiten Weltkrieg dienten Krieger aus Turkestan als Freiwillige in der deutschen Wehrmacht.


“Freiwillige“ der deutschen Wehrmacht aus Turkestan in Frankreich
Quelle: Bundesarchiv
 
In Xinjiang sind unter den dort lebenden siebzehn Turk-Gruppen die Uiguren mit ca. 40 Prozent die größte und pflegen eine ungewöhnliche kulturelle Sympathie mit der Türkei. Sie sind mehrheitlich sunnitische Muslime, ihre Sprache ist Turkic, weshalb sie ihre Provinz als Ost-Turkestan bezeichnen. In der Provinzhauptstadt Urumqi leben überwiegend Han-Chinesen, die die Wirtschaft beherrschen und wohlhabender als die anderen Bevölkerungsgruppen sein sollen.(7) Die Bezeichnung Uiguren wurde nach dem Ersten Weltkrieg gebräuchlich, als die Sowjetunion diesen Begriff für die muslimischen Emigranten aus Xinjiang prägte.(8) Von 1945 an bis zum Einmarsch von Maos Truppen im Jahr 1949 war die Provinz Xinjiang selbständig. Aber schon das kaiserliche China betrachtete das heutige Xinjiang seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert als Teil des chinesischen Reiches. Die im Westen Chinas liegende Autonome Provinz grenzt im Norden an die Mongolei und die Russische Föderation, im Westen an Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, im Süden an Indien/Kaschmir und Afghanistan. Ihre traditionellen Verbindungen mit Zentralasien einerseits und den arabischen Ländern andererseits gehen auf die in der Blütezeit der Seidenstraße geschaffenen Berg- und Flussübergangspunkte zurück.


Neujahrsglückwunsch der türkischen Regierung
Quelle: www.tdk.gov.tr
 
Im äußersten Nordosten Afghanistans - ostwärts des deutschen Stützpunktes Kundus - verläuft in einem schmalen Landstrich des Pamir-Gebirges der 300 Kilometer lange strategisch wichtige Wakhan-Korridor in den südlichen Teil Xinjiangs. Dieser Korridor ist ein Relikt des Great Game zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien und gewinnt in diesen Tagen wieder an dramatischer Bedeutung, nicht zuletzt auch deshalb, weil Xinjiang reich an natürlichen Ressourcen wie Öl, Erdgas, Uran, Kohle, Eisen, Buntmetallen und Gold ist. Als wesentlich für Chinas künftige Wirtschaftsentwicklung werden vor allem die als sehr bedeutend geschätzten Erdöl- und Erdgasvorkommen in den drei Becken Tarim, Jungar und Turpan betrachtet.(9) Mit dem Great Western Development Project aus dem Jahr 2000 hat die chinesische Regierung begonnen, die Infrastruktur zur Erschließung dieser Ressourcen voranzutreiben.
 
Zweifellos ist Xinjiang neben Tibet eines der politisch sensibelsten Gebiete in China. Erinnert man sich an das 2001 erschienene Buch “Die einzige Weltmacht“ der grauen Eminenz unter den US-amerikanischen Globalstrategen, Zbigniew Brzezinski, der von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter war (siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12818), scheint auch hier das Seidenstraßen-Strategie-Gesetz eine eigene Dynamik zu entfalten. "Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können," schreibt Brzezinski in der Einleitung seines Buches, "hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird - und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann."(10)
 
Die Folgen von 9/11
 
Die Ereignisse im Gefolge des 11. September 2001 wirkten sich bis in die VR China aus. Ohne zu zögern verurteilte die chinesische Regierung die Terroranschläge in den USA und bot - ohne Bedingungen zu stellen - den Vereinigten Staaten in der internationalen Terrorismusbekämpfung die Zusammenarbeit an. Nun konnte auch die chinesische Regierung mit dem Segen der USA der Terrorismusbekämpfung im eigenen Land - besonders in der westlichen autonomen Region Xinjiang - Nachdruck verleihen. Und tatsächlich wird die Region in den letzten Jahren permanent von Unruhen, Anschlägen, und Guerilla-Attacken sowie ihnen folgende Repressionsmaßnahmen der Behörden erschüttert(11), wobei die Forderung erhoben wurde, die Provinzhauptstadt Urumqi müsse wieder eine rein muslimische Stadt werden.(12) Zugleich erhielt der von Saudi-Arabaien inspirierte konservative wahabitische Islam Zulauf. Angehörige der Islamischen Partei von Turkestan kämpften bereits in Tschetschenien. 300 Uiguren wurden vermutlich in den afghanischen Lagern der Taliban ausgebildet, noch mehr in Pakistan.(13)Schon im September 2000 lagen Berichte vor, dass Uiguren in einer Brigade von Osama bin Laden kämpften.(14) Weitere 1.000 Uiguren würden von Al-Kaida in Afghanistan ausgebildet.(15) Darüber hinaus sollen die Taliban den uigurischen "Separatisten" nicht nur Waffen geliefert, sondern auch deren Ausbildung an Madrasas, Koranschulen der Taliban in Afghanistan, organisiert haben. Nach einem China-Besuch von US-Vize-Außenminister Richard Armitage nahmen die USA deshalb am 27. August 2002 die uigurische Organisation East Turkestan Islamic Movement (ETIM) in die Liste der geächteten Terrororganisationen auf.(16) Diesem Beispiel folgten Kasachstan, Pakistan sowie die Vereinten Nationen. Noch 2005 bestätigte die amerikanische Anti-Terror-Behörde in ihrem Report die Verbindung der ETIM mit Al-Kaida und anderen internationalen jihadistischen Bewegungen.(17)
 
Nicht zuletzt haben diese Entwicklungen China den Schulterschluss in der "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" (SOZ) suchen lassen.(18) Bereits auf dem Gipfeltreffen im April 2000 in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe verurteilten deren Teilnehmerstaaten die Unterstützung von Terrorismus durch die Taliban und beschlossen die Einrichtung einer Antiterrorzentrale in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek und China erklärte danach wiederholt, die US-Kriegführung dürfe nicht auf weitere Länder, wie den Irak oder Somalia, ausgedehnt werden.(19)  
 
China kennt auch das “Seidenstraßen-Strategie-Gesetz“, das am 19.März 1999 als “Silk Road Strategy Act“ vom US-Kongress verabschiedet wurde, um die Konkurrenten im Ölgeschäft, darunter Russland, Iran und China zu schwächen. Zugleich wurden in den USA Überlegungen zur regionalen Kriegführung, inklusive des Einsatzes von Bodentruppen und des Sturzes von Regierungen angestellt.(20), und Samuel P. Huntingtons “Kampf der Kulturen“ kreierte neben dem islamischen auch den "konfuzianischen" Kulturkreis als Feindbild.(21) Von daher kann sich China durch die USA durchaus bedroht fühlen und warnte die USA, den Kampf gegen den Terrorismus nicht mit den berechtigten Anliegen ethnischer Minderheiten in China zu vermengen. Auch verwahrte sich Peking gegen die Doppelmoral, zwischen "bösen" Terroristen, die gegen die USA operierten und "guten", die gegen andere - hier China - agierten, zu unterscheiden. Tatsächlich wird die Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber muslimischen Minderheiten von strategischen Gegebenheiten bestimmt. Während die USA im Kosovo intervenierten, griffen sie z.B. in Tschetschenien oder auf den Philippinen nicht ein, sondern zogen sich auf die Rolle des “kritischen Beobachters“ zurück. (PK)
 
Anmerkungen
 
(1) Bork, Henrik:“Mehr als 150 Tote, fast tausend Verletzte.Peking schlägt Uiguren-Proteste nieder“, SZ vom 7. Juli 2009, S. 1
(2) http://news.xinhuanet.com/english/2009-07/06/content_11661325.htm
(3) Chinesen jagen Uiguren“ Erneut Gewalttaten in der Provinz Xinjiang, SZ vom 8. Juli 2009, S. 1
(4) Vgl. den dreiviertelseitigen Artikel von Henrik Bork: Aufstand der Mütter, SZ vom 8. Juli 2009, S. 3
(5) Den Status einer Autonomen Region hat Xinjiang seit 1955. In dieser Provinz leben ca. 9 Einwohner auf einem Quadratkilometer (in der Bundesrepublik 230)
(6) Siehe unter http://www.infobitte.de/free/lex/wpdeLex0/online/t/tu/Turkestan_-Landschaft-.htm, aufgerufen am 10. Juli 2009
(7) Dieses Phänomen lässt sich auch in anderen Gesellschaften Asiens beobachten.
(8) Siehe dazu Justin Jon Rudelson: "The Uighurs in the Future of Central Asia", Nationalities Papers, Vol.22, No.2 (1994), S.291-308; hier: S.291.
(9) Siehe Gaye Christoffersen: "Xinjiang and the Great Islamic Circle: The Impact of Transnational Forces on Chinese Regional Economic Planning", S.136
(10) Brzezinski, Zbigniew: Die einzige Weltmacht. 2001, S. 15
(11) Bereits im Sommer 1998 gab der Parteisekretär von Xinjiang zu, dass es 19 bekannte Stützpunkte in Xinjiang gebe, auf denen in Afghanistan ausgebildete einheimische „Separatisten“ Nachwuchs für den bewaffneten Kampf ausbildeten. Diese Stützpunkte würden nicht nur von internationalen islamischen Kreisen unterstützt, sondern auch von den afghanischen Taliban-Milizen.
(12) Vgl. Thomas Heberer Duisburg Working Papers on East Asian Studies, No. 42 / Duisburger Arbeitspapiere Ostasienwissenschaften, Nr. 42
(13) Vgl. Gladney, Dru C.: “China’s Xinjiang Problem” Center for Strategic and International Studies Washington, DC vom 5. Juni 2003. Dru C. Gladney dozierte am Max Planck Institut und ist Professor für Asiatische Studien
(14) Susan V. Lawrence, Where Beijing Fears Kosovo, in: Far Eastern Economic Review, 7.9.00, S. 22ff.
(15) Vgl. Northeast Asia Peace and Security Network Daily Report, 13.11.01
(16) Zusätzlich versprach Armitage den Chinesen amerikanische Unterstützung für militärisches Vorgehen gegen uigurische Separatisten. Siehe auch Scheuer, Michael: Imperial hybris: Why the West is Losing the War on Terror. 2004
(17) Office of the Coordinator for Counterterrorism Country Reports: South and Central Asia Overview, 30. April 2007 unter   http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2006/82734.htm
(18) China, Rußland, Kirgisien, Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan
(19) Vgl. etwa Renmin Ribao (Volkszeitung), 10.12.01, S. 3, zitiert in DUISBURGER ARBEITSPAPIERE OSTASIENWISSENSCHAFTEN Der 11. September und die Folgen in Asien No. 42/2002, S. 7
(20) Asian Wall Street Journal, 4.10.01; vgl. u.a. Richard Bernstein/Ross H. Munro, The Coming Conflict with China, New York 1997
(21) Vgl. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München, Wien 1998.

 
Teil II “Es twittert entlang der alten Seidenstraße“ folgt in NRhZ 207

Online-Flyer Nr. 206  vom 15.07.2009

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