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Inland
Anmerkungen zum Streikbericht bei "Frontal 21" im ZDF
"Das passte nicht ins Konzept"
Von Franz Kersjes

Die TV-Berichterstattung über den Streik im Öffentlichen Dienst ist alles andere als "ausgewogen". So schlug ein ARD-Bericht am Freitag vor, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst um wöchentlich eine Stunde zu verlängern, weil es dort mehr Krankheitstage gebe als in der privaten Wirtschaft. Der ehemalige NRW-Landesvorsitzende der IG Druck und Papier schrieb aus ähnlichem Anlass einen Brief an "Frontal 21" im ZDF. Die Redaktion.


Sehr geehrter Herr Koll,
sehr geehrte Damen und Herren,

journalistisch gut recherchierte Beiträge mit einem hohen Informationswert sind leider auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selten geworden. Das Magazin Frontal 21 macht da in der Regel eine Ausnahme. Deshalb sehe ich so oft es geht Ihre anspruchsvolle Sendung.

In der jüngsten Ausgabe, die am 7. März ausgestrahlt wurde, hat mich allerdings der Beitrag der Autoren Hans Boberstein, Dana Nowak und Thomas Reichart zum Streik im Öffentlichen Dienst wegen seiner miserablen Qualität und einseitigen Betrachtungsweise empört. Ich habe den starken Verdacht, dass dieser Beitrag sehr interessengeleitet und vielleicht sogar von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beeinflusst wurde. Zu der völlig unzureichenden und teilweise falschen Darstellung des Themas einige Anmerkungen.

Franz Kersjes - 2003 vor dem Kölner Amerikahaus
Franz Kersjes - 2003 vor dem Kölner Amerikahaus
Foto: arbeiterfotografie.com


Eine Gewerkschaft kann nicht streiken! Eine Gewerkschaft kann auch keinen Streik erzwingen. Es streiken Menschen, weil sie von der Notwendigkeit ihres Kampfes überzeugt sind und von ihrer Gewerkschaft deshalb den Ausstand fordern. Ihre Beteiligung an einem Streik ist mit vielen Risiken verbunden. Sie bedeutet vor allem beträchtliche Einkommensverluste während der Streikzeit. Wären Ihre Autoren wenigstens auf die Idee gekommen, auch die Streikenden zu ihren Motiven zu befragen, sie hätten wahrscheinlich die Antwort bekommen: wir streiken, weil wir nicht in die Situation kommen wollen, in der die Beschäftigten der privaten Dienstleister bereits sind. Was Ihre Autoren Privilegien nennen, sind Schutzrechte abhängig Beschäftigter, die nach dem Sozialstaatsgebot unserer Verfassung unverzichtbar sind. Das werden Ihnen auch viele Unternehmer bestätigen, die sich zur Notwendigkeit von Tarifverträgen bekennen. Und das sind nicht wenige.

Zur Ursache der Streikmaßnahmen sagen Ihre Autoren nichts. Nichts zur Kündigung der tariflichen Arbeitszeitbestimmungen durch die kommunalen Arbeitgeber. Tendenziell wird die Notwendigkeit einer Arbeitszeitverlängerung unterstellt, weil doch die Kassen der Kommunen leer sind. Aber warum sind die Kassen der Kommunen leer? Ist das nicht die Folge einer Steuerpolitik zugunsten von Unternehmen und Konzernen? Warum haben sich die Bürgermeister und Landräte in den vergangenen Jahren nicht für eine Reform der Kommunalfinanzen stark gemacht? Und warum haben sie nicht gegen den Skandal demonstriert, dass ein Konzern wie DaimlerChrysler zwölf Jahre lang keine Steuern gezahlt hat?

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos


Die Autoren des Beitrages unterstellen den Gewerkschaften, sie würden nichts für die Beschäftigten im Niedriglohnbereich tun. "Leute wie ihn lassen die Gewerkschaften im Stich. Dabei begann deren Geschichte mit dem Kampf für die Unterprivilegierten", heißt es im Manuskript. Warum wird den Zuschauern und Zuschauerinnen unterschlagen, dass die beiden Gewerkschaften ver.di und NGG soeben eine bundesweite Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn gestartet haben: "Arm trotz Arbeit. Kein Lohn unter 7,50 Euro pro Stunde." Das passte offensichtlich nicht ins Konzept der Autoren.

Anders als in Frankreich hat der Gesetzgeber in Deutschland die Arbeitsbedingungen für Zeitarbeiter nicht verbessert, sondern im Interesse der Unternehmen deutlich verschlechtert. Auch dazu sagen Ihre Autoren in ihrem Beitrag nichts! Nicht die Ursachen für die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen der tarifgeschützten und nicht tarifgeschützten Beschäftigten werden in Ihrem Beitrag aufgedeckt, sondern die "Privilegierten", die ihre Schutzrechte verteidigen, werden diskriminiert.

Ich wünsche Ihren Zuschauerinnen und Zuschauern bessere journalistische Leistungen.

Mit freundlichen Grüßen

Franz Kersjes


Online-Flyer Nr. 35  vom 14.03.2006

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