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Inland
Akademikerverband erhebt Ansprüche gegenüber Polen und Russland
Alles "deutsch"
Von Hans Georg

Einer der mitgliederstärksten Akademikerverbände Deutschlands, die Deutsche Burschenschaft (DB), erhebt in einer aktuellen Publikation territoriale Ansprüche gegenüber Polen und Russland ("deutsche Ostgebiete"). Auch Österreich sowie Teile der Tschechischen Republik ("Sudetenland"), Belgiens, Italiens und Dänemarks seien "deutsch".

Außerdem fordert der Verband in der kürzlich veröffentlichten Sammlung seiner Grundlagentexte die Stärkung der verstreut lebenden deutschsprachigen Minderheiten in ganz Europa. Für diese Aufgabe hält der Bundeshaushalt 2006 rund 16 Millionen Euro bereit. Die mit staatlichen Mitteln geförderte DB zählt etwa 15.000 Mitglieder; viele von ihnen arbeiten in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen. Die Regierungspartei SPD lehnt es ab, sich von dem völkisch orientierten Akademikerbund grundsätzlich zu distanzieren. Dessen radikaler Flügel verfügt über enge Kontakte zu rechtsextremen Kreisen.

Fortbestand

Im 2005 erschienenen "Handbuch der Deutschen Burschenschaft", in dem die politischen Grundlagen des Verbandes festgeschrieben sind, erhebt die DB territoriale Ansprüche gegenüber Polen und Russland. "Das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 besteht nach herrschender völkerrechtlicher Auffassung fort", heißt es in einem programmatischen Text, für den ein ehemaliger Spitzenfunktionär der DB verantwortlich zeichnet. Der Autor war bis vor kurzem Vizepräsident des Bundesarchivs. Es gebe historisch betrachtet "keinen Grund, den deutschen Anspruch auf diese Gebiete aufzugeben", heißt es weiter. [1]

Von Polen verwaltet

"Unter Deutschland verstehen wir den von Deutschen bewohnten Raum in Mitteleuropa einschließlich der Gebiete, aus denen Deutsche wiederrechtlich vertrieben worden sind", umreißt die DB über ihre Europa-Konzeption. [2] Deutschland bestehe "unabhängig von staatlichen Grenzen". Zwar würden weite Gebiete jenseits von Oder und Neiße heute "von Polen verwaltet". Ein "Gebietserwerb im Sinne der Erstreckung der polnischen Souveränität" habe für die ehemaligen deutschen "Ostgebiete" aber nicht stattgefunden, behauptet der Vizepräsident der Universität Würzburg a.D., Hannes Kaschkat, im Namen des Verbandes. Er erklärt: "Die "territoriale Souveränität über die Ostgebiete [verbleibt] weiterhin bei Deutschland".

Deutsches Vaterland

Die DB orientiert sich bei ihrer Bestimmung des Völkerrechtssubjekts Deutschland "nicht am Staat, sondern am Siedlungsraum des deutschen Volkes". Als "deutsch" gilt im Sinne ihres "volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffes", "wer aufgrund seiner Abstammung, Sprache und Kultur zum deutschen Volk gehört und sich zu ihm bekennt". Auf dieser Grundlage werden von dem Verband auch Österreich ("ein deutscher Staat") und verschiedene verstreut lebende "Volksgruppen" außerhalb der BRD als "deutsch" charakterisiert. Das "deutsche Vaterland" schließe "das Kanaltal und Südtirol in Italien, die von Deutschen bewohnten Landesteile Ostbelgiens oder Teile Nordschleswigs in Dänemark mit ein", heißt es im "Handbuch". Auch würde "an dem deutschen Charakter der sudetendeutschen Gebiete" kein Zweifel bestehen. Damit knüpfen die "Volkstums"-Propagandisten an berüchtigte Taktiken der Zwischenkriegszeit an ("Volk steht überm Staat").

Volksgruppenrecht

Burschenschaft AlemaniaAußerhalb des deutschen Sprachraumes (BRD, Österreich, Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein) leben heute nach Angaben der DB mindestens 14 Millionen "Auslandsdeutsche". Der Erhalt ihrer Sprache und Kultur müsse staatlich gefördert werden, verlangen die Burschenschafter - eine Forderung, der auch der Entwurf für den Bundeshaushalt 2006 entspricht. Für "allgemeine Hilfen", die "den Erfordernissen der deutschen Minderheiten in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa" Rechnung tragen, werden allein im Kapitel 06 40 des Bundeshaushalts 2006 mehr als 16 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Auch die DB selbst gewährt "Auslandsdeutschen" Unterstützung und fördert die Ausbreitung "deutscher" Kultur und Sprache. Ein "kulturpolitisches Engagement Deutschlands und Österreichs im Ausland" sei "immer auch ein politisches" und habe "bedeutende Folgen auch für die wirtschaftliche Entfaltung deutscher Interessen", heißt es in der Zeitschrift der DB, den Burschenschaftlichen Blättern. [3] Zur besseren Koordinierung ihrer Deutschtumsarbeit unterhält der Verband seit 1996 die "Burschenschaftliche Stiftung für nationale Minderheiten- und Volksgruppenrechte in Europa" (Saarbrücken).

Alliierte Kriegsverbrechen

Der burschenschaftliche Revisionismus richtet sich auch gegen die Deutschlandpolitik der Alliierten nach 1945. Die Sieger über den deutschen Faschismus hätten eine "systematische Zerstörung des deutschen Nationalbewusstseins und des nationalen Selbstbehauptungswillens durch eine langfristig angelegte und tiefgreifende Umerziehung" organisiert. Dies sowie eine "einseitige Vergangenheitsbewältigung" stelle eine Art "psychologischer Kriegsführung dar". Heute müssten die angeblichen "Verbrechen der Kriegsgegner Deutschlands (...) in gleicher Weise und gleichem Umfang aufgedeckt, veröffentlicht und verfolgt werden wie deutsche Kriegsverbrechen", fordert der Akademikerverband. [4]

In Gründung

Die DB, deren Arbeit mit staatlichen Mitteln ("Bundesjugendplan") subventioniert wird, ist einer der mitgliederstärksten Verbände für Akademiker und Studenten in Deutschland und Österreich. Ende 1997 zählte der Dachverband mehr als 15.000 Einzelmitglieder (davon 13.200 Akademiker mit Hochschulabschluss) in etwa 120 deutschen und österreichischen Burschenschaften. Zahlreiche Burschenschafter steigen nach ihrer Ausbildung in gesellschaftliche Schlüsselfunktionen auf. [5] Der Verband ist außerdem eng mit der deutschen Politik verwoben. Erst jüngst verweigerte sich die regierende Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) einer Distanzierung von dem nationalistischen Akademikerverband. Prominente Politiker im SPD-Bundesvorstand votierten gegen einen Unvereinbarkeitsantrag. [6] Ein "Arbeitskreis sozialdemokratischer Korporierter", der auch von Mitgliedern der DB getragen wird, befindet sich in Gründung.

Nationalsozialistische Wiederbetätigung

Burschenschaft GemaniaDer radikale Flügel der DB ist fest im Spektrum der extremen Rechten verankert. Zahlreiche Einzelmitglieder treten als Funktionäre entsprechender Organisationen auf (NPD, Republikaner, FPÖ). Einzelne Burschenschaften bieten regelmäßig Neofaschisten ein Podium. So lud die Burschenschaft Olympia Wien den Holocaust-Leugner David Irving im November 2005 zu einem Vortrag ein. Irving hatte wiederholt die Existenz von Gaskammern im deutschen Vernichtungslager Auschwitz geleugnet und den deutschen Faschismus glorifiziert. In Österreich wurde er wegen des "Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung" angeklagt und ist in erster Instanz verurteilt worden. [7]

Modernisierung

Die spektakulären Provokationen der offen rechtsradikal auftretenden Burschenschafter und das negative Echo in den Medien lassen die übrigen akademischen Strömungen des großdeutschen Revisionismus als gemäßigt oder sogar harmlos erscheinen. Unter diesem Schutz breiten sich neo-nationalistische Elitenzirkel an den deutschen Universitäten aus und modernisieren die traditionellen Hegemonialkonzepte der deutschen Außenpolitik.

[1] Klaus Oldenhage: Die deutschen Ostgebiete und das Sudetenland, in: Deutsche Burschenschaft: Handbuch der Deutschen Burschenschaft. Ausgabe 2005.
[2] Deutsche Burschenschaft: Handbuch der Deutschen Burschenschaft. Ausgabe 2005.
[3] Burschenschaftliche Blätter Nr. 1/2005.
[4] Deutsche Burschenschaft: Handbuch der Deutschen Burschenschaft. Ausgabe 2005.
[5] In den 1990er Jahren zählte beispielsweise die Burschenschaft Hansea Hamburg zu ihren Mitgliedern - unter anderen - einen Ministerialrat im Bundesverteidigungsministerium, zwei Ministerialräte beim Bundesfinanzministerium, einen Militärischen Vertreter Deutschlands bei der NATO, zahlreiche Richter, Direktoren, Geschäftsführer und Verwaltungsleiter bedeutender Unternehmen.
[6] Kurt Beck (Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz), Sigmar Gabriel (Bundesumweltminister), Hubertus Heil (SPD-Generalsekretär), Mathias Platzeck (SPD-Vorsitzender), Inge Wettig-Danielmeier (SPD-Schatzmeisterin). Einfluss Alter Herren bis in den Parteivorstand, Spiegel Online 17.01.2006.
[7] Glorifizierung Hitlers, Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.12.2005.

www.german-foreign-policy.com


Online-Flyer Nr. 35  vom 14.03.2006

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