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Lokales
Kölner Stadtarchiv – Betroffenheit und Eiertänze
Stadt und KVB retten – sich
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Stadt Köln: „Absolute Sicherheit geht vor"
Quelle: www.koeln.de
Alle Fragen beantworten...
Zunächst aber versuchte Oberbürgermeister Fritz Schramma dem Unglück noch ein Quentchen Glück abzugewinnen. Wie schlimm wäre es wohl geworden, meinte er zu Recht, wenn das Gebäude etwa während des Rosenmontagszuges auf die dicht bevölkerte Straße gestürzt wäre. Oder wenn die gegenüberliegende Schule gerade Pause gehabt hätte. Gleichwohl stieß Schrammas gut gemeintes Zureden jetzt doch an die Grenze eigener Hilflosigkeit angesichts dessen, was nun nicht mehr rückgängig zu machen, nicht mehr zu retten ist. So betonte er denn auch zunächst „tiefe Betroffenheit“ über die Katastrophe, vor allem im Hinblick auf die möglichen menschlichen Opfer und beschwor die Bereitschaft der versammelten Runde von Verantwortlichen und Experten: „Wir werden Ihre Fragen alle beantworten.“ Doch was konnte er, zwar als Stadtoberhaupt, doch eben ohne eigentliche Sachkenntnis, schon zu der auch von ihm geforderten unverstellten Aufklärung beitragen?
Ähnliches gilt auch für Stadtdirektor Guido Kahlen. Dessen persönliche Honorigkeit und Kompetenz als eigentlich faktischer Verwaltungschef steht weithin außer Frage. Aber eine andere Frage wird ihm noch gestellt werden müssen, nämlich ob und wie nicht wenigstens er im Detail versucht hat, auf ein Höchstmaß an Fachkompetenz bei den Planungen und insbesondere den Sicherheitsmaßnahmen des U-Bahn-Baus hinzuwirken.
„Absolute Sicherheit“ – zu spät?
Waren die präzisionsbesessenen und vorsorgeorientierten Maßnahmen, wie sie beim zugegebenermaßen später begonnenen U-Bahnprojekt in Leipzig sich so überzeugend bewährt haben (s. diese Ausgabe der NRhZ: „Kein Einsturz bei Auerbachs Keller“), nicht auch schon vor Beginn der Kölner Vortriebsarbeiten als „state of the arts“, als höchstentwickelter Stand der Technik, greifbar? Und hätten sie dann nicht auch im Sinne verantwortungsgeleiteter Prävention, angewendet werden müssen?
„Vorgegangene Sicherheit“: nicht für das Haus links neben dem Ort, wo das Stadtarchiv stand | Foto: Alexander Bentzien
„Absolute Sicherheit geht vor", so verkündete die Stadt Köln auf ihrer Internetseite am 5. März; das bezog sich aber zu diesem Zeitpunkt nur noch auf die Arbeiten am Unglücksort. Dieses Prinzip hätte vielleicht auch mit allen Konsequenzen die Kölner Stadtpolitik und die Fachebene des U-Bahn-Projekts von vornherein anleiten müssen, ehe noch der erste Spatenstich für den Tunnelvortrieb angesetzt wurde. „Mit allen Konsequenzen“ heißt: Einschließlich der Option, auf das Projekt zu verzichten, wenn skeptische Risikoabwägung eben jene „absolute Sicherheit“, die doch „vorgehen“ soll, nicht hätte garantieren können.
KVB: Katastrophenontologie und Schicksalsmythos
Stattdessen ergingen sich bei der Veranstaltung in der Messe die Herren Reinartz, der oberste Chef der KVB, sowie Projektleiter Dipl.Ing. Pabst in paraphilosophischen Arien über die „Macht des Schicksals“. Namentlich der als Ingenieur eigentlich zu strikter Rationalität verpflichtete Herr Pabst wich auf eine Art spezifisch kölsche KVB-Katastrophen-Ontologie aus. Das Leben als solches, und namentlich in seiner Ausprägung als Bauprojekt, sei eben nicht risikolos, eine risikofreie Baustelle gebe es nicht. Die Frage ist halt nur, ob das Ausmaß von Risiken, das durch Bauprojekte anderen, Dritten, direkt Unbeteiligten, aufgebürdet und zugemutet wird, jeweils wirklich verantwortbar ist. Und ob nicht letztlich ein öffentliches Risiko nur dann verantwortet werden kann, wenn die als zunächst ausreichend angesehenen Vorsorgemaßnahmen nochmals verdoppelt und vervielfacht werden. Und wenn auch dies nicht ausreicht, ob dann nicht auch ein Lieblingsprojekt selbst der Kölner Stadtpolitik eben hätte schlichtweg abgeblasen werden müssen.
Auch „Mehrheitsbeschluß“ muß korrigierbar bleiben
Reinarz: noch hat er souverän
Lächeln | Quelle: KVB
Der Verweis von KVB-Boß Reinarz, dass der U-Bahn-Bau vom Stadtparlament mit einer überwältigenden Mehrheit beschlossen worden sei, sollte wohl – in dieser Hinsicht betreibt man jetzt anscheinend doch „Prävention“ – mögliche Kritiker des Projekts als irgendwie mangelhaft demokratiebegabt in die Ecke stellen. Zur Sachdiskussion trägt das mindestens derzeit wenig bei. Parlamente können einen bestimmten politischen Weg vorzeichnen, den die Entwicklung einer Stadt nach Mehrheitswillen nehmen soll. Die konkrete Ausführung beschlossener Projekte aber muß unter dem Dirigat der Fachkompetenz stehen. Wenn sich fachliche Zweifel ergeben, ob ein Parlamentsbeschluß durchführbar ist, ohne die halbe Stadt in Trümmer zu hauen, dann muß die Beschlusslage notfalls eben überprüft und schlimmstenfalls revidiert werden.
Jenseits Schuldzuweisung für die Zukunft lernen
Man hätte es wissen können: einsturzgefähr-
detes Haus in der Severinstraße (nur
wenige Meter vor dem Stadtarchiv)
August 2008 | Foto: Norbert Schnitzler
Es wird sich, wir betonen: hoffentlich, im Zuge anstehender gutachterlicher Bemühungen, aber auch der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen herausstellen, ob Vorkehrungen wie in Leipzig auch in Köln hätten angewendet werden können und ob deren Unterlassung objektiv einen zivil- oder gar strafrechtlichen Begriff von „Fahrlässigkeit“ erfüllt. Dem wollen wir nicht vorgreifen, denn hier gibt es keine Vorverurteilung. Nicht zuletzt Leipzig zeigt aber, dass es auf Seiten der KVB keineswegs „hellseherischer“ Fähigkeiten bedurft hätte, um die aus dem Kölner Untergrund resultierenden Risiken zu erkennen und womöglich mit greifbaren Vorsorgetechniken entscheidend zu minimieren. Von diesem Aspekt der Verantwortlichkeit sollte jenseits aller subjektiven Anschuldigungen nicht mit ungeeigneten Schicksalsmythen und absurden Vergleichen abgelenkt werden. Wichtiger als die Aufarbeitung der nicht mehr zu korrigierenden Vergangenheit ist dabei, bei ähnlichen Projekten, die ins Eingeweide der Stadt eingreifen, in Zukunft besser gerüstet zu sein und die Wiederholung solcher Katastrophen eben doch zu verhindern.
Retter als „Schutzschilde“
Viel angenehmer ist es freilich, die Helden der Stunde hochleben zu lassen, was die Podiumsrunde denn auch gerne tat – die Bauarbeiter, die durch beherzte Warnung vielen Menschen höchstwahrscheinlich das Leben retteten, und insbesondere die Feuerwehrleute erwachsen jetzt zu Heroen des Kölner Boulevards, aber auch des Straßen- Laden- und Kneipengesprächs im Viertel. Ihnen allen Kränze zu flechten, ist ohne Zweifel ein gutes Werk. Doch der Feuerwehrmann, der unter Lebensgefahr auf einer Drehleiter in baufällige Wohnungen einsteigt, um zu retten, was zu retten ist, sollte nun nicht als leuchtendes Schutzschild herhalten, um die Verantwortlichen vor Kritik abzuschirmen oder unangenehme Fragen abzuschmettern.
Von solchen kritischen Rückfragen ließen sich etliche Publikumsteilnehmer in der Köln Messe allerdings auch nicht durch die verdienten Heldengesänge auf die Feuerwehrleute ablenken, die derzeit überall angestimmt werden.
Bürger fordern Antworten
Vielmehr ließen manche Anlieger der Severinstraße ihrer Wut über mangelnde Information und vermutete Fahrlässigkeit Raum, mutmaßten den Kölner Klüngel im Hintergrund, bekundeten, sich von KVB und Stadtspitze „verschaukelt“ zu fühlen. „Habe ich auf dem Wahlzettel vielleicht die Buchstaben ‚KVB’ übersehen?“, fragte ein erboster Anwohner, um den Oberbürgermeister direkt anzugehen: „Was kann ich denn von der gewählten politischen Vertretung, was kann ich von Ihnen erwarten?“ Immer wieder tauchte die Forderung nach einem Baustop oder der völligen Einstellung des Projektes auf.
Hier allerdings zeigte sich schnell die Grenze dessen, was von den „politisch Verantwortlichen“ zu erwarten ist, und hier führten die wie auch immer „Verantwortlichen“ insgesamt prekäre Eiertänze auf. Die KVB-Granden betonten, Arbeiten wie die „Vereisung“ von Grundwasser und Betonabdeckung bereits fertiggestellter Bauabschnitte müssten gerade aus Sicherheitsgründen weitergehen. OB Schramma hielt gleichermaßen grundsätzlich am U-Bahn-Bau fest, worin er aus dem Publikum Unterstützung vom grünen Bezirksbürgermeister Innenstadt, Andreas Hupke, erhielt. Schramma befürwortete jedoch ein Moratorium bis zum Abschluß von Ermittlungen und Gutachten.
In den Brunnen gefallen
Ist das wirklich die angemessene Konsequenz? „Wir stehen auf Ihrer Seite, Stadt und KVB“, beteuerte der Stadtdirektor. Doch das muß, obwohl es Guido Kahlen sagte, weiterhin als beweisbedürftig angesehen werden. Es sollte sich vor allem in der Zukunft erweisen – als intensiver Lernprozeß aus diesem Unglück. Wie gesagt – Leipzig lässt grüßen.
Jetzt aber ging und geht es eben nur noch um technische Einzelheiten von Rettungs-, Abbruch- und Bergungsarbeiten. Zu verhindern ist jetzt eben nichts mehr, damit hat Herr Projektleiter Pabst wenigstens im nachhinein noch Recht behalten mit seiner Aussage, dieses „Ereignis“ habe niemand verhindern können. „Wir müssen versuchen zu bergen, was noch in der Grube liegt“, sagte einer der Podiumsteilnehmer im Hinblick auf die Archivalien. Eine Frau aus dem Publikum verwendete die Redensart vom Kind, das in den Brunnen gefallen ist, um anzudeuten, dass man vielleicht vor den Arbeiten noch mehr präventive Sorgfalt hätte aufwenden können.
Stadtarchiv Köln: Die Feuerwehr birgt, „was noch in der Grube liegt...“
Foto: Alexander Bentzien
Bergen, was in der Grube liegt. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Wendungen, die zwei Tage später einen erst recht noch bitteren Doppelsinn gewannen, als der Bäckerlehrling Kevin endlich geborgen wurde, der mit seiner Wohnung im Obergeschoß eines benachbarten Hauses bis unter den Kellerboden in die Tiefe gerissen wurde. Wahrscheinlich im Schlaf soll es ihn erschlagen haben, der doch im Grunde noch ein Kind war. Ob der 17jährige, mit viel Betroffenheitspathos, versteht sich, nun auch als unvermeidliches, schicksalsgewolltes Kollateralopfer auf dem Altar von “Fortschritt“ und „Mobilität“ abgebucht wird?
Der gute Mensch von Severin
Am Abend der Veranstaltung konnte Feuerwehrchef Neuhoff allerdings zunächst nur vermelden, dass die Abtragung des Trümmerkegels erst zur selben Stunde möglich geworden sei. Der übermüdet und todunglücklich wirkende Leiter des Rettungseinsatzes wollte auch in diesem Augenblick die Hoffnung auf Überlebende erst aufgeben, wenn durch den Fortgang der Bergungsarbeiten Klarheit gewonnen sei. Ihm, der doch am wenigsten Verantwortung für Bauschäden des Stadtarchivs, geschweige denn für den U-Bahn-Bau trägt, war denn auch die stärkste, wirkliche Betroffenheit anzusehen, anzumerken. Es sei die schwerste Entscheidung seines Berufslebens gewesen, meinte er, die Suche nach den Verschütteten danach auszurichten, dass er damit nicht noch zusätzlich das Leben seiner Feuerwehrleute gefährde. Schon einmal habe er einen Mitarbeiter im Einsatz verloren – setzte er an und konnte nicht weitersprechen. Auch ihm und seinem unter erheblichem Risiko arbeitenden Team wäre das „Wunder von Köln“ zu wünschen gewesen, das nun doch leider ausgeblieben ist.
Schadensbegrenzung – posthum
Herr Reinarz von der KVB verkündete, man wolle dafür sorgen, „daß niemand mehr zu Schaden kommt“, und eine Million Euro Soforthilfe sei von den Stadtwerken zur Verfügung gestellt worden für Betroffene, damit sie „wieder ein normales Leben führen“ könnten. Ja, warum eigentlich – wenn doch die Kölner Verkehrsbetriebe nach wie vor, rhetorische „Entschuldigung“ hin oder her, mit Rechtsvorbehalten („keine Schuldanerkenntnis“) darauf insistieren, den Einsturz nicht verursacht zu haben? Man habe ganz freiwillig ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren mit externer Begutachtung beantragt, betonte Reinarz.
Hoffentlich kommt die Beweissicherung nicht auch zu spät...
Foto: Alexander Bentzien
Wie vorbehaltlos dieses Verfahren abläuft, wird sich dann ja zeigen. Vielleicht kommen dabei auch solche Experten zum Einsatz wie etwa der in der 3sat-Sndung „nano“ vom 4. März zitierte Manfred Tiedemann vom Verband der Prüfingenieure für Bauwesen (s. „Kein Einsturz bei Auerbachs Keller“ in dieser Ausgabe der NRhZ). Besser wäre freilich gewesen, deren Rat vor dem ersten Tunnelvortrieb in Köln einzuholen.
„Et hätt noch immer jut jejange“
Kurz vor Redaktionsschluß erreichte uns noch dieser Text aus Mülheim an der Ruhr zu diesem Thema. Den wollten wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten. – Die Redaktion.
Gedanken zu Kölle, der Stadt des Absackens aus Sicht der Klüngel-Partnerstadt a.d. Ruhr
Seit vielen Jahren wetteifern die Städte Köln und Mülheim darum, welche man als Klüngelhauptstadt ansehen kann. Erst hatte Köln die Nase vorne wie bei den Trienekens-Schmiergeldern, die in Mülheim unter der Decke gehalten werden konnten. Doch nur kurz später hatte Mülheim die Baganz/Jasper-Saga zu bieten, gegen die Köln nicht anstinken konnte (dazu verschiedene NRhZ-Artikel). Dafür aber brachten die mit der Köln-Messe den ganz großen Coup, der sogar die EU aufregte.
Das ließ Mülheim nicht auf sich sitzen und überbot Köln erneut bei der Missachtung des EU-Vergaberechts zu Ruhrbania. Bei Kleinfilz führte Mülheim dank Yassine & Bremekamp oder den RWE-Aufsichtsratsgeldern von OB Mühlenfeld lange Zeit um Längen, was wegen der Oberdreistigkeit der Fälle unaufholbar schien. Dann aber stellte der neutrale Beobachter mit großen Augen fest, wie Köln mit der geradezu sensationellen Selbstbedienungsaffäre vonBietmann & Müller auch das noch toppte. Also war das Kopf-an-Kopf-Rennen wieder völlig offen, bis letzten Mittwoch. Da sackte doch glatt das Kölner Stadtarchiv ein.
Sogar der Verleger-Sohn
schnüffelt „Klüngel“
Foto: Christian Heinrici
Eine derartige Katastrophe kann kaum noch selbst verursacht sein, das muss schon höhere Fügung sein. Die geradezu biblische Symbolik, dass der historisch bedeutsamsten deutschen Stadt die gesamte Erinnerung unter Trümmer geriet und nun über Jahre mit viel Geld und Aufwand restauriert werden muss, soll wohl den Kölnern ihren bisher ewig wirksamen Spruch „Et hätt noch immer jut jejange" völlig verleiden, denn „Et hätt nit!" Selbst Konrad Adenauer jun.-jun. und Konstantin aus der Verleger-Dynastie Neven Dumont sehen laut WAZ den Kölschen Klüngel als Ursache der Tragödie.
Richtig: Da hatten die Gutachter doch noch im Dezember die volle Standhaftigkeit des Severins-Viertels gegen den U-Bahnbau attestiert, obwohl bereits 2004 der „Schiefe Turm von Köln" der Kirche St. Johann Baptist ganz in der Nähe etwas gänzlich anderes offenbart hatte. Genau so etwas könnte auch in Mülheim tagtäglich passieren, was die verheerenden Gutachterfolgen der Geliebten des Ex-OB bis heute drastisch belegen. Doch der Geschichte mit dem Versacken des Kölner Stadtarchivs hat der Mölmsche Klüngel nichts Adäquates entgegen zu setzen und bleibt auf der Verliererstraße beim Wettbewerb „Deutschland sucht die Klüngelhauptstadt".
Wie jämmerlich wirkt die zynische Mülheimer Rathausabrissparty letzten Freitag oder die Verwüstungen a.d. Ruhr im Vorgriff auf ein nicht mehr baubares Hotel gegen das Verschwinden des Kölner Stadtarchivs. Das hat selbst die Kölner baff gemacht. Hatten sie doch erst vor Wochen versucht, es Mülheim nachzumachen mit der Naturzerstörung am Fluss, in dem Fall weniger im Gartendenkmal als in den Godorfer Rheinauen. Für einen irrwitzigen neuen Hafen, den die Wirtschaftskrise ohnehin auffressen wird, hatte Köln sichja an Mülheim ein Beispiel genommen und das sehr erfolgreiche Bürgerbehren zum Erhalt der Godorfer Rheinauen (36.000 Unterschriften) einfach im Stadtrat für unzulässig erklärt, wie weiland Mülheim mit dem relativ noch viel erfolgreicheren Bürgerbegehren zum Schutz der Ostruhranlagen.
Und so sind jetzt beide Klüngelanten ziemlich ratlos, wie sie aus den ganzen Nummern wieder heil heraus kommen können, jede Stadt für sich wieder richtig klüngeln kann, so dass wieder gilt "Et hätt noch immer jut jejange" - zumindest fast. Oder war's das dieses Mal?
Lothar Reinhard aus Mülheim/Ruhr und schon immer Köln-Fan, außer beim FC, der selbst mit King Poldi der Borussia aus Gladbach hoffentlich bald wieder nicht mehr das Wasser reichen kann. (PK)
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009
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Kölner Stadtarchiv – Betroffenheit und Eiertänze
Stadt und KVB retten – sich
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Stadt Köln: „Absolute Sicherheit geht vor"
Quelle: www.koeln.de
Alle Fragen beantworten...
Zunächst aber versuchte Oberbürgermeister Fritz Schramma dem Unglück noch ein Quentchen Glück abzugewinnen. Wie schlimm wäre es wohl geworden, meinte er zu Recht, wenn das Gebäude etwa während des Rosenmontagszuges auf die dicht bevölkerte Straße gestürzt wäre. Oder wenn die gegenüberliegende Schule gerade Pause gehabt hätte. Gleichwohl stieß Schrammas gut gemeintes Zureden jetzt doch an die Grenze eigener Hilflosigkeit angesichts dessen, was nun nicht mehr rückgängig zu machen, nicht mehr zu retten ist. So betonte er denn auch zunächst „tiefe Betroffenheit“ über die Katastrophe, vor allem im Hinblick auf die möglichen menschlichen Opfer und beschwor die Bereitschaft der versammelten Runde von Verantwortlichen und Experten: „Wir werden Ihre Fragen alle beantworten.“ Doch was konnte er, zwar als Stadtoberhaupt, doch eben ohne eigentliche Sachkenntnis, schon zu der auch von ihm geforderten unverstellten Aufklärung beitragen?
Ähnliches gilt auch für Stadtdirektor Guido Kahlen. Dessen persönliche Honorigkeit und Kompetenz als eigentlich faktischer Verwaltungschef steht weithin außer Frage. Aber eine andere Frage wird ihm noch gestellt werden müssen, nämlich ob und wie nicht wenigstens er im Detail versucht hat, auf ein Höchstmaß an Fachkompetenz bei den Planungen und insbesondere den Sicherheitsmaßnahmen des U-Bahn-Baus hinzuwirken.
„Absolute Sicherheit“ – zu spät?
Waren die präzisionsbesessenen und vorsorgeorientierten Maßnahmen, wie sie beim zugegebenermaßen später begonnenen U-Bahnprojekt in Leipzig sich so überzeugend bewährt haben (s. diese Ausgabe der NRhZ: „Kein Einsturz bei Auerbachs Keller“), nicht auch schon vor Beginn der Kölner Vortriebsarbeiten als „state of the arts“, als höchstentwickelter Stand der Technik, greifbar? Und hätten sie dann nicht auch im Sinne verantwortungsgeleiteter Prävention, angewendet werden müssen?
„Vorgegangene Sicherheit“: nicht für das Haus links neben dem Ort, wo das Stadtarchiv stand | Foto: Alexander Bentzien
„Absolute Sicherheit geht vor", so verkündete die Stadt Köln auf ihrer Internetseite am 5. März; das bezog sich aber zu diesem Zeitpunkt nur noch auf die Arbeiten am Unglücksort. Dieses Prinzip hätte vielleicht auch mit allen Konsequenzen die Kölner Stadtpolitik und die Fachebene des U-Bahn-Projekts von vornherein anleiten müssen, ehe noch der erste Spatenstich für den Tunnelvortrieb angesetzt wurde. „Mit allen Konsequenzen“ heißt: Einschließlich der Option, auf das Projekt zu verzichten, wenn skeptische Risikoabwägung eben jene „absolute Sicherheit“, die doch „vorgehen“ soll, nicht hätte garantieren können.
KVB: Katastrophenontologie und Schicksalsmythos
Stattdessen ergingen sich bei der Veranstaltung in der Messe die Herren Reinartz, der oberste Chef der KVB, sowie Projektleiter Dipl.Ing. Pabst in paraphilosophischen Arien über die „Macht des Schicksals“. Namentlich der als Ingenieur eigentlich zu strikter Rationalität verpflichtete Herr Pabst wich auf eine Art spezifisch kölsche KVB-Katastrophen-Ontologie aus. Das Leben als solches, und namentlich in seiner Ausprägung als Bauprojekt, sei eben nicht risikolos, eine risikofreie Baustelle gebe es nicht. Die Frage ist halt nur, ob das Ausmaß von Risiken, das durch Bauprojekte anderen, Dritten, direkt Unbeteiligten, aufgebürdet und zugemutet wird, jeweils wirklich verantwortbar ist. Und ob nicht letztlich ein öffentliches Risiko nur dann verantwortet werden kann, wenn die als zunächst ausreichend angesehenen Vorsorgemaßnahmen nochmals verdoppelt und vervielfacht werden. Und wenn auch dies nicht ausreicht, ob dann nicht auch ein Lieblingsprojekt selbst der Kölner Stadtpolitik eben hätte schlichtweg abgeblasen werden müssen.
Auch „Mehrheitsbeschluß“ muß korrigierbar bleiben
Reinarz: noch hat er souverän
Lächeln | Quelle: KVB
Jenseits Schuldzuweisung für die Zukunft lernen
Man hätte es wissen können: einsturzgefähr-
detes Haus in der Severinstraße (nur
wenige Meter vor dem Stadtarchiv)
August 2008 | Foto: Norbert Schnitzler
Retter als „Schutzschilde“
Viel angenehmer ist es freilich, die Helden der Stunde hochleben zu lassen, was die Podiumsrunde denn auch gerne tat – die Bauarbeiter, die durch beherzte Warnung vielen Menschen höchstwahrscheinlich das Leben retteten, und insbesondere die Feuerwehrleute erwachsen jetzt zu Heroen des Kölner Boulevards, aber auch des Straßen- Laden- und Kneipengesprächs im Viertel. Ihnen allen Kränze zu flechten, ist ohne Zweifel ein gutes Werk. Doch der Feuerwehrmann, der unter Lebensgefahr auf einer Drehleiter in baufällige Wohnungen einsteigt, um zu retten, was zu retten ist, sollte nun nicht als leuchtendes Schutzschild herhalten, um die Verantwortlichen vor Kritik abzuschirmen oder unangenehme Fragen abzuschmettern.
Von solchen kritischen Rückfragen ließen sich etliche Publikumsteilnehmer in der Köln Messe allerdings auch nicht durch die verdienten Heldengesänge auf die Feuerwehrleute ablenken, die derzeit überall angestimmt werden.
Bürger fordern Antworten
Vielmehr ließen manche Anlieger der Severinstraße ihrer Wut über mangelnde Information und vermutete Fahrlässigkeit Raum, mutmaßten den Kölner Klüngel im Hintergrund, bekundeten, sich von KVB und Stadtspitze „verschaukelt“ zu fühlen. „Habe ich auf dem Wahlzettel vielleicht die Buchstaben ‚KVB’ übersehen?“, fragte ein erboster Anwohner, um den Oberbürgermeister direkt anzugehen: „Was kann ich denn von der gewählten politischen Vertretung, was kann ich von Ihnen erwarten?“ Immer wieder tauchte die Forderung nach einem Baustop oder der völligen Einstellung des Projektes auf.
Hier allerdings zeigte sich schnell die Grenze dessen, was von den „politisch Verantwortlichen“ zu erwarten ist, und hier führten die wie auch immer „Verantwortlichen“ insgesamt prekäre Eiertänze auf. Die KVB-Granden betonten, Arbeiten wie die „Vereisung“ von Grundwasser und Betonabdeckung bereits fertiggestellter Bauabschnitte müssten gerade aus Sicherheitsgründen weitergehen. OB Schramma hielt gleichermaßen grundsätzlich am U-Bahn-Bau fest, worin er aus dem Publikum Unterstützung vom grünen Bezirksbürgermeister Innenstadt, Andreas Hupke, erhielt. Schramma befürwortete jedoch ein Moratorium bis zum Abschluß von Ermittlungen und Gutachten.
In den Brunnen gefallen
Ist das wirklich die angemessene Konsequenz? „Wir stehen auf Ihrer Seite, Stadt und KVB“, beteuerte der Stadtdirektor. Doch das muß, obwohl es Guido Kahlen sagte, weiterhin als beweisbedürftig angesehen werden. Es sollte sich vor allem in der Zukunft erweisen – als intensiver Lernprozeß aus diesem Unglück. Wie gesagt – Leipzig lässt grüßen.
Jetzt aber ging und geht es eben nur noch um technische Einzelheiten von Rettungs-, Abbruch- und Bergungsarbeiten. Zu verhindern ist jetzt eben nichts mehr, damit hat Herr Projektleiter Pabst wenigstens im nachhinein noch Recht behalten mit seiner Aussage, dieses „Ereignis“ habe niemand verhindern können. „Wir müssen versuchen zu bergen, was noch in der Grube liegt“, sagte einer der Podiumsteilnehmer im Hinblick auf die Archivalien. Eine Frau aus dem Publikum verwendete die Redensart vom Kind, das in den Brunnen gefallen ist, um anzudeuten, dass man vielleicht vor den Arbeiten noch mehr präventive Sorgfalt hätte aufwenden können.
Stadtarchiv Köln: Die Feuerwehr birgt, „was noch in der Grube liegt...“
Foto: Alexander Bentzien
Bergen, was in der Grube liegt. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Wendungen, die zwei Tage später einen erst recht noch bitteren Doppelsinn gewannen, als der Bäckerlehrling Kevin endlich geborgen wurde, der mit seiner Wohnung im Obergeschoß eines benachbarten Hauses bis unter den Kellerboden in die Tiefe gerissen wurde. Wahrscheinlich im Schlaf soll es ihn erschlagen haben, der doch im Grunde noch ein Kind war. Ob der 17jährige, mit viel Betroffenheitspathos, versteht sich, nun auch als unvermeidliches, schicksalsgewolltes Kollateralopfer auf dem Altar von “Fortschritt“ und „Mobilität“ abgebucht wird?
Der gute Mensch von Severin
Am Abend der Veranstaltung konnte Feuerwehrchef Neuhoff allerdings zunächst nur vermelden, dass die Abtragung des Trümmerkegels erst zur selben Stunde möglich geworden sei. Der übermüdet und todunglücklich wirkende Leiter des Rettungseinsatzes wollte auch in diesem Augenblick die Hoffnung auf Überlebende erst aufgeben, wenn durch den Fortgang der Bergungsarbeiten Klarheit gewonnen sei. Ihm, der doch am wenigsten Verantwortung für Bauschäden des Stadtarchivs, geschweige denn für den U-Bahn-Bau trägt, war denn auch die stärkste, wirkliche Betroffenheit anzusehen, anzumerken. Es sei die schwerste Entscheidung seines Berufslebens gewesen, meinte er, die Suche nach den Verschütteten danach auszurichten, dass er damit nicht noch zusätzlich das Leben seiner Feuerwehrleute gefährde. Schon einmal habe er einen Mitarbeiter im Einsatz verloren – setzte er an und konnte nicht weitersprechen. Auch ihm und seinem unter erheblichem Risiko arbeitenden Team wäre das „Wunder von Köln“ zu wünschen gewesen, das nun doch leider ausgeblieben ist.
Schadensbegrenzung – posthum
Herr Reinarz von der KVB verkündete, man wolle dafür sorgen, „daß niemand mehr zu Schaden kommt“, und eine Million Euro Soforthilfe sei von den Stadtwerken zur Verfügung gestellt worden für Betroffene, damit sie „wieder ein normales Leben führen“ könnten. Ja, warum eigentlich – wenn doch die Kölner Verkehrsbetriebe nach wie vor, rhetorische „Entschuldigung“ hin oder her, mit Rechtsvorbehalten („keine Schuldanerkenntnis“) darauf insistieren, den Einsturz nicht verursacht zu haben? Man habe ganz freiwillig ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren mit externer Begutachtung beantragt, betonte Reinarz.
Hoffentlich kommt die Beweissicherung nicht auch zu spät...
Foto: Alexander Bentzien
Wie vorbehaltlos dieses Verfahren abläuft, wird sich dann ja zeigen. Vielleicht kommen dabei auch solche Experten zum Einsatz wie etwa der in der 3sat-Sndung „nano“ vom 4. März zitierte Manfred Tiedemann vom Verband der Prüfingenieure für Bauwesen (s. „Kein Einsturz bei Auerbachs Keller“ in dieser Ausgabe der NRhZ). Besser wäre freilich gewesen, deren Rat vor dem ersten Tunnelvortrieb in Köln einzuholen.
„Et hätt noch immer jut jejange“
Kurz vor Redaktionsschluß erreichte uns noch dieser Text aus Mülheim an der Ruhr zu diesem Thema. Den wollten wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten. – Die Redaktion.
Gedanken zu Kölle, der Stadt des Absackens aus Sicht der Klüngel-Partnerstadt a.d. Ruhr
Seit vielen Jahren wetteifern die Städte Köln und Mülheim darum, welche man als Klüngelhauptstadt ansehen kann. Erst hatte Köln die Nase vorne wie bei den Trienekens-Schmiergeldern, die in Mülheim unter der Decke gehalten werden konnten. Doch nur kurz später hatte Mülheim die Baganz/Jasper-Saga zu bieten, gegen die Köln nicht anstinken konnte (dazu verschiedene NRhZ-Artikel). Dafür aber brachten die mit der Köln-Messe den ganz großen Coup, der sogar die EU aufregte.
Das ließ Mülheim nicht auf sich sitzen und überbot Köln erneut bei der Missachtung des EU-Vergaberechts zu Ruhrbania. Bei Kleinfilz führte Mülheim dank Yassine & Bremekamp oder den RWE-Aufsichtsratsgeldern von OB Mühlenfeld lange Zeit um Längen, was wegen der Oberdreistigkeit der Fälle unaufholbar schien. Dann aber stellte der neutrale Beobachter mit großen Augen fest, wie Köln mit der geradezu sensationellen Selbstbedienungsaffäre vonBietmann & Müller auch das noch toppte. Also war das Kopf-an-Kopf-Rennen wieder völlig offen, bis letzten Mittwoch. Da sackte doch glatt das Kölner Stadtarchiv ein.
Sogar der Verleger-Sohn
schnüffelt „Klüngel“
Foto: Christian Heinrici
Richtig: Da hatten die Gutachter doch noch im Dezember die volle Standhaftigkeit des Severins-Viertels gegen den U-Bahnbau attestiert, obwohl bereits 2004 der „Schiefe Turm von Köln" der Kirche St. Johann Baptist ganz in der Nähe etwas gänzlich anderes offenbart hatte. Genau so etwas könnte auch in Mülheim tagtäglich passieren, was die verheerenden Gutachterfolgen der Geliebten des Ex-OB bis heute drastisch belegen. Doch der Geschichte mit dem Versacken des Kölner Stadtarchivs hat der Mölmsche Klüngel nichts Adäquates entgegen zu setzen und bleibt auf der Verliererstraße beim Wettbewerb „Deutschland sucht die Klüngelhauptstadt".
Wie jämmerlich wirkt die zynische Mülheimer Rathausabrissparty letzten Freitag oder die Verwüstungen a.d. Ruhr im Vorgriff auf ein nicht mehr baubares Hotel gegen das Verschwinden des Kölner Stadtarchivs. Das hat selbst die Kölner baff gemacht. Hatten sie doch erst vor Wochen versucht, es Mülheim nachzumachen mit der Naturzerstörung am Fluss, in dem Fall weniger im Gartendenkmal als in den Godorfer Rheinauen. Für einen irrwitzigen neuen Hafen, den die Wirtschaftskrise ohnehin auffressen wird, hatte Köln sichja an Mülheim ein Beispiel genommen und das sehr erfolgreiche Bürgerbehren zum Erhalt der Godorfer Rheinauen (36.000 Unterschriften) einfach im Stadtrat für unzulässig erklärt, wie weiland Mülheim mit dem relativ noch viel erfolgreicheren Bürgerbegehren zum Schutz der Ostruhranlagen.
Und so sind jetzt beide Klüngelanten ziemlich ratlos, wie sie aus den ganzen Nummern wieder heil heraus kommen können, jede Stadt für sich wieder richtig klüngeln kann, so dass wieder gilt "Et hätt noch immer jut jejange" - zumindest fast. Oder war's das dieses Mal?
Lothar Reinhard aus Mülheim/Ruhr und schon immer Köln-Fan, außer beim FC, der selbst mit King Poldi der Borussia aus Gladbach hoffentlich bald wieder nicht mehr das Wasser reichen kann. (PK)
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009
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