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Lokales
ARGE-Boß Müller-Starmann will Informantenschutz aushebeln
Verpetzt wird nicht!
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Das kann sich der Herr Müller-Starmann mal gleich abschminken. Ein Journalist oder publizistisch tätiger Mensch verpetzt seine Gesprächspartner und Informanten nicht, die ihm einen „Mißstand“ - also oft ein kennzeichnendes Systemmerkmal - aus einer machtgeschützten Institution berichtet haben, von denen sie vielleicht selbst abhängig sind. Das käme nachgerade einer Auslieferung gleich. Genau solche Denunziation, derlei Bruch elementaren Vertrauensschutzes, aber verlangt der Chef der Kölner ARGE von der Initiative KEAS - „Kölner Erwerbslose in Aktion“ - und namentlich von deren Aktivisten und Redakteur Jochen Lubig.


ARGE-Chef und Verfassungsfeind
Müller-Starmann will Sichtblende
verfügen | Foto: Hans-Dieter Hey
Auf den Holzhammer …

Lubig soll einen Erwerbslosen namentlich machen, der seitens der ARGE schon genug an Pressalien erfahren hat. Der junge Mann - nähere Einzelheiten sind im Originalartikel von KEAS („Holzhammermethoden bei der ARGE“) in dieser Ausgabe der NRhZ nachzulesen - war seinem Ein-Euro-Job einen Tag lang ferngeblieben, weil er seine hochschwangere Frau mit Geburtswehen zur Niederkunft ins Krankenhaus brachte. Daraufhin sei ihm, so berichtete er Jochen Lubig, der Erwerbslose bei ihren ARGE-Angelegenheiten als Beistand begleitet, der Ein-Euro-Job (aus dem er, wie bei unter 27jährigen üblich, nur 70 Cents erhält) fristlos gekündigt worden. Die Einrichtung, in der er tätig war, gehört zum Amtsbereich der Kölner Jugenddezernentin; es handelt sich freilich um ein normal betriebenes Cafe-Restaurant in der Nähe des Kalk-Karrees, in dem auch ganz normales Publikum verkehrt. Als weitaus gravierendere Zusatzsanktion verhängte die ARGE-Abteilung U25 (für unter 25jährige) in Köln-Mülheim, die für ihn zuständig ist, eine dreimonatige Sperre. Jochen Lubig, dem der Betroffene seine Geschichte erzählte, gelang es jedoch, daß die Sanktion seitens der ARGE rückgängig gemacht wurde. Letzteres klingt ja durchaus nach happy end, das aber durch den Tatbestand vergällt wird, daß es erst nach massiver Intervention von außen, mithin seitens der KEAS und Jochen Lubigs, möglich wurde.
 
… noch ein Hammer

Nun aber kam der dickste Holz-Hammer hinterhergeflogen. Jochen Lubigs Bericht im KEAS-Mitteilungsblatt veranlaßte den großmächtigen Herrn Müller-Starmann als Chef der Kölner ARGE nämlich nicht, beispielsweise beim Autor anzurufen und sich freundlich nach näheren Details zu erkundigen, um vielleicht intern ein paar Klärungen herbeizuführen. Seine nicht nur vereinzelt überforderten MitarbeiterInnen könnten ja gelegentlich ein paar Orientierungshilfen gut gebrauchen, vor welcher gesetzlichen, grundrechtlichen und nebenbei auch menschlichen Grenze sie mit Restriktionen, Sanktionen und Repressionen mal halt machen sollten. Vielmehr schrieb der anscheinend befehlsgewohnte hohe Herr einen von Apparatschikmentalität gekennzeichneten Drohbrief in reinstem Bürokratendeutsch mit der Hauptforderung, die Identität des Betroffenen herauszurücken, der solche Interna über seine eigenen Angelegenheiten unverschämterweise öffentlich gemacht hatte.

Müller-Starmann behauptet: Kritiker lügen

Anderenfalls geht der Oberbefehlshaber über das Kölner Arbeitslosen-Prekariat davon aus, daß der Bericht glattweg erfunden und auch das von KEAS eingestellte Interview gefälscht sei. Das kennen wir ja: Die Herren im Nadelstreifen sind durchweg, wie die Fälle Zumwinkel, Victory-Ackermann und Florian Gerster zeigen, honorig und reinster Wahrheit verpflichtet, während das Geringverdiener- und erst recht Hartz-IV-Gesindel notorisch lügt und betrügt, wie man ja von Bildzeitung und Sat 1 erfahren kann. Auch die Arbeitslosen-Statistiken der bundesweiten wie der regionalen „Arbeitsverwaltung“ sind von jeglicher Manipulation himmelweit entfernt und reinste Wahrheit. Da mag es wohl Ausdruck einer spätmarxistischen Regression sein, wenn der Kommentator in dieser hochfahrenden Unverschämtheit des Herrn Müller-Starmann typische Symptome für die konstitutionelle Selbstüberhebung der herrschenden Klasse und einer mit massiven Sozialressentiments ausgestatteten Bourgeoisie erblickt.
 
Wir werden euch schon helfen...

Doch zurück zur Fallanalyse. Zwar proklamierte Müller-Starmann, sein Verlangen nach Offenlegung des Informanten diene dem Ziel einer internen Nachprüfung zu Zwecken der Fehlerkorrektur. Jochen Lubig will auch nicht ausschließen, daß es dem ARGE-Chef persönlich durchaus darauf ankommen könnte. Doch solchem Zutrauen steht die rein pressalische Methode einschließlich obrigkeitsstaatlich schnarrenden Tonfalls entgegen, den der Befehlshaber über die Kölner Erwerbslosen wie selbstverständlich anschlägt. Dieser autoritäre Formalismus will redaktionellen Informantenschutz ebenso wie den Klientenschutz der Sozialberatung glatt aushebeln. So erscheint eben andererseits auch die Befürchtung nicht unbegründet, daß der Hartz-Empfänger, der sich zu beschweren wagte, dafür vom Müller-Starmann-Imperium noch zusätzliche Abstrafung zu erwarten haben könnte.

Nun setzt die ARGE auch noch - mindestens im Unterliegensfalle auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler, versteht sich - eine bezeichnenderweise am Konrad-Adenauer-Ufer residierende Nobelkanzlei in Gang, um den KEAS die Namensnennung sowie die Unterlassung ihrer ARGE-kritischen Publikation abzuzwingen. Diese zusätzliche Verschärfung des repressiven Vorgehens spricht, so findet jedenfalls der Autor dieses Beitrages, eher für die negative Variante im Hinblick auf die Motivation und Zielsetzung der ARGE und ihres „Starmanns“.

Sollen Kritiker der ARGE totgeklagt werden?


Jochen Lubig klopft auf den
Busch | Fotos: KEA
Daß die KEAS als Selbsthilfevereinigung von Erwerbslosen der Edelkanzlei vorab für diese rechtswidrige Anmutung auch noch einen guten Tausender an Gebühren rüberschieben sollen, unterstreicht diese Hypothese. Seit Jahr und Tag gehört es bekanntlich zum Methodenrepertoire hochmögender Einrichtungen, mit Hilfe luxuriös bezahlter Spezialkanzleien kritische Veröffentlichungen durch ökonomische Liquidation der Kritiker zu unterbinden. Wie auch immer Seine ARGE-Exzellenz Müller-Starmann Form und Inhalt seines Begehrens nach Enthüllung der Identität des Betroffenen begründet, wie andererseits er dazu motiviert sein mag: Evident ist, daß der ARGE-Gewaltige die KEAS durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer rechtswidrigen Handlung - nämlich Aushebelung des redaktionellen Vertrauensschutzes und des Klientenschutzes der Sozialberatung - zu veranlassen trachtet.

Verfassungswidrige ARGE greift Verfassungsrechte an

Das ist über den Einzelfall hinaus - und, nochmals, unabhängig von der konkreten, individuellen Motivation der als Müller-Starmann bekannten Person - im Grundsatz objektiv ein rabiater Angriff auf eine Zentralkomponente der Presse- und Meinungsfreiheit, nämlich den journalistischen und redaktionellen Informantenschutz. Dessen “Unentbehrlichkeit“ hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahrzehnten unterstrichen - weil ansonsten gerade die Informationen über „Mißstände“ aus Institutionen unterbleiben würden, von denen die Informanten in irgendeiner Weise abhängig sind oder Nachteile zu befürchten hätten. (1) Der Kommentator kommt mithin zu dem Schluß, daß der Chef einer bereits höchstrichterlich als verfassungswidrig erkannten Einrichtung (2) mit massiver Drohgestik und Rechtsrepression ein verfassungsmäßiges Grundrecht attackiert. Jenseits der konkreten “Fallklärung“, selbst jenseits irgendeiner Meinung über ARGE und Hartz IV, müßte sich die gesamte Presse an sich schärfstens gegen diese unglaubliche An-und Zumutung des Kölner ARGE-Chefs positionieren. Die NRhZ macht hiermit den Anfang. Wir versichern nicht nur Herrn Müller-Starmann, daß Informantenschutz und Meinungsfreiheit sowie die Verpflichtung zur Benennung von „Mißständen“, auch und gerade soweit sie in Wirklichkeit Systemsymptome sind, bei uns unverrückbar bleiben.
 
Einladung an Herrn Müller-Starmann

Im übrigen zeigt der Fall, wie recht Kritiker haben, die seit Jahren das System von Hartz IV - dieses „nachhaltigsten Angriffs auf menschliche Arbeits- und Lebensbedingungen“ (Oskar Lafontaine -3) für ein Seitentor des weiteren massiven Abbaus auch zentraler „bürgerlicher“ Grund- und Persönlichkeitsrechte halten (4), bis hin, wie in diesem Falle, in den Bereich der Presse- und Informationsfreiheit hinein. Doch dieses Faß werden wir öfter noch aufzumachen haben. Beispielsweise im Zusammenhang mit der Tagung über „Arbeits-Unrecht“ am 14. März im Bürgerzentrum Stollwerck. Herr Müller-Starmann kann dort ja gern mal vorbeischauen (5). Vielleicht kann er noch etwas daraus lernen, vielleicht selbst etwas beitragen - und, ja, vielleicht wird sogar von ihm gesprochen werden müssen. (PK) 
 
(1) Urteil vom 24. 11. 1973, BVerfGE 36, 193 u.a.; letztlich: Urteil vom 27. Februar 2007, -- 1 BvR 538, 2045/06, BVerfGE 117, 244
(2) Mit Urteil vom 20.12.2007 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die ARGEn als Kernstück der „Hartz-Reform“ eine verfassungswidrige Konstruktion darstellen; Az: 2 BvR 2434/04. 
(3) Linke will gesellschaftlichen Wandel. NRhZ Nr. 176, 10. 12. 2008
(4) In dieser Hinsicht sei der nach wie vor aktuelle „Klassiker“ von Gabriele Gillen „Hartz IV – eine Abrechnung“, Rowohlt 2004, nochmals wärmstens empfohlen, übrigens auch Herrn Müller-Starmann.
(5) Lesen Sie hierzu auch den Artikel von Werner Rügemer "Arbeits-Unrecht" in dieser Ausgabe. 

Holzhammermethoden bei der ARGE - U25 -

9. Dezember, 2008 - 15:23 – KEA Im Rahmen der Zahltag!-XXL-Aktion in der ersten Dezemberwoche besuchten wir am Freitag die berühmt-berüchtigte Abteilung U25 für unter-25-jährige in Köln-Mülheim (Bericht über die Aktion). Dort wandte sich jemand mit einer Geschichte an uns, die wir zunächst nicht glauben konnten. Leider stellte sich das Ganze als nur allzu wahr heraus:
 
Ein junger Mann (unter 25) wird zusammen mit seiner Frau (auch unter 25) zur ARGE bestellt. Die Sachbearbeiterin legt ihnen Eingliederungsvereinbarungen vor. Der Inhalt könne nicht verhandelt werden, eine Bedenkzeit sei nicht möglich, da sonst, nach Aussage der Sachbearbeiterin, eine sofortige Sperre drohe. Gezwungenermaßen unterschreibt das Ehepaar. Der junge Mann verpflichtet sich damit, einen so genannten Integrationsjob für 70 Cent pro Stunde anzutreten. Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wo er arbeiten wird, welche Tätigkeit auf ihn wartet, er kennt weder den Arbeitgeber noch die Arbeitszeiten oder den Arbeitsort.
 
Die Arbeitsstelle entpuppt sich als ein Café, welches öffentlich zugänglich ist, in dem normale Preise verlangt werden und in dem fast ausschließlich Ein-Euro-Jobber arbeiten.
 
Er arbeitet dort einige Zeit. Dann setzen bei seiner Frau die Wehen ein, er muss sie ins Krankenhaus begleitet und fehlt somit einen Tag. Daraufhin wird der Integrationsjob vom Träger sofort beendet und von der ARGE eine Sanktion verhängt: Es gibt für ihn drei Monte kein Geld von der ARGE. Wegen einer angeblichen „Abwägung mit öffentlichen Interessen“ kann die Dauer auch nicht auf 6 Wochen verkürzt werden, was bei U25 grundsätzlich möglich ist.
 
Ein sofort eingelegter Widerspruch wird mit der Bemerkung, die Bearbeitung werde 6 Monate dauern, entgegengenommen. Die gesetzlich erlaubte maximale Bearbeitungszeit beträgt 3 Monate. Die Möglichkeit, beim Sozialgericht einen Eilantrag zu stellen, wird natürlich verschwiegen, obwohl die ARGE auch in solchen Fällen zur Beratung verpflichtet ist.
 
Es ist unschwer vorstellbar, wie sich dieser rabiate Einschnitt im Leben der jungen Familie auswirkt. Der Vater erhält lediglich Lebensmittelgutscheine über wöchentlich abwechselnd 25 oder 30 Euro, für die er jede Woche mehrere Stunden in der ARGE anstehen muss.
 
Durch unser Einwirken zog die zuständige Sachbearbeiterin bzw. ihr Teamleiter ganz schnell die Notbremse: Die Sanktion ist vom Tisch, das Geld wird nachgezahlt. Allerdings zeigt sich der Teamleiter trotz allem unbelehrbar: Die Sanktion werde nur aus formalen Gründen zurückgezogen, das Verhalten des „Kunden“ werde ausdrücklich nicht gebilligt sondern weiterhin verurteilt.
 
Zur Rechtslage:
 
Der Zwang zum Abschließen einer Eingliederungsvereinbarung war nicht nur rechtswidrig, sondern auch kriminell. Die Drohung mit der Sanktion erfüllt den Straftatbestand der Nötigung. Dass die Sachbearbeiterin dies sogar unter Zeugen betrieb, zeigt nur, wie sicher sie sich vor Strafverfolgung fühlt. Dass sie dies sogar angesichts der hochschwangeren Ehefrau durchsetzte, zeugt von ihrer kriminellen Energie. Aber vielleicht wurde sie gerade deshalb für die U25-Abteilung ausgewählt.
 
Die Zuweisung zum Ein-Euro-Job war rechtswidrig. Weder der Arbeitsplatz noch die näheren Umstände wurden dort beschreiben. Der „Kunde“ musste „die Katze im Sack“ kaufen.
 
Die Arbeit gehörte zu den ¾ aller Ein-Euro-Jobs, die nach Aussage des Bundesrechnungshofes illegal sind. Es handelte sich nicht um zusätzliche Arbeit, die Arbeitszeit war zu lang (Vollzeit, die Gerichte monieren schon Arbeitszeiten über 20 Stunden) und es gibt weitere Gründe.
 
Zum Verfahren:
 
Es ist vollständig abwegig und nur mit einem großen Maß an Menschenverachtung zu erklären, wenn man jemandem kündigt, weil er seine in den Wehen liegende Frau während der Arbeitszeit ins Krankenhaus bringt.
 
Es ist aber vollends nicht akzeptabel, dass es Menschen in der ARGE gibt, die aus einem solchen Anlass eine Sanktion für den Betroffenen aussprechen und ihm das Arbeitslosengeld für drei Monate verweigern. Dies betrifft sowohl die Sachbearbeiterin als auch den Teamleiter und in Folge daraus auch die Leitung der ARGE.
 
Die Konsequenzen:
 
Herr Müller-Starmann (ARGE), Herr Welters (Agentur für Arbeit), Frau Bredehorst (Stadt Köln): Wie lange werden die betreffende Sachbearbeiterin und ihr Teamleiter noch Gelegenheit haben, so mit Menschen umzugehen? Konkret: Wann werden beide entlassen?
 
Interview:

Wir haben die betroffene Familie am Montag nach dem Zahltag mit zwei Beiständen zur ARGE begleitet. Die Sanktion wurde bei diesem Termin gleich aufgehoben. Direkt danach führten wir noch im Wartebereich folgendes Gespräch mit den beiden unter www.die-keas.de

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Online-Flyer Nr. 185  vom 18.02.2009

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