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Aktueller Online-Flyer vom 10. Oktober 2024  

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Inland
Was sich hinter der Kirchenpolitik des deutschen Papstes verbirgt
„Opus Dei“
Von Zbigniew Menschinski

„Desinformiert” („Focus"), „weltvergessen” („Zeit"), „entrückt” („Spiegel") - mit solchen Attributen versuchen die deutschen Medien, Papst Ratzinger, ihren einst umjubelten klerikalen Superstar, aus dem Kreuzfeuer der Kritik zu retten, ihn gar als Opfer seiner Leichtgläubigkeit, Naivität oder vatikanischer Intrigen darzustellen. Nichts ist falscher als das. Josef Ratzinger, seit 1981 Chef der päpstlichen Glaubenskongregation, hat seinen Hofstaat über zwei Jahrzehnte hinweg gezielt aufgebaut. Dieses System spiegelt exakt seine Gesinnung wider. Die Aufhebung der Exkommunikation und die Quasi- Rehabilitation rechtsradikal-antisemitisch gesonnener Bischöfe und Priester durch Josef Ratzinger waren keine Panne, sondern sind die logische Konsequenz seiner Personal- und Kirchenpolitik.
Benedikt XVI
„Entrückt”?  - Benedikt XVI im Jahr 2007 in Brasilien 
Foto: Fabio Pozzebom/Agencia Brasil

Das zeigt auch Roms jüngste Ernennung eines Sektierers zum Linzer Weihbischof – gegen die Vorschlagsliste der Diözese. Das System Ratzinger mutet den oberöstereichischen Gemeinden mit Gerhard Maria Wagner einen Mann zu, der die Harry-Potter-Romane in die Nähe des “Satanismus” rückt, der den Tsunami von 2004 und den Wirbelsturm “Katrina” über New Orelans als göttliche Strafen ansieht. Das könnte man alles noch als bigotte Schrulligkeit abtun, als makabre Posse aus den Studios von Monty Python, doch wenn eine Pius-Bruderschaft, deren führende Mitglieder den Holocaust verharmlosen oder leugnen, ohne Widerruf und Bedingungen wieder in den Schoß der größten Weltkirche aufgenommen wird, hört der Spaß auf.

Fragen an Benedikt XVI
Proteste gegen Benedikt XVI. auf dem Kölner Weltjugendtag
Quelle: NRhZ-Archiv


Das alles kommt für aufmerksame Beobachter Ratzingers vatikanischer Politik freilich nicht überraschend. Es gibt nämlich noch eine andere Bruderschaft im klerikal-katholischen Raum, ebenso antidemokratisch, dünkelhaft und frauenfeindlich wie die Pius-Fratres, deren Gedankengut und Lebensmotti viele Schnittmengen zu den Rechtsklerikalen aufweisen. Diese Bruderschaft, die allerdings über weitaus mehr Einfluss im Vatikan und anderswo verfügt, ist „Opus Dei".
 
Zielstrebigkeit
 
Die Wahl Ratzingers zum Papst war kein purer Zufall, entsprang keineswegs nur göttlicher Eingebung oder dem Wirken des Heiligen Geistes. Mit Zielstrebigkeit hatte Ratzinger als Glaubens- und Personalchef während des Pontifikats von Papst Wojtyla dafür gesorgt, dass ganz überwiegend Mitglieder und Sympathisanten des Opus Dei ins Kardinalskollegium gewählt wurden. Ratzinger selbst trägt den Ehrendoktorhut der Opus-Dei-Universität Pamplona. Bis April 2005, dem Zeitpunkt der Wahl Ratzingers zum Papst, gehörten über die Hälfte der Wahlberechtigten in der Kurie zum „Freundeskreis" des Opus Dei. Die Liste ist lang: Sie reicht von Kardinal Juan Luis Cipriani (Lima) über Johannes Joachim Degenhardt (Paderborn), Roger Etchegaray, Joachim Meisner (Köln) und Dionigi Tettamanzi(Genua) bis Alfonso López Trujillo (Vatikan) und Emmanuel Wamala (Kampala). Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass 2005 mindestens 60 der 115 stimmberechtigten Purpurträger dem Opus Dei nahestanden. Alles in allem kann man mit Berechtigung sagen: Josef Ratzinger hatte offensichtlich „Vorkehrungen” getroffen, um seine Wahl zum Papst „höchstwahrscheinlich” zu machen.

Das Opus Dei ist nun keineswegs ein harmloser Andachtskreis, der sich sonntagnachmittags zum Kaffeekränzchen trifft und über Devotionalien meditiert, sondern eine nachweislich auf blindem Gehorsam, Führerkult und militärischem Drill aufgebaute Organisation. Sein Vorbild war und ist die faschistische Falange Francos, sein Ziel ist die Erlangung geistlicher, aber auch wirtschaftlicher und politischer Macht. Vor allem aber ist diese Bruderschaft wie bereits erwähnt, elitistisch und antidemokratisch.

Escriva-de-Balaguer
Opus Dei-Gründer Escriva de Balaguer          
(1902 - 1975) | Quelle: wikipedia
In seinem Hauptwerk mit dem Titel „Der Weg" legte der Gründer des Opus Dei, Escriva de Balaguer, in genau 999 Punkten seine "Lebensordnung" dar, die zur "Heiligung des Alltags" führen soll:

Unter Punkt 180 heißt es: „Wo keine Abtötung, da keine Tugend." Unter Punkt 208: „Gesegnet sei der Schmerz. - Geliebt sei der Schmerz. - Geheiligt sei der Schmerz … Verherrlicht sei der Schmerz!" Punkt 617 fordert die blinde Unterwerfung der Opus Dei-Anhänger: „Gehorcht, wie ein Werkzeug in der Hand des Künstlers gehorcht, das nicht danach fragt, warum es dies oder jenes tut. Seid überzeugt, dass man euch nie etwas auftragen wird, das nicht gut ist und nicht zur Ehre Gottes gereicht." Ebenso Punkt 941: „Gehorchen … sicherer Weg. Den Vorgesetzten mit rückhaltlosem Vertrauen gehorchen…, Weg der Heiligkeit. Gehorchen in deinem Apostolat…, der einzige Weg; denn in einem Werk Gottes muss dies der Weg sein: dass man gehorcht oder geht." Punkt 655 macht aus Glaubensbrüdern dann vollends Geheimdienst-Agenten: „Ich kann dir die Bedeutung der Diskretion nicht genug ans Herz legen. Vielleicht ist sie nicht die Spitze deiner Waffe, aber zumindest der Griff."
 
Traurige Wahrheiten
 
Dass Ratzinger den ökumenischen Aufbruch unterhöhlt, ja gestoppt hat, ist traurige Wahrheit. Dass er die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Eucharistie seit fast 30 Jahren abblockt, weiß jeder, der die katholische Kirchenpolitik verfolgt. Dass er den evangeliumskonträren Zölibat wie eine Monstranz hochhält, ist allgemein bekannt. Dass er viele partnerschaftliche Lebensformen als minderwertig einstuft, dass er das Priesteramt für Frauen rigoros ablehnt, dass er die demokratischen Strukturen in den Ortskirchen bewusst missachtet, - das alles hat er nicht nur dutzende, sondern hunderte Male bewiesen. Das alles ist schlimm genug. Doch es kann noch im Rahmen einer unseligen Kirchen-Tradition der Pius-Päpste erklärt werden. Die Betroffenen werden zwar - wie gesagt, schlimm genug - in ihrer beruflichen Existenz und ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigt, sind aber nicht unmittelbar an Leib und Leben bedroht.
 
Basisgemeinden in Lateinamerika
 
Um einige Dimensionen verantwortungsloser und schuldhafter jedoch ist Ratzingers Haltung gegenüber den Basisgemeinden in Lateinamerika und ihren Befreiungstheologen. Ratzinger hat schon in seiner Zeit als Chef der Glaubenskongregation unter Papst Wojtyla nicht das geringste Mitgefühl für das Schicksal und die Bedrohtheit der Ärmsten und ihrer theologischen Anwälte gezeigt, geschweige denn Solidarität. Im Gegenteil, inspiriert durch die Nähe zum Opus Dei und dessen Verflechtungen mit Finanzoligarchie, Militärs und Latifundistas, hat Ratzinger Millionen Gläubige in den Basisgemeinden als antikirchlich diskriminiert und deren Priester und Theologen zu Ketzern und damit zum antikatholischen Freiwild abgestempelt.
 
Die Auslieferung weiter Teile des Kirchenvolks, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr setzten, an Diktatoren, Todesschwadronen und Foltergeneräle, die nicht selten dem Opus Dei nahestanden, nahm Josef Ratzinger zumindest billigend in Kauf.
 
Glaubenskongregation – Inquisition
 
Im Jahr 1981 wird Ratzigner Chef der Glaubenskongregation, vormals Inquisition genannt. Sofort geht er daran, sein System aus Abmahnungen, Strafsanktionen und Säuberungen, getragen von Opus-Dei-Anhängern, Denunzianten und Höflingen, zu etablieren. Die Liste der öffentlichen Verurteilungen, Absetzungen und Reglementierungen fortschrittlicher und sozial engagierter Katholiken unter seiner Ägide ist endlos. Hier seien nur einige wenige „Highlights” der Ära Ratzinger genannt:
 
Mit Schreiben vom 29. Juni 1982 an die Bischöfe von Nicaragua verurteilt Rom die „Volkskirche”, also die von Befreiungstheologen gegründeten Basisgemeinden.

Am 23. August errichtet der Vatikan gegen den ausdrücklichen Willen der spanischen Bischöfe die Personalpälatur des Opus Dei.

Im März 1983 maßregelt der Papst auf Anraten Ratzingers öffentlich den Priester Ernesto Cardenal wegen seines Ministeramtes in der sandinistischen Regierung.

1984 eröffnet Ratzinger ein Verfahren der Glaubenskongregation gegen den „Vater der Theologie der Befreiung”, den Peruaner Gustavo Gutiérrez.

In der Instruktion „Libertatis nuntius” vom 6. März 1984 verurteilt Ratzinger Strömungen der Theologie der Befreiung.

Am 7. September 1984 wird der Brasilianer Leonardo Boff, der bekannteste Befreiungstheologe, von Kardinal Ratzinger nach Rom beordert.

1988 werden die Jesuiten José Maria Castillo und Juan Antonio Estrada von Ratzinger ihres Lehramtes enthoben.

Das Apostolische Schreiben „Mulieris dignitatem” vom 15. August wiederholt das Nein in Bezug auf die Frauenordination.

Der päpstliche Nuntius von Brasilien, Carlo Furno, fordert Pedro Casaldáliga, den brasilianischen Bischof von Sao Felix do Araguaia auf, von der Theologie der Befreiung abzuschwören.

1989, am Vorabend der jährlichen Bischofskonferenz der US-Bischöfe, ordnet Ratzinger die Streichung des Punktes „Die Verantwortung der Theologen” an, da der Text zu „liberal” in der Verteidigung der Theologen sei.

Im selben Jahr lässt der Vatikan in Brasilien das Regionalseminar des Nordostens und das theologische Institut von Recife, beides Gründungen von Bischof Helder Camara, schließen. Für die Ordenskonferenz der Lateinamerikaner ordnet Rom eine “kommissarielle Leitung” an, weil diese Einrichtung der Theologie der Befreiung zu nahe steht.

Am 16. November 1989 ermordet eine Todesschwadron der salvadorianischen Armee sechs Jesuiten und zwei Frauen, die als Vertreter der Theologie der Befreiung gelten und sich für soziale Gerechtigkeit in El Salvador eingesetzt hatten. Der bekante Befreiungstheologe Sobrino überlebt dieses Massaker nur, weil er zu diesem Zeitpunkt auf einer Auslandsreise war (2007 wird Sobrino von Papst Ratzinger wegen "Abweichlertum" gemaßregelt). 

1991 setzt der Vatikan den mexikanischen Bischof von Oaxaca, Bartolomé Carrasco Briseno, ab, weil er der Theologie der Befreiung nahe steht.

1995 enthebt der Vatikan auf Drängen des französischen Innenministers Charles Pasqua den Bischof von Evreux, Jacques Gaillot, seines Amtes, weil der sich offen gegen die unmenschlichen Einwanderergesetze der Regierung gestellt hatte. Diese Liste ließe sich, wie schon gesagt, beliebig fortsetzen.
 
„Wir sind Papst“
 
"Wir sind Papst" Bildzeitung Graphik: Carl H. Ewald
„Nationale Besoffenheit“, Graphik auf Basis
einer Titelseite der „Bild“ – Carl H. Ewald
Wie die nachdenklichere deutsche Öffentlichkeit von Habermas bis Ranke-Heinemann, von ARD bis „Zeit" jemals auf die Idee kommen konnte, dass Josef Ratzinger in Sachen fairer Diskurs, Völker- und Religionsverständigung eine positive Rolle spielen könnte, lässt sich nur durch völlige Ignoranz dieser Fakten und der Person erklären. Im Taumel nationaler Besoffenheit („Wir sind Papst") wie nach einem Formel 1- oder Olympiasieg wurde das Märchen vom „deutschen Intellektuellen auf dem Papstthron" erfunden. Ein Blick auf die Rundschreiben, Schriften und Maßnahmen Ratzingers als Glaubenschef hätte jeden eines Besseren belehren müssen. Wo Ratzinger nach 1970 noch einen Schimmer von Aufgeschlossenheit erkennen lässt, ist es pure Taktik. Seine praktische Kirchenpolitik ist das glatte Gegenteil solcher Äußerungen. Anders als Johannes der XXIII., der bodenständig und verständnisvoll agierte, ist Ratzinger ein Musterprodukt der katholischen Gewächshauskultur, ohne jede echte Lebenserfahrung, aufgewachsen im abgeschotteten Dunstkreis von Internaten, Konvikten, Seminaren und Papalinstituten.
 
Der GAU auf dem Stuhl Petri
 
Was für ein Obskurantismus, welche Bigotterie im Schatten solcher Anstalten gedeiht, was in Wahrheit hinter den Kulissen in der Welt des Klerus an Paranoia und Neurosen wuchert, das übersteigt die Vorstellungskraft normaler Alltagsmenschen, seien sie nun lutherische Protestanten, Agnostiker oder katholische Laien. Allenfalls der 1972er Film “Fellinis Roma” und solche Vorkommnisse wie aktuell die um die Piusbruderschaft lassen erahnen, welcher Grufthauch durch diese Kreise weht.
 
Josef Ratzinger - so darf man nach Sichtung seiner Dienstzeit als Glaubenschef, seiner Sympathien, Rundschreiben, Verfahren, Fehlentscheidungen und Prozesse, - kurzum seines gesamten Systems -, begründet sagen - ist allerdings der GAU auf dem Stuhl Petri. (PK)

 
Leider nur zu Pius XII, nicht zu seinem Vorvorgänger Nummer X, auf den sich die von Benedikt rehabilitierte Bruderschaft beruft, finden Sie einen Beitrag und einen Film in NRhZ 156. Titel: „Mit Gott und den Faschisten“.


Online-Flyer Nr. 184  vom 11.02.2009

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