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Aktueller Online-Flyer vom 19. März 2024  

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Aktuelles
Anne Will wollte eigentlich, durfte dann aber am Sonntag wohl nicht
Israels Erfolge im Propagandakrieg
Von Peter Kleinert

Ob Israel den nun 17 Tage andauernden mörderischen Krieg in Gaza - anders als den im Libanon - „gewinnen“ wird, scheint noch offen. Im Propagandakrieg um dessen Darstellung in den Massenmedien ist die israelische Regierung - dank eines professionellen Public Relations-Managements - aber schon so erfolgreich, dass die ARD-Zuschauer nicht einmal mehr erfuhren, warum Anne Will bereits geladene Gäste für eine geplante Talkshow zum Thema “Israel/Palästina“ wieder auslud und stattdessen am Sonntag eine zum Thema “Freitod“ veranstaltete. - „Freitod“ für JournalistInnen und TalkmasterInnen war damit aber nicht gemeint…

Anne Will - setzt sich für afrikanische Kinder
ein - und für palästinensische???
Quelle: Deutsche Stiftung
Volksgewerkschaft
„Vor der Haustür - Anne will, aber darf nicht?“ meldete "Das Palästina-Portal" einige Tage vor dem geplanten Sendetermin. Nicht erfahren sollten danach Anne Will-Fans nämlich, dass die palästinensische Christin und Wissenschaftlerin Sumaya Farhat Naser, die bis 2001 Leiterin des Frauencenters in Ost-Jerusalem war und sich seit Jahren gemeinsam mit der israelischen Organisation „Bat Shalom“ für Frieden engagiert, in einem Brief an den Deutsch-Palästinensischen Frauenverein mitgeteilt hatte: „Liebe Freunde, ich werde für drei Tage in die BRD kommen, um an der 'Anne Will Talkshow' teilzunehmen. Thema: Palästina/Israel. Gesprächspartner sind: Herr Joschka Fischer, Herr Avi Primor und Herr Daniel Barenboim. Bitte vormerken: Sonntag, den 11. Januar 2009, ARD um 21:45 Uhr."

Wieder ausgeladen

Warum Anne Will - zusammen mit Sumaya Farhat Naser - auch den ehemaligen deutschen Außenminister, den früheren israelischen Botschafter in Deutschland und den argentinisch-israelischen Pianisten und Dirigenten, der für seine jahrelangen Bemühungen um eine Versöhnung zwischen Israel und Palästina einige internationale Friedenspreise erhielt, ebenfalls wieder ausgeladen hatte, wollte die sonst so selbstbewusste Talkmasterin bis zum Redaktionsschluss dieser NRhZ-Ausgabe auf Anfrage weder mitteilen noch dementieren. Stattdessen meldete sich der im Iran geborene emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück, Mohssen Massarrat, zu Wort und fragte am 10. Januar auf der Internetseite Arbeiterfotografie: „Reicht inzwischen der lange Arm von Israels Botschaft bis in die ARD-Sendung 'Anne Will'?"


Wieder ausgeladen: Frauenrechtlerin und Friedenskämpferin Sumaya Farhat-Naser | Quelle: wikipedia

Deutsche Staatsräson

Wie er aus sicherer Quelle erfahren habe, so der Mitbegründer der "Koalition für Leben und Frieden", „hat die ARD-Leitung die Sendung abgesetzt. Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass es Israels Regierung war, die die Absetzung der Sendung durchgesetzt hat. Über den neuen Israel-Krieg darf also in der wichtigsten deutschen Fernsehanstalt nicht frei und kritisch diskutiert werden. So weit ist es also mit der Demokratie in Deutschland. Die deutsche Staatsraison gegenüber Israel schließt offensichtlich auch die Pressezensur, d. h. die selektive Aussetzung eines der wichtigsten Demokratieprinzipien, ein. Die Reichweite dieses Ereignisses ist bedeutsam genug, um Alle, denen die Demokratie am Herzen liegt und für die die demokratischen Prinzipien unverhandelbar sind, zum 'Aufschrei' zu veranlassen. Ich hoffe, es gibt noch genug Menschen in unserm Land, die nicht bereit sind, die Augen vor diesem Angriff auf die Demokratie zu verschließen."
 
Recherchen von „Spiegelfechter“
 
Mohssen Massarrats Vermutung, „dass es Israels Regierung war“, bestätigen Recherchen des Internet-Bloggers Jens Berger, der die homepage "Der Spiegelfechter" betreibt. Dort kann man in einem Artikel mit dem Titel „Israels Propagandakrieg“ vom 8. Januar u.a. lesen: „Israelische Botschaften und pro-israelische NGOs sind weltweit in den Propagandakrieg um die Meinungshoheit in den Köpfen der Weltöffentlichkeit eingespannt. Die für die Israel-Berichterstattung zuständigen Journalisten werden von den jeweiligen israelischen Botschaften und privaten Organisationen mit Informationen überhäuft: Sie brauchen die Telefonnummer der Polizeistation in Beerscheba, um Informationen über die Einschläge der Kassam-Raketen zu bekommen? Voilá, hier ist sie! Sie brauchen einen Interviewpartner? Fragen Sie uns, wir helfen weiter! Wer von seinem warmen Schreibtisch aus Informationen aus dem Konfliktgebiet bekommen will, bekommt sie auch – aber nur von israelischer Seite.“


Mohssen Massarrat: „Staatsraison gegenüber Israel schließt offensichtlich auch Pressezensur ein“ | Quelle: Uni Osnabrück

Weltweite Kampagne auch im Netz
 
Wie der Wayne Madsen Report (www.waynemadsenreport.com) berichte, koordiniere das israelische Außenministerium außerdem „eine weltweite Kampagne, bei der Sympathisanten der israelischen Seite eingespannt werden, um Blogs und die Kommentarbereiche klassischer Medien zu fluten und Online-Umfragen zu manipulieren. Um den „Pro-Israel-Spammern“ Munition zu geben, wurde ein dreiseitiges Memorandum erstellt, das Argumentationsrichtlinien enthält, die man als Copy&Paste-Beiträge in den Kommentarbereichen beliebter Medien teilweise 1:1 wieder findet. Auch private pro-israelische Gruppen beteiligen sich am Cyberkrieg - so läuft das Programm der Anti-Defamation League, anti-israelische und pro-palästinensische Videos auf YouTube zu zensieren, anscheinend auf Hochtouren“.
 
FAZ-Umfrage manipuliert
 
„Opfer einer solchen Manipulation“ sei auch die FAZ geworden. So habe die israelische Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf, per Rundmail Sympathisanten mit der Überschrift „We need your votes“ aufgefordert, eine „FAZ-Umfrage, ob Israel oder die Hamas im Recht seien, zugunsten Israels zu manipulieren“. Die Aktion habe Erfolg gehabt: „Bevor die israelische Propagandamaschine anlief, hatte die Meinung, Israel sei im Unrecht, einen leichten Vorsprung. Nach der Rundmail verzeichnete die FAZ auf einmal über 120.000 Stimmen an einem Tag, die sich voll und ganz mit Israel solidarisch zeigten und damit das Gesamtergebnis auf zustimmende 72% in die Höhe trieben.“
 
Immerhin, so „Spiegelfechter“ Jens Berger, habe Israel durch den Beschuss der UN-Schule in Jabaliya eine „entscheidende Niederlage im Propagandakrieg“ einstecken müssen, bei dem nach Angaben der UN mindestens 39 Palästinenser getötet wurden, darunter viele Frauen und Kinder. Weitere 50 Palästinenser wurden zum Teil schwer verletzt. Bilder dieses Ereignisses gingen schnell um die Welt – ein PR-Supergau. Die Propaganda-Maschinerie reagierte aber schnell und hochprofessionell. Es sei „äußerst wichtig zu verstehen, wie es zu dieser herzzerreißenden Tragödie, zu diesem entsetzlichen Zwischenfall kommen konnte“, wurden Vertreter der Auslandspresse in E-Mails und Anrufen von der Pressestelle der israelischen Armee belehrt. Nach deren Version trage die Hamas die komplette Schuld für diese Tragödie, da deren Kämpfer vom Schulhof aus Granaten auf israelische Truppen abgefeuert hätten. Man lieferte auch die Namen von zwei Hamas-Mitgliedern nach, die angeblich unter den Opfern seien. Laut Pressestab der Armee hätten „die Soldaten zurückgeschossen, um ihr eigenes Leben zu retten.“
 
Kehrtwende beim ZDF-heute-journal
 
Ähnlich dürfte es nach der Einstellung der Hilfslieferungen für die hungernde Zivilbevölkerung in Gaza gelaufen sein, nachdem israelische Soldaten einen UN-Lkw beschossen hatten. Dabei waren - wie am 10. Januar von ARD-Tagesschau und ZDF-heute-journal zunächst korrekt gemeldet - zwei UN-Mitarbeiter verletzt worden. Tags drauf meldete das ZDF, „laut israelischen Angaben“ hätten „Hamas-Scharfschützen“ den Hilfstransport beschossen. Die Tagesschau vom selben Abend verzichtete auf diese Selbstzensur.

Offenbar hatte man beim ZDF eine Mail des ehemaligen ARD-Tagesschau-Redakteurs Volker Bräutigam vom 9. Januar in den Papierkorb geworfen, die er auch mir als Freund in Kopie zustellte. Jedenfalls hat Bräutigam bis Redaktionsschluss keine Antwort auf seine Mail erhalten und mir darum erlaubt, daraus in diesem Artikel zu zitieren, gleichzeitig aber betont, dass die Tagesschau sich von den ZDF-Nachrichten nur tendenziell als etwas weniger schlimm darstelle, „nicht aber als grundsätzlich anders und besser“. In dem an die ZDF-Programmdirektion, -Chefredaktion und -Nachrichtenredaktionen adressierten Brief heißt es u.a.:

Anfrage eines ehemaligen Tagesschau-Redakteurs

„UN-Bericht von heute morgen: ...Since the Israeli military operation began on 27 December until 8 January 758 Palestinians have been killed, approximately 42% of whom were women (60) and children (257)... Tote Israelis hingegen: 9, davon 3 Soldaten, die im Feuer der eigenen Kameraden umkamen. Und angesichts solcher Fakten - 257 tote Kinder! - wagt das ZDF es immer noch, in seinen Nachrichten (Mittagsmagazin 9.1., heute-journal 8.1.) von der "Gewalt der Hamas" zu schwafeln, die zu brechen die Israelis sich gezwungen sähen?

Ganz abgesehen von der eindeutigen Rechtslage (Völkerrechtsbrüche der Israelis, Missachtung sämtlicher einschlägiger UN-Resolutionen, Verletzung des Kriegsrechts, der Allgemeinen Menschenrechte etc pp. s. u.a. Anhang) und der übereinstimmenden Beurteilung ehrenwerter internationaler Beobachter (u.a. Anhang) - 1,6 Millionen Palästinenser sind in Gaza seit Jahrzehnten auf einer Fläche halb so groß wie Hamburg eingesperrt, durften nicht einmal vor der eigenen Küste einen frei zugänglichen Hafen anlegen und werden nun seit zwei Wochen systematisch bombardiert, von der im Nahen Osten absolut überlegenen Militärmacht Israel aus der Luft, von See und vom Land her beschossen, mit schwerer Artillerie und mit Panzern angegriffen, zugleich werden UN-Konvois beschossen, Wasserversorgung und Elektrizität in den Gaza immer wieder unterbrochen - und da schämen sich Ihre Redakteure nicht, Formulierungen wie die genannte zu gebrauchen?

…Aber man versteht: Im ZDF bestimmen Inhumanität und der Mainstream, es herrscht Verzicht aufs eigenständige kritische Recherchieren und Denken, die Korrespondenten am Ort des Geschehens mögen sich noch so sehr um zumindest zarte Zwischentöne bemühen, in ihrer Mainzer Zentrale ist doch nur der subalterne Gefolgschaftsjournalismus angesagt.“ Der Kollege Ulrich Tilgner habe wohl gewusst, wovon er sprach, als er seine Arbeit als ZDF-Sonderkorrespondent für den nahen und mittleren Osten aufgab, um künftig lieber für das Schweizer Fernsehen zu arbeiten. Volker Bräutigam: „So schaufeln sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst ihr Grab. Was ich zutiefst bedauere.“

Und Oswalt Kolle?


Oswalt Kolle – erzählt laut SZ in seinem neuen
Buch auch von „freiwilliger Selbstkontrolle“
Wir haben Oswalt Kolle, der am Sonntagabend bei Anne Will anstelle der ausgeladenen Sumaya Farhat-Naser mit diskutieren durfte, per Mail gefragt, ob er eigentlich wisse, warum er auf dem Platz der palästinensischen Friedenskämpferin gelandet ist, und angeregt, durch eine Frage während der Sendung diese Form von Selbstzensur bei ARD und Anne Will öffentlich zu machen. Ergebnis: Null! – Darum dieser Bericht, den ja nun die KollegInnen bei FAZ oder FR oder SPIEGEL oder focus oder Kölner Stadt-Anzeiger aufgreifen und nachrecherchieren könnten, falls deren Verleger und Chefredakteure sich nicht längst an das gewöhnt haben, was man „embedded journalism“ nennt - ein Begriff, den die US-Armee während des Irakkriegs erfand und unter dem Journalisten zu dem gemacht wurden, was die Nazis im Zweiten Weltkrieg ausnahmsweise mal ehrlich “Propagandakompanien“ nannten.
 
Medien wie die britische BBC oder der lateinamerikanische Sender telesur verhalten sich anders. „Israel begeht eine erschütternde Anzahl von Gräueltaten unter Einsatz moderner Waffen gegen die wehrlose Bevölkerung. Ich bin schockiert darüber, dass die internationale Gemeinschaft es versäumt, darauf mit entschiedenen Massnahmen zu reagieren“, konnte Richard Falk, Uno-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in den besetzten palästinenischen Gebieten im BBC World Service vom 30.12.2008 erklären. Und telesur berichtet täglich unzensiert und ausführlich über Gaza und die weltweiten Demonstrationen gegen diesen Krieg, der nicht zuletzt wegen der anstehenden Wahlen in Israel begonnen wurde – auch über die in Lateinamerika, von denen man im ZDF offenbar nichts wissen will. Dort diffamierte man lieber die große Friedensdemo vom vergangenen Wochenende in Duisburg, indem man erzählte, dass die von der türkischen Organisation Milli Görüs angeregt worden sei – und diese werde ja vom Verfassungsschutz in NRW beobachtet.

Sondersendung bei 3sat

Während sich, wie oben  beschrieben, Anne Will  und Oswalt Kolle in Schweigen hüllten, erhielten wir einen zweiten Brief von Sumay a Farhat-Naserwiki: "Stellt euch mal vor, ich würde morgen zurück nach Palästina fliegen und den Leuten sagen: Die TV-Sendung wurde abgesagt, weil das Thema nicht wichtig genug wäre und man sich kurzfristig für ein anderes Thema entschied. So wäre meine Reise von vier Tagen umsonst gewesen. Welche Wut- und Ärgergefühle würden aufkommen und welche Enttäuschung und Entmutigung, gerade in dieser Zeit. Dieses Szenario quälte mich und ließ mich nicht schlafen.

Nun möchte ich Euch mitteilen, dass ich weitere zwei Tage in Berlin bleibe.
ZDF/3sat wird eine Sondersendung zum Krieg in Gaza am Montag, 12. Januar, in der Staatsoper Unter den Linden, ab 22.25 Uhr, live ausstrahlen: Herr Daniel Barenboim dirigiert ein Konzert des West-Eastern-Divan-Orchestra, und in der Pause zwischen beiden Teilen, werden Herr Barenboim, zwei andere Personen und ich Stellung nehmen.
Auch wenn es sehr kurz sein wird, (höchstens ca. 8 Minuten lang) finde ich
es gut, Sumaya Farhat-Naser. (PK)

Professor Mohssen Massarrat hat einen Offenen Protestbrief an ARD-Chefredakteur Baumann und Anne Will entworfen, den man bei ihm unter seiner Mail-Adresse mohmass@uos.de abrufen kann.

Antwort des ZDF

Am Montag hat das ZDF Volker Bräutigam geantwortet. Hier die Mail der Zuschauerredaktion:
Unsere aktuelle Berichterstattung über Israel und Palästina ist von der Absicht bestimmt, den gegenwärtigen Konflikt unvoreingenommen und so genau wie möglich darzustellen. Dazu gehört es zweifellos, die Ereignisse wechselseitiger Gewalt im Lande zu benennen und mit ihren Konsequenzen kritisch zur Diskussion zu stellen. Dass das ZDF die Aggression der Hamas ebenso wie umstrittene Siedlungspolitik Israels thematisiert, ist Ausdruck dieser Unabhängigkeit der Berichterstattung, die eine einseitige Sicht der Dinge verhindert.  
Auch die schwierige Situation der Bevölkerung in Gaza verdient es, den Zuschauern in aller Deutlichkeit dargestellt zu werden. Ihre Empfehlung haben wir in diesem Sinne verstanden und gerne den Redaktionen der Aktualität mitgeteilt. Ihre Stellungnahme werden wir außerdem als Teil der Zuschauerresonanz auf das Programm, Themen und Ereignisse festgehalten.

Berliner Zeitung

Am Dienstag berichtete immerhin die Berliner Zeitung über die hier dargestellte Änderung des Anne Will-Programms. Letzter Satz des Beitrags:

Was das Interesse der Zuschauer für das Sterbehilfe-Thema angeht, lag die "Anne-Will"-Redaktion ziemlich daneben. Nur 3,46 Millionen Menschen haben sich die Diskussion am Sonntag angesehen, das entspricht einem Marktanteil von 11,3 Prozent. Es ist eine der niedrigsten Quoten seit Sendebeginn. (PK)





Online-Flyer Nr. 179  vom 12.01.2009

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