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"Europa erlesen: Köln" - Text 6
Meine Suche nach Baargeld
WALTER VITT

Für viele Friedhofsbesucher hat der Name Aufforderungscharakter: Sie kramen Münzen aus ihren Taschen und legen sie auf den einfachen Rheinkiesel, der das Grab vorne links begrenzt und in schwarzer Schablonenschrift, schon sehr verblasst, den nach Reichtum klingenden Namen trägt.

Walter Vitt
Walter Vitt
Foto: Gerd Winner



Ich fand das damals ungepflegte, von Eiben zugewachsene Grab in den 1980er Jahren. Es gab keinen Stein, er war im Krieg durch Bombeneinwirkung verloren gegangen. Die Stadt übertrug mir die Patenschaft über die Grabstelle mit der Flurnummer 73 A, Nr. 4, und das mit dem Anrecht, sie eines Tages auch für mich nutzen zu können.

Ich konnte den Aachener Bildhauer Wolfgang Nestler gewinnen, seinem Künstlerkollegen aus den 1920er Jahren eine Skulptur zu widmen, die seitdem das Kopfende der Grabstätte abschließt: ein zweiteiliger Basaltstein, dessen beide Teile - eine blockhafte Form und eine geschwungene - sich gegenseitig in zugleich stabiler wie fragiler Weise zu halten versuchen. Im Laufe der Jahre hat sich meine Einschätzung immer mehr gefestigt, dass Nestler mit dem doppelten Stein den schwierigen Charakter des Dadaisten wirklich getroffen hat. Mühevoll hielt Baargeld seine innere Zerrissenheit beieinander: Aus der Sicherheit des Großbürgertums kommend, haben ihn die fürchterlichen Erlebnisse als Soldat des 1. Weltkriegs zu einem anderen Menschenbild geführt, sah er das hohle Pathos der Gründerjahre entlarvt. Es drängte ihn jetzt zu einer Existenz marxistischer Prägung: Er wurde Funktionär der Unabhängigen Sozialdemokratie in Köln, und es trieb ihn zum Dadaismus, dessen Geburtsstunde untrennbar mit dem Ausbruch des Krieges 1914-18 verbunden ist.

J.T. Baargeld - Kölner DaDaist
J.T. Baargeld - Kölner DaDaist
Foto: NRhZ-Archiv



Im Kölner Dada brillierte Baargeld mit der Vielzahl seiner künstlerischen Talente: mit Zeichnungen, Collagen, Assemblagen und Fotomontagen sowie mit lyrischen Texten. Im Frühjahr 1919 gab er den »Ventilator« heraus, eine noch prä-dadaistische Publikation. Zusammen mit Max Ernst schuf er die Kölner Dada-Manifeste »Bulletin D« (Herbst 1919) und die »schammade« (Frühjahr 1920). Konventionelle Techniken - wie Holzschnitt, Linoldruck, Radierung - missachtete er. Niemals hat er eine Leinwand bemalt, und wir kennen von ihm auch nur ein einziges Aquarell, eine Gelegenheitsarbeit. Sie wurde erst im Jahre 2004, siebenundsiebzig Jahre nach seinem Tod, in der Küchentischschublade einer Berghütte im Oberengadin entdeckt.

Auf beiden Feldern - dem der Politik wie dem der Kunst - scheiterte er letztlich. Er begann 1923 eine Karriere als Extrembergsteiger, die er mit dem Tod besiegelte: Baargeld, der sich in den Bergen Jesaias nennen ließ, verunglückte 1927 im Montblanc-Gebiet, erfror wenige hundert Meter vor einer rettenden Hütte. Er hatte sein 35. Lebensjahr noch nicht zu Ende gebracht.

Ein halbes Jahrhundert gehörte er in Köln zu den vergessenen, unbeachteten Künstlern der Stadt. Sein schmales OEuvre, zu dem auch exzellente Alpen-Fotos gehören, blieb bis in die 1970er Jahre nahezu unsichtbar. Einiges lagerte im Nachlass des rumänischen Dada-Papstes Tristan Tzara, früh besaß das Museum of Modern Art in New York Zeichnungen und Collagen von ihm, zeigte diese aber selten. Die Kölner Museen zögerten immer wieder neu, wenn von Baargeld Arbeiten im Handel auftauchten: Dessen Kunst war ihnen entweder nicht repräsentativ genug oder - später dann - zu teuer geworden. Baargelds Alpen-Fotos kann man sich im Museum Ludwig allerdings vorlegen lassen.

Grabskulptur von Wolfgang Nestler
Grabskulptur von Wolfgang Nestler
Foto: Christian Vitt



In der Dada-Literatur gab es bis 1977 von Baargeld so gut wie keine zuverlässigen biografischen Angaben: unterschiedliche Geburts- wie Sterbedaten, verschiedene Geburtsorte. Als Landschaft seines Todessturzes in den Alpen ist auch Tirol gemutmaßt worden. Meine Recherche nach diesem rätselhaften, lange vergessenen Künstler wurde dadurch ungewöhnlich begünstigt, dass ich seine Abiturakte am Kölner Gymnasium Kreuzgasse ausfindig machen konnte und dabei entdeckte, dass der pensionierte Richter, mit dem ich damals Tür an Tür wohnte, Baargelds Mitabiturient gewesen ist. Weit Entferntes war plötzlich ganz in die Nähe gerückt.

Manchmal liegen Münzen auf dem Kiesel
Manchmal liegen Münzen auf dem Kiesel
Foto: Christian Vitt



Baargeld hat sein Hornebomm-Gedicht von 1920 Max Ernst gewidmet. (Siehe NRhZ 32) Es ist - in sprachlich verschlüsselter Form - mit enormer erotischer Essenz aufgeladen. Der lyrische Text schildert eine Liebesnacht des Dadamax mit Luise Straus, seiner damaligen Frau. Das Diminutivum von Strauß (Sträußchen) - als Hinweis auf den Nachnamen von Luise Straus - wird vom Dichter insgesamt viermal eingebracht; zusätzlich versteckt Baargeld den Namen »Straus« weitere zwei Mal in den vier Auftakt-Wörtern des Gedichts (»Strüh us strüh us«), die er »auf kölsch« vorträgt. - Zu Dada gehörten immer Tabu-Themen, die Erotik nicht ausgenommen.





In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.

Wir bringen heute den letzten Teil einer sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen. Sie begann mit Petrarca in NRhZ 28.





Buch: 'Europa erlesen: Köln'

"Europa erlesen: Köln",

Hg. Joachim Dennhardt,

ISBN 3 85129 572 2,

Wieser-Verlag , Klagenfurt





Online-Flyer Nr. 33  vom 28.02.2006

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