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Globales
Ignacio Ramonet: Fidel Castro spricht über sein Leben und die Revolution
„Die absolute Autorität“
Von Jörg Kronauer
Santiago de Cuba, 26. Juli 1953, 5.15 Uhr morgens. Fidel Castro, 26 Jahre jung, rauscht zuversichtlich mit 110 Männern und zwei Frauen in vierzehn Autos - eins ist unterwegs defekt liegen geblieben - vor die Moncada-Kaserne. Minutiös hat er ihre Einnahme geplant, dabei aber offenbar die Recherche ein wenig vernachlässigt; dass eine Patrouille vor der Kaserne auf und ab marschiert, ist ihm jedenfalls entgangen.
Castro, am Steuer, ein Gewehr in der linken Hand und eine Pistole in der rechten, will die Patrouille ganz beherzt entwaffnen - „mit halb offener Tür war ich schon fast neben ihnen" -, doch der filmreife Stunt misslingt. Aus dem Konzept geraten, beginnen einige seiner Leute zu schießen - viel zu früh. Nichts mehr läuft nach Plan. Unter dem Geheul der Alarmsirenen stürmt der Haupttrupp aus Versehen statt der Schlafräume mit den Mannschaften ein Krankenhaus, eine zweite Gruppe findet woanders anstelle des erhofften Waffenarsenals nur eine schlafende Musikkapelle vor. Der Sturm auf die Kaserne scheitert, einen Rückzugsplan gibt es allerdings nicht. Die Flucht wird zum Chaos, als sich einige mangels Ortskenntnis in den Straßen von Santiago verfahren. Und nun? Überstürzt, aber alles andere als entmutigt bricht Castro mit 19 Mitkämpfern unmittelbar anschließend in die Berge auf: Dort wollen sie den an der Moncada-Kaserne begonnenen Kampf gegen die Batista-Diktatur ohne jegliche Pause fortführen - ganz unbeeindruckt vom gerade durchlittenen Desaster.
26. Juli 1953 – Sturm auf die
Moncada-Kaserne
Quelle: www.weblatino.de
Fidel Castros selbstsichere Energie spürt man immer wieder in dem autobiographischen Interview, das er Ignacio Ramonet noch während seiner Zeit als Staats- und Regierungschef Kubas gewährte. Sie zeigt sich auch in seiner Einschätzung des Sturms auf die Moncada-Kaserne, der ersten großen, wenn auch misslungenen Aktion, mit der der Anlauf zur kubanischen Revolution begann. Einige haben Castros Angriffspläne später für waghalsig, ja für halsbrecherisch erklärt, und auch Ramonet gibt sich als Interviewer skeptisch: „Es war eine unerfüllbare Mission." Sein Interviewpartner widerspricht. „Die Kaserne hätte mit unserem Plan eingenommen werden können", meint er in ungebrochenem Optimismus: „Nur dass ich aufgrund dieser Erfahrung die Patrouille einfach links liegen lassen würde." - Da wird man doch ein bisschen skeptisch, ob allein diese kleine Korrektur dem hochriskanten Unternehmen zum Erfolg verholfen hätte. Nicht so Castro. Ohne einen solchen - sagen wir: überzeugten Willen lassen sich revolutionäre Veränderungen wohl aber auch kaum erkämpfen.
Fidel Castro und Hugo Chavez vor dem Putschversuch in Venezuela
Quelle: havanajournal.com
Eine ganze Reihe packender Stories enthält dieses autobiographische Interview: Neben dem Bericht vom Sturm auf die Moncada-Kaserne Geschichten vom Kampf in der Sierra Maestra, ein Kapitel über die Invasion in der Schweinebucht und einiges mehr. Neu ist die Beschreibung seiner Aktivitäten vom April 2002, als in Venezuela der Putsch gegen Hugo Chávez lief. Immer wieder intervenierte Castro, hielt den Amtskollegen von bewaffnetem Widerstand gegen die Putschisten ab: „Mir war der grundlegende Unterschied zwischen der Situation von Allende am 11. September 1973 und der Situation von Chávez an jenem 12. April 2002 sehr bewusst. Allende hatte keinen einzigen Soldaten. Chávez konnte auf einen Großteil der Soldaten und Offiziere der Armee zählen". Mit geschickter Pressearbeit gelang es, die venezolanische Bevölkerung via Havanna mit Informationen zu versorgen, während seitens der venezolanischen Medien eine breit angelegte Desinformationskampagne lief. Dass der Putsch in Caracas glücklich niedergeschlagen werden konnte, ist nicht zuletzt auch Castros Verdienst. Und Chavez hat sich am 1. Januar auf dem lateinamerikanischen Sender Telesur in einer Festansprache zum 50sten Jahrestag ausdrücklich für die Unterstützung Kubas bedankt.
Stets die letzte Instanz
Unerfreulich an dem Buch ist zuweilen eine gewisse legitimatorische Tendenz, die durch Ramonets manchmal fast devote Haltung noch verstärkt wird. „Wo immer er sich aufhält, er ist die absolute Autorität, ausschließlich aufgrund seiner überragenden Persönlichkeit", schreibt Ramonet im Vorwort. „Er ist es, der alle Entscheidungen trifft, ob kleine oder große.
Auch wenn er sich mit den politischen Entscheidungsträgern der Partei- und Staatsführung berät und die kollektive Entscheidungsfindung respektiert, so bleibt er doch stets die letzte Instanz." Das ist nicht etwa kritisch, sondern durchaus affirmativ gemeint und wird durch hemmungslose Huldigungen noch verschlimmert. Ramonet schreibt: „Fidel in Aktion zu sehen ist mitreißend. Er ist unfähig, eine Idee zu haben, die keine große Idee ist, und seine Kühnheit ist spektakulär." So manche Interview-Fragen sind in ähnlichem Ton formuliert; an einer Stelle antwortet Castro mit einer sechsseitigen Standard-Lobrede auf die Revolution, die das Buch nicht unbedingt lesenswerter macht.
Kritik keineswegs tabu
Das ist umso bedauerlicher, als das Buch Kritik keineswegs tabuisiert. „Obwohl die Revolution es erreicht hat, dass alle Bürger die gleichen Rechte und Sicherheiten haben, egal welcher ethnischen Gruppe sie angehören, hatten wir beim Kampf gegen die Unterschiede im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status der schwarzen Bevölkerung nicht die gleichen Erfolge", gibt Castro offen zu. „Die Schwarzen leben nicht in den besten Häusern, sie verrichten noch immer meist die schwersten Arbeiten und verdienen dabei nicht selten geringer". Als das kubanische Fernsehen eine Reihe von Sendungen über die Kriminalität der Marginalisierten brachte, schritt der Staats- und Regierungschef persönlich ein. „Denn die Kriminellen und Verbrecher, die in diesen Filmen auftauchten, waren fast ausnahmslos junge Schwarze", berichtet er: „Es gab auch den einen oder anderen Weißen darunter, aber sie waren in der Minderheit. Wozu soll das gut sein? Um die Verbrechen, die die Menschen am meisten aufregen, einer bestimmten ethnischen Gruppe zuzuordnen?"
Ließ seine Sklaven 1868 frei –
Carlos Manuel de Céspedes
Quelle: www.venceremos.co.cu
Auf die historischen Ursprünge rassistischer Diskriminierung in Kuba, die
Sklavenhaltergesellschaften der Kolonialzeit, verweist Castro mehrfach, ebenso auf den Widerstand dagegen. Der erste Kubaner, der ernsthaft für die Sklavenbefreiung eintrat, war der Anführer des Unabhängigkeitskrieges von 1868, Carlos Manuel de Céspedes. Céspedes startete seinen Kampf gegen die spanische Kolonialmacht am 10. Oktober 1868 - mit der Freilassung seiner damaligen Sklaven. „Diese Aktion war ein absoluter Präzedenzfall", sagt Castro. Historische Bezüge wie dieser gehören zu den Stärken des Buchs, das erkennen lässt, wie eng die kubanische Revolution in das Netz der lateinamerikanischen Kämpfe gegen die Kolonialmächte, um Freiheit von äußerer Einmischung und später um ein zügelbares Wirtschaftssystem eingebunden ist. Eine ganze Reihe antikolonialer und revolutionärer Bewegungen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert werden eigens erwähnt, zueinander in Beziehung gesetzt und mit Kuba verbunden.
Fidel Castro 1959 in Havanna
Quelle: www.tlfq.ulaval.ca
Das gilt auch für die Person Castro selbst. Er hatte sich schon Ende der 1940er Jahre an Kämpfen gegen die Diktatur in der Dominikanischen Republik sowie am Bogotazo, einem Aufruhr in Kolumbien, beteiligt, bevor er seine ersten revolutionären Aktivitäten in Kuba startete. „Würden Sie sagen, dass der 26. Juli 1953" - der Tag des chaotischen und misslungenen Sturms auf die Moncada-Kaserne - „der Beginn der Kubanischen Revolution war?", fragt Ramonet, und Castro antwortet: „Das wäre nicht gerecht". Zwar begann ein neuer Anlauf, der schließlich die Revolutionäre im Januar 1959 an die Macht brachte. Das entscheidende Datum aber ist für ihn der 10. Oktober 1868, der Tag, an dem Carlos Manuel de Céspedes seine Sklaven freiließ und zum Kampf gegen die Kolonialmacht blies. „Dort, so sagen wir", bekräftigt Castro, „begann die Kubanische Revolution." (PK)
Diese Rezension erschien in der Monatszeitschrift "konkret" 12/08
In dieser NRhZ-Ausgabe finden Sie auch einen Filmausschnitt aus dem Jahr 1978: „Eine Reise nach Kuba“
Online-Flyer Nr. 179 vom 07.01.2009
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Ignacio Ramonet: Fidel Castro spricht über sein Leben und die Revolution
„Die absolute Autorität“
Von Jörg Kronauer
Santiago de Cuba, 26. Juli 1953, 5.15 Uhr morgens. Fidel Castro, 26 Jahre jung, rauscht zuversichtlich mit 110 Männern und zwei Frauen in vierzehn Autos - eins ist unterwegs defekt liegen geblieben - vor die Moncada-Kaserne. Minutiös hat er ihre Einnahme geplant, dabei aber offenbar die Recherche ein wenig vernachlässigt; dass eine Patrouille vor der Kaserne auf und ab marschiert, ist ihm jedenfalls entgangen.
Castro, am Steuer, ein Gewehr in der linken Hand und eine Pistole in der rechten, will die Patrouille ganz beherzt entwaffnen - „mit halb offener Tür war ich schon fast neben ihnen" -, doch der filmreife Stunt misslingt. Aus dem Konzept geraten, beginnen einige seiner Leute zu schießen - viel zu früh. Nichts mehr läuft nach Plan. Unter dem Geheul der Alarmsirenen stürmt der Haupttrupp aus Versehen statt der Schlafräume mit den Mannschaften ein Krankenhaus, eine zweite Gruppe findet woanders anstelle des erhofften Waffenarsenals nur eine schlafende Musikkapelle vor. Der Sturm auf die Kaserne scheitert, einen Rückzugsplan gibt es allerdings nicht. Die Flucht wird zum Chaos, als sich einige mangels Ortskenntnis in den Straßen von Santiago verfahren. Und nun? Überstürzt, aber alles andere als entmutigt bricht Castro mit 19 Mitkämpfern unmittelbar anschließend in die Berge auf: Dort wollen sie den an der Moncada-Kaserne begonnenen Kampf gegen die Batista-Diktatur ohne jegliche Pause fortführen - ganz unbeeindruckt vom gerade durchlittenen Desaster.
26. Juli 1953 – Sturm auf die
Moncada-Kaserne
Quelle: www.weblatino.de
Fidel Castro und Hugo Chavez vor dem Putschversuch in Venezuela
Quelle: havanajournal.com
Eine ganze Reihe packender Stories enthält dieses autobiographische Interview: Neben dem Bericht vom Sturm auf die Moncada-Kaserne Geschichten vom Kampf in der Sierra Maestra, ein Kapitel über die Invasion in der Schweinebucht und einiges mehr. Neu ist die Beschreibung seiner Aktivitäten vom April 2002, als in Venezuela der Putsch gegen Hugo Chávez lief. Immer wieder intervenierte Castro, hielt den Amtskollegen von bewaffnetem Widerstand gegen die Putschisten ab: „Mir war der grundlegende Unterschied zwischen der Situation von Allende am 11. September 1973 und der Situation von Chávez an jenem 12. April 2002 sehr bewusst. Allende hatte keinen einzigen Soldaten. Chávez konnte auf einen Großteil der Soldaten und Offiziere der Armee zählen". Mit geschickter Pressearbeit gelang es, die venezolanische Bevölkerung via Havanna mit Informationen zu versorgen, während seitens der venezolanischen Medien eine breit angelegte Desinformationskampagne lief. Dass der Putsch in Caracas glücklich niedergeschlagen werden konnte, ist nicht zuletzt auch Castros Verdienst. Und Chavez hat sich am 1. Januar auf dem lateinamerikanischen Sender Telesur in einer Festansprache zum 50sten Jahrestag ausdrücklich für die Unterstützung Kubas bedankt.
Stets die letzte Instanz
Unerfreulich an dem Buch ist zuweilen eine gewisse legitimatorische Tendenz, die durch Ramonets manchmal fast devote Haltung noch verstärkt wird. „Wo immer er sich aufhält, er ist die absolute Autorität, ausschließlich aufgrund seiner überragenden Persönlichkeit", schreibt Ramonet im Vorwort. „Er ist es, der alle Entscheidungen trifft, ob kleine oder große.
Auch wenn er sich mit den politischen Entscheidungsträgern der Partei- und Staatsführung berät und die kollektive Entscheidungsfindung respektiert, so bleibt er doch stets die letzte Instanz." Das ist nicht etwa kritisch, sondern durchaus affirmativ gemeint und wird durch hemmungslose Huldigungen noch verschlimmert. Ramonet schreibt: „Fidel in Aktion zu sehen ist mitreißend. Er ist unfähig, eine Idee zu haben, die keine große Idee ist, und seine Kühnheit ist spektakulär." So manche Interview-Fragen sind in ähnlichem Ton formuliert; an einer Stelle antwortet Castro mit einer sechsseitigen Standard-Lobrede auf die Revolution, die das Buch nicht unbedingt lesenswerter macht.
Kritik keineswegs tabu
Das ist umso bedauerlicher, als das Buch Kritik keineswegs tabuisiert. „Obwohl die Revolution es erreicht hat, dass alle Bürger die gleichen Rechte und Sicherheiten haben, egal welcher ethnischen Gruppe sie angehören, hatten wir beim Kampf gegen die Unterschiede im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status der schwarzen Bevölkerung nicht die gleichen Erfolge", gibt Castro offen zu. „Die Schwarzen leben nicht in den besten Häusern, sie verrichten noch immer meist die schwersten Arbeiten und verdienen dabei nicht selten geringer". Als das kubanische Fernsehen eine Reihe von Sendungen über die Kriminalität der Marginalisierten brachte, schritt der Staats- und Regierungschef persönlich ein. „Denn die Kriminellen und Verbrecher, die in diesen Filmen auftauchten, waren fast ausnahmslos junge Schwarze", berichtet er: „Es gab auch den einen oder anderen Weißen darunter, aber sie waren in der Minderheit. Wozu soll das gut sein? Um die Verbrechen, die die Menschen am meisten aufregen, einer bestimmten ethnischen Gruppe zuzuordnen?"
Ließ seine Sklaven 1868 frei –
Carlos Manuel de Céspedes
Quelle: www.venceremos.co.cu
Sklavenhaltergesellschaften der Kolonialzeit, verweist Castro mehrfach, ebenso auf den Widerstand dagegen. Der erste Kubaner, der ernsthaft für die Sklavenbefreiung eintrat, war der Anführer des Unabhängigkeitskrieges von 1868, Carlos Manuel de Céspedes. Céspedes startete seinen Kampf gegen die spanische Kolonialmacht am 10. Oktober 1868 - mit der Freilassung seiner damaligen Sklaven. „Diese Aktion war ein absoluter Präzedenzfall", sagt Castro. Historische Bezüge wie dieser gehören zu den Stärken des Buchs, das erkennen lässt, wie eng die kubanische Revolution in das Netz der lateinamerikanischen Kämpfe gegen die Kolonialmächte, um Freiheit von äußerer Einmischung und später um ein zügelbares Wirtschaftssystem eingebunden ist. Eine ganze Reihe antikolonialer und revolutionärer Bewegungen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert werden eigens erwähnt, zueinander in Beziehung gesetzt und mit Kuba verbunden.
Fidel Castro 1959 in Havanna
Quelle: www.tlfq.ulaval.ca
Diese Rezension erschien in der Monatszeitschrift "konkret" 12/08
In dieser NRhZ-Ausgabe finden Sie auch einen Filmausschnitt aus dem Jahr 1978: „Eine Reise nach Kuba“
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