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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Bekommt Troy Davis nach 17 Jahren endlich ein neues Verfahren?
Hinrichtung zum dritten Mal aufgeschoben
Von Annette Schiffmann

Vollkommen unerwartet und weltweit mit Erleichterung begrüßt verkündete das 11. Bundesberufungsgericht in Atlanta am 24. Oktober sein Urteil, die auf drei Tage später angesetzte Hinrichtung von Troy Anthony Davis auszusetzen.
Es war der dritte Aufschub einer Behörde innerhalb von nur 15 Monaten – dreimal hatte Davis seinen Tod erwartet. Vor 17 Jahren verurteilt für den Mord an dem Polizeibeamten Marc MacPhail, seit 19 Jahren im Gefängnis, hat er seither unentwegt und beharrlich seine Unschuld beteuert.

davis
Troy Davis – kämpft seit 17
Jahren in der Todeszelle um
ein neuen Prozess | Quelle:
www.troyanthonydavis.org/
 „Dass Todeshäftlinge bis zur letzten Sekunde Berufung einlegen, ist ganz normal“, sagt Richard Dieter, Direktor des Informationszentrums zur Todesstrafe in Washington. „Noch ganz am Schluss jedoch zu behaupten ‚ich war es nicht’, ist allerdings höchst ungewöhnlich und spricht in unseren Augen dafür, dass er die Wahrheit sagt, und zwar umso mehr, als seine Aussage von starken Beweisen bekräftigt wird.“ Damit meint Dieter, dass sieben von neun Belastungszeugen des ursprünglichen Verfahrens inzwischen widerrufen haben und dass die Hinweise sich häufen, dass einer der beiden, die nicht widerrufen haben, der eigentliche Täter ist.
 
300.000 Unterschriften
 
Dass Troy Davis noch am Leben ist, verdankt er vor allem seinen Unterstützern – allein in den letzten zwei Monaten haben seine Familie und unzählige Einzelorganisationen gemeinsam mit Amnesty International über 300.000 Unterschriften für ihn gesammelt. Abseits der „üblichen Verdächtigen“ setzten sich Leute wie der republikanische Präsidentschaftskandidat Bob Barr oder Ex-FBI Direktor William Sessions für ihn ein.

Kundgebung in San Francisco
Kundgebung in San Francisco | Quelle: www.troyanthonydavis.org/

„Die Hinrichtung eines Unschuldigen ist ein absolut untragbarer Verstoß gegen unsere Verfassung“, schreibt Nat Hentoff von der Washington Times kurz nach dem dritten Aufschub vom 24. Oktober, „und dass hier etwas faul ist, davon hat mich ausgerechnet William Sessions überzeugt, FBI-Direktor unter Reagan, Bush und Clinton. Als überzeugter Befürworter der Todesstrafe, besonders bei Polizistenmord, argumentiert er für Troy Davis Recht auf einen neuen Prozess, weil dieser Fall ein Paradebeispiel für berechtigten Zweifel ist, einschließlich der falschen Zeugenaussagen und der armseligen und unzureichenden Verteidigung.“ Tatsächlich sagte der Pflichtverteidiger Georgias über Davis Rechtsbeistand im ursprünglichen Verfahren: „Wir haben einfach nur versucht, die totale Katastrophe zu verhindern – eine aktive oder gar effektive Verteidigung konnten wir gar nicht leisten.“
 
„Der Mörder läuft frei herum“
 
Davis Mutter Virginia ist sicher: „Der tatsächliche Mörder läuft hier frei herum und brüstet sich mit seiner Tat, und alle wissen das!“ Sie meint Sylvester „Red“ Cole, der im August 1989 mit dabei war, als der Polizeibeamte Marc MacPhail in einer Schießerei vor einer Billiardhalle in Savannah getötet wurde. Troy Davis und der erst 16jährige Darrell Collins waren zusammen mit Cole dort, aber es war Davis, der zwei Jahre später für den Mord an MacPhail zum Tod verurteilt wurde - ausschließlich aufgrund von Zeugenaussagen.
 
Sieben der neun Zeugen und Zeuginnen widerriefen später ihre Aussage. Einer von ihnen war Darrell Collins: „Ich hab ihnen sofort gesagt, dass ich nicht gesehen hab, dass Troy irgendwas gemacht hat. Da sind sie total sauer geworden und haben mich angebrüllt und mir gedroht, ich würde genauso drin hängen wie Troy, wenn ich nicht sagen würde, was sie hören wollten. Ich bin nicht stolz auf meine Lügen, aber ich hatte furchtbare Angst, ich würde im Gefängnis oder in der Todeszelle landen.“ Einer der beiden, die nicht widerrufen haben, ist Sylvester Cole, der auch von der Verteidigung und einigen der Zeugen für den tatsächlichen Täter gehalten wird.
 
103 Todesurteile aufgrund falscher Zeugenaussagen
 
Verurteilungen nur aufgrund von Zeugenaussagen sind inzwischen in den USA heftig umstritten – nicht nur unter Experten, sondern zunehmend auch in der Öffentlichkeit. Von den 130 erwiesenermaßen Unschuldigen, die mittlerweile aus den Todestrakten des Landes entlassen werden mussten, waren 103 aufgrund falscher Zeugenaussagen verurteilt worden.

Savannahs Staatsanwalt Spencer Lawton jedoch meint: „80 Prozent widerrufene Zeugenaussagen in diesem Fall mögen einigen ja überzeugend erscheinen – ich hingegen denke da eher an Manipulation im Nachhinein. Die Familie des Opfers hat genug gelitten, einmal muss Schluss sein.“
 
„Die Hinrichtung eines Unschuldigen ist ein absolut untragbarer Verstoß gegen unsere Verfassung“, schrieb Nat Hentoff von der Washington Times kurz nach dem nun dritten Aufschub für Davis durch das 11. Bundesberufungsgericht am 24. Oktober, „und dass hier etwas faul ist, davon hat mich ausgerechnet William Sessions überzeugt, FBI-Direktor unter Reagan, Bush und Clinton. Als überzeugter Befürworter der Todesstrafe, besonders bei Polizistenmord, argumentiert er für Troy Davis Recht auf einen neuen Prozess, weil dieser Fall ein Paradebeispiel für berechtigten Zweifel ist, einschließlich der falschen Zeugenaussagen und der armseligen und unzureichenden Verteidigung.“ Tatsächlich sagte der Pflichtverteidiger Georgias über Davis Rechtsbeistand im ursprünglichen Verfahren: „Wir haben einfach nur versucht, die totale Katastrophe zu verhindern – eine aktive oder gar effektive Verteidigung konnten wir gar nicht leisten.“
 
Hippokrateseid
 
Die mögliche Unschuld eines Todeskandidaten ist eines der Hauptmotive zunehmend vieler AmerikanerInnen, ihre Haltung zur Todesstrafe zu überdenken. Ein Widerstand der ganz anderen Art wächst seit Jahren eher im Verborgenen: der des ärztlichen Personals, das an den Hinrichtungen teilnehmen muss. Die amerikanische Ärztevereinigung verbietet eine solche Teilnahme mit Hinweis auf den Hippokrateseid ausdrücklich, hat jedoch keine rechtliche Handhabe, dieses Verbot durchzusetzen. Die offensiv geführte Diskussion hat dennoch in vielen Bundesstaaten dazu geführt, dass Hinrichtungen ausgesetzt und auf unbestimmte Zeit vertagt werden mussten – so konnten in Kalifornien nach der staatlichen Tötung von Stan Tookie Williams im Dezember 2006 keine weiteren Hinrichtungen durchgeführt werden, weil sich kein Arzt mehr bereit erklärte, daran teilzunehmen. In Georgia ist das zurzeit noch anders.


Koalition Georgians for Alternatives to the Death Penalty | Quelle:  www.flickr.com

Anti-Todesstrafen-AktivistInnen in Atlanta haben die Aufmerksamkeit auf die Niederlassung der Rainbow Medical Association gelenkt, die für den reibungslosen Ablauf in der Todeszelle sorgt. Diese Firma für medizinischen Service ist spezialisiert auf die Gesundheitsversorgung in Haftanstalten und vermietet die jeweils 2 Krankenschwestern oder Pfleger und die beiden Ärzte, die pro Hinrichtung angefordert werden. Der Preis für einen solchen Einsatz kostete den amerikanischen Steuerzahler in den letzten Jahren nach Angaben des Pressesprechers der Gefängnisanstalten, Paul Czachowski, rund 4.000 Dollar. Seit jedoch der New Yorker Arzt Dr. Arthur Zitrin gemeinsam mit zwei Kollegen im Jahr 2005 begonnen hat, ihm namentlich bekannte Kollegen auf Aberkennung der Approbation zu verklagen, weil sie an Hinrichtungen teilgenommen haben, sind die Preise dramatisch gestiegen. Eine Hinrichtung wird von der Firma jetzt mit 18.000 Dollar berechnet, „weil wir unsere Ärzte jetzt gegen diese Art von Klagen versichern müssen.“ Die Unterstützergruppen für Troy Davis haben in den vergangenen Monaten mehrere „Die Ins“ vor dem Firmensitz mit dem passenden Namen Correct Health veranstaltet und dazu aufgerufen, Protestbriefe an ihren Direktor, Dr Carl Musso, zu schreiben. Tausende sind diesem Appell bereits gefolgt.
 
Neues Verfahren?
 
Troy Davis Anwälte mussten bis zum 18. November erneut begründen, warum ihr Mandant ein neues Verfahren verdient und mit welchen Zeugen er seine Unschuld beweisen will. Die Kampagne für sein Leben und gegen die Todesstrafe hat bisher Erfolg gehabt. Davis Familie, die „Koalition Alternativen zur Todesstrafe“ und Amnesty International bitten die Weltöffentlichkeit, in ihrer Aufmerksamkeit nicht nachzulassen.
 
Seit 1976 sind in Georgia 42 Menschen hingerichtet worden. Fünf sind in dieser Zeit als nachgewiesen unschuldig aus dem Todestrakt entlassen worden. Das ist fast jeder achte. Der Landesdurchschnitt dieser makaberen Rechnung liegt weniger hoch – da ist es auf 1119 Hinrichtungen seit 1976 „nur“ jeder neunte. (PK)
 
Annette Schiffmann war an dem neuen Film über den 1982 zum Tode verurteilten schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal beteiligt, den wir in NRhZ 149 und 150 vorstellten. Mehr über Troy Davis unter www.amnestyusa.org und www.troyanthonydavis.org/

Online-Flyer Nr. 173  vom 19.11.2008

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