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Kultur und Wissen
Wall-E: „Der Letzte räumt die Erde auf“ – ein Kinofilm und seine Botschaft
„Zurück zur Erde!“
Von Tanja Krienen

Die letzten Menschen leben im Überfluss. Besser: Sie vegetieren vielmehr als zu leben, und zwar in einem Raumschiff, in dem sämtliche unnütze Notwendigkeiten vorhanden sind. Hier lebt man nach dem „Glückseligsbefehl“: „Niemand muss zu Fuß gehen!“ So also liegen sie und ihre Vorfahren seit 700 Jahren in einer Phantasielandschaft mit Riesenpool, Popcorn bis zum Erbrechen und Robotern als Diener um sie herum, verfetten und langweilen sich. Dekadenz durchzieht sämtliche Lebensformen.

Dick und dadurch androgyn, stecken alle in derselben Kleidung, einer Mischung aus rotfarbenem Strampel- und Ganzkörperbadeanzug und können aufgrund ihrer Körperfülle nicht mehr selbstständig laufen. Körperliche Liebe scheint es nicht mehr zu geben. Ihre Kinder wachsen in gläsernen Kästen heran – von Geburt mit jenem Strampelanzug versehen: fett und auf dem Rücken liegend.
 
Den aufrechten Gang wieder lernen
 
In der Schlüssel-Szene des Films verlässt der Kommandant seine liegende Position und versucht auf seinen Füßen zu stehen, während „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss, das Nietzsche-Motiv des Übermenschen, intoniert wird. Da wird mehr als mit dem Auge gezwinkert. Der Mensch, der längst unter den Menschen steht, beginnt von vorn, in dem er das Menschsein, das mit dem aufrechten Gang begann, neu erlernt. Die Entwicklung des Menschen zum Höheren, durch ein Immer-Mehr an Technik und scheinbarer Vervollkommnung wird ab absurdum geführt, aber da wir ja in einem Disney-Film sind, wird auch die Katharsis gleich mitgeliefert. Der Kampf gilt der Erhaltung des ersten Grün, das auf der Erde seit 700 Jahren gesichtet wurde: die Rückkehr der „letzten Menschen“ wird eingeleitet.


© Dinsney, PIXAR | Quelle: www.walle-derfilm.de


Zunächst aber gibt es da den kleinen, unermüdlichen Roboter „Wall-E“ (ausgesprochen Wally), der unermüdlich den Müll in einer gespenstischen, apokalyptischen Kulisse der Überbleibsel jener Zivilisation zusammensucht, die im Jahre 2110 den großen Zusammenbruch erlebte. Er hat sich in dieser Stein und Schuttwüste eingerichtet. Einige, ihm wichtige und nutzbare Gegenstände, hat er aus dem Müll gefischt und in seine vollautomatisch abriegelbare Wohnung – eine Art geschlossener Container – und in sein dadaistisches Interieur integriert.

Mittelpunkt ist ein Abspielgerät und ein Bildschirm, mit dem Wall-E am liebsten alte Hollywood-Musikfilme anschaut. Liebeslieder und Tanzfilme mag er besonders gern, vor allem Szenen, in denen sich zwei Menschen liebevoll durch Hand-in-Hand-Berührungen nähern. Sieht man einmal von Peter Gabriels Abspannmusik ab, durchzieht den Streifen stets orchestriert klassische Hollywood-Filmmusik aus „Hello Dolly“. Jegliches Fehlen der „Press-Musike“, wie einst Kurt Tucholsky den stampfenden Takt der Marschmusik nannte, die in neuerer Verpackung als „Hammerbeats“ unser aller Leben bis in die letzte Supermarktkettenecke durchdringt und ohne die kein Leinwald-Epos mehr auskommt, macht sich äußerst angenehm bemerkbar. 


Nachts sind Aufräum-Roboter besonders       
einsam... | © Dinsney, PIXAR
Quelle: www.walle-derfilm.de
Als Wall-E, dessen einziger Freud und Hausgenosse eine überlebende und sehr quirlige Kakerlake ist, eines Tages, einen zweiten auf der Erde ausgesetzten Roboter entdeckt, verliebt er sich über sämtliche Kettenräder. Er weiß noch nicht, dass dieser aus dem Raumschiff der Menschen mit dem Namen „Axiom“ (ursprünglich gedacht, um einen 5jährigen „Traumurlaub“ im All zu verbringen) zur Inspizierung der Erde geschickt wurde.

 
Wall-E and Eve

 
Dieser Roboter entpuppt sich als ein weibliches Wesen namens „Eve“. Die zarten Annährungsversuche, die Wall-E unternimmt um Eve kennen und lieben zu lernen, gehören zu dem schönsten Kinoszenen der letzten Jahre. Fraglich nur, warum beide scheppernd und abgehackt sprechen, als würden nicht schon heute Maschinen verständlicher reden können? Als aber beide eines Tages eine Pflanze entdecken, Eve sie in ihren Körper aufbewahrt und diese dabei wie ein Herz leuchtet, wird sie zum Mutterschiff beordert. Wall-E folgt ihr. Dort angekommen zetteln beide einen Aufstand der Roboter an.

Der Kommandant des Schiffs kommt zur der Überzeugung, man müsse zurück zur Erde und sie wieder besiedeln. Nach Kämpfen mit widerstehenden Robotern aus dem Machtzentrum kehren alle zur Erde zurück, wo die Kakerlake geduldig wartet. Man gräbt die mitgeführte Pflanze wieder ein, gießt sie, lernt wieder gehen und – das geht aus dem Abspann hervor – erobert die Erde zurück. Mit der Zeit normalisieren sich auch die Leiber der Menschen wieder.

Wall-E und Freundin Eve auf dem Weg zum Raumschiff „Axiom“
© Dinsney, PIXAR | Quelle: www.walle-derfilm.de

Der Film ist ohne Altersbegrenzung, und so kann man auch viele noch kleine Kinder im Vorführraum sehen. Doch hier agieren keine Teletubbies. Hier wird eine sehr komplexe Abfolge von Bildern gezeigt, die, um sie richtig zu verstehen, schon einige Informationen zur Verarbeitung voraussetzen. Zwar ist die Botschaft einfach und selbst Teilbereiche können ja zuweilen ausreichend sein, um einen Lern- und Unterhaltungseffekt zu erzielen, aber es besteht doch die Gefahr für kleinere Kinder, dass sie bei schneller Bilderfolge von 98 Minuten Dauer, doch nicht mehr als „bunte Bilder“ im Gedächtnis behalten. Und so ist es äußerst fraglich, ob Kinder unter acht Jahren den Film wirklich verstehen können.

Zur Botschaft sei noch gesagt, dass hier erfreulicherweise nicht mit dem Zeigefinger gedroht, doch in äußerst zugespitzter Weise Fakten gezeigt werden. Das Problem sind wir, unsere Lebensweise. Jeder, der da mitmacht, trägt seinen Anteil daran – da helfen auch keine Ablassscheine zur Beruhigung des Gewissens. (CH)
 
Zur Webseite des Films

Online-Flyer Nr. 169  vom 22.10.2008

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