NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

zurück  
Druckversion

Wirtschaft und Umwelt
Anfrage von Imkern und Umweltverbänden zum Thema Pestizide
Schützt Bundesamt BAYER anstatt Bienen?
Von Peter Kleinert

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund NABU, die Coordination gegen BAYER-Gefahren, der Deutsche Berufsimkerbund (DBIB)  und das Pestizid Aktions-Netzwerk haben in einem Brief an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gefordert, bienengefährliche Pestizide vom Markt zu nehmen. Siehe hierzu auch den Artikel in NRhZ 167. – Die Redaktion.



In dem an den Leiter des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Dr. Helmut Tschiersky-Schöneburg heißt es unter anderem: „Das BVL hat am 15. Mai die Zulassung der Saatgutbehandlungsmittel Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam und Methiocarb ausgesetzt. Grund hierfür war das massive Bienensterben am Oberrhein, das durch Clothianidin-Vergiftungen ausgelöst wurde. In der Zwischenzeit wurde die Zulassung von Clothianidin auch in Italien und Slowenien entzogen. Schon am 25. Juni wurde die Zulassung dieser Mittel für die Behandlung von Raps-Saatgut jedoch wieder in Kraft gesetzt.“ Durch die Wiederzulassung drohe „die fortgesetzte Vergiftung von Bienen und Wildinsekten“. Die BVL wird deshalb aufgefordert, diese Wirkstoffe endgültig vom Markt zu nehmen.
 
Verharmlosende BAYER-Untersuchungen?
 
Ebenso wie der Deutsche Berufsimkerbund (siehe NRhZ 167) fordern die Unterzeichner eine Offenlegung aller Studien, die bei der Zulassung dieser Pestizide eingereicht wurden. Es dränge sich der Verdacht auf, „dass die vom BAYER-Konzern, dem Hersteller von Clothianidin und Imidacloprid, durchgeführten Untersuchungen derart angelegt wurden, dass die Bienengefährlichkeit der Wirkstoffe möglichst gering erschien und Pestizid-Rückstände in behandelten Pflanzen verharmlost wurden. Die BVL solle sich dazu äußern, ob die Unterlagen und Erkenntnisse folgender Institutionen im Zulassungsprozess eingereicht und geprüft wurden:
 
Universität Udine
 
1. Das Bienensterben vom Mai 2008 wurde durch Abrieb von Clothianidin beim Ausbringen von Mais-Saatgut verursacht. Die Studie Risk of environmental contamination by the active ingredient imidacloprid used for corn seed dressing der Universität Udine sei bereits im Jahr 2003 zu dem Ergebnis gekommen, dass ein solcher Abrieb regelmäßig beobachtet wird und eine Gefahr für Bienen darstellt (Zitat: „corn sowing must be considered a potentially dangerous operation in terms of general environmental pollution. It is possible that the spread of the active ingredient in the environment during sowing operations could cause serious damage in bee colonies”). Dr. Richard Schmuck von BAYER CropScience habe bei einem Expertengespräch des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums am 8. Mai eingeräumt, dass bei der Aussaat von Mais mit einem Abrieb von Clothianidin von 2g/Hektar zu rechnen sei.


2. Die Folgestudie der Universität Udine aus dem Jahr 2006 (Presence of imidacloprid on vegetation near corn fields sown with Gaucho® dressed seeds) zeige, dass sich der Wirkstoff im Boden anreichern und Insekten gefährden kann (Zitat: „The investigation showed that Gaucho dressed corn seeds during sowing operations can release imidacloprid into the environment, and therefore bees and wild pollinator insects could be exposed to the insecticide molecule. Plants could accumulate the active ingredient released during different sowing operations in the same area and become polluted for a time depending on the length of the sowing period. The same problem could be extended to other pesticides, at present or in the future, used in seed dressing”).
 
Institut für Bienenkunde Bologna
 
3. Die Studie Effects of imidacloprid administered in sub-lethal doses on honey bees’ (Apis mellifera L.) behaviour des italienischen Instituts für Bienenkunde in Bologna belege, dass auch geringe, sub-lethale Vergiftungen zu einer Beeinträchtigung des Orientierungssinns von Bienen führen, wodurch die Ernährung des gesamten Bienenvolks gefährdet wird („Imidacloprid had a negative effect on honey bee mobility” und weiter: “We therefore believe that bees, accidentally intoxicated in a field with imidacloprid, could find difficulties in returning to the hive, thus depriving the colony of foragers and harming the entire colony”).
 
Comité Scientifique et Technique Paris
 
4. Französische Behörden entzogen Imidacloprid 1999 (auf Sonnenblumen) bzw. 2003 (auf Mais) bereits die Zulassung. Eine Zulassung für Clothianidin wurde von ihnen wegen der Anreicherung im Boden und der Gefahr für Bienen gar nicht erst erteilt. Im Auftrag des französischen Landwirtschaftsministeriums erstellte das Comité Scientifique et Technique (CST) im Jahr 2003 einen 221-seitigen Untersuchungsbericht. Darin wurde festgestellt, dass die Verwendung von Imidacloprid für den Tod Hunderttausender Bienenvölker in Frankreich mitverantwortlich ist. Unter anderem heißt es da: „Die Untersuchungsergebnisse zu den Risiken des Saatgutbehandlungsmittels Gaucho (Wirkstoff: Imidacloprid) sind beunruhigend. In Bezug auf Bienensterblichkeit und Orientierungsstörungen von Bienen stimmen die Ergebnisse der Studie mit den Beobachtungen zahlreicher Imker in Regionen intensiver Landwirtschaft (Mais- und Sonnenblumenanbau) überein. Die Saatgutbehandlung mit Gaucho stellt ein signifikantes Risiko für Bienen in verschiedenen Altersstufen dar.“ Und weiter: „Was die Behandlung von Mais-Saat mit Gaucho betrifft, so sind die Ergebnisse ebenso besorgniserregend wie bei Sonnenblumen. Der Verzehr von belasteten Pollen kann zu einer erhöhten Sterblichkeit von Pflegebienen führen, wodurch das anhaltende Bienensterben auch nach dem Verbot der Anwendung auf Sonnenblumen erklärt werden kann“.

5. Die französische Studie Quantification of Imidacloprid Uptake in Maize Crops aus dem Jahr 2005 zeige, dass sich Neonicotinoide über Jahre hinweg im Boden anreichern und in Pflanzen wie Mais und Sonnenblumen nachgewiesen werden können. Durch die Aufnahme von belastetem Pollen werden die Bienenvölker schleichend vergiftet. Dies führe zu einer Schwächung der Völker und einer höheren Anfälligkeit für Krankheiten und Parasiten. Hierin sei einer der Gründe der Bienensterben seit Mitte der 90er Jahre zu sehen (Zitat: „It appears that imidacloprid levels measured in maize pollen is one of the major factors contributing to the weakening of bee colonies. Together with the imidacloprid levels found previously in pollen and nectar of other crops, as well as results for other competitor insecticides, our data support the hypothesis that systemic insecticides are largely involved in the depopulation of European honeybees since the mid 1990s”).
 
New York State Department of Environmental Conservation
 
6. Der US-Bundesstaat New York habe dem Wirkstoff Clothianidin am 17. Juni 2007 eine Zulassung verweigert. Das New York State Department of Environmental Conservation bemängelte die Langlebigkeit des Stoffs, weswegen eine Anreicherung im Boden drohe („could accumulate in soils from year to year with repeated uses“). Außerdem befürchtet die Behörde eine Verunreinigung des Grundwassers („Clothianidin could lead to widespread groundwater contamination, but no groundwater monitoring studies have been conducted to date“).
 
Kanadische Zulassungsbehörde
 
7. Die kanadische Zulassungsbehörde Pest Management Regulatory Agency (PMRA) veröffentlichte am 21. Juni 2004 eine Stellungnahme zum Antrag der BAYER AG auf Zulassung von Clothianidin. Die PMRA bezeichnete die von BAYER eingereichten Studien als mangelhaft („deficient“), weswegen eine Gefährdung von Bienen befürchtet werde. Besonders hervorgehoben wurde die mehrjährige Verweildauer des Giftstoffs im Boden („All of the field/semi-field studies, however, were found to be deficient in design and conduct of the studies. Given the foregoing, the risk that clothianidin seed treatment may pose to honey bees and other pollinators cannot be fully assessed, owing to the lack of sufficient information and data. Clothianidin may pose a risk to honey bees and other pollinators, if exposure occurs via pollen and nectar of crop plants grown from treated seeds”).

BVL: Kein öffentliches Interesse
 
Dr. Hans-Gerd Nolting, Abteilungsleiter im BVL im Bereich Pflanzenschutz, habe auf die Forderung nach Herausgabe der Zulassungs-Unterlagen am 22. August erklärt, „ein öffentliches Interesse“ daran sei seiner Auffassung nach „derzeit nicht erkennbar“. Wann, so fragen die Unterzeichner, „wenn nicht nach dem größten Schadensfall der vergangenen Jahre, soll ein solches Interesse bestehen?“ Das Bienensterben im Frühjahr sei kein „Betriebsunfall“ gewesen. „Nur mit einem Verbot der Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam und Methiocarb können die Bienen langfristig geschützt werden.“ (PK)

TMehr Informationen unter www.cbgnetwork.de und über CBGnetwork@aol.com

Fotos: NRhZ-Archiv

Online-Flyer Nr. 168  vom 15.10.2008

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE