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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Aktuelles
Polizei feierte 20. Jahrestag der „Schlacht um den Mauenheimer Hof'"
Klein-Guantanamo in Brühl
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Sonnenschein, Jubel, Trubel, Heiterkeit. Der Himmel blau und mitten auf dem Platz schwenkte die herzerwärmende Regenbogenfahne. Köln stand quer – und wie es sich gehört, eben auch queer. Braun raus – Bunt rein: Dieses Austreibungskonzept gegen hässliche kleine braune Aliens, die natürlich mit dem Kölner als solchem und dem guten Deutschen überhaupt rein gar nichts zu tun haben, hatte augenscheinlich funktioniert. Die Polizei hatte, antifaschistisch orientiert, wie sie ja bekanntlich seit jeher war und ist, schlussendlich den von Beisicht, Rouhs & Co. als Auftakt der „nationalen Erhebung“ organisierten europaweiten Aufmarsch rechtsradikaler und neofaschistischer Heerscharen verboten.  
Kölner OB Schramma im Interview mit Arte Foto: Christian Heinrici
OB Schramma nach der Rede im               
Interview | Foto: Christian Heinrici
Eine neue Kölsche Heldenlegende ward am 20. September geboren: Unser, ja: dieser unser Oberbürgermeister nahm in seiner Rede auf dem Domplatz wie ein römischer Heerführer, geradezu Caesar gleich (schließlich ist er ja Lateinlehrer) den Kampf gegen Le Pen ante portas auf. Und schließlich verhinderten unsere grünen, also grünuniformierten, AntifaschistInnen durch ihr couragiertes Verbot jeglicher weiteren Faschisierung die von externen Kräften heimtückisch geplante Totaleinbräunung der Domstadt. Die kölsche Sonne konnte golden glänzen und der brave Bürger sich darin mit berechtigter Selbstzufriedenheit im Wohlgefühle sonnen, an einem wahrhaft historischen Ereignis beteiligt gewesen zu sein. 

So trottete auch der Berichterstatter, anderen Obliegenheiten folgend, gegen 13 Uhr in Richtung heimatliche Südstadt. Dann zog es ihn etwa gegen 15 Uhr nochmal Richtung Gürzenich. Dort hatten sich die eigentlichen politischen Manifestationen im Sinne von Demo und Blockadeaktion weitgehend aufgelöst. Stattdessen begann, wie in Köln üblich – denn der Kölner macht von der Wiege bis zur Bahre naturgemäß aus allem ein „Event" – der  „Unterhaltungsteil".

20.09. 2008 Anti-Pro-Köln-Demonstration Rolly Brings auf der „Arsch Huh“-Bühne Foto: Christian Heinrici
Rolly Brings auf der „Arsch Huh“-Bühne
Foto: Christian Heinrici
Et wurd jesunge und jeschunkelt; zum Schluß kam die Brings-Band auf die Bühne und Patriarch Rolly Brings durfte auch noch mal, wie er sagte, „gegen die Nazis aus der Rente kommen". Alles klatschte, juchzte, schwenkte die Laola-Welle, man hätte meinen können, beim Karnevals-Abschluß oder beim CSD zu sein. Zwei polizeiuniformierte Mädels um die 25 sangen castingreif am Rande mit, eine davon warf dem greisen NRhZ-Reporter sogar ein Handbützchen zu.
 
Da schien mir alles irgendwie in Butter, die kölsche Schmusebärenwelt schien unter kölscher Schmusewolkensonne endgültig obsiegt zu haben. Gegen 17 Uhr wankte ich demzufolge nachhause, zumal mich auch wieder die in Massenaufläufen gelegentlich ausbrechenden Kopfschmerzen zu peinigen begannen. Bevor ich mich in meiner Schreiberlingsklause ablegte und die Augen bis Sonntagmittag schloß, beschlich mich aber eine Sekunde noch das mulmige Gefühl, daß an dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Fassade doch irgendetwas nicht habe stimmen können.

Jeglicher „Harmonie" seit jeher schon ideologisch mißtrauend, wunderte ich mich eigentlich über das Ausbleiben häßlichen Ungemachs und insbesondere über die lieblich sittsame „Staatsgewalt". Von den synchron stattgehabt haben müssenden Ereignissen, insbesondere also der Abdrängung von 500 Menschen in den Rheinufertunnel, habe ich und haben die meisten auf dem Vorplatz des Gürzenich unter Wolken von Mucke und Gesang, euphorischen Reden und kölscher Sentimentalität wohl nichts mitbekommen.
 
Am nächsten Tage wieder bei halbwegigem Bewußtsein, sah die Welt allerdings doch gleich wieder ganz anders aus. Nämlich so, wie sie schon immer war. So, wie sie eigentlich ist. So, wie ich sie stets auch so und nur so erwartet habe. Die geradezu schon vermißte Polizeigewalt gegen die an und für sich stets schon mißliebigen Linken hatte eben doch stattgefunden, und zwar mit vollem Programm: Guantanamo light. Stundenlanges Einkesseln, eine Methode, die mehrfach schon gerichtlich als rechts-  und verfassungswidrig abgeurteilt worden ist. Rechtlichen Beistand rechtswidrig versagen.

20.09. 2008 Köln Anti Pro-Köln Demo Polizei in Prügelei mit Demonstranten Foto: HD Hey
POLIZ-EI im Dialog mit anderen Antifaschisten | Foto: Hans-Dieter Hey

Selbst eine angereiste Richterin für dumm verkaufen, ihr in Klein-Guantanamo zu Brühl von 500 Personen in fünf Stunden nur sieben zur Haftprüfung vorführen, die sie zum Ärger der Polizei allesamt entließ. Danach verärgerte Abreise der Richterin, deren gesetzliche und verfassungsgemäße Aufgabe der Haftprüfung selbst noch vom eigentlichen Herrn des Verfahrens, der selbstherrlich agierenden Polizeiführung, nachgerade sabotiert wurde. Insgesamt: Komplettersatz jeglichen auch nur formal bürgerlichen „Rechtsstaates“ durch offen juntamäßigen Polizeistaat. Das also war eigentliches Resultat, „krönender Schlußpunkt" zumindest, des Riesen-Polit- und Medien-Theaters unter dem Titel: „Der gute Bürger und die liebe Polizei vertreiben die braunen Gespenster, huibuh-husch!"

Und warum das alles, offiziell? Steine, die einzelne gegen Polizisten geworfen haben SOLLEN – wir kennen die Glaubwürdigkeit solcher Legitimations-Legenden spätestens seit dem 2. Juni 1967 in Berlin, wo vorsätzlich die Falschmeldung verbreitet wurde, Studenten hätten bei der Anti-Shah-Demo einen Polizisten erschlagen. Erschossen aber wurde in Wirklichkeit Benno Ohnesorg.
 
Wir kennen auch solche Steinwürfe zum Beispiel ebenfalls vom 2. Juni 1967 aus Berlin als das Werk, sagen wir, staatsverbundener agents provocateurs. Was hier nicht der Fall gewesen sein muß, aber unsere Skepsis, bitteschön, darf man uns nach 40 Jahren einschlägiger – einschlägiger! – Erfahrung nicht verübeln. Flaschen, heißt es, seien zu Bruch gegangen, womit die Rechtsradikalen freilich ebenso wenig gemeint sind wie die Einsatzleitung der Polizei. Flaschenscherben – da müßte man den gesamten Rosenmontagszug und eine Million Zuschauer nach Klein-Guantanamo bei Brühl verschleppen, jedenfalls der Polizeilogik vom letzten Samstag zufolge. Oder sind Kölschflaschen – Altflaschen darf man in Köln ja gar nicht öffentlich zeigen – seit dem 20. September plötzlich Heiligtümer, deren Schändung mit kollektiver Inhaftnahme geahndet wird?
 
Da kommen dem Älteren Erinnerungen an die „Schlacht um den Mauenheimer Hof'" und die menschenrechtswidrige Handlungsweise der Kölner Polizei gegenüber noch der Kinderkonvention der UN unterliegende und von daher besonders schützenswerte Jugendliche.

Auf dem Kölner Mühlenbach: Polizei auf dem Weg in die Vergangenheit? Foto: Christian Heinrici
Am Mühlenbach: Polizei auf dem Weg in die Vergangenheit?
Foto: Christian Heinrici
 
Ach ja, es gibt neben dem Methodischen zwei geradezu auffällige Parallelen: Damals wie heute bildeten rechtsradikale Auftriebe, die von den Herren Beisicht und Rouhs organsiert wurden und gegen die sich der antifaschistische Protest richtete – seinerzeit unter der Firma „Reps“, heute unter dem Etikett „Pro Köln“ – den Hintergrund für massivstes polizeiliches Vorgehen gegen die antifaschistischen Kräfte, um nicht zu sagen, für das Regiment des Diktaturknüppels.

Damals wie heute unterlagen AntifaschistInnen einer unterm Ausnahme-Vorwand zur Normalität erhobenen Polizeistaatsordnung, die ganz nach dem Geschmack von „Reps", „Pro Köln" oder sonstigen Rechtsideologen sein dürfte. Und obendrein: Die „Mauenheimer Schlacht“ fiel auch auf einen 20. September, 1989 nämlich. Diesen 20. Jahrestag jener sprichwörtlich gewordenen Polizeiaffäre feierte die Kölner Polizei mit einem neuerlichen Polizeiskandal von fast identischer Qualität. Einschließlich „Käfighaltung“ von 12jährigen und Nichtbenachrichtigung der Eltern, wie jedenfalls Betroffene berichten.
 
Die Parallelen sind verblüffend und lehrreich. Sie zeigen jedenfalls, daß es nicht ausreicht, einen „braunen Spuk" zu exorzieren und sich dann in bräsigster bürgerlicher Selbstgefälligkeit zu schmeicheln. Der unglaubliche, aber irgendwie doch völlig normale, massenhafte Polizeiübergriff vom 20. September beweist erneut, daß es den etablierten, strukturell verankerten, Gefahren der Faschisierung gerade im vermeintlich honorigen bürgerlichen Alltag jeden Augenblick zu begegnen gilt. Und daß diese Gefahren, teilweise wenigstens, auch von jenen ausgehen, die sich am vergangenen Samstag als Bündnispartner, ja Wortführer des angeblichen Volkswiderstandes gegen „Rechts" selbstrenommmierend aufgespielt haben.
 
Dem Faschismus auch in Zukunft keinen Fußbreit Boden – in welch bürgerlichem Zwirn, welchen Springerstiefeln oder welcher Uniform auch immer er sich aktuell ausbreiten, auf welch „höheren Auftrag" er auch immer sich berufen mag, bleibt tägliche Aufgabe einer demokratischen Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit nie nachlassen darf. (PK)

Online-Flyer Nr. 165  vom 24.09.2008

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