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Der würgende Tod
Von Peter Kleinert



Der würgende TodEin Jahr nach unserer MONITOR-Sendung aus dem Jahr 1983 über chemische Kampfstoffe der US-Armee in der Pfalz konnten wir der Redaktion eine Fortsetzung anbieten. Wir wußten nun, daß die Massenvernichtungswaffen VX und VE ihren Ursprung in den Labors der BAYER AG hatten. Indizien dafür hatten bereits Ende der 60er Jahre Günter Wallraff und der Umweltschützer und Diplomchemiker Dr. Jörg Heimbrecht in der Zeitschrift KONKRET veröffentlicht. BAYER-Vorstandsvorsitzender Kurt Hansen dementierte damals im ZDF-Magazin, drohte mit Klage, klagte aber nie.
 
Anläßlich der BAYER-Hauptversammlung 1983 befaßte Heimbrecht sich erneut intensiv mit dem Thema und wurde fündig. Er entdeckte, daß die BAYER AG und deren Chemiker Schegk, Schlör und Schrader 1958 in den USA eine Patentschrift für Insektizide hinterlegt hatten, die angeblich sehr effektvoll Milben und Blattläuse töten sollten. 1961 bekamen sie dafür ihr US-Patent. Schrader, das wußte Heimbrecht, hatte für die Nazis - damals beim Chemiekonzern IG Farben - die chemischen Kampfstoffe Sarin, Soman und Tabun entwickelt. Deshalb ging er nach Genf, durchforschte die Akten der Chemiewaffen-Abrüstungskonferenz und stellte fest, daß die dort 1972 von den USA hinterlegten Formeln für die geheimen Kampfstoffe VE und VX in dem UNO-Dokument CCD 365 mit den Formeln des 1961er BAYER-Patents für "Insektizide" identisch waren. Die im pfälzischen Wald bei Fischbach gelagerten Kampfstoffe hatten ihren Ursprung also bei BAYER und dem früheren IG Farben-Chemiker.
 
Auch seinen Bossen hatten wir in dem MONITOR-Beitrag einige Minuten gewidmet – mit Archivmaterial aus dem Nürnberger Prozess gegen seine Bosse aus der Zeit bei IG Farben. Zu ihnen gehörte u.a. auch Heinrich Bütefisch, der dort zwar als Kriegsverbrecher eine milde Gefängnisstrafe bekam, dann aber – wie die anderen Verurteilten – vorzeitig entlassen wurde und anschließend bei BAYER, BASF und in anderen Chemiekonzernen weiter Karriere machen durften.
 
Zwei Chemie-Professoren und ein Patentanwalt bestätigten im Film Jörg Heimbrechts Recherchen. MONITOR-Chef Gerd Ruge, der aktuell in den Medien anlässlich seines 80sten Geburtstags gefeiert wird, war, als er am Freitag vor dem nächsten MONITOR-Sendetermin unseren Rohschnitt sah, begeistert, hatte aber einen Einwand: Er fände es - obwohl dies in unserem Exposé ausdrücklich nicht vorgesehen war - doch besser, wenn auch eine Stellungnahme der BAYER AG für unsere Reportage eingeholt würde. Wir hielten dagegen: Dann würde die Sendung gefährdet. Ruge schien das einzusehen und gab sein OK für die Fertigstellung des Films in der ihm vorliegenden Rohfassung.
 
Im WDR kamen ihm offenbar erneut Bedenken. Er rief bei der BAYER-Pressestelle an, informierte sie über die geplante Sendung am kommenden Dienstag und kündigte an, daß der Autor am Montag zum Interview kommen und ein paar Fragen stellen werde. Am Montag rief Ruge bei uns an und teilte mit, der Beitrag könne „leider nicht gesendet werden“. Die BAYER AG habe „im Hause interveniert“. Dem müsse er sich beugen.
 
Wir bekamen das vertraglich vereinbarte Honorar und schnitten nun aus dem MONITOR-Material einen 28-Minuten-Film, der auf verschiedenen Filmfestivals, u.a. in Duisburg und in Leipzig sowie auf zahlreichen Veranstaltungen von Friedens- und Umweltschutzorganisationen gezeigt wurde. Die BAYER AG hat dagegen nie interveniert, rühmte sich aber in einer Werkszeitschrift für ihre leitenden Mitarbeiter, die MONITOR-Sendung verhindert zu haben. In der gleichen Hauszeitschrift "BAYER intern" räumte der Chemie-Multi schließlich auch ein, daß es "innerhalb dieses BAYER-Patentes...eine Übereinstimmung von Formeln mit einigen US-Kampfstoffen gibt".
 
Einige Jahrzehente früher hatten sich der damalige BAYER-Chef Carl Duisberg und der IG Farben-Chef Carl von Krauch hinsichtlich der für den Ersten Weltkrieg entwickelten Kampfstoffe Chlorgas, Phosgen und Senfgas ehrlicher geäußert. Eine besonders giftige Mischung bezeichnete Krauch als „am köstlichsten“. Und über den Tod durch Dimelylsulfat meinte er begeistert: „Die Gegner merken und wissen gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“
 
30 Jahre nach seinen "konkret"-Veröffentlichungen wurde Wallraff für seine Zusammenarbeit mit Heimbrecht Ende der 60er Jahre durch die Stasi-Beauftragte Marianne Birthler öffentlich vorgeworfen, er sei „inoffizieller Mitarbeiter der Stasi“ gewesen. Als solcher habe er „auch die BAYER AG ausspioniert“, berichtete nach einer Birthler-Pressekonferenz die Rheinische Post. Der Schriftsteller bestreite das, hielt dem in der „jungen Welt“ Udo Hörster entgegen. Wallraff und Heimbrecht hätten „lediglich Material aus DDR-Quellen als Grundlage für eigene Recherchen zu Forschungen an chemiewaffenfähigen Substanzen bei BAYER benutzt“. Hörster: „Für die als Ergebnis dieser Arbeit...publizierten Artikel interessierte sich niemand. Wallraff selbst soll der Skandal sein, nicht aber der Leverkusener Chemie-Multi mit seiner bis in den Ersten Weltkrieg zurückreichenden Chemiewaffentradition.“
 
Autor: Peter Kleinert, Auftraggeber: MONITOR und KAOS-Team, Produktionsjahr: 1983 Länge: 10 und 28 min. Eine DVD mit dem kompletten Film kann beim KAOS Kunst- und Video-Archiv e.V. bestellt werden: info@kaos-Archiv.de. Weitere Informationen über KAOS-Filme: www.kaos-archiv.de.

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Online-Flyer Nr. 159  vom 26. April 2024



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