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Arbeit und Soziales
DIE.LINKE will Hartz IV verfassungsrechtlich prüfen
„Hartz IV muss weg!"
Von Hans-Dieter Hey

Vor gut einem Jahr tönte die schwarz-rote Bundesregierung noch vollmundig: „Die Sicherstellung eines angemessenen Lebensstandards für alle Kinder ist ein zentrales politisches Anliegen der Bundesregierung". Beim Anliegen blieb es. Heute leben 2,8 Millionen Kinder auf oder sogar unter Sozialhilfeniveau. 20 Millionen Menschen sind von Armut betroffen. Mehr als je zuvor. Und 88 Prozent aller Deutschen glauben, dass sie noch ärmer werden. Die DIE.LINKE in Berlin will nun das gesamte Hartz-IV-System auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand stellen.

Mitte Juni haben in Berlin Expertinnen und Experten in Workshops und Fachgesprächen die verfassungsrechtlichen Probleme von Hartz IV ausgelotet. Die zentralen Ergebnisse liegen jetzt vor, auf deren Grundlage DIE.LINKE nun eine Expertise zur verfassungsmäßigkeit von Hartz IV in Auftrag gegeben hat, die im Herbst veröffentlicht wird.

Zentraler Streitpunkt: Höhe der Regelleistung

Jemand, der von 351 Euro im Monat inklusive Storm, Bekleidung, Hausrat, Arztzuzahlungen, Ernährung, Warmwasser, kulturelle Teilhabe und Instandhaltung seine Existenz bestreiten muss, dürfte die Höhe der Regelleistung sicher anders bewerten als ein Richter. Und die gutverdienende Richterschaft bestätigt regelmäßig Regelsatzhöhe als verfassungsgemäß. Trotz einer Inflation von drei Prozent und trotz steigender Energiepreise will die schwarz-rote Regierung nicht am Regelsatz rütteln. Einsam der Ruf des SPD-Sozialexperten Ottmar Schreiner, der mindestens 70 Euro im Monat mehr will: „Wir brauchen diese Erhöhung und obendrauf den Ausgleich des Preisanstiegs, wenn wir von einen soziokulturellen Existenzminimum des Regelsatzes sprechen." Doch offensichtlich läßt sich dies nur gegen den Widerstand seiner eigenen Partei durchsetzen.

Da im Hartz-IV-Regelsatz bereits fast alles berücksichtigt ist, gibt es aber erhebliche verfassungsrechtliche Probleme beim sogenannten Sonderbedarf, der bei bestimmten und manchmal unvorhersehbaren Lebenslagen entstehen kann. Was früher in der Sozialhilfe zum Beispiel als defekter Kühlschrank oder als Ersatz bei Diebstahl noch gewährt wurde, ist heute im Regelsatz drin. Nur in Ausnahmefällen kann ein Sonderbedarf gewährt werden. Dieser ist aber mit bis zu zehn Prozent der Regelleistung zurück zu zahlen. Doch damit würde die Existenzsicherung wiederum unterschritten.

Vor allem die Regelleistung für Kinder steht am Pranger. Trotz höherer Kosten bei Heranwachsenden und beim Schulbedarf beträgt die Regelleistung nur 80 oder 60 Prozent von Erwachsenen. Rechtlich begründet wurde diese Kürzung bei Einführung von Hartz IV aber nicht. Prof. Dr. Jürgen Roth: „Dass Kinder einen speziellen Wachstumsbedarf haben, muss nicht erst untersucht werden. Es ist seit vielen Jahrhunderten bekannt."

Bereits im Jahre 1941 setzte die NS-Reichsregierung den Bedarf aller Kinder unter 16 Jahren mit dem von Säuglingen gleich. Die Sätze lagen je nach Alter zwischen 40 und 50 Prozent des Satzes für Erwachsene, und das galt bis 1956. Die Kürzung auf den Bedarf von Säuglingen für Kinder unter 14 Jahren erfolgte durch die rot-grüne Regierung mit Hartz IV im Jahr 2005. Sie waren ca. 20 Prozent niedriger als in der alten Sozialhilfe. Immerhin wurden sie in diesem Jahr auf 60 und 80 Prozent angehoben. Doch was damals galt, gilt auch heute: Mit der Erpressung über niedrige Kindersätze sollten Eltern gezwungen werden, auch für Hungerlöhne zu arbeiten.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Nichts gelernt: Sozialpolitik der SPD nach dem Prinzip „weiter so"
www.koufogiorgos.de

Fordern und Fördern ist nichts anderes als Druck und Erpressung


Gegenüber dem früheren Sozialhilferecht führt heute bereits geringstes „Fehlverhalten" zu Sanktionen, die „bis hin zur völkerrechtswidrigen Arbeitserzwingung und die totale Absenkung der Leistung auf Null" gingen, so DIE.LINKE. Und weiter: „Vor dem Hintergrund der politisch vorgegebenen Sachzwänge und der von der Politik inszenierten Missbrauchsdebatten öffnet das verfassungsrechtlich bedenkliche Sanktionssystem Missbrauch und Willkür durch die Ämter Tür und Tor." Nicht ohne Grund seien bis zu 40 Prozent aller Klagen vor den Sozialgerichten zu Gunsten der Kläger ausgegangen.

Überdies hätten die Zumutbarkeitskriterien für die Aufnahme eines Jobs in Verbindung mit dem amtlichen Sanktionsregime zu einer Erosion der Arbeitsplätze und des Lohngefüges und letztlich zu mehr Armut im Lande geführt. In Deutschland sind zur Zeit 20 Millionen Menschen von Armut betroffen und werden zum großen Teil nur durch staatliche Leistungen vor einer völligen Verarmung bewahrt. Inzwischen arbeiten 4,6 Millionen Menschen zu einem Lohn unter 7,50 Euro die Stunde. Und von den viel gepriesenen 750.000 neuen Jobs landen 300.000 Menschen in Leiharbeit, meist zu Dumpinglöhnen. Diese Situation macht einmal mehr einen gesetzlichen Mindestlohn dringend erforderlich, den CDU/CSU nach wie vor ablehnen.

Die Sanktionsmechanismen sind auch insofern verfassungsrechtlich bedenklich, weil die grundrechtlich geschützte Vertragsautonomie durch Eingliederungsvereinbarungen ausgehebelt wird. Dieser Zwang soll nach einem Referentenentwurf aufgehoben werden, deshalb will DIE.LINKE zuspäterem Zeitpunkt die rechtlichen Auswirkungen überprüft.

Bedarfsgemeinschaften

Als rechtlich zumindest angreifbar hält DIE.LINKE auch die Konstruktion von „fiktiven Hilfebeziehern". Gemeint sind Mitbewohner einer Bedarfsgemeinschaft, die durch Anrechnung ihres Einkommens faktisch selbst zu Bedürftigen werden. Damit – so DIE.LINKE – sei ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gegeben. Bei Hartz IV handele es sich auch um Sondergesetze, was bestimmte Unterhaltsverpflichtungen angehe, die das bürgerliche Recht nicht kenne. Vor allem die „Stallpflicht" dürfte aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch sein. Danach erhalten unverheiratete unter 25jährige keine Regelleistung und werden gezwungen, wieder in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern zu ziehen.


Foto: arbeiterfotografie

DIE.LINKE weist darauf hin, dass sie sich in mehreren Gesetzesentwürfen, Anträgen und parlamentarischen Initiativen gegen die Auswirkungen von Hartz IV gewandt haben. Für sie heißt es deshalb weiterhin: „Harz IV muss weg!". Gefordert wird vor allem eine repressionsfreie Grundsicherung, die die kulturelle soziale Absicherung der Menschen normativ verankert und als Grundrecht besser schützt. Man gibt sich kämpferisch und ist überzeugt, die notwendigen Veränderungen „verfassungsrechtlich untersetzen" zu können. (HDH)



Online-Flyer Nr. 154  vom 09.07.2008

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