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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
"Europa erlesen: Köln" - Text 2
Köln zu Wasser und zu Lande
DOROTHEA NEUKIRCHEN

Mein Lieblingsspaziergang beginnt im Herzen von Köln. Vom Bahnhof aus gehe ich zur Vorderseite des Doms, zu den Pflastermalern und zur wieder erstandenen »kölschen Klagemauer«, einem Pappkarten-Netzwerk mit Appellen und Protestschreiben. Ich lese ein paar der Botschaften, unterschreibe eine Petition und schlendere zur Längsseite des Doms. Links die unbeweglichen Spitzbögen, rechts die sausenden Skater, so gelange ich zu den Sarkophagen und anderen Freiluftexponaten des Römisch-Germanischen Museums. Gleich hinter dem Chor des Doms beginnt das Gesamtkunstwerk Heinrich-Böll-Platz am Museum Ludwig. Ich liebe dieses Environment aus Granit, Gußeisen, Bäumen, Ziegeln, Gras und Eisenbahnschienen des israelischen Künstlers Dani Karavan.

Ich kann nicht widerstehen und drehe eine Runde über die schwarz weißen Bodenkreise, unter denen sich die Philharmonie verbirgt. Dann balanciere ich über die Eisenbahnschiene auf eine wuchtige Plastik zu, deren Steinstufen zum Erklettern auffordern. Heute hat sich ein Liebespärchen in der Höhle eingenistet. So halte ich mich rechts und nehme die Freitreppe zur Rheinwiese. Unten ist Paolozzis Brunnenlandschaft wie immer von großen und kleinen Kindern belagert. Ich springe über ein Rinnsal, gehe geradeaus zur Uferpromenade, lasse den Blick auf den gelbmatschigen Fluten verweilen, werfe ein Stöckchen hinein und versuche dann mit seiner rasenden Fahrt Schritt zu halten.

Dorothea Neukirchen (links) und Hildegard Lena Kuhlenberg in
Dorothea Neukirchen (links) und Hildegard Lena Kuhlenberg
in "rübergemacht" von Anne Dorn
Foto: Peter Meinard


So gelange ich unter der Brücke hindurch zu den Schiffsanlegestellen, wo allerlei Kaffeefahrten angepriesen werden. Ich begnüge mich mit der innerkölnischen Attraktion und nehme das kleinste Bötchen, den bewimpelten »Strolch«, der vom Dom zur Messe auf der anderen Rheinseite fährt. »Einmal einfach«, sage ich und begebe mich ins offene Heck. Wind fährt mir in die Haare. Die Bugwelle eines vorbeiziehenden Schiffs bringt das Boot zum Schaukeln und schon ist mein Gefühl weit entfernt vom hektischen Alltag. Das Boot fädelt sich geschickt zwischen schweren Lastkähnen und Passagierschiffe durch, treibt ein Stück Rhein abwärts, kommt beinahe zum Stehen, um einen Tanker vorbei zu lassen, und nimmt dann wieder Fahrt auf. Die Anlegestelle Messe nähert sich, Ende der Schiffstour.

Nun kommt die Entscheidung, große oder kleine Runde. Für die kleine Runde müsste ich mich rechts halten, doch heute gehe ich zuerst nach links, am Kennedyufer entlang, vorbei am Backsteindesign der 1927 gebauten Messehallen zur Rheinterrasse aus den fünfziger Jahren. Und weiter zum Tanzbrunnen mit dem vorgelagerten »Cologne Beach Club«. Man wusste es schon immer, hier kann man es besichtigen: Der Kölner ist ein Lebenskünstler. Mit Hilfe von ein paar Tonnen weißem Sand, ein paar Duschen und Liegestühlen wird ihm eine Ufermauer zur Beach.

Trööt macht die Kleineisenbahn mit rotem Wildwestfender und lockt mich landeinwärts auf den weiten Rasen, wo ich Überresten der ersten Bundesgartenschau begegne und schließlich der Seilbahn, die vom Zoo über den Rhein zum Thermalbad führt. In den neunziger Jahren neu eröffnet ist die Claudius-Therme eines der schönsten Bäder, die ich kenne. Man schwimmt zwischen stilisierten römischen Säulen und blaugoldenen Mosaiken, plätschert in heißen Grotten, lässt sich im Freiluftbereich durch eine Wasserschnecke wirbeln oder in Whirlpools von Wasserperlen massieren. Mein Lieblingsplatz ist die heiße Riesenwanne mit Originalbrunnenwasser und Aussicht. In der Ferne die Stadtsilhouette, im Binnenbereich das Defilé einer klassenlosen Gesellschaft. Der Tätowierte mit Kölner Schnäuzer und Haifischzahn zieht seinen Bauch ein, honorige ältere Damen haben ihren Kaffeeklatsch in die Wellnesszone verlegt, Schwule promenieren Hand in Hand, osteuropäische Schöne sichten die anwesende Männlichkeit, bebrillte Intellektuelle, japanische Kongressbesucher ... Im Saunadorf komme ich gerade rechtzeitig, um mich noch in die mittlere Reihe zu quetschen, bevor der Salz-Honig-Aufguss beginnt. Ein muskulöser junger Mann, mit blauem Handtuch gegürtet, vermutlich Sportstudent, fungiert als Priester der Gesundheitsgesellschaft und bittet die versammelten Nackten um andächtiges Schweigen für die Dauer der Zeremonie. Dann lässt er Eis auf den Saunaofen zischen, wedelt heiße Luft zwischen die dicht an dicht Schwitzenden und verteilt Salz- und Honignäpfchen, damit man seinen kostbaren Körper salben kann. Draußen am Pool steht dann die Eistonne zur Abkühlung und niemand kümmert sich um die Gondelfahrer, die von oben lange Augen machen, so als hätten sie noch nie jemanden ohne Kleidung gesehen.

Die Therme ist der Scheitelpunkt meines Spaziergangs. Zurück gehe ich unter den riesigen Bäumen am Rheinufer entlang, wahre Prachtexemplare. Es braucht drei bis vier Erwachsene mit ausgebreiteten Armen, ihre Stämme zu umfangen. Der Rückweg geht rasch. Schon sehe ich den eifrigen »Strolch« wieder anlegen. Ich könnte mit dem Boot zurückfahren, aber das tue ich nicht, denn nun kommt der Höhepunkt, der Fußweg über eine der befahrensten Eisenbahnbrücken Europas.

Ich unterquere die Brücke und gehe die Treppe an der Übungswand des Alpenvereins hoch, hinauf zu Kaiser Wilhelm dem Ersten, der hier seit über hundert Jahren die Eisenbahnschienen bewacht und den Grünspan nicht nur hinter den Ohren hat. Er ist einer von vier Hohenzollern, die hier beinahe nicht mehr reiten würden. Blättern wir zurück in der Geschichte: 1945. Köln ist zu 75 % zerbombt, aber die Eisenbahnbrücke funktioniert noch. Um sie für den Feind unpassierbar zu machen, wird sie am 6. März 1945 von der deutschen Wehrmacht fachgerecht gesprengt.

Allein die Reiterstatuen an den Brückenköpfen blieben unversehrt und sorgten im Nachkriegsköln für Diskussionsstoff. Einerseits sahen sie hübsch aus, andererseits, passten die kaiserlichen Antidemokraten noch in die neue Demokratie? Schließlich hatte ihre Kriegstreiberei zum Ersten Weltkrieg, in der Folge zu Hitler und damit zu einem weiteren Untergang geführt. Die kölsche Lösung für das Problem: Die Statuen wurden heruntergeholt von ihren Podesten, die Podeste wurden um zwei Meter verkürzt, dann durften die preußischen Kaiser ihre Plätze wieder einnehmen. Und der Name »Hohenzollernbrücke« durfte auch bleiben.

Über diese Brücke gehe ich nun auf Dom, Museumsgebirge und Altstadtpanorama zu. Ein Zug nähert sich. Unter meinen Füßen beginnt es zu vibrieren. Ich bleibe jedesmal fasziniert stehen, gucke auf die Schiffe tief unter mir und genieße den Geisterbahnthrill, wenn der Grund unter mir bebt. Auf der Domseite empfängt mich Kaiser Wilhelm der Zweite, wie sein Vater, hoch zu Roß, und wie er, auf einem zwei Meter niedrigeren Podest als ursprünglich.
Mich aber locken nun die aufgespannten Sonnenschirme der zahlreichen Altstadtrestaurants.

Dorothea Neukirchen ist Schauspielerin, Filmemacherin und Autorin. Sie drehte Dokumentar- und Spielfilme, vom Kinderfilm bis zum Krimi, vom "Prozess des Sokrates" bis zum Unterhaltungsspecial mit Willy Millowitsch. Sie schrieb für Hörfunk, Fernsehen, Kino und veröffentlichte u.a. den Roman "SINKFLUG" und ein Lehrbuch für Schauspieler "VOR DER KAMERA".

Dorothea Neukirchen
Dorothea Neukirchen
Foto: privat






In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.

Am Dienstag, 21.Februar, ab 20 Uhr wird das Buch im Literaturhaus im Kölner Mediapark vorgestellt. Kölner AutorInnen werden ihre eigenen und historische Texte über die Stadt vorlesen, in der einst Rolf Dieter Brinkmann ein Gedicht mit den Versen schloss: "Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluchten / dunstigen Abgestorbenheit Kölns / wieder erlosch."

Wir bringen eine sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen.





Buch: 'Europa erlesen: Köln'

"Europa erlesen: Köln",

Hg. Joachim Dennhardt,

ISBN 3 85129 572 2,

Wieser-Verlag , Klagenfurt





Online-Flyer Nr. 29  vom 31.01.2006

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