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Globales
Kolumbien: Schützenhilfe für Uribes dritte Kandidatur
Ingrid Betancourt – warum erst jetzt ?
Von Wolf Gauer

Der Vergleich zwischen der Rettungs- und der Mordaktion drängt sich auf: Dieselbe Perfektion der Planung und Ausführung wie am 1. März, als in einem so spektakulären wie illegalen Coup „kolumbianisches“ Militär mit amerikanischem Material auf ekuadorianischem Territorium 23 Menschen umbrachte, unter diesen Raúl Reyes und Julián Conrado vom Stab der sozialistischen kolumbianischen Guerilla-Organisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Die FARC ist kriegführende Partei in der Auseinandersetzung mit der auf Oligarchien, Drogenhandel, paramilitärische Banden und absolute USA-Hörigkeit gestützten Regierung Uribe.

ingrid betancourt Kolumbianische Regierung CC
Ingrid Betancourt nach Befreiung
Quelle: Kolumbianische Regierung (CC)      
Beide Seiten machen Gefangene, nehmen Geiseln, unter diesen die von der FARC seit 2002 inhaftierte bürgerliche Politikerin und frühere
Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt.

„Comprehensive Security“
aus Israel

 
Das israelische Tageblatt Haaretz bestätigte am 4. Juli, dass an der Befreiung der hochkarätigen Geisel „Dutzende israelischer Sicherheitsexperten“ beteiligt waren. Die Koordinierung oblag Global CST (Comprehensive Security Transformation), einem kommerziellen Sicherheitsdienst der ehemaligen israelischen Brigadegeneräle Israel Ziv, „Yossi“ Joseph Kuperwasser und Amos Ben Avraham. Sie beraten ebenfalls ihre amerikanischern Kollegen im Mittleren Osten.

Mittels eines 10 Millionen-Dollar-Kontrakts und empfohlen vom israelischen Verteidigungsministerium, ist die Troika seit anderthalb Jahren Kolumbien verbunden – im „Kampf gegen den Terrorismus“, gegen die FARC, die deshalb am 1. März ihre wohl schwersten Verluste erlitt. Für die Befreiung Betancourts jedoch, so Haaretz, waren sogar Mitarbeiter des Mossad, Shin Bet und anderer „Dienste“ angeworben worden. Und da Kolumbien auch High-Tech-Rüstung aus Israel bezieht, war wohl auch israelische Hardware im Spiel.

Euphorisch feiert Kolumbien die Aktion als alleinigen und historischen Sieg seiner Armee und seines Präsidenten. General Israel Ziv bestätigte jedoch die israelische Teilnahme und erklärte den Coup zum „Entebbe Kolumbiens“ (Haaretz) ohne sich über weiteren Einzelheiten zu äußern.

rebellen der FARC
Rebellen der FARC in Kolumbien                    
                     
Lateinamerikanische und europäische Quellen (ARTE, das Schweizer Radio RSR) sprechen von hohen Bestechungsgeldern, rund 20 Millionen Dollar. Die amerikanische Spende habe das Eindringen fremder Hubschrauber in das
scharf bewachte Areal der FARC ermöglicht, vor allem aber die reibungslose Übernahme der Geiseln (und wohl auch der bestochenen Bewacher).

Lobeshymnen zur rechten Zeit

Selbst wenn Frau Betancourt, „keinerlei derartige Anzeichen“ bemerkte (ARD), ist anzumerken, dass schon in früheren Fällen Mitglieder der FARC gekauft und „umgedreht“ wurden. Viele kolumbianische Kommentare halten die ganze Aktion ohnehin für weitgehend getürkt. Sie schließen nicht aus, dass Uribe selbst erntete, was möglicherweise Resultat der Abmachungen zwischen dem früheren französischen Konsul in Bogotá, Noël Sáenz, dem Schweizer Diplomaten Jean-Pierre Gontard und der FARC Ende Juni gewesen ist. Noch aber schweigen die wichtigsten Zeugen: Es gibt bis dato keine Stellungsnahme vonseiten der FARC.

uribe us-flag Center for American Progress
Präsident Uribe – hinter ihm die USA               
Foto: Center for American Progress
Wie auch immer – Ingrid Betancourt ist wieder da, lebendiger und unversehrter als erwartet, so adrett wie nichts, was uns sonst noch vorgeführt wurde und voll des Lobes für den ehemaligen politischen Gegner, dem sie sogar eine dritte – verfassungswidrige – Amtszeit wünscht. Ein Fehler. Denn dieser Wunsch lässt aufhorchen, er wirft Fragen auf: Warum wurde die schon für todkrank erklärte Geisel gerade jetzt und filmreif „errettet“, warum nicht schon früher, zumal das israelische Know-how verfügbar war, sicher auch die amerikanische Unterstützung? Warum platzt sie sofort und vor jeder Kamera mit Lobeshymnen über Uribe heraus? Sollten Uribes aktuelle Probleme, auch seine Wahlaspirationen den Zeitpunkt bestimmt haben? Musste sich die „kolumbianische Jeanne d’Arc“ dem Timing des am meisten gehassten südamerikanischen Politikers fügen, um überhaupt befreit zu werden?


Hat er, der sich den von Hugo Chávez vermittelten Geiselbefreiungen widersetzte, sie für diesen Augenblick aufgespart? Denn dem „fleißigen Kollaborateur des Drogenkartells von Medellin“ (US-Geheimdienst DIA – Defense Intelligence Agency über Uribe 1991), wurde gerade vom Obersten Gerichtshof Kolumbiens bescheinigt, dass seine Wahl zum Präsidenten (2006) nicht rechtens ist. Die notwendige Mehrheit war mittels Bestechungsaktionen seiner Paladine zustande gekommen.

Und deshalb strebt Uribe ein Referendum an, das seine Präsidentschaft nachträglich legitimieren soll. Dazu braucht es ein positives Klima, einen so publikumswirksamen Erfolg wie eine strahlende Ingrid Betancourt, die wie eh und je ihre Landsleute bezaubert. Im Sog eines solchen Erfolgs möchte er auch gleich die Verfassung ändern, dahingehend, dass ihm eine dritte Präsidentschaftskandidatur gewährt wird.

Pro-Uribe Transparent für eine dritte Amtszeit Foto: Hiperion93 CC
Pro-Uribe Transparent für eine dritte Amtszeit | Foto: Hiperion93 CC

Und der  Moment ist günstig. Die Nachbarn Hugo Chávez und Rafael Correa (Ekuador) haben freundlich gratuliert und Zusammenarbeit angeboten, Correa jedoch mit dem Hinweis, dass die Geiselbefreiung nichts an seiner kritischen Haltung gegenüber Uribe ändern werde. Auch Fidel Castro war zufrieden, wiewohl er deutlich machte, dass Geiselnahme grundsätzlich nicht zu rechtfertigen sei. Der Nasenstüber ist Teil der Bemühungen Kubas und Venezuelas, aus den Guerilleros der FARC eine politische, entmilitarisierte Partei zu machen. Dem aber steht Uribe entgegen: Er braucht den gefürchteten militärischen Gegner, draußen in den Wäldern. Nur so kann er das Wahlvolk bei der Stange halten, mit der Furcht, mit dem blutigen Erfolg. 


John McCain bei US-Truppen im Irak
John McCain, hier bei US-Truppen im Irak      
Ein weiterer Kandidat profitierte von der Geiselbefreiung: John McCain, der, wie es der Zufall so will, gerade rechtzeitig in Bogotá eintraf, um sich im Erfolg des Gefolgsmanns zu sonnen. Wie dieser vertritt McCain militärische Härte. Wie dieser ist er gegen eine politische Lösung des Bürgerkriegs in Kolumbien und deshalb gegen die Zulassung der FARC als politische, sozialistische Partei. Außerdem kämpfen McCains Republikaner verbissen um einen Freihandelsvertrag mit Kolumbien, der – wegen Uribe – von den amerikanischen Gewerkschaften und der demokratischen Opposition blockiert wird. Auch das könnte sich nun ändern. Und mit McCain und Uribe freut sich die Regierung von Peru, die gerade einen Freihandelsvertrag mit den USA unterzeichnet und – wie Kolumbien – der Errichtung amerikanischer Militärbasen im Lande zugestimmt hat.


Geblendet von soviel glücklicher Fügung, übersah man dann auch das 35. Treffen der Staatschefs der Mercosur-Länder im argentinischen Tucumán. Dort hatte man ja nur über die US-amerikanische Einkreisung Südamerikas gesprochen, sich gegen die bilateralen Freihandelsabkommen mit Washington verwahrt und gegen Kolumbiens Blockade eines südamerikanischen Sicherheitsrates... (CH)

Wolf Gauer lebt in Südamerika und ist Autor der Politikzeitschrift Ossietzky.







Online-Flyer Nr. 154  vom 07.07.2008

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