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Inland
Der SPIEGEL und sein Artikel über Jutta Ditfurths Dutschke/Meinhof-Buch
Der trügt wie gedruckt
Von Peter Kleinert

„Die trügt wie gedruckt“ - so die Überschrift eines SPIEGEL-Artikels über das neue Buch von Jutta Ditfurth "Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft". Unter den 68er Kronzeugen, die SPIEGEL-Redakteur Michael Sontheimer sich für diese Diffamierung der Autorin rangeholt hat, sind der inzwischen rechtsextreme Bernd Rabehl, der inzwischen zum Dalai Lama-Bewunderer anvancierte Filmemacher Clemens Kuby, Tilman Fichter, dem Dutschke schon 1979 „Verdrehen und Verfälschen“ der Geschichte vorwarf, und Gretchen Dutschke, die sich vom SPIEGEL mit ihrer Antwort zur Freundschaft zwischen Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof manipuliert fühlt.

Jutta Ditfurth
Jutta Ditfurth - mit Recht sauer auf 
den SPIEGEL | Foto: NRhZ-Archiv
Rudi Dutschkes Witwe
 
„Zwei 68er-Ikonen, ein super Thema: Das muss sich Jutta Ditfurth gedacht haben, als sie ein Buch über die Freundschaft von Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof schrieb. Einziges Problem: Die beiden Politstars kannten sich kaum“, behauptet der SPIEGEL-Redakteur.

"Ulrike Meinhof und mein Mann waren nicht befreundet. Das ist Unsinn ", habe Gretchen Dutschke ihm mitgeteilt, schreibt Sontheimer. Sie habe das anders in Erinnerung, teilte die Witwe des einstigen Studentenführers Jutta Ditfurth in einer e-Mail nach dem Erscheinen des SPIEGEL-Artikels dagegen mit: „Ich (…) wurde nur gefragt, ob es eine enge Freundschaft zwischen Rudi und Ulrike gegeben hatte. Ich habe nein geantwortet. Sie machen daraus, was sie wollen.“
 
Bernd Rabehl
 
„Auch Dutschkes einstiger Weggefährte Bernd Rabehl bekundet“, heißt es im SPIEGEL weiter, „die beiden waren nicht befreundet.“ Doch kurz nachdem Ulrike Meinhof nach Berlin gezogen war, so erinnere sich Rabehl, habe Ulrike Meinhof Rudi Dutschke im Republikanischen Club angesprochen: „Ich, die Feder, du, die Stimme der Bewegung, das wäre doch was“, habe sie gesagt. Dutschke allerdings, so Rabehl laut SPIEGEL, „sei ziemlich irritiert gewesen: ‚Ich bin doch verheiratet und habe ein Kind’, habe er die Offerte kommentiert.“
 
Zu diesem Kronzeugen des SPIEGEL-Redakteurs, der sie seinen Lesern als „spätgeborene Revolutionsromantikerin“ und „Frankfurter Fundamental-Journalistin“ vorstellt, sagt Jutta Ditfurth: „Liest man, was Dutschke über Rabehl schrieb, wird rasch klar, dass beide seit 1966 keine Freunde mehr waren und Rabehl allein aus diesem Grund kein Zeitzeuge für oder gegen eine Freundschaft Dutschke/Meinhof sein kann. Dutschke warf Rabehl später z.B. vor, seine Uni-Abschlussarbeit ‚unsolidarisch und widersprüchlich adoptiert’ zu haben.“ In seinem Tagebuch habe er Rabehl sogar mit der Bild-Zeitung verglichen und dort auch notiert:Es kam ca. ab 1966 nicht mehr zu einer gemeinsamen politischen Arbeit mit B[ernd].“ Die Freundschaft zwischen Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof aber dauerte von 1967 bis 1969, begann also erst, als die zwischen Rabehl und Dutschke vorbei war. Heute sei dieser Kronzeuge des SPIEGEL ein Rechtsextremer, habe nicht nur jahrelang versucht, Rudi Dutschke zum Nationalrevolutionär umzudeuten und die Geschichte der APO in Teilen umzuschreiben, habe 1998 vor der schlagenden Burschenschaft Danubia über das „Problem der Überfremdung und der Auflösung einer nationalen Kultur“ referiert und 2005 sogar versucht, im Sächsischen Landtag die NPD vom Faschismus freizusprechen. Dazu passt sein aktueller Schwindel dem SPIEGEL-Redakteur zuliebe, dass Ulrike Meinhof sich an Rudi Dutschke rangemacht habe, perfekt.
 
Tilman Fichter
 
Auftritt des SPIEGEL-Zeugen Tilman Fichter: „Ditfurth schreibt detailversessen, aber ihre Grundthese ist falsch“, heißt es da zur Einleitung. „Sie sollte das als Fiction kenntlich machen, wenn sie eine Freundschaft zwischen den beiden erfindet“, schlage „der einstige Dutschke-Genosse“ Tilman Fichter vor. Auch der bestreite die Freundschaft Dutschke-Meinhof.
 
Die durch ihre „Detailversessenheit“ quellensichere Autorin kann allerdings auch über Dutschkes Verhältnis zu Fichter genaue Auskunft geben: „Einen Tag vor dem Attentat schrieb Rudi Dutschke am 10. April 1968 in sein Tagebuch: ‚Und wie 'sauer' und erneut mißtrauisch war der Tilman F[ichter] in jener Sitzung vor einigen Wochen im SDS’. Fichter gehörte längst nicht mehr zur Strömung um Dutschke. Kurz vor seinem Tod 1979 suchte Rudi nach Dokumenten über die 60er Jahre: ‚…ziemliche Qual. Muss aber getan werden, denn die anderen Interessengruppen, die inzwischen der SPD extrem nahe geraten sind, verdrehen und verfälschen die reale Lage-Kampf-Geschichte - von der DKP … bis zu T[ilman] Fichter, S[iegward] Lönnendonker]’, schreibt er am 6. Februar 1979 in sein Tagebuch.“
 
Clemens Kuby
 
„Völliger Quatsch“ sei es, von einer Freundschaft zu sprechen, ärgere sich der „damalige Vertraute der Dutschkes“ Clemens Kuby, heißt es weiter im SPIEGEL-Text. Merkwürdigerweise komme dieser „Vertraute“ Rudi Dutschkes in keinem von dessen veröffentlichten Tagebüchern vor, wundert sich Jutta Ditfurth. Ihr gegenüber hat der Filmemacher inzwischen per e-Mail nicht nur zugegeben, dass er ihr Buch vor seinem Kontakt mit Sontheimer gar nicht gelesen hätte. Dennoch dürfe sie auf keinen Fall „Dutschke und Meinhof in einem Atemzug (einem Titel)“ nennen. Begründung: Politisch sei dies „völlig instinktlos und schädlich. Rudi wollte und hat mit der RAF nie etwas zu tun gehabt“. Kubys Forderung gegenüber der Autorin: „Ändere den Titel, du tust dieser Republik damit keinen Dienst.“ Jutta Ditfurths Kommentar dazu gegenüber der NRhZ: „Abgesehen davon, dass ich nicht vorhabe 'der Republik einen Dienst zu tun', wird hier deutlich, dass es auch Kuby darum geht, die Freundschaft von Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke aus politisch-taktischen Gründen zu bestreiten! Der ‚heilige, angeblich gewaltfreie Rudi' darf nicht durch die ‚schmutzige, terroristische Meinhof’ befleckt werden. Nebenbei: Die Freundschaft der beiden dauerte von 1967 bis 1969, die RAF entstand aber erst 1970.“
 
Tatsache sei, so Jutta Ditfurth, und die Belege dafür finden sich in ihrem Buch, „dass Rudi Dutschke bis zum Attentat vom 11. April 1968 deutlich radikaler war als Ulrike Meinhof. Es fällt auf, dass sich keiner der Kritiker mit diesem inhaltlichen Strang befasst. Rudi Dutschke war ein Antiautoritärer, ein Sozialist, ein Revolutionär, ein militanter Humanist, ein Marxist. Nicht mehr, nicht weniger.“
 
Neuer Historikerstreit?
 
Dem SPIEGEL und anderen Medien, der Politik und manchen Politikwissenschaftlern, die zum Beispiel am vergangenen Wochenende in einer Veranstaltung im Frankfurter Historischen Museum gemeinsam mit leitenden Redakteuren der Frankfurter Rundschau auftraten, geht es heute wieder - wie damals von Rudi Dutschke über Tilman Fichter in seinem Tagebuch notiert - um die Verfälschung von Geschichte. Jutta Ditfurth: „Im
40. Jubiläumsjahr der APO wird so massiv wie in keinem Jubeljahr bisher, der Versuch gemacht, linke Geschichte umzuschreiben, so dass sich ihre ProtagonistInnen entweder als gebrochene, gescheiterte oder als integrierte, angepasste Existenzen in die herrschenden Verhältnisse einfügen. Der ‚neue deutscher Historikerstreit’ (Motto: »Rebellion ist Verbrechen, widerständiges Verhalten pathologisch«) begann in neuer Heftigkeit mit Götz Aly und hört mit Wolfgang Kraushaar, Gerd Koenen, Clemens Kuby, Tilman Fichter und
Michael Sontheimer gewiss noch nicht auf.“
 
jutta ditfurth rudi und ulrike
                                                    
Sontheimer war übrigens, erfährt man auf dessen homepage, 1979 Gründungsredakteur bei der damals noch durchaus lesenswerten taz. Doch beim SPIEGEL verdient man als Redakteur halt mehr. Vielleicht macht er ja mit Artikeln wie dem über Jutta Ditfurths neues Buch mal richtig Karriere und wird Chefredakteur bei der FAZ. (PK)

Jutta Ditfurth:
Rudi und Ulrike.
Geschichte einer Freundschaft
München: Droemer 2008, 16,95 Euro

Online-Flyer Nr. 147  vom 21.05.2008

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