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Lokales
Hungerlöhne und Altersarmut
Ver.di will weg von der Zeitbombe
Von Almut von Rickmann-Werder

DGB-Chef Michael Sommer ging an diesem 1. Mai ein gewisses Risiko ein, mit der SPD wieder auf Schmusekurs zu gehen. Denn die hatte die Gewerkschaften mit der Agenda 2010 bis heute in ziemliche Bedrängnis gebracht. Schon kündigt Bundespräsident Horst Köhler eine Agenda 2020 an. Doch sie dürfte ohne die SPD nicht zu machen sein. Vielleicht war es deshalb ein Wink mit dem Zaunpfahl aus der Bevölkerung, dass zur Hauptkundgebung des DGB in Mainz nur 800 Menschen kamen. In Köln waren es immerhin 6.000, die ver.di-Chef Frank Bsirske zuhörten.

Unter dem Stichwort „Deine Würde ist unser Maß" ging es im Jahr 2006 dem DGB noch darum, nach dem ersten Jahr Hartz IV vor allem auch Erwerbslosen die „Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe zu geben und vor sozialer Ausgrenzung" zu bewahren. 2008 fordert der DGB inzwischen, dass „Arbeit die soziale Sicherheit und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht“. Das klingt schon eher wie ein weiteres Rückzugsgefecht. Zuversicht hört sich eben anders an. Wenigstens hat es das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach noch geschafft, für dieses „gesellschaftliche Klima von Angst und Unsicherheit" die rot-grünen Arbeitsmarktreformen verantwortlich zu machen. Doch die Erwerbslosen dürften sich ausgegrenzt gefühlt haben, sie spielten am Tag der Arbeit keine Rolle. Der Wind kommt für die Gewerkschaften aus einer anderen Ecke.

Hungerlöhnen folgt die Altersarmut


ver.di-Chef Frank Bsirske:
Europäische Nachbarn
registrieren in Deutschland
Hungerlöhne
 Vor den 6.000 Besuchern in Köln begeisterte dagegen die Rede von ver.di-Chef Frank Bsirske. Mit kämpferischen Worten geißelte er, dass seit Jahren in Deutschland zunehmend Hungerlöhne gezahlt würden und dies inzwischen durch die ausländischen Medien ginge. Selbst in Frankreich sei die Zahl der Geringverdiener nur halb so hoch wie in Deutschland. Der niedrigste Lohn von 3,87 Euro würde in der Abfallwirtschaft in Thüringen gezahlt, Subunternehmer in Baden-Württemberg zahlten nur 5,00 Euro die Stunde, der Regellohn der PIN-Group betrage im Schnitt lediglich 5,90 Euro, bei Allgäu-Mail gerade mal 4,00 Euro. Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder eine betriebliche Altersversorgung fielen immer mehr den betrieblichen Kahlschlägen zum Opfer. Bsirske prangerte vor allem an, dass die Bundesbürger mit ihren Steuern die Löhne bei den Dumpingunternehmern aufstocken müssten.

Dem Dumpinglohn würde vor allem die Altersarmut folgen. Eine Floristin bekäme nach 42 Jahren gerade mal eine Rente von 649,52 Euro. Bei einem Jahr Hartz-IV würde der Rentenanspruch gerade mal um 2,19 Euro steigen. Und privat könnten gerade Hartz-IV-Empfänger keine zusätzliche Altersversorgung ansparen. Bsirkse: „Was da tickt, ist keine demografische, sondern eine soziale Zeitbombe, und die muss entschärft werden." Denn die Folgen der Hungerlöhne treffen Millionen heute noch junger Menschen. Vor allem griff er die „Schnösels von der Jungen Union an", die sich über Rentenanpassungen ereifern, die unterhalb der Preissteigerungsrate liegen.


Von der Ausgrenzung Armut durch Arbeit....

Bsirske zitierte den ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt: „Unternehmen, die ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zahlen, sollten in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben. Und unter einem ausreichenden Lohn verstehe ich mehr als bloßes Existenzminimum. Ich verstehe darunter Löhne, die ein anständiges Leben ermöglichen". Bsirske verwies darauf, dass in anderen europäischen Ländern längst Mindestlöhne zwischen 8,00 und 9,00 Euro gezahlt werden und forderte deshalb die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von mehr als 7,50 Euro in Deutschland.

Ein rotes Tuch für Gewerkschaften sei vor allem auch die zunehmende Ausweitung von Leiharbeit, die ausschließlich die Funktionen von Lohndrückerei und Streikbrecherei hätten. Vor allem CDU und FDP und christliche Gewerkschaften würden die Gleichbehandlung von Leih- und Stammarbeit verhindern.

Besonders auf die Palme brachte Bsirske die Zunahme von Scheingewerkschaften: „Bei Aldi und anderen Discountern halten sich Unternehmer Scheingewerkschaften und bezahlen ihre Gefälligkeit wie anderswo Stricher bezahlt werden. Und Stricher sind das in der Tat, Stricher und nichts anderes."

Bsirske fordert von Merkel Rückkehr zum Sozialstaat

Bsirske griff auch die Große Koalition an: „Die Steuerpolitik der letzten Jahre war ein systematisches Bereicherungsprogramm für Kapitalbesitzer". Dieses werde durch die Erbschaftssteuer fortgesetzt: „14 Billionen Euro werden bis 2015 vererbt – mit einer Erbschaftssteuer am international untersten Ende". Und nun hätte die Große Koalition beschlossen, bei der Erbschaftssteuer auf höhere Steuereinnahmen zu verzichten.


...ist vor allem die Jugend betroffen. (Im Hintergrund Frank Bsirske)
Fotos: arbeiterfotografie


Frank Bsirske forderte vor allen Kanzlerin Angela Merkel auf, sich tatkräftig zur sozialen Dimension zu bekennen. Mit ihrer vehementen Unterstützung des Europavertrages von Lissabon würde das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz letztlich ausgehebelt.

Schließlich äußerte sich Bsirske zur Gefahr von Rechts und warnte davor, dass wieder die Gewerkschaftshäuser wie vor 75 Jahren besetzt werden könnten. Den NPD- und Nazikameradschaften dürfe daher kein Raum zu weiterer Entfaltung geboten werden. Ver.di unterstütze deshalb einen Verbotsantrag. Der 75ste Jahrestag sei für die Gewerkschaften deshalb Verpflichtung: „Und ich sage das ganz bewusst auch mit Blick auf den Kampf gegen Rechts: Wenn eine Mehrheit in unserem Land immer wieder zum Ausdruck bringt, dass es nicht mehr gerecht zugeht, wenn immer mehr Menschen sich in ihrer Existenz bedroht sehen und Angst haben vor der Zukunft, wenn sie der Politik nicht trauen – dann kann dies der Ausgangspunkt für eine neue soziale Bewegung für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit sein". (HDH)

Online-Flyer Nr. 144  vom 02.05.2008

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