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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
Wie Pressefreiheit immer stärker gefährdet wird
Bedrohte JournalistInnen
Von Hans-Dieter Hey

1.172 Übergriffe, 870 inhaftierte und 95 ermordete Journalisten gab es im Jahr 2007. Und in diesem Jahr gibt es bereits 11 Ermordete, die ihr Leben für die freie Meinungsäußerung und Wahrheitsfindung lassen mussten, meldet „Reporter ohne Grenzen“. Dies ist die scheußliche Spitze eines Krieges gegen den Journalismus – bei uns hingegen kommt die Einschränkung der Pressefreiheit auf leiseren Sohlen daher.



Filmemacherin Sylivie           
Banuls: nachdenklich 
Am 29. April wurden im Frankfurter Filmmuseum in Kooperation mit Naxos, dem „Kino für Dokumentarfilm und Gespräch“, mit Journalisten Fragen zur Situation der Pressefreiheit weltweit diskutiert. Denn der 3. Mai ist bekanntlich "Welttag der Pressefreiheit". Anhand des Dokumentarfilms „Gefesselte Worte“ von Sylvie Banuls (ein Clip davon hier in NRhZ 144) wurden die Folgen für die Journalisten erörtert und das „Maison des Journalistes“ in Paris vorgestellt, das sich um bedrohte, geflüchtete und gefolterten Journalisten kümmert. Höchstens 20 Prozent von ihnen gelingt es danach überhaupt noch, in der „neuen Heimat“ ihren Beruf wieder auszuüben.


Morddrohungen gegen Meinungsfreiheit


Mainat Kourbanova:
Leben bedroht
Mainat Kourbanova, Mutter von zwei Kindern, war seit 1999 Kriegsberichterstatterin in Tschetschenien. Auf dem Podium im Frankfurter Filmmuseum berichtete sie, dass es seit fünf bis sechs Jahren dort keine offene Berichterstattung mehr gäbe: „Vor ein paar Tagen, am 17. April, ist die kanadische Kollegin Jane Armstrong trotz offizieller Akkreditierung unter Bedrohung ausgewiesen worden. Und das nur, weil sie ohne Teilnahme der Geheimdienste berichten wollte. Die beiden letzten unabhängigen Zeitungen sind vergangene Woche geschlossen worden.“ Kourbanovas Familie wurde mehrfach bedroht, und schließlich musste sie nach Deutschland flüchten.


Alaa Sadoon: Anschläge         
überstanden
Alaa Sadoon, der ebenfalls auf dem Podium saß, arbeitete als freier Journalist in Bagdad. Weil er für westliche Medien schrieb, erhielten er und seine Familie zahlreiche Morddrohungen und entgingen nur knapp mehreren Mordanschlägen. Nun hilft ihm die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Zurückkehren kann er nicht: „Im Irak verliere ich mein Leben. Amerika hat uns zwar von Saddam Hussein befreit, aber über mehr als zwei Jahre nichts dafür getan, dass Frieden herrscht. Vor allem haben sie die Grenzen nicht geschützt, und dann kamen Extremisten aus Syrien, Saudi-Arabien oder dem Iran. Letzte Woche starb mein Cousin. Ich habe in Situationen gearbeitet, in denen Menschen durch Bomben in Stücke gerissen wurden. Was ich dort gesehen habe, hat mich einfach monatelang psychisch krank gemacht.“ Jetzt, sagte Alaa Sadoon, sei alles viel schlimmer als vorher unter Saddam Hussein.


R. M. Fröhder: Pazifist
geworden
Eine Sicht, die auch Christoph Maria Fröhder bestätigte: Er war für die ARD in Kabul und kehrte erst vor einigen Tagen wieder zurück. Schon aus Vietnam – wo die Pressefreiheit allerdings noch weniger eingeschränkt war – hatte er berichtet, wie durch die Amerikaner ein Dorf von den Babys bis zu den Alten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Als er im US-Gefängnis in Abu-Ghuraib war und über die Gefangenen – mit Kapuzen verhängte Gesichter, an Händen und Füßen gefesselt, in ihrem eigenen Kot stehend – berichtete, stattete ihm der Kommandeur einen „Besuch“ mit bewaffneter Eskorte ab und drohte: „Wenn ich durch ihren Bericht Probleme bekommen, lege ich Sie persönlich um!“

Erschütternd war es für Fröhder, bei einem weiteren Besuch in Abu-Ghuraib zu erfahren, dass ein Kollege der Agentur Reuters trotz Legitimation und Erkennbarkeit als Journalist von einem amerikanischen Panzer aus erschossen wurde – einige Momente vorher hatte er noch im „Winkkontakt“ zu den Soldaten gestanden. Mehrere Briefe des „Netzwerk Recherche“ an das Pentagon zu diesem Vorfall blieben zunächst unbeantwortet. Schließlich lautete das Statement, dass ermittelt würde, aber man könne über geheime militärische Untersuchungen keine Auskunft geben.


Peter Zschunke: Öffentlich-    
keit herstellen
Auf die Frage, was gegen die Bedrohung von Journalisten unternommen werden könne, antwortete Peter Zschunke, Mitglied von „Reporter ohne Grenzen“ und Auslandschef der Nachrichtenagentur Associated Press in Frankfurt: „Man kann nur immer mit neuen Briefe vorstellig werden und protestieren. Im Irak war jetzt mein Fotokollege Bilal Hussein zwei Jahre in einem amerikanischen Gefängnis und ist nun erst, am 14. April, freigekommen. Da haben sehr viele Journalistenkollegen protestiert. Ein Jahr hat sich nichts getan, bis man an die Öffentlicheit gegangen ist. Und dieser Kollege hatte sogar 2005 den Pulitzer-Preis für seine eindrucksvollen Fotos bekommen. Man muss immer wieder versuchen, Öffentlichkeit herzustellen. Sie hat einen wichtigen Wert.“ 

Tittytainment statt Journalismus

Während die Welt zu Recht über die oft tödlich endenden Angriffe auf Journalisten erschüttert ist, sind die Methoden in den „europäischen Demokratien“ meist verhüllter, stiller, subtiler: Kürzungen von Geldern für kritische Beiträge oder gesamte Sendeformate in den öffentlich-rechtlichen Anstalten zu Gunsten von Tittytainment und Volksgedudel, Verschieben von kritischen Beiträgen auf Sendeplätze nach 24 Uhr, dazu eine zunehmende Pressekonzentration, massive Einflussnahme seitens Verleger und Lobbyisten, juristischer Druck durch Klagewellen sind nur einige Beispiele für die Einschränkung der Pressefreiheit hierzulande.

Diese spürbare Entwicklung findet in Deutschland schleichend statt, ist „weiß und nicht blutbefleckt“ wie in anderen Ländern. Als Beispiel kam Christian Heinrici von der Neuen Rheinischen Zeitung auf die aktuelle Situation der Frankfurter Rundschau zu sprechen, einer ehemals kritischen, linksliberalen Zeitung, die vom Kölner Verlag M.DuMont Schauberg mehrheitlich aufgekauft wurde und in den Folgejahren immer weiter an Format und kritischem Inhalt verloren habe. Die KollegInnen dort beginnen  sich nun zu wehren, wie die NRhZ soeben in einer Meldung berichtet hat. 


Christian Heinrici: Nicht
einschüchtern lassen
Fotos: gesichter zeich(ch/g)en
Auch in Köln gab und gibt es Fragen zur Pressefreiheit, die man an den DuMont-Verlag richten müsse. Heinrici kam auf dessen für die Pressefreiheit mehr als ungesunde Monopolstellung zu sprechen: „Neven DuMont ist Herausgeber aller Kölner Tageszeitungen, außer der BILD-Zeitung, gleichzeitig aber auch Teilhaber des größten Kölner Immobilienfonds, der fast alle Aufträge für die Stadt ‚abwickelt’. Bis vor wenigen Jahren hatte er noch den Vorsitz der Industrie- und Handelskammer inne.“ Das war und ist noch heute eine Situation, in der Klüngel und Korruption in dieser Stadt wunderbar wuchern können.

Der NRhZ-Redakteur wies darauf hin, dass es auch  in der Vergangenheit  Hinweise gab, wie der Kölner Monopolverlag alternative Stadtzeitungen wie die „Kölner Woche“, mehr oder weniger subtil „aus dem Rennen“ zu kicken versucht habe: Kioske hätten sich nicht mehr getraut, die Kölner Woche offen auszulegen. Kölner Druckereien hätten abgelehnt, die Stadtzeitung  zu produzieren, so daß man sie schließlich in der WAZ-Druckerei in Hagen drucken mußte. „Aber auch heute versucht der DuMont-Verlag, die NRhZ unter Druck zu setzen und führt Prozesse gegen unsere Online-Zeitung: Dabei steht der Streitwert in keinem Verhältnis und geht in die Hunderttausende.“ Selbstverständlich werde man sich nicht einschüchtern lassen, und notfalls vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Nachfrage nach kritischen Informationen von unten gebe den NRhZ-Machern Recht, Heinrici: „Wir haben jeden Tag bis zu 6.000 Lesern.“

Am Ende der engagierten und langen Diskussion blieb die Frage einer Teilnehmerin unbeantwortet: „Warum gibt es Journalisten, die zulassen, dass man ihre Zeitung kaputt macht? Die Kritischen gehen weg, und was macht der Nachwuchs? Er passt sich an. Warum gibt es so wenige Journalisten, die ihre Arbeit der Aufklärung machen, wo sie doch gar nicht so bedroht sind, wie in anderen Ländern?“

Nicht zur Sprache kommen konnte in dieser Veranstaltung, daß gerade ein sudanesischer Kameramann des arabischen Senders Al Dschasira nach sieben Jahren Haft aus Guantanamo entlassen wurde. Er war, wie bei Redaktionsschluß dieses Beitrags bekannt wurde,  von US-Militärs und Geheimdienstleuten in Afghanistan 2001 festgenommen worden. Ohne daß sich je ein US-Gericht mit dem Kollegen befaßt hätte, wurde er nun nach einem Hungerstreik entlassen und konnte zu seiner Familie im Sudan zurückkehren. Der angebliche "Terrorismusverdacht" gegen ihn hatte sich "nicht bestätigt". (PK)


Die Veranstaltung fand statt im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt in Kooperation zwischen dem Filmmuseum Frankfurt und Naxos-Kino, Dokumentarfilm und Theater, Frankfurt.


Quelle: Deutsches Filmmuseum



Reporter ohne Grenzen:
„Nahtstellen", Fotos für die
Pressefreiheit,
mit Fotografien von:
Boris Mikhailov, Simon Roberts
Justyna Mielnikiewicz, Frank Herfort, Robert Polidori, Kirill Golovchenko Anastasia Khoroshilova, Andrei Liankevich, Jelena und Viktor Vorobjev


ISBN 978-3-937683-19-5
100 S., 85 Abb., 4-farbig und schwarz-weiß,
DIN A4, Broschur
10 € inkl. Versand bis 31. Mai; danach 12 Euro


Hier finden Sie den Trailer von „Reporter ohne Grenzen":
 


Online-Flyer Nr. 144  vom 02.05.2008

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