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Medien
Filmabend in Köln: Die 68er demonstrierten nicht nur auf der Straße
„Wir gehen in die Betriebe!“
Von Peter Kleinert

Nach dem erfolgreichen 1977er Lohn- und Gehaltsstreik in der Druckindustrie wollte Bremens Monopolverleger Meier die erkämpften Gehaltserhöhungen bei den Angestellten und Redakteuren seines Zeitungsverlags auf die übertariflichen Zulagen anrechnen und die Gehälter entsprechend kürzen. Was er offenbar nicht mitbekommen hatte: ehemalige 68er hatten in seinem Betrieb als aktive Gewerkschafter im Betriebsrat und als Vertrauensleute die Belegschaft jahrelang auf einen solchen Übergriff des Unternehmers vorberei
Pressehaus
„Unser Gesetz heißt Solidarität“                 
Quelle: KAOS-Archiv
 „Solidarisches Verhalten geübt“

Einer der Aktiven war Ferdinand Kammering, der zunächst als Textil-Student in Reutlingen, dann als Hafenarbeiter in Bremen, durch Friedensbewegung und linke Zirkel politisiert, in den Verlag von Weser-Kurier und Bremer Nachrichten als Hilfsarbeiter eingestiegen war. Dort wurde er 1968 als „Nachrücker“ Betriebsratsmitglied. Zusammen mit seinen Kollegen verhalf er anderen Arbeit suchenden Linken, darunter Lehrern und Intellektuellen, die von Willy Brandts Berufsverboten betroffen waren, zu Jobs. „Jahrelang“, so erinnert er sich, haben wir in vielen kleineren Auseinandersetzungen mit der Verlagsleitung solidarisches Verhalten geübt“ - bis Monopolverleger Meyer dann 1977 die Gehälter des Teils der Belegschaft kürzen wollte, von dem er keine Gegenwehr erwartete. 

Doch damit hatte Hermann Rudolf Meyer sich verrechnet: Ermutigt durch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter im Betrieb - nicht zuletzt durch Ferdinand Kammering, der inzwischen Betriebsratsvorsitzender war - traten die Betroffenen, unterstützt vor allem durch die Drucker und Setzer, in einen "wilden Streik", den ihre Gewerkschaft, die damalige IG Druck und Papier, offiziell nicht unterstützen durfte. Natürlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass dieser Arbeitskampf sechs Wochen dauern würde.

Sogar Bürgermeister Hans Koschnick

Ähnlich ging es den Gründern der Kölner Film- und Video-Gruppe, Vorgängerin von KAOS Film- und Video-Team Köln, die selbst aktive Gewerkschafter waren und ein Jahr vorher mit ihrer TV-Filmarbeit angefangen hatten. Als die zwei Tage nach Streikbeginn von dem Arbeitskampf erfuhren, beschlossen sie, ihn mit Kamera und Mikrophon zu dokumentieren und fuhren, wie sie dachten, für einige Tage nach Bremen. Einen Sendeplatz und damit eine finanzielle Absicherung für die Dreharbeiten gab es natürlich nicht.

1977 in ganz Deutschland bekannt geworden: Bremer Pressehaus
1977 in ganz Deutschland bekannt geworden: Bremer Pressehaus
Quelle: KAOS-Archiv

Solidarität für die streikende Belegschaft gab es nicht nur in anderen Bremer Betrieben. Auch die Bremer Bürger, sogar deren damaliger Bürgermeister Hans Koschnick, die während der sechs Wochen auf ihre lokalen Zeitungen verzichten mussten, solidarisierten sich vor der Kamera mit der Belegschaft. Und die so entstandene ungewöhnliche Innenansicht eines Arbeitskampfes wurde ein Jahr später tatsächlich von der WDR-Filmredaktion gesendet und bezahlt.

"Der Gewerkschafter", eine Zeitschrift der IG Metall, schrieb dazu: „Aus welchem Grund die Belegschaft des "Weser-Kurier" in Bremen von ihrem Verleger ("Mein Gesetz heißt Meyer!") in den betrieblichen Arbeitskampf getrieben wurde, wissen inzwischen die Belegschaften sämtlicher großen Tageszeitungen. Denn nicht nur in den Schulungsheimen der IG Druck und Papier wurde dieser Film, der im März auch im WDR gezeigt wird, eingesetzt, sondern auch in vielen Mitgliederversammlungen.“ - Einladungen, damit sie über ihre Erfahrungen aus diesem Zeitungsstreik berichteten, erhielten Ferdinand Kammering und sein Nachfolger als Betriebsratsvorsitzender Kurt Müller, der später als Ortsvereinsvorsitzender der IG Medien Bremen, Mitglied im Landesbezirksvorstand Niedersachsen-Bremen und im DGB-Kreisvorstand Bremen für mehr Mitbestimmung in den Betrieben und für eine gerechtere Welt kämpfte, noch viele Jahre lang.

Ferdinand Kammering wird nun – 31 Jahre danach – am 16.März um 19 Uhr auch im Kölner DGB-Haus mit dabei sein, wenn wir dort im Rahmen unserer 68er Veranstaltungsreihe den Film „Unser Gesetz heißt Solidarität – Der Zeitungsstreik bei Weser Kurier und Bremer Nachrichten“ wieder aufführen. Kurt Müller wird nicht dabei sein. Er starb 1998, nur 50 Jahre alt. Doch wird man an diesem Abend ein Buch kaufen können, in dem Susanne Stracke-Neumann Kurt Müller anlässlich seines zehnten Todestages würdigt.

Kurt Müller
Für die, die am 16. März nicht zu diesem Filmabend kommen können, hier der Buchtitel:
„Kurt Müller – Ein kritischer Kämpfer für eine gerechte Welt“, Berlin/Hamburg 2008, erschienen in der Edition des Karl-Richter-Vereins beim VSA-Verlag, Hamburg. (PK)

Online-Flyer Nr. 141  vom 09.04.2008

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