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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Zu viele wissen nicht, was in Deutschland passiert
Krieg im Inneren
Von Hans-Dieter Hey

Sorgenfalten fanden sich auf den Gesichtern der Teilnehmer mehrerer Friedensgruppen auf einer Veranstaltung im DGB-Haus am Montagabend. Der Grund: Weitere Kriegsvorbereitungen im Inland und die Einstimmung der Bevölkerung auf kriegerische Auseinandersetzungen nehmen zu. Und: kaum jemand im Lande weiß, was hinter den Kulissen wirklich geschieht. Denn die Mainstream-Medien schweigen, es sei denn, es ist mal wieder von Helden die Rede.
Politik gegen die Mehrheit


Ulrich Sander, VVN-BDA
Foto: arbeiterfotografie
Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung lehnen sowohl den Krieg gegen Afghanistan wie auch Hartz IV ab. Abgelehnt wird auch die Politik von ausufernden Geheimdienstaktionen, Bruch des Datenschutzes, jugendfeindlicher Bildungspolitik oder der politische Widerstand gegen Mindestlöhne. Unbeeindruckt davon macht die Parlamentsmehrheit weiter. Nur wenige können sich vorstellen, dass alles miteinander zu tun haben könnte. Doch manch einer ahnt, dass es noch schlimmer kommen könnte. Ulrich Sander, Autor und Journalist, steht der Entwicklung besonders skeptisch gegenüber. Er prophezeit: „Es wird eine Situation heranreifen, da diese Widersprüche zwischen der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung und der Mehrheitsmeinung der politischen und ökonomischen Eliten nicht mehr ohne außerparlamentarische Kämpfe ausgetragen wird. Das schreit dann objektiv nach einem autoritären Staat auf der einen und einem Widerstandspotential auf der anderen Seite".
 
Dies alles gehöre, so die Teilnehmer der Veranstaltung einvernehmlich, zu einem einzigen Bild. Einen ersten Vorgeschmack davon, wie man sich hierzulande von Kritik und Widerstand vielleicht einmal entledigen wird, habe es in Heiligendamm anlässlich des Besuchs des US-Präsidenten G. W. Bush gegeben.
 
Angriffskriege ohne Rechtsgrundlage
 
Die Bundeswehr wurde – nach verfassungswidrigen Angriffen auf fremde Staaten – nun auch verfassungswidrig im Inland eingesetzt, und zwar mit fast allen ihr zur Verfügung stehenden Waffengattungen. Sander: „Die Politik hatte entsprechende Vorarbeit geleistet, dass sie die Bestimmungen der Art. 26 und 87a GG, die den Einsatz der Bundeswehr auf den Verteidigungsfall begrenzen, einfach nicht angewandt hatte. Innenminister Schäuble reicht das offensichtlich noch nicht. Am 9. Juli 2007 entwickelte er gegenüber dem Spiegel gar das Konzept, den im Grunde nicht veränderbaren § 1 des Grundgesetzes, also den Schutz der Menschenwürde und des Lebens abzuschaffen. Dabei ging es um das Abschießen 'verdächtiger' Zivilflugzeuge". Nach Sander sucht man längst nach Soldaten, die für solche grundrechtswidrigen Einsätze zur Verfügung stehen.


Teilnehmer: mit Sorgen in die Zukunft 

Inzwischen hätten sich Polizei und Bundeswehr gegenseitig Verfassungsbrüche genehmigt - so z.B. in Heiligendamm bei der Anforderung der Tornadoflugzeuge, beim Transport von Polizisten, Getränken und Lebensmitteln. Deshalb dürfe man auch die Anwendung von Waffengewalt durch die Bundeswehr gegen die eigene Bevölkerung nicht ausschließen.
 
Der militärischen Transformation folgt die zivile 


Veröffentlichung der Finger-
abdrücke von Verschwörungs-
theoretiker Schäuble durch 
den Chaos-Computer-Club
Quelle: wikipedia
Weitere Erkenntnisse, die man von diesem Abend mitnehmen konnte: Beachtlich ist im Sinne einer zivilen Transformation Innenminister Schäubles Repertoire „gegen den Terror", wie z.B. das Einsperren von „Verschwörern und Gefährdern" in Lager oder die gezielte Tötung von Regimegegnern. Ferner gehören Kommunikationsverbote von politisch missliebigen, und auch von ganzen Bevölkerungsgruppen dazu, die Durchsuchung ohne Anwesenheit von Zeugen oder Beteiligten (Online-Durchsuchung), der Einsatz von Militär gegen Demonstranten, umfangreiche Bespitzelung durch Polizei und Geheimdienste z.B. durch Rasterfahndung oder die Überwachung der Telekommunikation. Schäubles Katalog wird ergänzt durch die Erfassung der Fingerabdrücke aller Bürgerinnen und Bürger demnächst bei den Passbehörden oder die Verwendung von Foltergeständnissen. Und erstmals nach der Nazi-Diktatur werden in Deutschland wieder die Erkenntnisse von Polizei und Geheimdienststellen zusammengeführt.
 
Im „Informationsdienst für die Truppe" wird zudem seit Jahren auf den Inlandseinsatz z.B. gegen „Globalisierungsgegner" eingestimmt. Inzwischen wurde – was kaum jemand weiß – das Reservistenalter auf 60 Jahre heraufgesetzt. Seit dieser Zeit können Reservisten auch zu Einsätzen außerhalb des Verteidigungsfalles einberufen werden. Die letzten drei Toten aus Afghanistan waren Reservisten.
 
In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten gibt es in den Rathäusern Kommandostellen der ZMZ (Zivilmilitärische Zusammenarbeit), so auch in Köln. Hinzu kommen Gremien, die Polizei, Bundeswehr und Katastrophenschutz zusammenführen. In Berlin Treptow laufen alle Fäden im sogenannten „Terrorismus-Abwehrzentrum" zusammen. Zu ihnen gehören Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst, Generalbundesanwaltschaft und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
 
Nähe zum Reichssicherheitshauptamt
 
„Noch im Jahr 2003" – so Sander – „hatte der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Eckerhart Wertebach eine solche Konstruktion und eine solche Konzentration des Staatsapparates aus historischen und rechtspolitischen Gründen abgelehnt. Die Nähe zum Reichsicherheitshauptamt der Nazis sei zu naheliegend". Heute gelte dies offensichtlich nicht mehr. Sander wies darauf hin, dass in einem ersten Entwurf zu den „verteidigungspolitischen Richtlinien" der ehemalige Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) 1992 noch vergeblich versucht hätte, die „hoheitlichen Aufgaben der Bundeswehr" im Inneren festzuschreiben. Was ihm nicht gelang, habe zehn Jahre später Nachfolger Peter Struck (SPD) erreicht.
 
Laufend werde auch durch ca. 500 Bundeswehrbeschäftigte flächendeckender Kontakt zu den ca. 237.000 Mitgliedern der Reservistenverbände gehalten. Sie sollen entscheidenden Einfluss auf den Rest der Bevölkerung nehmen. Noch unter Rot-Grün im Jahr 2005 seien mehr als eine Million ehemaliger Soldaten für die „zivil-militärische Zusammenarbeit Inneres" bereit gestellt worden.


Zweifelhafte Sicherheit von G. W. Bush abgeschrieben?
Quelle: White House, Chris Greenberg
 
 
Was die Innere Sicherheit angeht, nähern wir uns den Konzepten der USA nach dem „Home Security Council" an, so Sander weiter. „Zu den Feinden des inneren Verschwörers zählten unter anderen auch einheimische 'radikale' Gruppen oder unzufriedene Arbeitnehmer. Das wird bei uns inzwischen einfach kopiert. Der autoritäre militärorientierte Staat ist die Kehrseite der neoliberalen Unterdrückung."
 
Sozialtechniken gegen Erwerbslose 


Ra Detlef Hartmann
Ein zentraler Punkt in der militärzivilen Zusammenarbeit sei auch die Arbeitsverwaltung in dieser Zeit der sozialen Entrechtung und Dequalifizierung, aber auch der Demütigung mit dem Ziel, Erwerbslose rekrutierbar zu machen, erklärte Detlef Hartmann, Vertreter der Gruppe „Bundeswehr wegtreten". Mit der Verelendungsdrohung, ihnen die Lebensmittel und Unterstützung wegzunehmen, würden junge Menschen von den Arbeitsagenturen schließlich gefügig gemacht.
 
Die Gruppe „Zahltag" habe festgestellt – so Hartmann – dass die Methoden der Arbeitsagenturen dazu dienen, Menschen sich selbst zu unterwerfen, sich gänzlich als Ressource verfügbar zu machen - nach ausschließlich ökonomischen Verwertbarkeitskriterien und unter Androhung von Kürzungen. In sogenannten Profilings müssten sich junge Menschen „bis auf das Hemd ausziehen", damit ihre Verwertbarkeit überprüft werden kann. "Das ist extrem demütigend, wie wir in Gesprächen mit Erwerbslosen feststellen konnten.“
 
„Die Sozialtechniken" – so Hartmann weiter – „gehen sehr weit. Mit dieser Subjektivierung muss man als 'Arbeitskraft-Unternehmer' bei sich selber die Möglichkeiten suchen, sich möglichst ausbeutbar oder überflüssig zu machen. Diese Formen führen inzwischen schon zu Formen psychischer Verelendung, die dann als Burn-out-Syndrom die Arztpraxen füllen." Überdies hält Hartmann die Kooperation zwischen den privatisierten Arbeitsagenturen und dem Militär, das oftmals sogar in Waffen dort erscheint, um Rekruten anzuwerben, für rechtlich äußerst fragwürdig.
 
Seelische Bereitschaft zur Kriegsführung erhöhen
 
Offenbar scheint aber die Bereitschaft in Deutschland, Krieg zu führen, noch nicht hoch genug zu sein. Deshalb, so Hartmann, werde seit langem versucht, die Menschen auch mit anderen Methoden dafür zu gewinnen: „Die seelische Bereitschaft zur Kriegsführung wird auch durch die Verbindung der Bundeswehr mit dem 'Heiligen', z.B. bei Soldatengelöbnissen und Soldatengottesdiensten, die mit hoher Symbolkraft veranstaltet werden, gefördert. Gerade der Kölner Dom war ein Reichseinigungsdom. Und gerade dort verbindet sich die Inbrunst des Heiligen mit der Inbrunst des Tötens. Dies ist kein oberflächlicher Zusammenhang."
 
Nach einem Zitat des früheren stellvertretenden Generalinspekteurs der Bundeswehr, Dr. Karl Schnell, sollte auch die „Welt des Kaufmanns und des Soldaten enger zusammengeführt werden." Hierzu Hartmann: „Das ist nicht weit hergeholt, weil die unternehmerische Aggressivität in der neuen Managementlehre zentral ist. In der Generierung von unternehmerischer Aggressivität in Verbindung mit dem Militär verschmelzen beide zur Umgestaltung der Welt."
 
Dieses bedrohliche Gemisch sei – darin waren sich die Teilnehmer am Ende einig – die innere Militarisierung, durch die Kriegsbereitschaft hergestellt wird, ohne die die organisatorischen Maßnahmen von Schäuble und anderen allein nicht funktionieren würden. Die Teilnehmer waren sich aber auch einig, dass zu dieser Entwicklung dringend Gegenkonzepte entwickelt werden müssten. (PK)
 
Die Veranstalter:

Förderverein „Kölner Friedensforum"

 
Uli Sander, Journalist und Autor, Bundes- und Landesvorsitzender der VVN-BDA, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.
 
Detlef Hartmann, Rechtsanwalt aus Köln und Vertreter der Initiative „Bundeswehr wegtreten"

(Zum Thema hatte die NRhZ bereits in ihren Ausgaben 80, 88, 94, 102, und 121 berichtet).

 


Online-Flyer Nr. 141  vom 09.04.2008

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