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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Lokales
NRhZ-Veranstaltung der Reihe ’68-2008:
„Enteignet Springer...!“
Von Christian Heinrici

„...liebt DuMont und den WDR“ lautete der provozierende Titel einer Veranstaltung am 29. März im Kölner DGB-Haus. Die NRhZ als Veranstalterin warf Fragen auf – Warum wollte die APO den Springer-Konzern enteignen? Wie gestalten sich die Medienmonopole in der heutigen Zeit? – und der ehemalige Landesvorsitzende der IG-Medien, Franz Kersjes, der Journalist, Kabarettist und Liedermacher Ekkes Frank, Klaus der Geiger und die Kabarettistin Monika Blankenberg waren gekommen – als Vortragende, nebst etwa 60 interessierten Gästen, darunter auch Vertreter jüngerer Generationen.
eberhard reinecke
Eberhard Reinecke | Foto: Hey    
gesichter zeich(ch/g)en
„Das Thema ‚Enteignet Springer!’ soll hier nicht als Veteranentreffen behandelt werden.“, sagte Eberhard Reinecke, Rechtsanwalt, NRhZ-Autor und Moderator des Abends, vielmehr ginge es darum, den Bogen von der Vergangenheit zum Heute zu spannen, „von der Auseinandersetzung mit der Springer-Presse in den 60er Jahren zur Pressekonzentration und Meinungsfreiheit heute.“

„Die geheimen Medienverführer“

Im Juli 1967 hatte Rudi Dutschke in einem SPIEGEL-Interview gesagt: „Wir fordern auf Grundlage der in der Berliner Verfassung gegebenen Enteignungsmöglichkeit, die Enteignung des Springer-Konzerns... Wir wollen zu Tausenden vor dem Springerdruckhaus durch passive Formen des Widerstandes die Auslieferungsprozedur verhindern. Am Tage der Aktion... wollen wir selber kritische und informative Zeitungen für alle Teile der Bevölkerung herausgeben.“

Auf der Delegiertenkonferenz des SDS im September 1967 wurden Resolutionen zu dieser Kampagne gefasst. „Das sind ja Gedanken, über die man sich auch noch heute unterhalten kann...“, sagte Reinecke und zitierte den Kongress: „Presse, Funk, Fernsehen und Film bauen eine Scheinwelt auf, in der die geheimen Verführer privatkapitalistischer Wirtschaftsinteressen und politischer Herrschaftsansprüche, die Bedürfnisse der Menschen funktionell binden und so psychischer Verelendung und Zerstörung politischer Urteilskraft führen.“

enteignet springer plakat
Plakat zur Kampagne „Enteignet Springer"     
Die Delegierten forderten damals: „eine Befreiung vom Meinungsmonopol durch Entflechtung, Abschaffung der Konsumpropaganda und ihren Ersatz durch sachgerechte Verbraucherinformation, die Unabhängigkeit von öffentlicher Gewalt, das Selbstbestimmungsrecht der Redaktionen und das Recht auf Selbstartikulation für jede politisch, sozial oder kulturell relevante demokratische Gruppe.“ In der Tat, einige dieser Forderungen sind heute, angesichts einer zunehmenden Medienkonzentration aller Orten, als seriöse Berichterstattung getarnter Werbung und Einflussnahme von Lobbygruppen, angesichts fast vollkommener Abschaffung von Bürgermedien und der prekären Situation in vielen Redaktionen aktueller denn je.

Clash of Classes and Generations

Verglichen mit der heutigen Entwicklung muteten die Zustände am Ende der 60er Jahre allerdings fast paradiesisch an. Selbstverständlich war die Situation, in der sich die Studentenproteste und die spätere APO entwickelten eine andere als heute: Eine neue Generation war herangewachsen, die die noch aus der Nazi-Zeit herübergeretteten Machtansprüche ihrer Elterngeneration von Grund auf in Frage stellte – was fast zwangsläufig zu Zusammenstößen führte.

ekkes frank
Ekkes Frank | Foto: HD Hey
gesichter zeich(ch/g)en                     
Kabarettist Ekkes Frank berichtet aus seiner Studentenzeit in München: „Am 11. April 1968 saßen wir mit Kolleginnen und Kollegen zusammen und haben für das ‚Studenten-Kabarett Stichlinge’ vorbereitet. Plötzlich war Lärm draußen zu hören... und da kam ein Demonstrationszug um die Ecke... Dutschke war angeschossen worden...“ Die Kabarett-Truppe schloss sich den Protestierenden auf dem Weg zu einer Springer-Druckerei an: „Wir hatten alle eine Sauwut, denn nun war völlig klar, dass hier massiv etwas gegen die Studenten passiert und dass es das Resultat einer Pressekampagne gegen uns war.“ Zur Vorgeschichte erklärte Frank, dass für viele Studenten die Darstellung des Attentats auf Benno Ohnesorg in der Presse die Hauptproblematik gewesen sei, und dass viele eben gerade durch die polarisierende Darstellung und das Verhalten der Polizei erst politisiert worden waren. „In Berlin hatte 70 Prozent Springer in der Hand, und entsprechend waren auch die Berichte...“

„Babsi Lützenkirchen“, die eigentlich nur als Figur in Monika Blankenberg lebt, was ersichtlich wird, wenn die Kabarettistin auf der Bühne steht, wurde auch politisiert: Allerdings erst in diesem Jahrzehnt, durch das Hartz IV-Programm, was sie nun zur Schwarzarbeit veranlasst. Quasi als Einlage mit Gegenwartsbezug zu den Erinnerungen der Podiumsteilnehmer thematisierte die Kölner Künstlerin auf ihre hintergründig humorvolle Art prekäre Arbeitsbedingungen und Hetze gegen angebliche „Sozialschmarotzer“ mit neun Kindern in der bürgerlichen Presse: „349,67 Euro – kann man davon leben?! Ja, wenn man Pony bei Von der Leyens ist, dann reicht das für die monatliche Heuration... Kindereiche Hartz-IV-Familie gleich asozial, kinderreiche Familienministerin gleich Vorzeigemami!“ Womit wir auch schon mitten im Thema Arbeit und „Meinungsfreiheit“ wären.

Notstand, Marsch in die Institutionen und ins Monopol

Der ehemalige Vorsitzende der IG Medien und nach eigener Darstellung heutige „Unruheständler“ Franz Kersjes berichtete von seinen lebendigen Erinnerungen an die 60er Jahre, „weil es in der Tat der viele Anlässe zum Protest gab... der Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, die militärische Aufrüstung, Atombewaffnung... 1968 war die IG Druck und Papier hier in Köln die einzige Gewerkschaft, die zu einer Protestkundgebung gegen die Notstandsgesetze aufgerufen hatte... Es gab ja innergewerkschaftlich heftige Konflikte zum Thema... Zu unseren Protesten auf dem Alter Markt fanden sich die Kolleginnen und Kollegen, wir waren ein paar Hundert auf dem Platz... und auf einmal kamen vom Heumarkt Tausende von Studenten im Ho-Chi-Minh-Trab. Der Alter Markt füllte sich, da waren Tausende von Menschen. Das war auch eine Demonstration der Notwendigkeit, die Gräben zwischen dem bürgerlichen und dem Arbeitermilieu zu überwinden...“

franz kersjes
Franz Kersjes im Vortrag                          
Foto: HD Hey, gesichter zeich(ch/g)en
In seinem Vortrag berichtete Kersjes auch über sein Erstaunen, dann in den Folgejahren viele Bekannte aus dem „Republikanischen Club“ anschließend in den Redaktionen der Zeit, im WDR oder als Chefredakteur der größten Kölner Tageszeitung wiederzutreffen – Zurückgebliebene auf dem langen Marsch durch die Institutionen – wodurch er auch an den Untertitel der Veranstaltung anknüpfte. Kersjes erinnerte an Gewerkschaftsforderungen aus den 70ern, öffentlich rechtliche Zeitungen und andere Medien zu gründen, was das Bundesverfassungsgericht in den 80ern bestätigte. Mittlerweile muss man allerdings angesichts von Kommerzialisierung der öffentlich rechtlichen, Abschaffung der Sparten innerhalb privater Sender, wie des unabhängigen Fernsehfensters Kanal 4 der über RTL und Sat1 sendete, und der Beschneidung des Bürgerfunks von harten Rückschritten sprechen.

Kersjes kritisierte ebenso die seit dem Ersten Weltkrieg kontinuierliche Existenz des sogenannten „Tendenzschutzparagraphen“, der dem Zeitungsverleger gestattet, die inhaltliche Ausrichtung „seiner Zeitung“ auch gegen den Willen seiner Redakteure zu bestimmen. Es gäbe Belege dafür, dass der damalige Bundeskanzler Schröder dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger als Dank für eine kriegsfreundliche Berichterstattung über den Kosovokrieg versprochen habe, dass an besagtem Paragraphen nichts geändert werde: Grünes Licht für eine weitere Zunahme der Pressekonzentration, begleitet durch „Marktbereinigungen“ und das Ausschalten kleiner Konkurrenten durch Anzeigendumping bei der WAZ, dem Kölner Stadtanzeiger, der Rheinischen Post und der Neuen Rhein Neuen Ruhrzeitung.

Als eines der grausigsten Beispiele der jüngsten Zeit erwähnte der ehemalige Gewerkschafter, dass verschiedene Zeitungen – das Handelsblatt, die Welt, die FAZ am Sonntag – sogenannte „Medienpartnerschaften“ mit der von der Metall- und Elektroindustrie gegründeten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ eingegangen seien: „Sie verbreiten in schön geschmückten Artikeln Propagandamaterial dieser Einrichtung!“

klaus der geiger
Klaus der Geiger | Foto: Hey  
gesichter zeich(ch/g)en
Im Anschluss an die Beiträge der Referenten entspannte sich eine lebhafte Diskussion, über die Notwendigkeit und Möglichkeiten heutigen Handelns, die nur Klaus der Geiger durch eine seiner unübertroffenen und humorvollen Darbietungen unterbrechen konnte – oder nachträglich inspirieren? Innenminister Schäuble und der bekannte Kölner Musikkabarettist legen es – wie in „Drei Terroristen mit dem Kistenbass“ – nah: „Das sind doch alles potentielle Terroristen!“ Insofern hat sich sicher nicht viel seit 1968 geändert – es fehlen nur noch die Proteste. (PK)


Online-Flyer Nr. 140  vom 02.04.2008

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