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Inland
Deutsche Konzerne investieren Gewinne verstärkt im Ausland
Vorreiter RWE
Von Hans Georg

Exorbitante Gewinne meldet die deutsche Wirtschaft: Die 30 größten börsennotierten Firmen steigerten im fünften Jahr in Folge ihre Überschüsse zweistellig. Genutzt wurden die zusätzlichen Einnahmen vor allem für die Auslandsexpansion. Dorthin floss das Gros der Mittel. Da zugleich die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland schrumpften, verbesserte sich die weltweite Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft weiter. Das Beispiel des Energieversorgers RWE AG ist dafür symptomatisch:
 
Warmer Regen
 
Die im Dax notierten 30 deutschen Großkonzerne verbuchten 2007 nach Steuern 73,8 Milliarden Euro Gewinn – 14 Milliarden oder 23,2 Prozent mehr als 2006. Von den Milliardengewinnen profitierten die Aktionäre, auf die ein „(w)armer Regen“ niedergeht: Die für das vergangene Jahr ausgeschüttete Dividende steigt um ein Fünftel auf über 30 Milliarden Euro. Viele Dax-Konzerne nutzten ihre Gewinne, um eigene Aktien zurück zu kaufen und damit den Aktienkurs zu stützen. BASF gibt zu diesem Zweck 1,9 Milliarden Euro aus, die Deutsche Bank 2,9 Milliarden Euro, Daimler und Eon sogar je 3,5 Milliarden Euro; RWE erwirbt für 2,5 Milliarden Euro eigene Aktien. Daneben bauten die Dax-Konzerne ihre Außenstände ab: Seit dem Jahr 2002 haben sie ihre Netto-Verschuldung halbiert.[1] 
 
Gewinner
 
Auch ihre weltweite Wettbewerbsposition konnte die deutsche Wirtschaft erheblich verbessern. Die Auslandsexpansion verzeichnet neue Rekorde: Laut Bundesbank haben die deutschen Unternehmen 2007 ihren Niederlassungen 122,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt und damit so viel im Ausland investiert wie noch nie. Allein 46,5 Milliarden Euro gaben deutsche Firmen für den Erwerb von ausländischen Beteiligungen aus. Die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland hingegen schrumpften um 7 auf 44 Milliarden Euro. Die Anzahl von Übernahmen durch deutsche Käufer stieg um ein Drittel, während die Zahl der Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Firmen stark sank.[2] Gegenüber den europäischen Konkurrenten hat die deutsche Wirtschaft ihre Führungsposition damit weiter ausgebaut: Kein anderes EU-Mitglied hat in den vergangenen vier Jahren seine Konkurrenzfähigkeit so stark steigern können wie Deutschland. Das Land ist der größte Gewinner des Aufstiegs der Euro-Zone, die wegen der Schwäche des US-Dollars gerade die USA als größten Wirtschaftsraum ablöste: Als der Euro über die Marke von 1,56 Dollar stieg, übertraf das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt der 15-Euro-Staaten das der USA.[3]


Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


 
Eintrübung
 
Der starke Euro und die schwache US-Wirtschaft, die nachlassende Weltkonjunktur und die von den USA ausgehende Kredit- und Finanzkrise trüben allerdings die Perspektiven des deutschen Exports. Die 30 Dax-Unternehmen mussten bereits im Schlussquartal 2007 relative Gewinneinbußen hinnehmen. Ohne die Schwergewichte Daimler und Siemens, die durch Einmaleffekte Milliardengewinne einfuhren, beläuft sich der Einbruch auf mehr als ein Drittel. Auch für das laufende Jahr lässt die Zuversicht nach – die Analysten senken für die meisten Dax-Konzerne ihre Prognosen. Im Durchschnitt erwarten sie, dass die Dax-Unternehmen 2008 ihre Gewinne nochmals um 10 Prozent erhöhen können.[4] Die deutschen Ausfuhren legten im Januar zwar deutlicher zu als erwartet, aber auch die Exportwirtschaft muss sich auf sinkende Wachstumsraten einstellen: Der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA), der nach einer Steigerung um 8,5 Prozent im Vorjahr bislang mit bis zu 6 Prozent Zuwachs rechnete, erwartet nun lediglich 5 Prozent.[5]
 
Raue See
 
Der größte deutsche Energiekonzern RWE liegt mit seiner Entwicklung im Trend der gesamten deutschen Wirtschaft. Der Konzern verweist auf glänzen- de Zahlen im Vorjahr – das betriebliche Ergebnis stieg um 14,8 Prozent auf 6,52 Milliarden Euro – und zeigt sich bei der Prognose eher




RWE-Chef
Jürgen Großmann 
Quelle:  RWE
  zurückhaltend: Das Betriebsergebnis soll um jährlich 5 Prozent steigen. „Die See wird rauer“, stimmte RWE-Chef Jürgen Groß- mann seine Investoren und Mitarbeiter auf härtere Zeiten ein.[6] Der Energiekonzern will daher in den nächsten Jahren deutlich mehr investieren als bislang geplant. Das Investititionsvolumen bis 2012 wird um fast ein Drittel aufgestockt und sieht nun Ausgaben von durch- schnittlich 6,5 Milliarden Euro pro Jahr vor – bis 2012 will der Konzern damit mehr als 30 Milliarden Euro investieren.[7]

Windkraft
 
Ihr Heil sucht die RWE AG dabei verstärkt im Ausland: Großmann kündigt bis 2012 eine „verstärkte Internationalisierung“ des Konzerns an.[8] Rund die Hälfte der für diese Zeitspanne reservierten Investitionen sollen für die Erweiterung des Geschäfts außerhalb der deutschen Grenzen verwendet werden – auch für Akquisitionen. Ziel ist es, den Anteil des Auslandsgeschäfts, der derzeit etwa ein Drittel (36 Prozent) beträgt, auf rund die Hälfte anzuheben.[9] Einen „massiven Ausbau“ will der Energieversorger im Geschäft mit sogenanntem Öko-Strom erreichen: „In etwa zehn Jahren werden wir europaweit zu den führenden Anbietern von Strom aus erneuerbaren Energien gehören“, erklärt der Vorstandschef. Größere Windkraftprojekte sind vor allem in Großbritannien sowie in Süd- und Osteuropa geplant.[10]
 
Strom und Gas
 
Auf den traditionellen Strommärkten wird die angekündigte Auslandsexpansion bereits entschlossen vorangetrieben. Mit der Beteiligung an einem russischen Stromerzeuger – RWE übernimmt für 520 Millionen Euro einen Anteil von 43 Prozent am russischen Erzeuger TGK-2 – gelang ein erster prestigeträchtiger Zukauf.[11] Auch in den rasant wachsenden türkischen Strommarkt will der Essener Energiekonzern einsteigen: Ende Januar kündigte RWE die Gründung einer türkischen Landesgesellschaft an; mit dem Stromproduzenten Ciner wird über ein Joint-Venture verhandelt.[12] Auf dem Gasmarkt expandiert RWE ebenfalls kräftig: Im Februar wurde der deutsche Konzern Teilhaber des Nabucco-Pipeline-Projekts, mit dem Erdgasvorräte aus dem Kaspischen Becken und dem Iran in die EU geleitet werden sollen.[12] Auch in Großbritannien, das künftig auf wachsende Gasimporte angewiesen sein wird, plant RWE Milliardeninvestitionen. In Belgien beteiligt sich RWE zudem am Bieterverfahren für die 57-Prozent-Beteiligung am Gashändler Distrigaz.[14]

Atomkraft
 
Ein besonderer Schwerpunkt der Investitionsoffensive der RWE ist die Atomenergie. Im Inland ist der Energiekonzern gerade mit dem Antrag auf Laufzeiten-Verlängerung für den Atomreaktor Biblis A vor Gericht gescheitert und muss den Reaktor voraussichtlich schon im nächsten Jahr abschalten. Zwar sind noch weitere Klagen anhängig, und die Energiekonzerne hoffen darauf, dass ein neues Kabinett nach der kommenden Bundestagswahl den Ausstieg aus der für zu gefährlich befundenen Atomkraft rückgängig macht. Die Erfolgsaussichten sind aber eher ungewiss, da dies nur bei einer Koalition aus CDU/CSU und FDP wahrscheinlich wäre. RWE setzt daher wie der Konkurrent Eon auf den Ausbau der Kernenergie im Ausland.[15] In Rumänien beteiligt sich der Konzern an einer Projektgesellschaft zum Bau von zwei Reaktoren des Atomkraftwerks in Cernavoda, und in Bulgarien ist RWE in die engere Auswahl als strategischer Investor für das geplante Atomkraftwerk in Belene gekommen.[16]



RWE-AKW Biblis – soll abgeschaltet werden
Quelle: www.greenpeace.de
 
Machtposition
 
Das besondere Interesse der RWE gilt aber derzeit Großbritannien, da die britische Regierung unter Premierminister Gordon Brown einen erheblichen Ausbau der Kernenergie forciert.[17] Die RWE AG ist in die engere Auswahl für eine Übernahme der British Energy Group gekommen, die 1995 als Betreiber der Kernkraftwerke des Landes gegründet und ein Jahr später privatisiert wurde.[18] Bereits jetzt ist der deutsche Konzern der drittgrößte Energieversorger auf der Insel; gemeinsam mit Eon hat RWE in den letzten Jahren einige britische Versorger aufgekauft und große Marktanteile erobert. An dieser bereits erreichten Machtposition könnte die beabsichtigte Übernahme noch scheitern, da die britische Regierung sich bereits zuvor veranlasst sah, vor einer zu großen Machtstellung deutscher Energiekonzerne in Großbritannien zu warnen.[19]

 
[1] Aktionäre kassieren Milliarden; Berliner Zeitung 06.03.2008 und Überschuss im Überfluss; Frankfurter Rundschau 08.03.2008
[2] 122 Milliarden Euro im Ausland investiert; Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.03.2008. S. auch Rekorde im Abschwung
[3] Europa ist jetzt der weltgrößte Wirtschaftsraum; Welt online 14.03.2008. S. auch Starker Mann
[4] US-Krise erfasst deutsche Konzerne; Handelsblatt 05.03.2008, Gewinn-Boom vor dem Ende; Berliner Zeitung 10.03.2008 und BDI: Euro-Stärke wird zur Belastung für die Konjunktur; Berliner Zeitung, 18.03.2008
[5] Deutscher Export überraschend stark; Financial Times Deutschland 10.03.2008 und Weniger Zuversicht im Außenhandel; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.03.2008
[6] RWE-Chef befürchtet harte Zeiten; Financial Times Deutschland 22.02.2008
[7] RWE stockt Investitionsplan bis 2012 um ein Drittel auf; www.faz.net 22.02.2008
[8] Schwerer Start für RWE-Chef Großmann; Tagesspiegel 23.02.2008
[9] RWE-Chef will Auslandsgeschäft ausbauen; Financial Times Deutschland 22.02.2008 und RWE sucht Heil im Ausland; Financial Times Deutschland 17.03.2008
[10] s. auch Klimavandalismus
[11] RWE steigt in Russland ein; Handelsblatt 14.03.2008 und RWE übernimmt Kontrolle bei russischem Stromerzeuger; Reuters 15.03.2008
[12] RWE in Gesprächen mit türkischem Ciner-Konzern; Reuters 21.02.2008
[13] s. auch Verstärkung und Nabucco
[14] RWE geht auf Einkaufstour; Handelsblatt 17.03.2008
[15] RWE scheitert mit Klage auf längere Laufzeit für Biblis A; Reuters 27.02.2008. S. auch Energie für Deutschland (I), Wende, Risikoexport und Konfrontationskurs
[16] RWE mit 15-Prozent-Beteiligung an AKW-Bau in Rumänien; Financial Times Deutschland 07.03.2008 und RWE in engerer Auswahl als Investor für bulgarisches Atomkraftwerk; www.pr-inside.com 11.03.2008
[17] Bis zu 18 neue Atomkraftwerke: Großbritannien treibt Kernkraftausbau voran; Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.03.2008 und Zweiter Frühling; Handelsblatt 14.03.2008
[18] RWE bietet für britischen Atomstromproduzenten; Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.03.2008
[19] s. RWE wird größter Stromversorger in England und Oligopol (PK) 
 
Mehr unter www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57196

Online-Flyer Nr. 139  vom 26.03.2008

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