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Lokales
Kölner Clownsarmee vor Gericht
Fröhlich bis ausgelassen
Von Hans-Dieter Hey

Am 14. Februar ging es Amtsrichter Wiegelmann vom Kölner Amtsgericht wie die NRhZ berichtetewohl wie in dem alten Kinderwitz, in dem ein Kinoinhaber die Schlange vor der Kasse ansieht und denkt: „Wenn se alle reingehen, geh'n se nich alle rein, geh'n se aber nich alle rein, geh'n se alle rein." Wegen Saalüberfüllung durch das Volk, in dessen Namen Wiegelmann sprechen sollte, erfolgte nun vergangenen Mittwoch ein neuer Versuch. Trotz U-Bahn-Streik war der große Saal gut gefüllt. Und die Stimmung des Volkes fröhlich bis ausgelassen.

Fotografierverbot im Hochsicherheitssaal

Amtsgericht Köln, 5. März 2008, 9:30 Uhr, polizeilich abgeschirmter Hochsicherheitsaal. Angeklagt: die „Clownsarmee" wegen Hausfriedensbruch im Kölner Arbeitsamt. Absolutes Fotografierverbot. Angeblich wären bereits am 14. Februar Sicherheitsleute „geschubst" worden. Von Fotografen? Nein. Ja, wer hat denn dann geschubst? Ratlosigkeit auf der anderen Seite. Seine sitzungspolizeiliche Verfügung zum Fotografierverbot wollte Richter Wiegelmann auf Anfrage dann der NRhZ lieber nicht aushändigen. Man hätte ja gegen seine recht eigenwillige Auslegung der Pressefreiheit vorgehen können. In solchen Fragen gibt es in Köln offenbar eine Tradition. Bereits der Vorsitzende der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts hatte es im vergangenen Jahr abgelehnt, einem Kamerateam Zutritt zu dem Gerichtssaal zu gewähren. Das Gericht hatte vor dem Bundesverfassungsgericht daraufhin den Kürzeren gezogen. Doch sei's drum. Uns bleibt das notierte Wort.



Clownesken vor der Arbeitsagentur

In dem großen Saal wirkten Staatsanwalt und Richter etwas verloren. Vor allem dem Staatsanwalt – in den tiefsten Untergründen des Kölner Verbrechens zuhause, im Gesicht grau, die Backenknochen durch das Zähneknirschen in kurzen Abständen hervortretend – war anzusehen, dass sein bitteres Leben - ständig Verrat, Mord und Totschlag witternd – aus Verfolgung und Verurteilung besteht. Der gleiche Staatsanwalt hatte bereits 2006 für die Strafverfolgung und Verurteilung von Friedensaktivisten gesorgt, weil sie am Kölner Dom das Transparent „Wir geloben zu morden, zu rauben zu vergewaltigen" aufgehängt hatten.

Verunsicherung von Polizeibeamten

Am Mittwoch handelte es sich nun um die Verbrechen der Clownsarmee. Wer die Clowns-Armee ist, sagt ein Aktenvermerk des Polizeipräsidiums Köln vom 13.07.07: „Unter der Maske des Clowns und den damit verbundenen positiv-typischen Attributen treten die Clowns in Gruppen auf und erreichen durch teilweise akrobatische Einlagen, Besprühungen eingesetzter Polizeibeamter mit dem Inhalt von Wasserpistolen, Nachäffen und durch ständiges, kindlich-naives Einreden, vor allem aber durch Distanzunterschreitung der persönlichen Intimsphäre die verunsicherten und genervten Polizeibeamten im Einzelnen lächerlich zu machen und die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen."


Das mit der Öffentlichkeit scheint gelungen. Als die Angeklagten eintraten, erklang auf den Rängen das Lied: „Ne wat es dat schön, ne wat es dat schön!" Es folgten die Fragen des Richters nach den Personalien und nach dem monatlichen Verdienst. „Bafög 520 Eu", antwortet einer der Angeklagten. „Und was zahlen sie an Miete?" - „300 Eu". Amtsrichter Wiegelmann: „Oh, dann bleiben ja nur 220 Euro zum Leben!" Angeklagter: „Sehr richtig." Die Stimmung im Saal stieg. Ein weiterer Angeklagter: „Ich hab 500 Eu". – Der Rest erübrigt sich.

Durch eine Hintertür in die ARGE

Die Anklageschrift wird verlesen. Am 1.8.2006 seien die Angeklagten durch eine Hintertür, die ihnen durch andere Mitglieder der „Clowns-Armee" geöffnet wurde, widerrechtlich in die Kölner Arbeitsagentur eingedrungen, um die Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr zu stören. Schließlich seien sie durch die Polizei – gerufen durch den Verwaltungsleiter der ARGE – entfernt worden. Als Amtsrichter Wiegelmann fragt: „Geben sie zu, in die Räume der ARGE eingedrungen zu sein?", lautet die Antwort: „Wir sind die Clownsarmee. Aus Gründen der Geheimhaltung und militärischen Taktik können wir hierzu leider keine Angaben machen." Die gute Stimmung im Gerichtssaal steigt weiter an, während sich ein Teil des Volkes im Saal als Clowns schminkt. Der einzige Zeuge ist der Verwaltungsleiter der ARGE Köln. Zum Bedauern des Staatsanwaltes kann er leider keinen der Angeklagten zweifelsfrei wiedererkennen. Nach seiner Aussage verabschiedet sich der ARGE-Mann mit fröhlichem Winken von den inzwischen geschminkten Zuschauern. Der Staatsanwalt verlangt 60 Tagessätze zu 15 Eu. Das Urteil lautete schließlich zehn Tagessätze zu 15 Eu, um die der Richter wegen Sturheit des Staatsanwaltes wohl nicht herum kommt.


Karitativer Auftrag der Bundeswehr

Interessant die Einlassungen der Angeklagten zum Verfahren, die die ganze Absurdität der Sache verdeutlichen:
„Am 28.06.2007 führte die Bundeswehr im Arbeitsamt auf Luxemburgerstraße eine Informationsveranstaltung durch. Zweck dieser Veranstaltung war es, neues Menschenmaterial für Kriege in aller Welt zu rekrutieren. Günstig wirkt sich für dieses Bestreben aus, dass Menschen in soziale Notlagen besonders zugänglich für die Verlockungen der Bundeswehr sind.


Rekrutierungsbüro Arbeitsagentur

An diesem Tag fand sich auch eine kleine Schar uneinsichtiger Menschen ein, die noch nicht erkannt hatten, dass die Bundeswehr ihrem karitativen Auftrag nur nachkommen kann, wenn sie immer weiter mit neuen Menschen aufgefüllt wird. Denn wo gehobelt wird, da fallen Späne, und so ist auch die Bundeswehr nicht vor einem gewissen Schwund gefeit.

Als die Uneinsichtigen die Bundeswehr zunehmend mit schwerwiegender Kritik konfrontierten, wurde klar, dass eine derartige Eskalation der Meinungsfreiheit nicht länger zu tolerieren war. Auch von den eingesetzten Polizeikräften war zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten, dass sie die Kritik in gewohnter Weise durch den Einsatz von Schlagstöcken in den Griff bekommen würden.

Clowneske Aufruhrbekämpfung

Als man im Hauptquartier der Kölner Clownsarmee von dieser prekären Situation erfuhr, wurde sogleich ein Kommando der Allgegenwärtigen Clownesken Aufruhrbekämpfung (ACAB) in Bewegung gesetzt, um vor Ort eine Krisenintervention durchzuführen. Bereits mehrfach hatte sich diese Spezialeinheit hervor getan, wenn es galt, die bestehende Ordnung gegen Kritik und Veränderung zu verteidigen. Kurz darauf sprang über dem Arbeitsamt ein Kommando der Clowns mit dem Fallschirm aus einem rosa Meerschweinchen ab.


Vor Ort bot sich den Eliteeinheiten ein Bild des Schreckens: Tatsächlich hatten sich etwa 20 Demonstranten eingefunden, um ihren Protest zu artikulieren. Für die Profis von der Clownsarmee war schnell klar, dass hier nicht nur das Ansehen der Bundeswehr in Gefahr war, sondern darüber hinaus auch noch Zivilisten in abscheulicher Weise Gebrauch von ihren Grundrechten machten.

Der erste Befehl vor Ort orientierte sich am Ausmaß dieser Bedrohung und bestand folgerichtig darin, den gesamten Stadtteil Sülz zu bombardieren. Leider ließ sich dieser brillante Gedanke nicht in die Tat umsetzen, da die gesamte clowneske Luftwaffe an diesem Tag damit beschäftigt war Papierkügelchen in einen Papierkorb zu werfen.

Erstürmung des Arbeitsamtes verhindert 

Man entschied sich deshalb für eine zweigleisige Strategie. Eine Einheit sollte direkt in die Kampfhandlungen eingreifen und so die Polizisten vor Ort entlasten. Eine andere Einheit sollte die Demonstranten in Zivil unterwandern, um so zu den Soldaten im Inneren des Gebäudes vorzudringen. Dieses grandiose militärische Manöver gelang der Clownsarmee, und im Kampf Mann gegen Mann konnte die zu befürchtende Erstürmung des Arbeitsamtes verhindert werden.

Im Inneren des Arbeitsamtes allerdings kam es zu einer unerfreulichen Szene. Die dort eingesetzten Polizeibeamten kompensierten ihre vorangegangene Hasenfüßigkeit durch autoritäres Auftreten und forderten die Clownssoldaten auf, das Gebäude zu verlassen. Dieser Aufforderung konnte die Clownsarmee aus zwei Gründen nicht nachkommen: Zunächst einmal war das Verlassen der Räumlichkeiten aufgrund der labilen Sicherheitslage taktisch nicht zu verantworten. Darüber hinaus hatten die Clownssoldaten den Befehl, das Gebäude bis zum letzten Mann zu verteidigen, und es versteht sich wohl von selbst, dass es für einen richtigen Soldaten undenkbar ist, einen derartigen Befehl in Frage zu stellen. Denn auch in der Clownsarmee halten wir den Gehorsam für die wichtigste Tugend des Soldaten. Dies führte letztlich dazu, dass die Clownssoldaten von Polizisten aus dem Gebäude gedrängt wurden.

Latenter Neid der Polizisten

Das Verhältnis zwischen Clownsarmee und Polizei ist seit jeher angespannt. Ursache hierfür dürfte der latente Neid der Polizisten auf die gut ausgebildeten, gut genährten und vor allem gut aussehenden Einheiten der Clownsarmee sein. Auch bei der Polizei selbst wird dieses Problem gesehen. Kriminaloberkommissarin Schulze-Hobeling, eine ausgewiesene Expertin im Bereich clownesker Aufruhrbekämpfung, gesteht ein: „
Die Aktivisten sind stets sehr gut vorbereitet, aufeinander abgestimmt (Strategie!) und im Handeln als Gruppe sehr 'effektiv'. Die einzelnen Aktionsformen sind wandelbar, die Möglichkeiten unbegrenzt.“


Deutlich ist aus diesen Zeilen heraus zu lesen, dass die Polizei in der Clownsarmee einen übermächtigen Konkurrenten in Sachen Repression sieht. Wir können deshalb nachvollziehen, dass die schlecht ausgebildeten Einheiten der Kölner Polizei mitunter unangemessen auf Clownseinsätze reagieren. Aber auch wenn wir ein solches Verhalten nicht gutheißen können, wollen wir Nachsicht zeigen und von rechtlichen Schritten gegen die Kölner Polizei absehen. Im Übrigen ist der Vorwurf des Hausfriedensbruchs absurd. Immerhin werden hier einige Soldaten der Clownsarmee angeklagt und es ist wohl eine Selbstverständlichkeit, dass eine Armee im Einsatz den Frieden bricht. Denn dazu ist sie schließlich da.


Angeklagte und Clownsarmee nach dem Prozess: Ausgelassen
Fotos: H.-D. Hey - arbeiterfotografie


Zum Abschluss möchten wir noch einmal aus der polizeilichen Akte zitieren, um dem Gericht einen Einblick in das wahre Wesen der Clownsarmee zu gewähren: 'Wir sind circa, weil wir ungefähr und, weder hier noch dort, ambivalent sind, aber im leistungsfähigsten aller Plätze, der durchschnittliche Auftrag des Platzes und Chaos.' (Prozessakte, Blatt 38). Vielen Dank."

In ihren Grundfesten erschüttert

Und schließlich folgt noch ein Auszug aus dem Plädoyer eines Angeklagten: „Die von der Staatsanwaltschaft angeführten Beweise sind so überzeugend, dass auch wir selbst nun an unsere Schuld glauben. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass staatliche Behörden immer Recht haben. Der angeklagte Tatbestand wäre in diesem Fall weit mehr als ein einfacher Hausfriedensbruch. In unserem gescheiterten Versuch, die herrschende Ordnung gegen Kritik und Veränderung zu verteidigen, haben wir uns selbst gegen diese Ordnung gestellt und so die freiheitlich demokratische Grundordnung unseres geliebten Vaterlandes in ihren Grundfesten erschüttert. Wir möchten uns gar nicht vorstellen, was alles hätte passieren können, wenn wir drei Angeklagten auch nur einen Moment länger im Arbeitsamt verblieben wären. Mit Sicherheit wären sämtliche Errungenschaften der abendländischen Kultur binnen weniger Sekunden vernichtet worden."


Dem ist nichts hinzuzufügen. (PK)



Online-Flyer Nr. 137  vom 12.03.2008

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