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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Inland
Interview mit Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl
Stundenlange Vernehmungen
Von Martina Miensopust

Christiane Ernst-Zettl (Jahrgang 1970), Hauptfeldwebel im Sanitätsamt der Bundeswehr, ist seit ihrer Strafversetzung vom Hindukusch nach Deutschland (siehe hierzu den Artikel von Jürgen Rose) im Sanitätsamt der Bundeswehr tätig. Gleichzeitig ist sie engagiert im Darmstädter Signal, einem Arbeitskreis, der sich mit friedens- und sicherheitspolitischen Fragen im Gedankenaustausch mit Politikern und Wissenschaftlern beschäftigt. Nebenbei ist sie Richterin am Landgericht. Das Interview wurde uns von www.muslim-markt.de zur Verfügung gestellt. Wir veröffentlichen es ein wenig gekürzt. – Die Redaktion
MM: Nach ihrer Ausbildung im Gesundheitswesen, sind sie zur Bundeswehr gegangen. Was waren Ihre Beweggründe?
 

Christiane Ernst-Zettl:
„Dass ich mir selbst
treu bin“
| Quelle: www.
darmstaedter-signal.de
Ernst-Zettl: Mein Bruder war bereits 1991 in den Streitkräften – beim Heer – tätig. Im Jahr 1991 wurde die Laufbahn der Unteroffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt meine zivile Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen abgeschlossen und suchte nach Möglichkeiten mich persönlich und beruflich weiterentwickeln zu können. Ich habe mich als deutsche Staatsbürgerin bewusst entschieden und verpflichtet, das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen. Dafür diene ich im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Frauen gibt es bereits seit 1970 im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Die Bundeswehr bietet sehr gute fachliche Qualifikationsmöglich- keiten im Sanitätswesen. Ich identifiziere mich mit meinem Beruf und würde mich wieder im Sanitätsdienst der Bundeswehr freiwillig verpflichten. Es ist mir wichtig, dass die Soldaten und Zivilisten sowohl in Deutschland als auch im Ausland – Opfer bewaffneter Konflikte – eine erstklassige sanitätsdienstliche Versorgung erhalten und uns in unserem Tun und Handeln vertrauen.


Im Rahmen Ihrer Auslandseinsätze haben Sie sich freiwillig für einen Einsatz in Afghanistan entschieden. Hatten Sie denn keine Angst als Frau ausgerechnet nach Afghanistan zu gehen, und wie waren Ihre Eindrücke vom Land?

Ich hatte keine Angst sondern Respekt. Natürlich war mir klar, dass der Auftrag der bewaffneten Sicherheitsbeistandtruppe ISAF auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden darf. Dementsprechend fundiert wurden wir vor dem ISAF Einsatz, besonders bezüglich der Sicherheitslage bis hin zu den Rechtsgrundlagen einschließlich persönlicher Verpflichtung zur Einhaltung der Regeln des humanitären Völkerrechts, ausgebildet. Darauf habe ich auch vertraut. Wichtig für mich, als Vorgesetzte war, dass mein Team gute sanitätsdienstliche Arbeit leistet und dass ich die mir anvertrauten unterstellten Sanitätssoldaten gesund nach Deutschland zurück bringen würde.
 
Wegen der besonderen Bedingungen im Einsatzgebiet war es mir nicht möglich, das Militärlager zu verlassen. Deshalb habe ich das Land nicht kennen gelernt. Die Menschen die ich gesehen habe und mit denen ich sprechen konnte, waren in der Regel Patienten – meist Opfer der bewaffneten Konflikte – unseres Feldlazaretts. In Afghanistan sind bewaffnete Überfälle, Raketen- und Granatenbeschuss, Anschläge mit Minen und Sprengfallen, Selbstmordattentaten mit Verwundeten und Toten fast an der Tagesordnung. Da bleiben viele Opfer.


In Afghanistan Verwundete und Tote fast an der Tagesordnung
Quelle: www.bundestag.de

Ihr Einsatz in Afghanistan fand nach wenigen Monaten ein Ende durch Strafversetzung nach Deutschland. Können Sie die Umstände dazu erläutern?

Ich kam Ende Februar 2005 zu dem bereits seit November 2004 laufenden 7. Einsatzkontingent ISAF und wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass auch das deutsche Sanitätspersonal seit Dezember 2004 als Personalersatz für einen georgischen Sicherungszug der Infanterie bei den bewaffneten Streitkräften für operative Aufgaben einsetzt wird und dass die Regeln des humanitären Völkerrechts u.a. gemäß Dienstvorschrift der Bundeswehr 15/2 und Verfügung des Generalsekretär der Vereinten Nationen über die Truppen der Vereinten Nationen für die deutschen Sanitätssoldaten keine Anwendung mehr fanden.
 
Obwohl ich als Sanitätspersonal mit dem Schutzzeichen Rot-Kreuz kenntlich war und mich ausweisen konnte, erhielt ich im April schließlich den Befehl, im Sicherungsdienst operative Aufgaben der bewaffneten Streitkräfte einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt, über mein legitimes Recht des Selbst- und Nothilferechts, wahrzunehmen. Daraufhin wurde ich bei meinem Sicherungszugführer – einem Offizier – vorstellig um ihm zu melden, dass ich im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant sei und nicht eingesetzt werden dürfe. In der Tat hatte die Sicherung den Auftrag, das Militärlager zu verteidigen, d.h. gegen Feindseligkeiten, besonders gegen paramilitärische Kräfte und terroristische Angreifer. Laut ISAF Mandat sind das Sicherungsaufgaben der Infanteriekräfte. Ich habe mein Schutzzeichen nicht abgelegt, denn ich war verpflichtet mich kenntlich zu machen. Mehrere Stunden später wurde ich aus dem Sicherungsdienst herausgelöst.
 
Noch am Abend begannen stundenlange Vernehmungen, in denen ich mich für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts rechtfertigen sollte. Ich habe mich für die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrechts verantwortlich gefühlt, da ich laut Dienstvorschrift 15/2 auf die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrechts verpflichtet worden bin. Darauf durfte ich vertrauen. Außerdem sind die Allgemeinen Regeln des Völkerrechtes nicht von ungefähr Bestandteil des Bundesrechtes. Ich bekam schließlich eine Disziplinarmaßnahme und wurde strafweise zurück nach Deutschland versetzt.
 
Sie sind inzwischen auch im Darmstädter Signal engagiert. Ist es in diesem Zusammenhang nicht äußerst problematisch, wenn jeder Soldat politische Entscheidungen hinterfragt?

Grundsätzlich nein. Ich lebe und diene schließlich unserer Demokratie. Allerdings muss einem schon klar sein, dass kritisches Engagement, gerade wenn es um politische Entscheidungen geht, auch nicht mit Beifallsbekundungen durch Vorgesetzte honoriert wird. Ich persönlich darf davon ausgehen, dass meine berufliche Karriere beendet ist.

Sie sind zuletzt dadurch in die Schlagzeilen geraten, dass sie einen öffentlichen Aufruf des Darmstädter Signals unterstützt haben, der sich gegen den Einsatz von Bundeswehr-Tornados in Afghanistan richtet. Was sind die Hauptgründe für Ihre Ablehnung?

Deutschland wird immer mehr in den Krieg der USA in Afghanistan hinein gezogen. Der ehemalige Verteidigungsminister Dr. Struck spricht offen vom Kampfeinsatz. Ich stehe offen zu friedlichen Lösungen ohne militärische Gewalt. Was die Menschen in Afghanistan wollen und brauchen, ist doch nicht Krieg sondern humanitäre Hilfe und Wiederaufbau.
 
Es ist Augenwischerei, uns glauben machen zu wollen, dass die Tornados – im übrigen Kampfflugzeuge – nur Aufnahmen anfertigen. Man stelle sich z.B. vor, ein Arzt würde ein Röntgenbild von einem Patienten anfertigen, um dessen Verletzung oder einen Schmerz abzuklären. Es wäre doch völlig widersinnig, wenn der Arzt dem Patienten das Ergebnis und die daraus resultierende Therapie vorenthält, das Ergebnis des Röntgenbildes also nicht verwertet.

 
Bundeswehrärztin unterweist einen afghanischen Kollegen
Quelle: www.einsatz.bundeswehr.de

Die Stimme der Soldaten in den Befehlsetagen, die Deutschland nicht am Hindukusch verteidigen will, erscheint zumindest für den Außenstehenden sehr leise. Wie erklären Sie sich das?


Ich kann es nur auf Grund meiner eigenen Erfahrungen mitteilen. Es ist sicherlich sehr schwer, sich kritisch äußern zu wollen, besonders für die so genannten Entscheidungsträger, von denen die politische Führung auch Linientreue erwartet. Ich lebe in dem Bewusstsein und in dem Vertrauen, dass jeder einzelne von uns seine persönlichen Entscheidungen gegenüber seinem Gewissen verantworten wird. Dieses meine ich auch vor dem Hintergrund unserer eigenen deutschen Geschichte. Für mich persönlich lebe ich und da zitiere ich gerne mein Vorbild Nobelpreisträgers Henry Dunant: „Denn alle können auf die eine oder andere Weise – jeder in seinem Kreise und in seiner Kraft – irgendetwas zu diesem guten Werke beitragen.“

Das Darmstädter Signal engagiert sich ja sozusagen für die Friedensarbeit aus der Armee heraus. In wie weit spielen die weltweit propagierte „Kampf der Kulturen“ eine Rolle bei Ihrem Engagement?

Wir sind Soldaten der Bundeswehr und engagieren uns auch als solche. Wir leben den Staatsbürger in Uniform kritisch und mit Verlaub auch zeitgenössisch. Das sind nach meinem Verständnis und meiner Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr schlicht die Früchte der Erziehung, nämlich der Erfolg des Anspruchs und der Forderung der Inneren Führung der Bundeswehr. Die Bundeswehr kann nicht den blinden Gehorsam abverlangen, sondern den selbstbewussten und mitdenkenden Staatsbürger in Uniform. 
 
Zu den unterschiedlichen Kulturen darf ich sagen, dass es für mich wichtig ist, dass jede Kultur nach ihren Vorstellungen leben muss, und dass niemand das Recht hat, Eingriffe in eine Kultur und Tradition vornehmen wollen. Ich persönlich möchte nicht, das Dritte in meine Kultur und Tradition eingreifen und mich womöglich bevormunden.


Abtransport von Verwundeten durch deutsche Sanitäter
Quelle: www.bmlv.gv.at  

Wenn Sie einerseits davon ausgehen, dass Ihre Karriere beendet ist und andererseits dass die Bundeswehr gegen das Völkerrecht verstößt, welche mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen hat das in Ihrem Leben?

Dass ich mir selbst treu bin. Ich habe mich auf das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung verpflichtet und dafür stehe ich ein, sowohl als Berufssoldatin als auch in meinem Ehrenamt. Dass ich mit meiner Haltung und Auffassung anderen auf die Füße trete, ist mir nicht erst seit den Vorkommnissen in Afghanistan klar. Ich bin dankbar, dass ich Menschen um mich habe, die mich auf meinem Weg begleiten.

Welches Ideal treibt sie, all diese Schwierigkeiten auf sich zu nehmen?

Meine Familie.

Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl wies vor dem Interview ausdrücklich darauf hin, dass sie hier lediglich ihre persönlichen Auffassungen äußert. (PK)
 
Einen Artikel über den „Fall Ernst-Zettl“ finden Sie in dieser Ausgabe. Das volle Interview finden Sie unter www.muslim-markt.de

Online-Flyer Nr. 131  vom 30.01.2008

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